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Die Hochzeit der Chani Kaufman

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am26.08.20152. Auflage
Sie haben sich dreimal gesehen, sie haben sich noch nie berührt, aber sie werden heiraten: die neunzehnjährige Chani Kaufman und der angehende Rabbiner Baruch Levy. Doch wie geht Ehe, wie geht Glück? Eine fast unmögliche Liebesgeschichte in einer Welt voller Regeln und Rituale. Das freche und anrührende Debüt von Eve Harris.

Eve Harris, geboren 1973 in London, Tochter polnisch-israelischer Eltern, arbeitete zwölf Jahre als Lehrerin, darunter an katholischen und jüdisch-orthodoxen Mädchenschulen in London und Tel Aviv. ?Die Hochzeit der Chani Kaufman? schaffte es auf die Longlist des renommierten Man Booker Prize. Eve Harris lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextSie haben sich dreimal gesehen, sie haben sich noch nie berührt, aber sie werden heiraten: die neunzehnjährige Chani Kaufman und der angehende Rabbiner Baruch Levy. Doch wie geht Ehe, wie geht Glück? Eine fast unmögliche Liebesgeschichte in einer Welt voller Regeln und Rituale. Das freche und anrührende Debüt von Eve Harris.

Eve Harris, geboren 1973 in London, Tochter polnisch-israelischer Eltern, arbeitete zwölf Jahre als Lehrerin, darunter an katholischen und jüdisch-orthodoxen Mädchenschulen in London und Tel Aviv. ?Die Hochzeit der Chani Kaufman? schaffte es auf die Longlist des renommierten Man Booker Prize. Eve Harris lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257606935
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum26.08.2015
Auflage2. Auflage
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1015 Kbytes
Artikel-Nr.1703237
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

{7}1 Chani - Baruch

November 2008 - London


Reglos stand die Braut da, unter Lagen kratziger Petticoats wie zur Salzsäule erstarrt. Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, sammelte sich in den Achselhöhlen und hinterließ Flecken auf der elfenbeinfarbenen Seide. Sie schob sich näher an die Tür des Bedeken-Raumes heran und presste ein Ohr dagegen.

Sie hörte die Männer singen. Ihre »Lai-lai-lai«-Rufe rollten den staubigen Korridor der Synagoge herunter. Sie kamen, sie abzuholen. Jetzt war es so weit. Dies war ihr Tag. Der Tag, an dem ihr Leben endlich begann. Sie war neunzehn und hatte noch nie die Hand eines Jungen gehalten. Der einzige Mann, der sie berühren durfte, war ihr Vater gewesen, und seine körperlichen Zuwendungen hatten abgenommen, als ihr Körper rundlicher und reifer wurde.

»Setz dich, Chani-leh, zeig ein bisschen Anstand. Komm, eine Kalla steht nicht an der Tür. Los, setz dich hin!«

Das Gesicht ihrer Mutter war grau geworden. Die Falten traten umso deutlicher hervor, als ihr das Make-up den Hals hinunterglitt. Die gezupften Augenbrauen {8}verliehen ihrem Gesicht den Ausdruck ständiger Überraschung, und der Mund war zu einer Linie eisigen Pinks zusammengepresst. Mrs Kaufman schien unter dem Gewicht ihrer farblosen Perücke regelrecht zusammenzusacken, das Haar darunter ebenfalls grau und dünn. Mit fünfundvierzig eine alte Frau: müde. Chani war ihre fünfte Tochter, die Fünfte, die im Empfangszimmer auf die Bedeken-Zeremonie wartete, die Fünfte, die das Kleid trug. Und sie würde nicht die Letzte sein. Wie Matrjoschka-Puppen kamen nach ihr noch drei jüngere Töchter.

Chani blieb auf ihrem Posten. »Müssten sie nicht längst hier sein?«

»Sie kommen noch früh genug. Du solltest für deine unverheirateten Freundinnen beten. Nicht alle haben so ein Glück wie du heute, Baruch HaSchem.«

»Aber wann kommen sie denn? Es fühlt sich an, als würden wir schon ewig warten.« Chani stieß einen langen, gelangweilten Seufzer aus.

»Wenn sie so weit sind. Und nun ist Schluss, Chani-leh.«

Von Mutter zu Tochter und von Schwester zu Schwester war das Kleid allen immer ein treuer Freund gewesen - es schrumpfte oder wuchs mit den Erfordernissen einer jeden Braut. Die silbernen Stickereien und unzähligen Perlen kaschierten Narben und schartige Säume der verschlissenen Hülle. Jede Änderung zeugte von der Reise einer weiteren Braut, zeichnete ihre Hoffnungen und Wünsche nach. Die gelbgewordenen Achseln, die schon so oft chemisch gereinigt wurden, erzählten von {9}ihren Ängsten. Kalte, kribbelnde Spannung, das Aufblitzen weißer Laken und das riesige Bett, das auf sie wartete, erfüllten die Gedanken jeder Braut. Wie wird es sein? Wie wird es sein? Diese Frage pulsierte in Chanis Kopf.

Sie ging zögerlich über den Teppich. Als würde sich das Rote Meer teilen, rutschten die Mutter und die Schwestern mit ihren üppigen Hinterteilen zur Seite, um auf dem Diwan für ihren kleinen hübschen Po Platz zu machen. Das weiße Braut-Gebetbuch wurde ihr behutsam in die Hände geschoben. Die Frauen flüsterten und murmelten, die Gebete hoben und senkten sich im Rhythmus ihrer Atemzüge und dem Klopfen ihrer Herzen. Das Hebräische ergoss sich in sanftem, weiblichem Keuchen. Chani stellte sich vor, wie die Worte hoch, hoch und immer höher schwebten - geflügelte Briefe, die mit der Zimmerdecke verschmolzen.

In der warmen Luft mischten sich die verschiedenen Parfums mit Körperausdünstungen und schlechtem Atem. Getrockneter Lippenstift verklebte die ausgedörrten Münder der Frauen, und verborgen unter vielen Kleiderschichten, knurrten ihre Mägen. Einige trugen Zweiteiler, bestehend aus langen Röcken und passenden Jacken, zugeknöpft, soweit es nur ging. Andere hatten den obligatorischen langen Rock mit einer weißen hochgeschlossenen Bluse unter einem schlichten blauen Blazer kombiniert. Die Farben waren absichtlich trist, belebt höchstens von einer kleinen Brosche oder etwa cremefarbenen Paspeln um die Taschen. Eine selbstauferlegte Uniform, die sogar die Jüngste unter ihnen wie eine Witwe erscheinen ließ.

{10}Genau wie Mrs Kaufman trugen die verheirateten Frauen ihre besten Perücken - schwere, glänzende Strähnen, die ihr Haar vor dem anderen Geschlecht verbargen, die falsche Pracht dichter und farbiger als die Natur. Junge, unverheiratete Frauen bekundeten ihren Familienstand, indem sie barhäuptig gingen, doch selbst die prächtigste Mähne war gebändigt und zurückgebunden oder zu einem ordentlichen Bob geschnitten.

Die drallen Rücken und Schultern derer, die schon vor ihr Bräute gewesen waren, wiegten sich vor und zurück, mit knackenden Knien, wenn sie sich tief verbeugten. Sie beteten und seufzten für Chani, dafür, dass diese Ehe eine gute und treue werde und dass HaSchem wohlwollend auf sie und ihren Ehemann herabblickte. In Chanis Augen brannten Tränen angesichts ihrer Loyalität und Güte.

Doch wo war die Rebbetzin? Nachdem der Unterricht beendet war, hatte sie versprochen, zur Hochzeit zu kommen. Chani sah sich ein weiteres Mal um, bevor sie die Enttäuschung zuließ. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Rebbetzin bereits in der Schul war und sie von der Frauengalerie aus beobachten würde. Chani schwor sich hinaufzuschauen, bevor sie unter die Chuppa trat.

Stattdessen war ihre zukünftige Schwiegermutter hier. Als ihre Blicke sich trafen, bedauerte Chani, nicht ins Gebet versunken zu sein. Mrs Levy war prachtvoll in ein dunkeltürkisfarbenes Seidenkleid gehüllt. Ein passender Pillbox-Hut vervollständigte das Ensemble und ließ sie wie einen glitzernden Eisvogel aussehen. Sie schlängelte {11}sich herüber und atmete auf widerliche Art in Chanis Ohr.

»Entzückendes Kleid, Chani - obwohl es für meinen Geschmack ein wenig zu altmodisch ist. Aber dennoch, sehr hübsch. Es steht dir, meine Liebe.«

Der Hut ihrer Schwiegermutter war verrutscht, was irgendwie keck wirkte. Chani unterdrückte ein Grinsen. Mrs Levys extravagante kupferfarbene Perücke war zu einem aalglatten Vorhang getrimmt worden, der ihr hinterlistiges Lächeln umrahmte. Das hämische Grienen eines Leopards, bevor er zum Sprung ansetzt. Chani würde nicht darauf hereinfallen. Sie ließ sich nicht unterkriegen.

»Danke, Mrs Levy, es ist ein Familienerbstück. Meine Großmutter hat in diesem Kleid geheiratet. Es ist eine große Ehre für mich, es tragen zu dürfen.« Kess lächelnd wandte sie sich Richtung Diwan und ließ Mrs Levy mit offenem Mund stehen. Sie war schon so weit gekommen, dass sie sich von dieser Frau jetzt nicht mehr angiften ließ. Mit der Zeit würden sie lernen müssen, einander zu tolerieren. Die tiefe Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit, doch es war Chani, die den Sieg davongetragen hatte, und heute war ihr Tag.

Das Kleid knarrte, als sie sich setzte. Es floss über ihre Knie und sank in glänzenden Wogen um ihre Füße. Nur ihr Gesicht und die Hände bekamen Luft. Der Stoff kroch über das Schlüsselbein und umklammerte ihre Gurgel, der Hals unter der straffen Seide lang und elegant. Über ihren kleinen, festen Brüsten funkelten Blumen und Vögel in silbernen Bögen, die sich wie ein {12}Spinnennetz über ihren Oberkörper zogen. Ihre Wirbelsäule war in eine aufrechte Haltung gezwungen, das Mieder so straff geschnürt, dass ihre Rippen nach Erlösung schrien. Eine doppelte Reihe Perlenknöpfe kletterte, einer Leiter gleich, ihren Rücken hinauf. Von der Taille abwärts bauschte sich das Kleid ausladend. Mehr und mehr silberne Blätter entfalteten sich, je näher die Stickereien dem Saum kamen.

Chanis Füße zappelten in Satinballerinas, sie schwitzte in den Strümpfen. Dicke Manschetten aus Zuchtperlen fesselten ihre Handgelenke, Hunderte lidloser Augen mit durchstochener Pupille. Sie war eine wahrhaft züchtige Braut, ihr Schlüsselbein, Hand- und Fußgelenke meisterhaft vor männlichen Blicken verborgen. Doch der unnachgiebige Stoff unterstrich ihre mädchenhaften Kurven und deutete das unerforschte Fleisch an, welches sich darunter verbarg.

Das Kleid war ihr Weg hinaus, ihre Chance, den klebrigen Türgriffen und dem ewig währenden Chaos ihres Elternhauses in Hendon zu entfliehen. Sie hatte noch nie ein eigenes Zimmer besessen oder neue Kleidung. Alles war immer aus zweiter Hand. Wie das Kleid. Selbst die Liebe, die man ihr entgegenbrachte, war irgendwie abgetragen.

***

Er konnte sich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Ein kleines Problem. Denn Baruch war gekommen, um seine Braut zu identifizieren, sicherzustellen, dass er das {13}richtige Mädchen ehelichte. Und nicht in die Irre geführt wurde wie Jacob, als Laban am Tag ihrer Hochzeit Rachel durch Leah ersetzte. Hilf mir, HaSchem. Wie sah sie aus? Bis zu diesem Augenblick war ihr Gesicht in seinem Gedächtnis eingebrannt gewesen, doch jetzt war sein Kopf leer. Drei breite Fedoras versperrten ihm die Sicht, als der Rabbi, der Kantor und sein Schwiegervater auf die Tür des Empfangszimmers zuhasteten. Er hatte sie dreimal getroffen und ihr beim vierten Mal einen Antrag gemacht - aber wie um alles in der Welt sah seine Braut bloß aus? Vor Hunger vernebelt, rebellierte sein Gehirn und lieferte ihm ihre Gesichtszüge nur als verschmierten Fleck. Die Hitze hatte ihn regelrecht im Schwitzkasten; unter den erstickenden Kleiderschichten begann er zu schwanken. Sein Onkel und sein Vater stützten ihn wie einen Betrunkenen, der aus einer Bar geführt wird. Sie schleppten ihn weiter, erst einen Schritt näher, dann noch einen. Seine...
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Autor

Eve Harris, geboren 1973 in London, Tochter polnisch-israelischer Eltern, arbeitete zwölf Jahre als Lehrerin, darunter an katholischen und jüdisch-orthodoxen Mädchenschulen in London und Tel Aviv. >Die Hochzeit der Chani Kaufman