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Der Eismann

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am19.10.2015
Tödliche Kälte, eiskalte Morde - und ein unverzeihliches Verbrechen ...
Hauptkommissar Bruno Kahn ist genervt: Der Berliner Winter ist sibirisch kalt. Zudem reißen ihn zwei Todesfälle, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, aus seiner vorweihnachtlichen Trägheit. Ein Rentner aus Lichtenberg wird in seinem Schrebergarten auf grausame Art gefesselt und ermordet. Eine Opernsängerin stürzt aus ihrer Altbauwohnung. Der einsame Wolf Bruno Kahn würde am liebsten durch Berlin flanieren, um in Ruhe Witterung aufzunehmen. Doch seine Kollegin Laura Conti und der neue Workflow der 7. Mordkommission machen Kahns Alleingang einen Strich durch die Rechnung. Als schließlich die Presse Wind bekommt, scheint alles drunter und drüber zu gehen. Dann taucht eine dritte Leiche auf ...

Silja Ukena, 1975 geboren, hat nach einer Ausbildung zur Journalistin Kunstgeschichte und Politikwissenschaft in Hamburg und Paris studiert. Danach arbeitete sie als freie Journalistin und Literaturkritikerin - unter anderem für Brigitte, Stern, KulturSPIEGEL, Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextTödliche Kälte, eiskalte Morde - und ein unverzeihliches Verbrechen ...
Hauptkommissar Bruno Kahn ist genervt: Der Berliner Winter ist sibirisch kalt. Zudem reißen ihn zwei Todesfälle, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, aus seiner vorweihnachtlichen Trägheit. Ein Rentner aus Lichtenberg wird in seinem Schrebergarten auf grausame Art gefesselt und ermordet. Eine Opernsängerin stürzt aus ihrer Altbauwohnung. Der einsame Wolf Bruno Kahn würde am liebsten durch Berlin flanieren, um in Ruhe Witterung aufzunehmen. Doch seine Kollegin Laura Conti und der neue Workflow der 7. Mordkommission machen Kahns Alleingang einen Strich durch die Rechnung. Als schließlich die Presse Wind bekommt, scheint alles drunter und drüber zu gehen. Dann taucht eine dritte Leiche auf ...

Silja Ukena, 1975 geboren, hat nach einer Ausbildung zur Journalistin Kunstgeschichte und Politikwissenschaft in Hamburg und Paris studiert. Danach arbeitete sie als freie Journalistin und Literaturkritikerin - unter anderem für Brigitte, Stern, KulturSPIEGEL, Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641159597
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum19.10.2015
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse930 Kbytes
Artikel-Nr.1704718
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2

Grußlos betrat Bruno Kahn die kleine Café-Bar. Er fror. Es war zu früh am Morgen.

»Wie immer?«, fragte die Blonde hinter dem Tresen. Sie hieß Iris.

Kahn nickte.

»Was macht die Kunst?«, fragte er mit einem kleinen Lächeln. Doch da hatte er einen wunden Punkt getroffen.

»Wenn sie was machen würde, stünde ich dann noch hier?«, blaffte sie zurück. Und dann, versöhnlicher: »Ich hab nächste Woche ein Vorspiel in Halle. Staatskapelle.« Iris spielte Harfe und war, seit Kahn sie kannte, auf der Suche nach einer Festanstellung. Den Job im La Tazza bezeichnete sie als Provisorium, aber die hielten ja oft am längsten.

Kahn prostete ihr mit seinem Kaffeebecher zu. »Toi, toi, toi.«

»Abwarten«, murmelte sie und wandte sich dem nächsten Gast zu.

Als er das La Tazza verließ und auf die Straße trat, schien es ihm kälter als zuvor. Die Sonne hatte sich noch nicht die Mühe gemacht, über Berlin aufzugehen, und es war unwahrscheinlich, dass sie es heute überhaupt tun würde. Die Hände in den Taschen vergraben, stampfte Kahn missmutig Richtung S-Bahn. Mit hochgezogenen Schultern bog seine massige Gestalt in die Friedrichstraße ein. Ein Dampfer, der sich gegen die Wellen stemmt. Die Schaufenster ignorierte er, Shopping interessierte Kahn nicht. Er hob den Kopf zum Himmel und betrachtete die blinkenden Sternschnuppen, die sich über die Straßenflucht spannten. Jedem sein eigenes Bethlehem, dachte er, dafür wird ein bisschen elektronischer Aufwand doch wohl gerechtfertigt sein. Frierend beschleunigte er seine Schritte.

Erst als er am Bahnhof Zoo einfuhr, wurde ihm leichter. Der Anblick von Zügen nach Paris oder Moskau gab ihm immer ein Gefühl von Weite. Eine Weite, die er in Deutschland bisweilen vermisste. Aber man könnte immer noch wegfahren, morgen in Paris frühstücken! Die Ahnung einer fast verlorenen Erinnerung überkam ihn. Doch bevor er sie fassen konnte, betrat er seine Dienststelle. LKA 1, Keithstraße 30 in Berlin Tiergarten, Abteilung für Delikte am Menschen. Es war Montagmorgen, acht Uhr.

»Sauwetter heute«, grüßte er den Dienst habenden Kollegen am Eingang.

»Ostwind. Kommt direkt aus Sibirien.«

Unter Sibirien hatte Kahn sich nie etwas vorstellen können. Er war ein sehr südlicher Mensch.

Seine Morgenrunde fiel kurz aus, denn es war niemand da. Also ging er zu der einzigen Person, die verlässlich an ihrem Schreibtisch saß. Polizeimeisterin Violetta Wendtland, die stets gut informierte Sekretärin der Mordkommission. Es gab nichts, das sie nicht über einen der Mitarbeiter gewusst oder erfahren hätte. Mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Kaffee, Schokolade, Taschentüchern und Lebenserfahrung war sie so etwas wie die Mutter der Kompanie.

»Wo sind die anderen?«

»Guten Morgen, Herr Hauptkommissar.« Violetta drehte sich zu ihm herum, und ihr großer Busen wogte. »Wir haben ab heute Bereitschaft, schon vergessen? Die anderen sind bei der Übergabe. Wenn Sie sich beeilen, fällt es nicht weiter auf. Der große Chef ist auch schon da.«

Kahn besaß ein sehr schlechtes Gedächtnis für Termine und Verabredungen. Manchmal war ihm das unangenehm. Im Großen und Ganzen aber war er der Meinung, dass solche Details den Menschen nur vom Denken abhielten. Seine Frauen hatte das immer zur Weißglut gebracht. Möglich, dass dies einer der Gründe war, weshalb sie alle sich nur vorübergehend in seinem Leben aufgehalten hatten. »Junikäfer« hatte Kahns Neffe Jakob die kurzlebigen Freundinnen seines Onkels treffend getauft.

So gelang es ihm auch immer wieder, die inzwischen schon ziemlich alte Anordnung des Dezernatsleiters zu vergessen, nach der der zweiwöchige Bereitschaftsdienst einer Mordkommission stets mit einer gemeinsamen Besprechung zu beginnen hatte. Die Anordnung hatte den Begriff »Workflow« enthalten. Kahn hielt überhaupt nichts von Besprechungen. Seine Auffassung von Im-Fluss-Bleiben fand bei der Arbeit statt, auf dem Weg von einem Toten zu seinem Mörder.

Als er nun den Kopf durch die Tür steckte, war Hauptkommissar Marc Jessen gerade dabei, irgendetwas auf einen Flipchart zu schreiben. So leise es ihm mit seinem großen Körper möglich war, glitt Kahn auf einen freien Stuhl.

Jessen, der wie Kahn eine der sieben Berliner Mordkommissionen leitete, strahlte die Selbstgewissheit eines Mittdreißigers aus, für den Karriere allein eine Frage von Fleiß war. Kahn fand ihn in höchstem Maße langweilig. Hinter halb geschlossenen Lidern beobachtete er seine Mannschaft, die mehr oder weniger konzentriert Jessens Bericht lauschte, der im Grunde von nichts handelte.

Es gab nichts zu berichten. Sie alle hatten seit Wochen kaum etwas zu tun gehabt.

Sein Blick fiel auf Laura Conti. Mit vorgebeugtem Oberkörper saß sie da, schien an den Ausführungen ihres Kollegen hochinteressiert und schrieb eifrig mit. Kahn wusste, dass sie in Wahrheit ihren Wocheneinkauf plante. Eines Montags hatte er - fassungslos darüber, dass die jungen Menschen heutzutage, anstatt ihr Gedächtnis zu schulen, immer alles mitschreiben mussten - einen neugierigen Blick in Laura Contis Sitzungsprotokoll geworfen und dabei Folgendes gelesen: »Tortelli con salsa di noci. Scaloppine alla milanese. Risotto di pesce.« Unter »Tortelli con salsa di noci« konnte er sich nichts vorstellen, aber es klang verlockend.

Heute war Kahn fast erleichtert über diese Entdeckung, die der bis dahin geradezu unheimlich makellosen Oberfläche der neuen Kollegin einen gewissen Sprung zugefügt hatte, der sie sympathischer machte. Denn ab heute sollte Laura Conti Teil seines Teams werden. Kahn hatte sich ausbedungen, dass es vorerst nur auf Probe sein sollte. Er hatte lange gebraucht, um seine Mannschaft zusammenzustellen. Eine eingeschworene Truppe, die vom Chef des Morddezernats mit Argwohn betrachtet wurde. Kollegen gegenüber verhielt sie sich äußerst schweigsam, Transparenz war ihre Sache nicht. Dennoch galt die 7. Mordkommission wegen ihrer nicht wegzuredenden Erfolge allgemein als unantastbar. Kahn war sicher, dass Laura Conti nicht zufällig zu ihm versetzt worden war, und er fragte sich, ob sie für das ruhige Fahrwasser, in das er sich in den vergangenen Jahren hineinmanövriert hatte, eine Gefahr darstellte.

*

Die folgenden Stunden verbrachte Kahn in seinem Büro. Er las sich in die Ermittlungsakten der laufenden Fälle ein - ein toter Jugendlicher im Stadtteil Neukölln (Messerstecherei zwischen Angehörigen zweier arabischer Clans), eine Leiche im Landwehrkanal (vermutlich Suizid), eine Frau im Koma (versuchter Totschlag, Tathintergrund unklar) - und wartete ab. Aus Warten bestand ein Großteil seiner Tage. Warten auf einen neuen Fall, auf Laboranalysen, darauf, dass Zeugen sich erinnerten, dass Täter Fehler machten, denn das taten sie früher oder später. Manchmal kam sich der wartende Kahn vor wie ein Schauspieler, der stundenlang in Kostüm und Maske ausharrte, um dann vor die Kamera zu treten und kurz und prägnant seine Rolle zu geben. Und ähnlich wie bei einem Schauspieler waren auch in Kahns Beruf das Warten und die Geduld etwas, das die Öffentlichkeit nicht sah.

Es dämmerte bereits, als Kahns Telefon klingelte. Am Apparat war Mathis Matthisen, im Team der Spezialist für Tatortanalyse. Mathis - »der Wikinger« - war ein strenger norddeutscher Hüne mit flammend rotem Haar, der sich in Sprache wie Gedanken jeden Umweg sparte. Hinter seiner hohen glatten Stirn herrschte die reine Klarheit. Kahn schätzte ihn ungemein.

»Die Zentrale hat angerufen«, sagte Mathis. »Sie haben in Lichtenberg einen Toten in einer Schrebergartenlaube gefunden. Der Kollege sagt, der ist für uns.«

Vor den Laternen unten auf der Keithstraße tanzten Schneeflocken. Die Aussicht, jetzt an das andere Ende der Stadt fahren zu müssen, bereitete Kahn keine Freude.

»Sicher?«

»Der Mann wurde auf einen Stuhl gefesselt.«

Kahn gab nach. »Wir sehen uns am Mordbus.«

Der Mordbus war das Einsatzfahrzeug der Tatortsicherung. Kahn selbst ließ sich für gewöhnlich mit einem Dienstauto hinterherfahren. Daran, dass er einen Führerschein besaß, erinnerte sich kaum noch jemand.

»Informier du die anderen!«, sagte er zu Mathis. »Ich gebe oben Bescheid und komme dann mit Frau Conti zusammen nach.« Oben, das waren der Dezernatsleiter und die Staatsanwaltschaft.

»Ach, und Mathis: Im Osten heißt es Datsche.«

Kaum zehn Minuten später verließen Kahn und Laura Conti das Gebäude und gingen auf ihren Dienstwagen zu. An der Seite seiner neuen Kollegin fühlte Kahn sich wie ein Riese, der schwerfällig neben einem federnden Energiebündel in Turnschuhen und zu engen Jeans daherstapfte. Mit lautem Türenknallen bestieg Laura Conti den alten A100 und legte den Rückwärtsgang ein. Kahn hatte gerade noch Zeit, sich anzuschnallen.

Ab der Leipziger Straße schleppte sich dichter Verkehr durch den grauen Schneematsch. Kahn schwenkte einen Espresso to go in der Hand und betrachtete gedankenverloren die blinkende Cola-Reklame auf einem der Hochhäuser am Spittelmarkt, die mit jeder Ampelwelle ein wenig näher rückte. Die Conti kaute Kaugummi und schwieg ebenfalls. Kahn genoss die Stille und den Stau, der ihnen ein wenig Ruhe vor dem bescherte, was dort in der Laube auf sie wartete. Ausnahmsweise war Kahn den Berlinern dankbar für ihre Hartnäckigkeit, mit der sie darauf bestanden, die Hauptstraßen zu befahren, gleich wie mühselig und zeitraubend es sein mochte. Eine Nebenstraße kam für den Berliner nicht infrage. Das Ausharren, das stoische Abwarten, hatte sich über Generationen bewährt, im...

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