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Fürchte den Donner

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am14.12.2015
Willkommen in Verdon, Nebraska ... Lincoln Fargo ist der Patriarch des Fargo-Clans, einer dekadenten Familie, die auf ihrem Landsitz in einer selbstgeschaffenen Welt des Abgründigen lebt. Fargo blickt auf ein Leben in Sünde zurück, seine gottesfürchtige Frau Pearl steigert sich in den Wahn, den Familienbesitz an Gott zu verkaufen, während ihr Sohn Grant immer weiter zerfällt. Doch dies ist nur die Oberfläche der Verkommenheit ...


Jim Thompson wurde 1906 in Anadarko, Oklahoma, als James Myers Thompson geboren. Er begann früh zu trinken und schlug sich als Glücksspieler, Sprengstoffexperte, Ölarbeiter und Alkoholschmuggler durch. Obwohl er mit bereits 15 Jahren seine erste Kriminalgeschichte verkauft hatte, konnte er erst seit Beginn der fünfziger Jahre vom Schreiben leben. Für Hollywood verfasste er zahlreiche Drehbücher, u.a. für so namhafte Regisseure wie Stanley Kubrick. Thompson gilt als zentraler Vertreter des Noir-Genres. Er starb 1977 in Los Angeles, seine Asche wurde im Pazifischen Ozean verstreut.
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Produkt

KlappentextWillkommen in Verdon, Nebraska ... Lincoln Fargo ist der Patriarch des Fargo-Clans, einer dekadenten Familie, die auf ihrem Landsitz in einer selbstgeschaffenen Welt des Abgründigen lebt. Fargo blickt auf ein Leben in Sünde zurück, seine gottesfürchtige Frau Pearl steigert sich in den Wahn, den Familienbesitz an Gott zu verkaufen, während ihr Sohn Grant immer weiter zerfällt. Doch dies ist nur die Oberfläche der Verkommenheit ...


Jim Thompson wurde 1906 in Anadarko, Oklahoma, als James Myers Thompson geboren. Er begann früh zu trinken und schlug sich als Glücksspieler, Sprengstoffexperte, Ölarbeiter und Alkoholschmuggler durch. Obwohl er mit bereits 15 Jahren seine erste Kriminalgeschichte verkauft hatte, konnte er erst seit Beginn der fünfziger Jahre vom Schreiben leben. Für Hollywood verfasste er zahlreiche Drehbücher, u.a. für so namhafte Regisseure wie Stanley Kubrick. Thompson gilt als zentraler Vertreter des Noir-Genres. Er starb 1977 in Los Angeles, seine Asche wurde im Pazifischen Ozean verstreut.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641159559
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum14.12.2015
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1729 Kbytes
Artikel-Nr.1704917
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1.

Es war fünf Uhr, als der Zug in Verdon hielt, und die Stadt und das Tal lagen immer noch in der gräulichen Finsternis kurz vor der Dämmerung. Entlang der Hügelkuppe der Sandhills schlängelten sich die Spitzen der ersten Sonnenstrahlen vorsichtig über die Heuwiesen herein, tauchten zitternd in den eisigen Calamus, schossen durch Viehzäune zurück, sausten an Dreckmatsch und Gräben vorbei; das fruchtbare Tal aber schlief ungestört weiter, dunkel, genüsslich. Es klammerte sich an die Nacht, als wollte es bis zum letzten Moment gütige und riesige Kraft für die gewaltigen Mühen des Tages schöpfen; und die trüben Lichter des Zugs hatten der Nacht nichts entgegenzusetzen, sie waren zufrieden mit dem Bereich, für den sie zuständig waren. Der lange Bahnsteig war eine große Fläche aus braunen Brettern, die von Alter, Dürre und Regen mitgenommen waren.

Als Mrs. Dillon aus dem Zug stieg, zog sie ihren Ellenbogen vorsichtig von der angebotenen Hand des Zugführers weg. Das war nicht ausschließlich ihrer Prüderie geschuldet (obwohl sie aufgrund ihrer Erziehung geneigt war zu glauben, dass eine Frau, die ohne Begleitung reiste, gar nicht vorsichtig genug sein konnte), sondern hatte vor allem damit zu tun, dass sie den Zugführer nicht ausstehen konnte und er ihr Angst einjagte. Sie sprach sich selbst Mut zu, dass sie sich gegen jeden Mann behaupten könnte - und gegen zwei von seiner Sorte -, trotzdem spürte sie Furcht und Abneigung. Es waren die Angst und die Abscheu einer stolzen Person, die von ihm mehr verlangt hatte, als er bieten konnte. Sie hätte, um einen ihrer Lieblingsausdrücke zu benutzen, dem Zugtypen am liebsten die Haare vom Kopf gerissen.

Weil sie sich ihm also entziehen wollte, und zum Teil auch, weil es dunkel war, setzte sie ihren Fuß nicht genau auf den Schemel, der beim Aussteigen behilflich sein sollte. Sie fiel nach vorn auf den Bahnsteig und drehte dabei instinktiv ihren Körper herum, um ihren Sohn, den sie im Arm hielt, nicht zu zerquetschen. Er landete auf ihrem Bauch, rollte über ihr Gesicht und ihren mit Straußenfedern geschmückten Hut und wachte, auf den Knien, heulend auf. Mit einer heftigen Handbewegung zerrte sie ihre Röcke und Unterröcke ordentlich nach unten und war wieder auf den Beinen, ehe der Zugführer bei ihr war.

Sie bückte sich, presste den Jungen einmal kurz an ihren Busen und schüttelte ihn dann heftig. »Dir geht´s gut, oder? Dann hör schon mit dem Gebrüll auf.« Während sie ihren Hut zurechtrückte, stieß sie ihn mit der anderen Hand an. »Tut dir irgendwas weh? Halt jetzt die Klappe! Zeig mir, wo du dir wehgetan hast.«

Der Zugführer räusperte sich. »Also, Lady. Wie wäre es, wenn wir beide unsere Angelegenheit klären, damit der Zug weiterfahren kann?«

»Was?« Mrs. Dillon drehte sich wütend zu ihm um. »Hören Sie auf, mich zu belästigen! Ich bin schon halb krank, weil Sie mir die ganze Fahrt auf die Nerven gehen. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen!«

»Sie sagen, dass Ihr Ehemann eine Anwaltskanzlei in Oklahoma City hat?«

»Genau das habe ich gesagt!«, sagte Mrs. Dillon. »Robert A. Dillon, Rechtsanwalt.« Sie betonte jede Silbe der Berufsbezeichnung, voller Sehnsucht, obwohl sie Angst hatte.

»Aber dort ist er zurzeit nicht?«

»Nein, ist er nicht! Auch das habe ich Ihnen gesagt! Und ich erkläre Ihnen noch einmal, ich weiß nicht, wo er ist, und ... und es interessiert mich nicht!«

»Gut, lassen wir das«, sagte der Zugführer, der im Licht seiner Laterne etwas in ein Notizbuch schrieb. »Wen besuchen Sie hier?«

»Das geht Sie nichts an!«

»Die Eltern, hm?« Der Zugführer schrieb weiter. »Und Sie bleiben dabei, dass dieses große Kerlchen erst fünf Jahre alt ist, dass er noch nicht mal ganz fünf ist?«

»Habe ich Ihnen schon hundertmal gesagt. Ich werd´s nicht nochmal tun.«

»Also gut« - er klappte sein Notizbuch mit einem Knall zusammen -, »Sie werden sehen, dass man die Eisenbahngesellschaft nicht betrügen kann, Lady. Es ist am besten, wenn man´s gar nicht erst versucht. Sie hören von uns.«

Mrs. Dillon starrte ihn an, bebend vor Wut. »Oh, werde ich das?«, fragte sie plötzlich herausfordernd.

»Das werden Sie. Sie können nicht ...«

»Sagen Sie mir nicht, was ich tun kann und was nicht! Mein Sohn Robert und ich sind gerade beim Aussteigen aus Ihrem Zug gestürzt. Die Stufe war glatt, jawohl, und ich wette, dass ein Arzt so einige Verletzungen bei uns feststellen würde, und ich hätte gute Lust, um ...«

»Jetzt mal langsam«, protestierte der Zugführer. »Diese Stufe ist nicht glatt. Außerdem hat niemand gesehen, wie Sie ...«

»Ich werde ´ne Menge Leute auftreiben, die bezeugen können, dass sie´s gesehen haben!« Mrs. Dillon war jetzt fast am Brüllen. »Meine Familie hat diese Stadt praktisch aufgebaut. Ich und meine ... meine Familie und ihre Freunde haben die Stadt da hinten gegründet, wo der Bahnhof sein sollte, anstatt eine halbe Meile weiter hier draußen. Jawohl, sie haben Tausende von Dollars für Grundstücke hingeblättert und sich in diesem Getreidefeld niedergelassen. Und sie bezahlen so viel Frachtgeld an Ihre räuberische Eisenbahn, dass es sich in der Hälfte aller Fälle für sie überhaupt nicht lohnt, ihr Zeug irgendwohin zu verfrachten. Und ...«

»Ist ja gut, Lady, schon gut.« Der Zugführer schwenkte müde seine Laterne. »Dann sagen wir unentschieden.«

Er wusste sogar besser als sie, was passierte, wenn in diesem Streckenabschnitt einer, der auf dem Land hier lebte, gegen die Eisenbahn vor Gericht zog. Für sie zählte nur der Clan, und sie waren untereinander verheiratet; und selbst wenn sie sich gerade gegenseitig bekämpften, würden sie damit aufhören, um gemeinsam gegen die Eisenbahn vorzugehen. Es war immer ein wertvolles Holstein-Rind, das überfahren worden war, und es war immer ein Feld mit hochwertigen Saatgut-Pflanzen, das wegen der Funken aus dem Schornstein eines Zugs abgebrannt war. Nicht dass die Eisenbahn machtlos war; sie hatte sich mit wachsender Größe nur zu weit von ihren Wurzeln entfernt. Sie hatte sich auf Kosten von anderen mit Baugrund und Subventionen und Subunternehmerverträgen gesundgestoßen, hatte dann den einen Bereich hängen lassen, einen anderen gestärkt, und dann diesem damit gedroht, es könnte ihm genauso übel ergehen wie dem ersteren. Und selbst jetzt hatte die Eisenbahn reichlich zu fressen, stopfte weitaus mehr in sich rein, als es ihre Ausgaben erforderten - ihre legitimen Ausgaben. Aber ihre Freunde, oder eher Diener, saßen in den großen Städten und Hauptstädten. Dort grünten die Zweige. Während die ungeschützten und angenagten Wurzeln starben, aus reiner Bosheit oder weil sie nur widerwillig gegossen wurden.

Mrs. Dillon sah zu, wie der Zug ruckte, vor Anstrengung ächzte und langsam abfuhr. Sie war sich der Tatsache nicht im Geringsten bewusst, dass sie Geschichte geschrieben hatte und das Symbol für eine Ära war, die man, vielleicht unabsichtlich, fast immer falsch interpretieren würde. Dreißig Jahre später, sogar schon fünfzehn Jahre später, in der Depressionszeit der frühen Zwanzigerjahre, als Leitartikelschreiber und Politiker dem unbeugsamen Individualismus der alten Zeiten nachweinten - womit sie genau genommen predigten, der Regierung zu misstrauen, und zur Anarchie aufriefen -, würde Mrs. Dillon immer noch nicht erkennen, welche Rolle sie dabei gespielt hatte, und wenn doch, dann hätte es sie nicht groß gekümmert.

Die Dinge, die ihr bestechend klar und scharf in Erinnerung bleiben sollten, waren die Dämmerung, die sich über den Fluss ausbreitete, wie Farbe, die auf eine Leinwand aufgetragen wird; die grünen Getreidefelder, die mit ihren Trieben knackten und knisterten; das gedämpfte, traurige Muhen von erwachenden Rindern; ihre Jugend und ihre Zuversicht im Angesicht des Desasters; ihr Junge, ihr Junge, ihr Junge ...

Sie tätschelte ihn jetzt wieder liebevoll, spuckte in ihre Hand, schmierte die Spucke in die widerspenstige Haartolle an seinem Hinterkopf und drohte ihm, sie würde ihm die Haut bei lebendigem Leib abziehen.

»Was hast du denn herumzubrüllen?«, herrschte sie ihn an. »Ich schwör dir, ich versohl dir den Arsch, wenn du nicht die Klappe hältst. Was ist denn mit Mamas kleinem Liebling los?«

»W-wo ist Papa?«

»Woher soll ich ... vielleicht musste er sich mit einem Mann treffen. Er wird bald wieder bei uns sein, und wenn du kein braver Junge bist, werde ich ihm das erzählen.«

»Wird er dann im Haus von Grandpa Fargo sein?«

»Oh, das vermute ich mal. Werden wir sehen.«

Der Junge fing wieder zu heulen an. »D-du hast g-gesagt, dass Pa-papi bei Grandpa sein wird! D-du hast g-gesagt ...«

»Ja, verflixt und zugenäht, ich sagte, wir werden sehen!«, schrie Mrs. Dillon. »Und jetzt halt die Klappe, oder er wird dich hören und weglaufen!«

»M-mach ich.« Der Junge zitterte und rieb sich die Augen.

»Musst du auf die Toilette?«

»M-hm.«

»Hab ich´s mir doch gedacht!«, sagte Mrs. Dillon. »Immer wenn du mit deinem Affentanz anfängst, sollte mir klar sein, was nicht stimmt.«

Sie wandte sich von ihrem Bastkoffer und dem Ausblick auf die Leinwand ab, packte den Jungen an der Hand und führte ihn den knapp zwanzig Meter - teure und unnötige Meter - langen Bahnsteig hinunter. Inzwischen stieg die Nacht auf wie Nebel, und darunter ballte sich ein ständig höher werdender Wall von Tageslicht.

Am Ende des Bahnsteigs deutete Mrs. Dillon...

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Autor

Jim Thompson wurde 1906 in Anadarko, Oklahoma, als James Myers Thompson geboren. Er begann früh zu trinken und schlug sich als Glücksspieler, Sprengstoffexperte, Ölarbeiter und Alkoholschmuggler durch. Obwohl er mit bereits 15 Jahren seine erste Kriminalgeschichte verkauft hatte, konnte er erst seit Beginn der fünfziger Jahre vom Schreiben leben. Für Hollywood verfasste er zahlreiche Drehbücher, u.a. für so namhafte Regisseure wie Stanley Kubrick. Thompson gilt als zentraler Vertreter des Noir-Genres. Er starb 1977 in Los Angeles, seine Asche wurde im Pazifischen Ozean verstreut.