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Möglichkeit der Liebe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
112 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.06.20151. Auflage
Die Geschichte einer Wandlung: von der Neuentdeckung der Leidenschaft. Vera, Anfang Vierzig, arbeitet als Lektorin in einem renommierten Verlag. Nach einer nun schon viele Jahre zurückliegenden, von Demütigungen geprägten Beziehung hat sie ihre Emotionen in den hintersten Winkel ihres Inneren verbannt. Bei einem Segeltörn mit dem naturverbundenen Jugendfreund Armin lernt Vera eine andere Welt kennen, das Wattenmeer. Die herbe Schönheit der Landschaft und Armins unaufdringliche Nähe ermöglichen es ihr, lang verdrängte Gefühle wieder zuzulassen und mit dem Freund einen neuen Anfang zu wagen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Birgit Rabisch, Autorin, wurde 1953 in Hamburg geboren, studierte Soziologie und Germanistik.
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Produkt

KlappentextDie Geschichte einer Wandlung: von der Neuentdeckung der Leidenschaft. Vera, Anfang Vierzig, arbeitet als Lektorin in einem renommierten Verlag. Nach einer nun schon viele Jahre zurückliegenden, von Demütigungen geprägten Beziehung hat sie ihre Emotionen in den hintersten Winkel ihres Inneren verbannt. Bei einem Segeltörn mit dem naturverbundenen Jugendfreund Armin lernt Vera eine andere Welt kennen, das Wattenmeer. Die herbe Schönheit der Landschaft und Armins unaufdringliche Nähe ermöglichen es ihr, lang verdrängte Gefühle wieder zuzulassen und mit dem Freund einen neuen Anfang zu wagen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Birgit Rabisch, Autorin, wurde 1953 in Hamburg geboren, studierte Soziologie und Germanistik.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105602706
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.06.2015
Auflage1. Auflage
Seiten112 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1730597
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

8

Er klingelt pünktlich um 20 Uhr. Sie drückt auf den Summer und erwartet ihn an der Wohnungstür. Die schmiedeeisernen Türen des alten Fahrstuhls bleiben geschlossen. Sie hört seine Schritte auf der Treppe. Sportlich. Er ist immer sportlich gewesen. Sie verabscheut Sport. Schwitzen. Wettbewerb der Muskeln, Sehnen und inneren Schweinehunde. Pyrrhussiege vergänglichen Fleisches. Alles Fleisch, es ist wie Gras. Sie begegnet ihrer fleischlichen Hülle im Spiegel gegenüber ihrer Wohnungstür. Großbürgerliches Treppenhaus des fin de siècle. Noch im Kommen und Gehen überwachten die Damen ihren Anschein, rückten den Hut aus Roßhaarborsten mit Kronenreiherbüscheln um wenige Millimeter schräger aufs gelockte Haupt. Die Herren? Energisches Glattziehen des Beinkleides in straffer Haltung. Kurzer abschätzender Blick. Bauch rein! Brust raus! Kopf hoch! Nicht gehen: schreiten! Hoppla, die erste Stufe. Nicht stolpern!

Jetzt spiegelt die elektrolytisch verkupferte Silberschicht eine schlanke Frau im Rahmen der Marmorimitat-Tapete; schwarze Jeans, nicht zu eng, roter Mohair-Pullover. Ihre Lieblingsbrosche: ein Igel mit Diamantaugen, hochkarätig. Keine Ketten. Sie hat nie Ketten zu verlieren. Nichts liegt in der Mulde zwischen ihren Brüsten und betont. Sie sind betont genug, hervorragend. Sie trägt keine Ketten. Sie trägt einen Sport-BH. Ihre Büste hält sich selbst. Schutz der Empfindsamkeit. An ihren Ohren baumeln scharfgeschliffene Feueropale, lenken die Augen des Betrachters zum Kopf. Sie hat doch noch geduscht. Ihre Haare struwwelig gefönt. In der funzeligen Treppenhausbeleuchtung steht ihr die junge Frau gegenüber, die sie nie war: die selbstbewußte, gestraffte, forsch blickende. Die gewesene hockt als eingesperrte Fremde in ihrem Erinnerungsverlies, ihr Pochen hört sie nur in unseligen Momenten der Schwäche. Bei ihren anfallsweise auftretenden Stirnhöhlenentzündungen wird das Pochen zum Klopfen in den abgeriegelten Gängen ihrer Gedanken - bis Acetylsalicylsäure, hochdosiert, sie von der devoten Gefangenen mit den niedergeschlagenen Augen erlöst.

Er keucht nicht wie andere Besucher, wenn am Fahrstuhl das obligatorische Schild Renovierung hängt und sie den V. Stock ohne maschinelle Hilfe erreichen müssen. Er lächelt mühelos, Grünes in der Rechten, Rotes in der Linken.

»Mistletoe and wine!«

»Should it be christmas time?«

Sie lachen beide. Umarmung. Er beugt sich zu ihr hinunter. Küßchen auf die Wangen. Sein Bart ist feucht. Schneetau. Er ist ein Riese. Breitschultrig. Die mächtige Frau Schukart hat sich in ihrem Sohn gegen den schmächtigen Erzeuger durchgesetzt. Komm mien Deern. Swieg still. Erinnert er sich noch an die Himbeerbonbons? An die Andacht, mit der er sie in ihren Mund schob? Sie wird ihn fragen, später.

»Erinnerst du dich noch an die Himbeerbonbons?«

Er dreht ein Stück Rinderfilet in der heißen Brühe.

»Ich mochte sie auch am liebsten. Aber ich habe nur noch Orange stibitzt. Sonst wäre es meiner Mutter aufgefallen.«

»Du hast sie extra für mich aufbewahrt?«

»Sicher.«

Er tunkt das Fleisch in die rote Sauce.

»Hmmh, das schmeckt aber lecker.«

»Hast du das kleine Mädchen eigentlich gemocht, damals?«

»Du warst mein Schwarm.«

Sie hat es nicht bemerkt. Sie kämpfte um eines anderen Liebe. Sie genügte Vater nie. Er freute sich nicht über ihre Einsen im Zeugnis. Er warf ihr die Drei im Rechnen vor. Du willst bloß nicht. Du strengst dich nicht an. Wie oft hab ich dir. Wieviel Mühe hab ich mir. Aber du? Geh von meinem Schoß.

Auf Armin fällt kein Licht im Erinnerungsschatten des Vaters. Einer von der linken Seite. Der Größte. Stark wohl auch. Sie interessierte sich nicht für die Raufereien der Jungen auf dem Schulhof. Und wortkarg. Er sprach nur das Notwendige. Willst du die Türme von mir abschreiben, zum Beispiel. Das wendete ihre Not für diesen Schulvormittag. Doch schon der nächste brachte ihr Unvermögen wieder ans Licht der neuangebrachten Neonlampen. Alle aufstehen! Kopfrechnen. Auf Schnelligkeit. Der Letzte bleibt für den Rest der Stunde stehen. Sie war der und die und das Letzte. Das Stehen machte ihr nichts aus. Die hämischen Blicke machten ihr nichts aus. Sie fürchtete nur einen Blick. Beim nächsten Zeugnis.

Rechnen: schrftl. befriedigend; mdl. genügend. Genügend genügte nicht. Auch befriedigend konnte Vater nicht befrieden. Ein Jüngerer war vor ihm befördert worden. Sie wußte nichts von seinem heruntergeschluckten, aber nicht gegessenen Ärger. Versager. Versagerin. Sie duckte sich unter seiner Verachtung. Und unter Mutters gutgemeinten Besänftigungen. Das kannst du von einem Mädchen auch nicht erwarten. Schau mal, den schönen Schal, den sie dir gestrickt hat. Gutgemeint - das Gegenteil von gut, auch hier. Alle Wünsche kann man nicht erfüllen, und nicht alle Träume werden wahr, aber ich will deine Sehnsucht stillen, sag doch endlich: Ja. Sie wollte seine unbekannte Sehnsucht stillen. Er sollte alles erwarten. Doch! Sie wollte alles erfüllen. Sie konnte es nur nicht. Sie konnte nicht. Und er sagte nie ja zu ihr.

Armin schenkt ihr Wein ein. Bordeaux. »Das farblich abgestimmte Getränk zu meinem Pullover«, witzelt sie und: »Was machen die Sterne?«

Er erzählt von den neuesten Messungen des Weltraumteleskops. Danach ist das Weltall viel älter als bisher angenommen. Nur paßt das nicht mit dem errechneten Alter der ältesten Sterne zusammen.

»Und nun?«

»Wir ändern die Hubble-Konstante > o. Dann kommen wir wieder auf das alte Ergebnis, und alle Widersprüche lösen sich auf.«

Die exakten Wissenschaften. Einsteins Null verschwindet im Schwarzen Loch. Alles ist relativ.

»Macht es für dich einen Unterschied, ob das Weltall 40 Millionen oder 200 Millionen Jahre alt ist?«

Er versteht ihre Frage nicht. Er lädt sie ein, ihn im neuen Jahr zu besuchen.

»Ich zeige dir phantastische Aufnahmen von Shoemaker-Levy 9. Der Supercrash im Farbnegativumkehrverfahren. Orgiastisch!«

»Hast du keine Angst, daß einmal so ein Brocken aus den Tiefen des Alls auf den hübschen blauen Planeten knallt?«

»Hast du keine Angst, daß du mal beim Fensterputzen von der Leiter knallst? Die Wahrscheinlichkeit, daß du dabei durch einen Genickbruch zu Tode kommst, ist n-mal größer.«

»Nein, gleich Null. Mein Genick bricht sich Herr Amirzada.«

Sie brutzelt ein Blumenkohlröschen in der siedenden Brühe. Er weiter Fleisch. Quantitäten. Wahrscheinlichkeiten. Wirklich passiert nur das Unmögliche. Ihre Gabeln verhaken sich kurz. Schnelles Lösen.

»Was liest du gerade?«

»Den Zauberberg. Mit Genuß.«

Sie erklärt ebenfalls ihre Liebe zu dem Buch und warum sie es heute als Lektorin beim besten Willen nicht im Verlag durchsetzen könnte. »Diese ausufernden philosophischen Reflexionen in monologisierende Dialoge gepreßt im handlungsarmen Erzählgerüst - die Vertreter würden streiken. Absolut unverkäuflich. Allein der Umfang!«

»Nun ja, für deine Frauenbuchreihe käme es sowieso nicht in Frage. Vielleicht Einkaufszettel von Katia Mann?«

Sie droht ihm mit der Fonduegabel. In seinen spottenden Augen spiegelt sich die Spiritusflamme. Sie drosselt die Sauerstoffzufuhr. Sie geht an ihr Bücherregal und liest ihm vor, was Thomas Mann nach dem Selbstmord seines Sohnes Klaus über ihn geschrieben hat.

»Ist das nicht erschütternd? Dieses tiefe Verständnis des Zauberers für seinen Sohn?«

»Es ist nicht schwer für den Übermächtigen, dem Ohnmächtigen Verständnis entgegenzubringen.«

Sie streiten eine Weile heftig. Sie auf seiten des Vaters, er auf seiten des Sohnes. War da nur Macht und Ohnmacht, verdrängte homophile Neigungen des Vaters und literarischer Neid des Sohnes - war da nicht auch Liebe? Eben, sagt sie, darum mußte es tödlich enden. Aber daß der Vater den Sohn geliebt hat, verficht sie, als hinge sie davon ab.

»Darum konnte Klaus ihn ja nicht einmal von Herzen hassen!«

»Ach, diese Vater-Sohn-Geschichten!«

Sie ist ernüchtert, greift zum Weinglas. Er hat keinen Sinn dafür. Sein eigener mickriger Vater ist ihm nie ein Problem gewesen.

Plötzlich hört sie sich vom Tod ihres Vaters erzählen. Sie hat noch mit niemandem darüber gesprochen. Sie wundert sich über die Worte, die ungehemmt über ihre Lippen kommen. Als zöge er sie ebenso sanft aus ihrem Mund, wie er die Bonbons hineinschob. Sie beschreibt ihm das Wrack, abgemagert, durch einen Hirntumor zum Kleinkind regrediert. Sie hat ihn so selten wie möglich im Krankenhaus besucht. Nie in Gegenwart seiner zweiten Frau. Einmal ist sie ihrem Halbbruder begegnet, Vaters um zweiundzwanzig Jahre verspätetem Glück, - ein Junge, mein Gott, ich habe einen Sohn! Die berauschte Stimme im Rauschen der Telefonleitung, die ihr bestätigte: Du warst nur provisorisch gemeint, Tochter, vorbehaltlich des Eigentlichen. Der Eigentliche war angehender Betriebswirt, als sie sich an Vaters Sterbelager trafen. Er hat sich rührend um ihn gekümmert, hat ihn rasiert, ihm die Kissen aufgeschüttelt, ihm die Wange getätschelt, ihm gut zugeredet. Vaters zahnloses Lächeln. Dankbar. Sie selbst hat nur dagestanden. Steif. Oder die Blumen umarrangiert, um keinem von beiden in die großen blauen Augen zu schauen, mit denen auch sie selbst die Welt betrachtet. Beim letzten Besuch hat sie auf Vaters Bettkante gesessen. Er lag schon im Einzelzimmer. Er versuchte, mit seiner geschwächten Hand nach ihr zu greifen, schlug die Bettdecke zurück. Sein grünes Nachthemd war hochgerutscht. Speichel tropfte aus seinem linken Mundwinkel. Sie...
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