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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am17.08.20151. Auflage
Alain Claude Sulzers virtuoser Roman über einen großen Filmstar in der Einsamkeit des Exils und die Wirren der europäischen Katastrophe. Lionel Kupfer, allseits umschwärmter Filmstar der frühen Dreißigerjahre, ist ins Hotel Waldhaus in Sils Maria gereist, um sich auf seine nächste Rolle vorzubereiten. Doch die Ereignisse überschlagen sich. Kupfer sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, dass er als Jude in Deutschland unerwünscht ist. Der Vertrag für seinen nächsten Film wird aufgelöst. Die schlechte Nachricht überbringt ihm ausgerechnet Eduard, sein Liebhaber, dessen gefährliche Nähe zu den neuen Machthabern immer offenkundiger wird. Lionel Kupfer ist gezwungen, zu emigrieren.Doch muss er nicht nur Eduard verlassen, sondern auch einen jungen Schweizer Postbeamten namens Walter, der sich ins Hotel eingeschmuggelt hat, in der Hoffnung, dem von ihm verehrten Filmstar leibhaftig zu begegnen. Er kommt ihm dabei näher, als er je zu hoffen wagte.Wir folgen nicht nur Lionel ins Exil nach New York, wo er als Schauspieler nicht richtig Fuß fassen kann, sondern auch dem zwielichtigen Kunsthändler Eduard und dem jungen Postbeamten aus Sils.Innerhalb einer Zeitspanne von fünfzig Jahren begegnen wir Menschen unterschiedlicher Herkunft, deren Wege sich kreuzen, die sich manchmal für wenige Tage sehr nahekommen, um dann wieder auseinandergerissen zu werden. Doch obwohl sie sich aus den Augen verlieren, vergessen sie einander nicht.

Alain Claude Sulzer, 1953 geboren, lebt als freier Schriftsteller in Basel, Berlin und im Elsass. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, u.a. Ein perfekter Kellner, Zur falschen Zeit, Aus den Fugen und zuletzt Doppelleben. Seine Bücher sind in alle wichtigen Sprachen übersetzt. Für sein Werk erhielt er u.a. den Prix Médicis étranger, den Hermann-Hesse-Preis und den Kulturpreis der Stadt Basel.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextAlain Claude Sulzers virtuoser Roman über einen großen Filmstar in der Einsamkeit des Exils und die Wirren der europäischen Katastrophe. Lionel Kupfer, allseits umschwärmter Filmstar der frühen Dreißigerjahre, ist ins Hotel Waldhaus in Sils Maria gereist, um sich auf seine nächste Rolle vorzubereiten. Doch die Ereignisse überschlagen sich. Kupfer sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, dass er als Jude in Deutschland unerwünscht ist. Der Vertrag für seinen nächsten Film wird aufgelöst. Die schlechte Nachricht überbringt ihm ausgerechnet Eduard, sein Liebhaber, dessen gefährliche Nähe zu den neuen Machthabern immer offenkundiger wird. Lionel Kupfer ist gezwungen, zu emigrieren.Doch muss er nicht nur Eduard verlassen, sondern auch einen jungen Schweizer Postbeamten namens Walter, der sich ins Hotel eingeschmuggelt hat, in der Hoffnung, dem von ihm verehrten Filmstar leibhaftig zu begegnen. Er kommt ihm dabei näher, als er je zu hoffen wagte.Wir folgen nicht nur Lionel ins Exil nach New York, wo er als Schauspieler nicht richtig Fuß fassen kann, sondern auch dem zwielichtigen Kunsthändler Eduard und dem jungen Postbeamten aus Sils.Innerhalb einer Zeitspanne von fünfzig Jahren begegnen wir Menschen unterschiedlicher Herkunft, deren Wege sich kreuzen, die sich manchmal für wenige Tage sehr nahekommen, um dann wieder auseinandergerissen zu werden. Doch obwohl sie sich aus den Augen verlieren, vergessen sie einander nicht.

Alain Claude Sulzer, 1953 geboren, lebt als freier Schriftsteller in Basel, Berlin und im Elsass. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, u.a. Ein perfekter Kellner, Zur falschen Zeit, Aus den Fugen und zuletzt Doppelleben. Seine Bücher sind in alle wichtigen Sprachen übersetzt. Für sein Werk erhielt er u.a. den Prix Médicis étranger, den Hermann-Hesse-Preis und den Kulturpreis der Stadt Basel.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462315110
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum17.08.2015
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2167 Kbytes
Artikel-Nr.1741974
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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Prolog: Das Meer der Wiener, Sommer 1894


Seine Mutter rief nicht ihn. Sie rief »Tobias!«, der mit den Nachbarskindern Verstecken spielte, doch Tobias hörte sie nicht oder wollte nicht hören, er antwortete nicht. Lion hörte ihn schreien, aber das war keine Antwort auf Mutters beharrliches Rufen, es gehörte zum Spiel. Was konnte sie von ihm wollen? Was gab es zu helfen? Es war doch alles ein Spiel. Sie waren so jung.

»Eckstein, Eckstein, alles muss versteck sein«, hatte er seinen älteren Bruder laut und vernehmlich gegen den Wind anrufen hören, der die Worte zerriss und zerstreute. Der Verlust des »t« im »versteckt« ging auf Tobias´ Konto. Aber das war schon eine Weile her. Lion konzentrierte sich auf seinen Stift. Eine hübsche Stimme hatte Tobias nicht, er krächzte, doch Lion liebte die Stimme seines Bruders, so wie sie war, sie war wie seine aufgerissenen Knie und zerschundenen Waden, sie war roh und liebenswert. Gewisse Dinge waren ihm nicht beizubringen. Vor allem nicht deutliches Sprechen. Doch dafür schalt ihn keiner. Sie liebten ihn so, wie er war, und Lion liebte ihn am meisten, auch wenn er es seinen Bruder nicht täglich spüren ließ, anders als seine Mutter.

Tobias spielte mit den Kindern anderer Sommerfrischler Verstecken. Da sich das kleine Haus am Neusiedler See, in dem die Familie, seit Lion sich erinnern konnte, jeden Sommer vier Wochen Urlaub verbrachte, nicht die besten Voraussetzungen bot, um sich unsichtbar zu machen (der Garten war kaum größer als das Haus), unternahmen Tobias und seine Freunde bei schönem Wetter ausgedehnte Exkursionen - am liebsten in die Nähe des Sees -, wo sie im Gestrüpp, in Kuhlen, Erhebungen und hinter dürren Ästen Verstecke fanden, in denen man zumindest kurzzeitig unentdeckt blieb. Hier war alles anders als in der Stadt, und deshalb nannte man es Urlaub am Meer. Dass das Wasser bloß ein See war, erfuhr Lion erst später, denn seine Eltern nannten es das Meer der Wiener.

Wenn ihnen die Suche nach neuen Verstecken langweilig wurde, kehrten die Jungen zu ihrem liebsten Zeitvertreib zurück und spielten Indianer oder Krieg, die Schlacht bei Königgrätz oder Kampf der Trapper gegen die Apachen. Ein Zeitvertreib, an dem sich hin und wieder ein paar hilfsbereite Mädchen als Krankenschwestern oder Squaws beteiligten. Stets gewannen die Preußen und Apachen.

Tobias und seine Freunde - fünf Jungen in seinem Alter - trafen sich täglich nachmittags. Wenn hin und wieder auch einer fehlte, Tobias war immer dabei. Er las nicht, er beschäftigte sich nicht mit sich selbst, er war nie krank. Es war immer jemand für ihn da, wenn nicht, trieb er ihn auf. Er erwachte früh, vor allen anderen, und wäre am liebsten als Letzter zu Bett gegangen. Tobias war der beste Kamerad, den ein Junge sich wünschen konnte. Treu bis in den Tod, genau so wie sie bei ihren Spielen sagten, wenn sie zwei Finger in die Höhe hielten und schworen. Wir hätten ihn auch Siegfried nennen können, sagte der Vater, und die Mutter lachte.

Lion warf einen schrägen Blick in den Himmel. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, war es etwa vier. Eine Uhr besaß er noch nicht. Manchmal lieh er sich die Taschenuhr seines Vaters. Der konnte sich darauf verlassen, dass sein Jüngster mindestens so viel Sorge dafür tragen würde wie er selbst. Lion war sanftmütig mit einer Neigung zur Ungeduld, wenn die Dinge nicht liefen, wie er wollte. Eine Ungeduld sich selbst gegenüber, bei anderen aber blieb er ruhig.

Eine unerwartet kühle Windbö streifte Lion, strich über sein dunkles Haar und machte sich mit einem schneidenden Geräusch davon, das die zitternden Halme des spärlichen Grases erzeugten, das da und dort büschelweise aus dem Sand ragte und dessen Namen Lion nicht kannte. Das Gras war fast weiß. Es klang, als zerrisse dünner Stoff.

Weiter weg, näher am See, wo das Schilfrohr beinahe undurchdringlich war, spielten die Jungen und machten sich einen Spaß daraus, die nistenden Teichhühner und Rohrsänger aufzuschrecken, die laut schimpften, bevor sie aufflogen. Die Jungs waren stärker, die Menschen überhaupt. Doch hatte man Tobias eingeschärft, zufällig entdeckte Nester nicht anzurühren, und Lion war überzeugt, dass er und seine Freunde sich daran hielten, und zwar aus Einsicht, nicht, weil man es ihnen verboten hatte. Sie waren wild und machten Lärm, aber rücksichtslos waren sie nicht.

Gewiss hätte es ihnen großes Vergnügen bereitet, wenn Lion sich dorthin verirrt, nicht mehr herausgefunden hätte und hätte gerettet werden müssen wie eine dumme Gans. Indem er sich zurückzog, konnte er ihnen damit nicht dienen. Tobias und seine Freunde spielten für sich, Lion blieb allein. So wie er wollte. So wie man es von ihm gewohnt war. Was die anderen Jungs taten, wusste er nicht, er sah sie erst abends, wenn man nach dem Essen im winzigen Pavillon der Kupferbergs, am Strand oder bei Freunden der Familie in einem der anderen Sommerhäuser zusammenkam, um zu reden, zu rauchen und zu trinken. Am Abend konnte auch Lion ein anderer sein wie die anderen.

Lion empfand seinen Wunsch nach Einsamkeit nicht als Beeinträchtigung. Ihn sich zu erfüllen war einfach. Allein zu sein war seine Entscheidung, er folgte einer inneren Weisung, die fast so deutlich war wie eine Stimme. Natürlich hörte er sie nicht, und selbstverständlich sprach er mit niemandem darüber. Nur so, als Einzelgänger, konnte er ungestört betrachten, was sich seinem Auge darbot, und wiedergeben, wie er es sah. Was er entdeckte, war niemals bedeutungslos, nie klein, nie groß. Dinge, an denen die anderen achtlos vorbeigingen, zogen ihn an, hielten ihn fest und zwangen ihn, sie eingehend zu betrachten. Das konnte ein maroder Schuh oder ein verschimmeltes Stück Brot sein, ein zerrissener Strumpf oder das abgebrochene Bein eines Schaukelpferds. Einmal hatte er am Wasser eine halb verfaulte Beinprothese aus Holz gefunden. Er war in Begleitung seiner Mutter, die über den Fund entsetzt war. Allein ans Wasser ließen sie ihn nicht.

Tobias und seine Kameraden, Lions Eltern und deren Freunde und Bekannte, alle die, die das sommerliche Leben mit Lion teilten, als wäre man auf einer Insel, gehörten zur Szenerie, aber Lion zeichnete nie Menschen. Es war nicht nötig, sie aufs Papier zu bannen. Lieber zeichnete er Tiere und Bäume, Waldstücke und Mauern, Blumen und abgebrochene Wagenräder, Türen und manchmal ganze Häuser, am liebsten aber Strandgut. Darüber, dass er begabt sei, war man sich einig. »Lion ist nur glücklich vor einem Stück Papier«, pflegte seine Mutter zu sagen. Dass es sie mit Stolz erfüllte, war nicht zu überhören.

Er zeichnete, seit er denken konnte. Seine Mutter behauptete, selbst das Material sei ihm zugeflogen. Eines Tages hatte ein Stück Papier vor ihm gelegen, ein Stift war auch zur Hand gewesen. Als Stift und Papier beisammen waren, begann das Abenteuer. Seit er das tat, waren seine Finger nie sauber, sondern abwechselnd grau oder schwarz oder bunt oder beides. Stets trug er Zeichenstifte bei sich, manchmal ein Tuschefässchen und eine Feder. Seine Kleider waren voller Flecken. Er hatte gezeichnet, noch bevor er schreiben und rechnen konnte, noch immer fiel es ihm leichter als alles, was man in der Schule lernte. Schreiben und Rechnen waren lediglich die schwächeren Äste desselben Baums, aus dessen Stamm heraus er zeichnete.

Schreiben und Rechnen waren Äste, an denen man sich festhielt, um im Leben weiterzukommen, eine Fortsetzung dessen, was er längst beherrschte: Reden ohne zu überlegen. Beim Zeichnen musste man nicht einmal sprechen. Der Mund blieb verschlossen, die Lippen bewegten sich nicht. Zeichnen verwandelte alles, was er sah, zu dem, was sich vielfach verspiegelt hinter den Dingen verbarg.

Er zeichnete auch das, was er nicht sah. Nur der Wind, nur der Lockruf des Rohrsängers, der Warnruf, wenn sich ein Räuber seiner Brut näherte, ließ sich nicht einfangen und fixieren, noch nicht. Der Schrei. Die Angst. Die Zukunft. Das Unbekannte. Es würde schon kommen und auf sich aufmerksam machen.

Lion war ein fröhliches, etwas unnahbares Kind, und niemand versuchte, ihn auf einen anderen Weg zu bringen.

Vielleicht hörte Tobias seine Mutter tatsächlich nicht. Die Namen der anderen Jungen, mit denen er Verstecken spielte, kannte Lion nicht. Es gab für ihn keinen Grund, sich ihre Namen zu merken. Einer war blond, ein anderer war ständig »verwundet«, einer trug immer lange Hosen, die anderen kurze, der fünfte eine Brille, die ihm ständig von der Nase rutschte und die er immerfort nach oben auf die sommersprossige Nase schob. Hätten ihre Mütter manchmal nach ihnen gerufen, wie seine Mutter vorhin nach Tobias gerufen hatte, vielleicht hätte sich Lion dann ihre Namen gemerkt. Doch sie wohnten weiter weg. Wenn ihre Mütter tatsächlich riefen, hörte man es nicht. Vermutlich taten sie es deshalb nicht. Die Jungen waren älter als Lion und an Dingen interessiert, die ihn nicht interessierten, und sonntags gingen sie in die Kirche. Tobias war neun. Er selbst war erst sechs.

Lion hatte sich in den Dünen verkrochen und zu zeichnen begonnen. Der Sand war kühl, denn die Stelle, an der er sich niedergelassen hatte, lag im Schatten und wurde vom auffrischenden Wind gefächelt und gefältelt. Wer ihn suchte, würde ihn hier so schnell nicht finden. Leicht gab der Sand unter den Füßen nach. Hier trafen sich nachts heimlich die Liebespaare, behauptete Tobias.

Kaum hatte er den Zeichenstift angesetzt, begann seine Hand ein Gewehr zu zeichnen, während er doch gerade noch hatte versuchen wollen, einen Stein auf das Papier zu bringen, so wie er war, so wie er vor ihm lag. Doch während er den Stein...
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Alain Claude Sulzer, 1953 geboren, lebt als freier Schriftsteller in Basel, Berlin und im Elsass. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, u.a. Ein perfekter Kellner, Zur falschen Zeit, Aus den Fugen und zuletzt Doppelleben. Seine Bücher sind in alle wichtigen Sprachen übersetzt. Für sein Werk erhielt er u.a. den Prix Médicis étranger, den Hermann-Hesse-Preis und den Kulturpreis der Stadt Basel.