Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Anthroposophie - Revolution von innen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
118 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20151. Auflage
Kurt E. Becker zeigt Leitlinien im Denken Rudolf Steiners auf: daß Denken Handeln ist, ein Tun, das in einem wechselwirkenden Prozeß an der Wirklichkeit sich entfaltet, ein Werden, das dem Individuum in einer steten, sich und die Welt in jeweils gleichem Maße einbeziehenden Erfahrung die Einsicht in die Einheit des Universums vermittelt. Der Mensch selbst wird durch diese anthroposophische Wirklichkeitsbewältigung zu einem selbst-bewußteren Leben geführt. Die ausführliche Lebenschronik Rudolf Steiners verdeutlicht die innere und äußere Wegbereitung der Anthroposophie anhand biographischer Daten und Fakten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Kurt E. Becker, Publizist, wurde 1950 in Ludwigshafen geboren. Er studierte Politische Wissenschaften, Psychologie, Pädagogik, Philosophie in Freiburg i. Br. und Stuttgart (Dr. phil., M. A.).
mehr

Produkt

KlappentextKurt E. Becker zeigt Leitlinien im Denken Rudolf Steiners auf: daß Denken Handeln ist, ein Tun, das in einem wechselwirkenden Prozeß an der Wirklichkeit sich entfaltet, ein Werden, das dem Individuum in einer steten, sich und die Welt in jeweils gleichem Maße einbeziehenden Erfahrung die Einsicht in die Einheit des Universums vermittelt. Der Mensch selbst wird durch diese anthroposophische Wirklichkeitsbewältigung zu einem selbst-bewußteren Leben geführt. Die ausführliche Lebenschronik Rudolf Steiners verdeutlicht die innere und äußere Wegbereitung der Anthroposophie anhand biographischer Daten und Fakten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Kurt E. Becker, Publizist, wurde 1950 in Ludwigshafen geboren. Er studierte Politische Wissenschaften, Psychologie, Pädagogik, Philosophie in Freiburg i. Br. und Stuttgart (Dr. phil., M. A.).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105604571
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.09.2015
Auflage1. Auflage
Seiten118 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1820748
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Im Zentrum des Universums: das Individuum

Erkenntnismäßige Rückseite jenes an die Ergebnisse naturwissenschaftlichen Forschens gebundenen »Protagoranismus« (Bertrand de Jouvenel) ist die prinzipielle Gleich-Gültigkeit alles Materiellen. Wenn der Mensch das Maß aller Dinge ist, dann erfährt auch alles Materielle eine Wertung in und durch den Menschen. Dies betont auch Rudolf Steiner: »Nichts ist an sich gut von dem, was die moderne Menschheit heute in einem gewissen Übermut und Hochmut als ihre größten Errungenschaften hinstellt. Erst dann wird es gut, wenn es durchgeistigt wird.«

Alle vom Vorhandensein eines Materiellen abhängigen Kulturprodukte des Menschen bedürfen der Rückbindung an den Ort ihres Entstehens, den menschlichen Geist. Dies gilt für den Nuklearsprengkopf der Interkontinentalrakete genauso, wie es für das Stückchen Zucker im Frühstückskaffee oder das Einfamilienhaus am lauschigen Waldrand gilt. Durch die rein subjektive Bewertung wird sogar die sommerliche Mückenplage im Falle des letzteren relativiert und für den Nuklearsprengkopf gilt, was Robert M. Pirsig seinem zum Kultbuch avancierten Erstlingsroman Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten[1] anvertraut hat: »Flucht vor der Technik, der Haß auf sie, ist selbstzerstörerisch. Die Gottheit wohnt in den Schaltungen eines Digitalrechners oder den Zahnrädern eines Motorradgetriebes ebenso bequem wie auf dem Berggipfel oder im Kelch einer Blüte. Wer das nicht wahrhaben will, erniedrigt Gott und sich selbst.«

Die Dinge müssen durch den Menschen hindurch, sie müssen durchdacht, an den individuellen Geist zurückgebunden sein. Dadurch wird ihre Gleich-Gültigkeit aufgehoben; sie treten dann in eine Wertbeziehung mit dem Menschen und die Summe dieser Wertbeziehungen ordnet die stumme Unendlichkeit eines unfaßbaren, gleichgültigen Universums zu einem sinnvollen Kosmos.

Rudolf Steiners Denken geht ganz auf in diesem »Geistesgang des Abendlandes« (Friedrich Hiebel). Ergebnis dieses Nach-Denkens unabänderlichen Erkenntnisstrebens ist das individuelle Selbst als Nucleus des Universums und Ausgangspunkt eines durch den Menschen hindurchgehenden subjektiven Entwurfs der Welt: Anthroposophie.

Diese Anthroposophie ist zunächst perspektivisch eingeschränkt als prognostische Situationsanalyse der menschlichen Lebensbedingung im 20. Jahrhundert zu verstehen. Rund sechzig Jahre vor Erich Fromms Anatomie der menschlichen Destruktivität[2] verweist Rudolf Steiner die Zuhörer seines Vortrags über »Charakteristische Seiten neuzeitlicher Geschichtssymptome« auf den nekrophilen Charakter der modernen Technik, jener bedeutsamsten Umsetzung naturwissenschaftlichen Denkens in materielle Realität: »Dann aber schafft die moderne Menschheit in die soziale Ordnung hinein Ergebnisse der Experimentierkunde als Technik: Totes. Und das ist das Wesentliche: Totes schaffen wir hinein in die Kolonisationsbestrebungen, Totes schaffen wir hinein, wenn wir für die Industrie unsere Maschinen bauen. Aber nicht nur dann, sondern wenn wir unsere Arbeiter in einer gewissen sozialen Ordnung zu diesen Maschinen hinzubringen. Totes schaffen wir hinein in unsere neuere geschichtliche Ordnung, indem wir unsere Finanzwirtschaft über kleinere oder größere Territorien ausbilden. Totes schaffen wir hinein, wenn wir eine soziale Ordnung überhaupt nach dem Muster der modernen Naturwissenschaft aufbauen wollen, wie es instinktiv die moderne Menschheit getan hat. Totes schaffen wir überall hinein in das menschliche Zusammenleben, wenn wir Naturwissenschaft hineinschaffen in dieses menschliche Zusammenleben, Totes, sich selbst Ertötendes.«

Wenig später fragt Steiner seine Zuhörerschaft: »Wenn moderne Technik Keim des Todes nur ist, ... warum trat diese moderne Technik in Erscheinung?«

Dies scheint in der Tat eine jener Kardinalfragen zu sein, die den heutigen Menschen bewegen. Die Revolution von außen - eine Revolution des Toten? Erich Fromm macht den Zusammenhang deutlich: »Der Wahlspruch der Falangisten Lang lebe der Tod droht zum geheimen Prinzip einer Gesellschaft zu werden, in der der Sieg der Maschine über die Natur den Inbegriff des Fortschritts auszumachen scheint und in der der lebendige Mensch zum Anhängsel der Maschine wird.«[3]

Der Mensch als Anhängsel der Maschine, dies wäre die totale Außensteuerung alles Menschlichen. Auch Rudolf Steiner weist darauf hin: »In keiner Kultur haben die Menschen jemals so im Äußerlichen gelebt wie gerade in unserer.«

Eine Gegensteuerung ist erforderlich, damit der Mensch sein Gleichgewicht zurückgewinnt, »der Verlust der Mitte« (Hans Sedlmayr) ausgeglichen werden kann. Rudolf Steiners Anthroposophie wirkt gegensteuernd in eben diesem Sinn als Revolution von innen, bewertet dabei die real existierenden Fakten in aller Sachlichkeit. Mehr noch: als Selbstverständlichkeit auf dem Weg zum Gleichgewicht und gar als Notwendigkeit für eine Weiterentwicklung des Menschen. Goethes Steigerungsgedanke findet sich in Rudolf Steiners Überlegungen ebenso wieder, wie sie Erich Fromms Revolution der Hoffnung[4] vorwegnehmen. Letztendlich bestätigt wird Steiner durch die bereits angeführte These Arnold Gehlens von der Außen-Innenverschränkung des Menschen: »Die Verschränkung oder Vermischung dessen, was von innen, und dessen, was von außen kommt, geht beim Menschen unendlich tief und wohl bis in den Kern der Substanz.«[5]

Diese vermutete Außen-Innenverschränkung des Menschen liegt auch Rudolf Steiners Überlegungen zugrunde: das Innen des Menschen und das Außen der vom Menschen geschaffenen kultürlichen Welt bedingen einander wechselwirkend. Mit dem Anwachsen der Erkenntnis des einen wächst auch die Erkenntnis des anderen. Konkret auf die Situation des Menschen bezogen bedeutet dies: (die moderne Technik) »trat in Erscheinung gerade wegen ihres zum Tode führenden Charakters, weil nur dann, wenn der Mensch hineingestellt ist in eine tote, mechanische Kultur, er durch den Gegenschlag die Bewußtseinsseele entwickeln kann. Solange der Mensch hineingestellt war in ein Zusammenleben mit der Natur, ohne daß die Maschinen hineingestellt waren, solange wurde er geneigt gemacht zu einer gewissen suggestiven Behandlung, weil er bis zu einem gewissen Grade betäubt wurde. Man konnte nicht ganz auf sich selbst sich stellen, als man noch nicht in den Tod hineingestellt war. Auf sich selbst gestelltes Bewußtsein und Todbringendes ist innig miteinander verwandt.«

Das Heraustreten des Menschen aus dem Kreislauf des natürlichen Lebens war erforderlich zur Entwicklung des Individuums. An diesen Prozeß gebunden sind die von Marx als »Entfremdung« markierten Phänomene, die auf der Ebene menschlichen Erkennens nichts anderes repräsentierten, als die im Abendland durchgängige Spaltung in erkennende Subjekte und erkannte Objekte. Mit der - durch diese Spaltung vollzogenen - Zertrümmerung der mittelalterlichen Einheit der Welt geht das Heraufkommen der dem Tode geneigten kultürlichen Objektwelt ebenso einher, wie die Chance zu einem neuen Monismus auf anderer, höherer Ebene. Eine neue monistische Sicht der Welt ist abhängig von der Fähigkeit zur Bannung jener Dämonen einer äußeren Revolution. Die Chance dazu liegt im Individuum. Und im Individuum liegt auch die Chance zur ebenfalls notwendigen Versöhnung mit den Geistern einer natürlichen Welt, die der fortschrittsgläubige Mensch seit der Renaissance überwunden zu haben glaubte. Nicht zuletzt dies ist der Sinn der »Religion« in der Vorstellung der Anthroposophie. Rudolf Steiner analysiert den komplexen Sachverhalt folgendermaßen: »Dadurch steht der heutige Mensch höher als der Urmensch, weil er einen scharfen durchdringenden Verstand besitzt; aber er empfindet nicht mehr den lebendigen Zusammenhang mit den göttlich wirkenden Tao-Kräften der Welt. Dadurch hat er die Welt, wie sie sich in seiner Seele offenbart, und auf der andern Seite die Verstandeskräfte. Der Atlantier hat die Bilder gefühlt, die in ihm lebten. Der heutige Mensch hört und sieht die äußere Welt. Diese zwei Dinge, Äußeres und Inneres, stehen einander gegenüber, und er fühlt nicht mehr, wie ein Band von dem einen zu dem andern hinübergeht. Das ist der große Sinn der Entwickelung der Menschheit. Seitdem die Ländermassen wieder aufgestiegen sind, nachdem die Fluten der Ozeane die Kontinente überschwemmt hatten, seit jener Zeit sehnt sich die Menschheit, das Band wieder zu finden zwischen dem, was sie im Innern empfindet und wahrnimmt, und dem, was sich draußen in der Sinneswelt darbietet. Daher hat das Wort religare = Religion seine Berechtigung. Es heißt nichts anderes, als das, was einst verbunden war und jetzt getrennt ist, wieder zu verbinden, Welt und Ich wieder zu verbinden.«

Mit dem Annehmen dieses »religare« eignet sich Rudolf Steiners Anthroposophie außer dem Begriff auch den Gegenstandsbereich aller Religion und Theologie an, weil der mit der Weiterentwicklung des Menschen verbundenen Harmonisierung alles Bestehenden im Verständnis der Anthroposophie eine übersinnliche Qualität zukommt. Nichts anderes als die Fähigkeit zur Erlangung übersinnlicher Erkenntnisse meint Steiner nämlich, wenn er von der »inneren Entwickelung des Menschen« spricht. Mit dieser Forderung nimmt die Anthroposophie sich selbst zutiefst beim Wort. Steiners Entwurf der Welt beschränkt sich nicht nur auf das sinnlich Wahrnehmbare, er ordnet das Universum synchronisch wie diachronisch vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Offensichtlichen bis hin zum Geheimnisvollsten. Ganz bewußt sucht Steiner mit dieser Sinndurchdringung physischer wie metaphysischer Welten die Konfrontation mit...
mehr