Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Der Baron, die Juden und die Nazis

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am04.10.2013
»Wann und warum hat sich der Adel dem antisemitischen Lager angeschlossen?« Nach dem Mauerfall reist Jutta Ditfurth nach Ostdeutschland und sieht sich mit den Widersprüchen ihrer Herkunft konfrontiert. Sie folgt den Spuren ihres schillernden Urgroßonkels Börries Freiherr von Münchhausen, einem Balladendichter, der ein Freund der Juden zu sein schien - doch dann findet sie einen Brief ... Hinter dem Mythos des 20. Juli 1944 verbirgt sich der besondere Antisemitismus des deutschen Adels im 19. und 20. Jahrhundert. Juden galten in adligen Kreisen oft als »Fremdrassige«, die die adlige »Blutreinheit« bedrohten. Auf den Schlössern und Rittergütern hatten Juden bis 1945 nichts verloren. Sie trugen vermeintlich Schuld an Revolutionen, an Kriegsniederlagen, am Sturz der Monarchie und an der Errichtung der Weimarer Republik. Der Hass auf die Juden wurde schließlich »von allen moralischen Skrupeln befreit«. Jutta Ditfurth erzählt die bewegte Geschichte von Börries Freiherr von Münchhausen. Sein engster Freund war um 1900 der Künstler Ephraim Moses Lilien - bis Münchhausen zum glühenden Antisemiten wurde.

Jutta Ditfurth ist Soziologin, Publizistin und politische Aktivistin. Sie arbeitete u. a. als Forscherin und Reporterin in England, den USA und auf anderen Kontinenten. In den achtziger Jahren war sie Bundesvorsitzende der Grünen, trat 1991 aus und gründete im selben Jahr die Ökologische Linke mit. Seit 2016 vertritt sie die Wählervereinigung ÖkoLinX-ARL erneut im Frankfurter Römer. Sie veröffentlichte 16 Bücher, darunter die Bestseller Feuer in die Herzen. Gegen die Entwertung des Menschen (1997), Ulrike Meinhof. Die Biografie (2007) und Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen (2011). Bei Hoffmann und Campe ist Der Baron, die Juden und die Nazis. Adliger Antisemitismus (2015) erschienen. www.jutta-ditfurth.de
mehr

Produkt

Klappentext»Wann und warum hat sich der Adel dem antisemitischen Lager angeschlossen?« Nach dem Mauerfall reist Jutta Ditfurth nach Ostdeutschland und sieht sich mit den Widersprüchen ihrer Herkunft konfrontiert. Sie folgt den Spuren ihres schillernden Urgroßonkels Börries Freiherr von Münchhausen, einem Balladendichter, der ein Freund der Juden zu sein schien - doch dann findet sie einen Brief ... Hinter dem Mythos des 20. Juli 1944 verbirgt sich der besondere Antisemitismus des deutschen Adels im 19. und 20. Jahrhundert. Juden galten in adligen Kreisen oft als »Fremdrassige«, die die adlige »Blutreinheit« bedrohten. Auf den Schlössern und Rittergütern hatten Juden bis 1945 nichts verloren. Sie trugen vermeintlich Schuld an Revolutionen, an Kriegsniederlagen, am Sturz der Monarchie und an der Errichtung der Weimarer Republik. Der Hass auf die Juden wurde schließlich »von allen moralischen Skrupeln befreit«. Jutta Ditfurth erzählt die bewegte Geschichte von Börries Freiherr von Münchhausen. Sein engster Freund war um 1900 der Künstler Ephraim Moses Lilien - bis Münchhausen zum glühenden Antisemiten wurde.

Jutta Ditfurth ist Soziologin, Publizistin und politische Aktivistin. Sie arbeitete u. a. als Forscherin und Reporterin in England, den USA und auf anderen Kontinenten. In den achtziger Jahren war sie Bundesvorsitzende der Grünen, trat 1991 aus und gründete im selben Jahr die Ökologische Linke mit. Seit 2016 vertritt sie die Wählervereinigung ÖkoLinX-ARL erneut im Frankfurter Römer. Sie veröffentlichte 16 Bücher, darunter die Bestseller Feuer in die Herzen. Gegen die Entwertung des Menschen (1997), Ulrike Meinhof. Die Biografie (2007) und Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen (2011). Bei Hoffmann und Campe ist Der Baron, die Juden und die Nazis. Adliger Antisemitismus (2015) erschienen. www.jutta-ditfurth.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455851021
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum04.10.2013
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1824588
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1 »Mit euch spielen wir nicht, ihr habt den Herrn Christus gekreuzigt«

1990: Reise in die DDR und in die Familiengeschichte


Was hatte ich hier verloren? Die Maisonne schien auf die Wälder über dem thüringischen Dorf Langenorla, durch dessen Tal die Orla fließt. Anfangs hielt ich ein paar Schritte Abstand zu meiner Mutter, aber das konnte das widersprüchliche Gefühl auch nicht lindern. »Hier« stand früher das Schloss. Ich sah die Überreste einer Kastanienallee, die über den Wallgraben zum Schloss geführt hatte. »Dort« lag das Rittergut und »da oben«, auf einem Hügel am Ende des Dorfes, die Schimmersburg. Es war der Beginn einer langen Reise in die Familiengeschichte, an deren Ende ich Antworten auf Fragen gefunden haben würde, von denen ich jetzt noch nichts wusste.



Abb. 1 Dorf Langenorla (Sachsen-Altenburg), in der Mitte das Beustsche Schloss



Als die deutsch-deutsche Mauer 1989 fiel, starb mein Vater Hoimar von Ditfurth.[2] Damals versprach ich meiner Mutter Heilwig von Ditfurth, sie im Jahr darauf an die Orte ihrer Kindheit und Jugend zu begleiten.[3] Das bereute ich bald, nicht aber, weil ich ihr diesen Wunsch nicht erfüllen mochte oder ihre Kindheitsorte in der DDR lagen. Letzteres machte mich eher neugierig, denn ich kannte die DDR nicht, nur Ostberlin hatte ich viele Jahre zuvor bereist. Während meiner Abiturfahrt 1969 sah ich Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe im Theater am Schiffbauerdamm und vergaß das Stück nicht mehr.[4] 1973 war ich mit Freunden zwei- oder dreimal in Ostberlin spazieren gegangen. Wir hatten in der Karl-Marx-Buchhandlung »Blaue Bände« - so nannten wir die »Gesammelten Werke« von Karl Marx und Friedrich Engels - gekauft und immer um Mitternacht die Hauptstadt der DDR verlassen müssen.

Für die SED war ich später, weil antiautoritär und ökologisch gesinnt, eine Art Alien, die falsche Art Linke. Als ich in den 1970er Jahren in der ersten Anti-AKW-Bewegung aktiv war und gegen Atomprogramme weltweit, in West und Ost, eintrat, galten Leute wie ich den DDR-Oberen als Maschinenstürmer und Fortschrittsfeinde. Ich durfte nie wieder einreisen, nicht einmal, als ich von 1984 bis 1988 Bundesvorsitzende der Grünen war und andere grüne Funktionsträger Erich Honnecker die Aufwartung gemacht hatten.[5] In den Resten meiner kleinen Stasi-»Opfer«-Akte fand ich später einen Auftrag zur Telefonüberwachung und den Hinweis: Dem »Fahndungsobjekt ist bei Rückweisung der Satz >Ihre Einreise in die DDR ist gegenwärtig nicht erwünscht[6] - Die DDR war im Jahr 1990 für mich ein wirklich fremdes Land.

Dann fiel die deutsch-deutsche Grenze, und ich fuhr im Winter 1989/1990 mit Freunden durch die DDR, um sie, bevor sie verschwand, kennenzulernen. Wir fanden Freunde, beobachteten den frühen Einfall westdeutscher Nazis und von Immobilienhändlern und kauften Kofferräume voller Bücher, die auf den Müll geworfen werden sollten, um Reiseführern Platz zu machen.[7]

Mein Dilemma an diesem Frühsommertag im Mai 1990 lag also nicht an einem Desinteresse an der DDR, sondern vielmehr daran, dass die Kindheitsorte meiner Mutter nicht irgendwelche Wohnungen oder Häuser waren, sondern Schlösser, Rittergüter und Großgrundbesitz. Es war eine Fahrt in die feudale Vergangenheit meiner Familie. Eine Reise, das hoffte ich, zur Klärung der Mythen, mit denen mich vor allem meine älteren weiblichen Verwandten vollgestopft hatten. Ich kannte keine anderen Linken, die in einem ähnlichen Konflikt steckten.

 

Wenn Mitglieder vormals großgrundbesitzender adliger Familien - der Adel wurde 1919 angeblich abgeschafft - über ihre Herkunftsorte sprechen, sagen sie beispielsweise »Langenorla«. Damit meinen sie nicht das Dorf und die dort lebenden Menschen, sondern ihren (ehemaligen) Besitz. »Langenorla« meint das Schloss, das Rittergut, Wälder, Felder und Wiesen.

Kreuzzüge, Kriege, Enteignung der Bauern und die Ausbeutung der Landarbeiter waren die Grundlage der Herrschaft meiner Vorfahren gewesen, die sie sich durch den Pakt mit den sachsen-altenburgischen Herzögen, den preußischen Königen, dem deutschen Kaiser, der völkischen Bewegung und dem NS-Regime sicherten, bis sie 1945 das Land verlassen mussten und ihr Besitz in der DDR einer Bodenreform unterzogen wurde.

Einer der von Beusts ließ sich auf dem alten Rittergut 1721 von einem italienischen Baumeister das Barockschloss Langenorla bauen, umgeben von einem Wassergraben, der sich aus der Orla speiste. Die Beusts waren die Kirchenpatrone und die Gerichtsherren von Langenorla. Erst im März 1851 wurde als Folge der Revolution von 1848/49 das Patrimonialgericht zu Langenorla aufgelöst und die Gerichtsbarkeit vom Staat übernommen, das heißt an das nahe gelegene herzogliche Kreisamt in Kahla weitergereicht. Das bedeutete zwar, dass mein Ururgroßvater niemanden mehr verurteilen und in die Gefängniszelle im Keller seines Schlosses sperren durfte, aber er behielt das Patronat über Kirche, Pfarrei und Schule. Er entschied, wer Pfarrer wurde, er bestimmte, dass die Schulkinder nicht zu viel lernten.

Im März 1856, meine Urgroßmutter Gertrud war sechs Jahre alt, wurden vierzehn Menschen wegen »einfacher und ausgezeichneter Eigenthumsverbrechen«, verübt auf dem Rittergut Langenorla, vom Herzoglichen Criminalgerichtshof zu Strafen zwischen sechs Tagen und vierzehn Jahren Gefängnis verurteilt, zwei bis vierzehn Monaten Arbeitshaus und zu vier Monaten bis vier Jahren Zuchthaus. Was hatten sie verbrochen? Sie hatten Hunger und in den Wäldern »gewildert«, und sie hatten sich von den Feldern, die sie für die Beusts beackerten, Klee, Runkeln und Kartoffeln geholt. Holzdiebstahl und Wilderei sind nicht grundlos beliebte Themen in der Literatur sowie den Gerichtsakten des 18. und 19. Jahrhunderts. Auch aus Langenorla wanderten Menschen wegen ihrer erbärmlichen Lebensbedingungen aus.

Es hätte mich bei diesem Rundgang im Mai 1990 nicht überrascht, wären wir aus dem Dorf gejagt worden. Stattdessen wurden wir freundlich empfangen. Der Pfarrer borgte uns das Original der Dorfchronik.[8] Eine Bekannte meiner Mutter aus Kindertagen - »mein Vater war euer Förster« - führte uns zur Dorfkirche und dort hinauf zur Dachkammer. Sie schloss auf, und ich stand vor dem überlebensgroßen Ölbild meiner Urgroßmutter Gertrud Elisabeth Freiin von Beust (1850-1936), neben ihr weitere, etwa siebzehn Ahnenbilder.[9] Gertrud war Hermanns und Marie von Beusts Tochter.[10]



Abb. 2 Gertrud Elisabeth Freiin von Beust, ca. 1867



Im Winter 1948/49 war das Schloss nach ordentlichem deutschen Plan ausgeräumt und abgerissen worden. Es gab damals Auseinandersetzungen um den Abriss, im Ort selbst und zwischen verschiedenen Kulturbehörden, und es gab Pläne für eine andere, soziale Nutzung.[11] Am Ende setzten sich die durch, die das Symbol des Feudalismus beseitigen und Baumaterial für Neubauerngehöfte beschaffen wollten. Anderswo gingen ähnliche Konflikte anders aus. In Schloss Kochberg, wo meine Verwandten von Stein wohnten, rettete ein Major der Roten Armee und Goethe-Bewunderer das frühere Schloss der Charlotte von Stein vor dem Abriss. Schloss Sahlis, das in diesem Buch noch eine Rolle spielt, wurde von der örtlichen KPD-Ortsgruppe geschützt. Beides ist heute ein Tabu.

Vor zweiundvierzig Jahren waren die Bilder meiner Ahnen in diese Dachkammer in Langenorla gestellt worden. »Wir« haben sie für »euch« aufgehoben, sagte die freundliche Frau. Meine Urgroßmutter auf dem Gemälde war jung, rotblond gelockt, trug ein üppiges, hellgrünes Ballkleid und war umrandet von einem voluminösen Goldrahmen. Ich sah die Verfasserin eines rätselhaften Buches meiner Kindheit zum ersten Mal.



Abb. 3 Dorfstraße in Langenorla, 1920er oder 1930er Jahre



Meine Großeltern hatten sich nach ihrer Flucht vor der Roten Armee 1945 aus Vorpommern auf dem von Ditfurth'schen Rittergut Lemmie bei Hannover niedergelassen. Hier hatte ich als Kind fast alle Ferien verbracht. Meine Großmutter Heilwig von Raven fütterte mich mit Mythen, mit adligen Spielregeln für Mädchen und rechter Ideologie. Als ich etwa acht Jahre alt war, gab sie mir ein Buch: die Lebenserinnerungen meiner Urgroßmutter Gertrud von Beust (1850-1936). Es war auf dem »Treck« - ein geheimnisvolles Wort, mit dem ich aufwuchs - »gerettet« worden. Ich las.

Es waren meine ersten Memoiren. Ich staunte, dass ein Leben in ein Buch zu passen schien. Ich war verwirrt. Kriege, adlige Rituale, meine Mutter als Kind, verrückte Verwandte, Liebschaften. Aber warum hatte Urgroßmutter Gertrud die Juden so verabscheut? Wenn ich meine redselige Großmutter danach...
mehr

Autor

Jutta Ditfurth ist Soziologin, Publizistin und politische Aktivistin. Sie arbeitete u. a. als Forscherin und Reporterin in England, den USA und auf anderen Kontinenten. In den achtziger Jahren war sie Bundesvorsitzende der Grünen, trat 1991 aus und gründete im selben Jahr die Ökologische Linke mit. Seit 2016 vertritt sie die Wählervereinigung ÖkoLinX-ARL erneut im Frankfurter Römer. Sie veröffentlichte 16 Bücher, darunter die Bestseller Feuer in die Herzen. Gegen die Entwertung des Menschen (1997), Ulrike Meinhof. Die Biografie (2007) und Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen (2011). Bei Hoffmann und Campe ist Der Baron, die Juden und die Nazis. Adliger Antisemitismus (2015) erschienen.
jutta-ditfurth.de