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Die goldenen Jahre

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Berlin Verlagerschienen am09.11.20151. Auflage
Alis Leben ist ein Tanz auf dem Vulkan. Mit seinen Freunden bewohnt er ein leerstehendes Fabrikgebäude in Brooklyn. Sie feiern gemeinsam, teilen sich Drogen und Frauen und vor allem machen sie zusammen Musik. Aber Ali, der ein paar Jahre älter ist als die anderen, weiß, dass das für ihn nicht alles sein kann. Er weiß, was Liebe ist - und was es heißt, sie wieder zu verlieren. Und er weiß, dass ihn schon die Emigration aus dem Iran, als er noch ein Kind war, für immer für ein bürgerliches Leben verdorben hat. Er beginnt zu schreiben, um herauszufinden, worum genau er eigentlich trauert. Auch weil »Die Goldenen Jahre« vom Lebensgefühl einer verlorenen Generation erzählt, hat es das Zeug zu einem Kultbuch. Es geht um Sex & Drugs & Rock'n'Roll - noch mehr aber um die Einsamkeit in der Metropole, um die Heimatlosigkeit des Emigranten, um Lust und Qual des Lebens am Limit. Der gewaltsame Tod des Autors lässt seinen stark autobiographischen Roman geradezu prophetisch wirken - aber Gänsehaut bekommt man bei der Lektüre dieses eindringlichen Manifests eines wunderbaren Künstlers in jedem Fall.

Ali Eskandarian wurde am 11. September 1978 in Florida geboren, wuchs aber in Teheran auf. Seine Familie emigrierte über Deutschland in die USA, und seine Teenagerjahre verbrachte Ali in Dallas, Texas. Immer schon suchte und fand Ali Zuflucht in Musik und Kunst. 2003 zog er nach New York. Im selben Jahr kam sein Debut-Album 'Nothing to Say' bei Wildflower Records heraus. Neben seiner Solo-Karriere spielte und tourte Eskandarian mit mehreren Bands, vor allem mit der iranischen Exil-Band 'The Yellow Dogs', mit denen er auch in einem Haus in East Williamsburg, einem Stadtteil von Brooklyn, lebte. Er hatte gerade die Arbeit an seinem ersten Roman abgeschlossen, als er am 10. November 2013 dem Amoklauf eines Musikerkollegen zum Opfer fiel und zusammen mit zwei Mitgliedern der Yellow Dogs in ihrem gemeinsamen Haus erschossen wurde.
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Produkt

KlappentextAlis Leben ist ein Tanz auf dem Vulkan. Mit seinen Freunden bewohnt er ein leerstehendes Fabrikgebäude in Brooklyn. Sie feiern gemeinsam, teilen sich Drogen und Frauen und vor allem machen sie zusammen Musik. Aber Ali, der ein paar Jahre älter ist als die anderen, weiß, dass das für ihn nicht alles sein kann. Er weiß, was Liebe ist - und was es heißt, sie wieder zu verlieren. Und er weiß, dass ihn schon die Emigration aus dem Iran, als er noch ein Kind war, für immer für ein bürgerliches Leben verdorben hat. Er beginnt zu schreiben, um herauszufinden, worum genau er eigentlich trauert. Auch weil »Die Goldenen Jahre« vom Lebensgefühl einer verlorenen Generation erzählt, hat es das Zeug zu einem Kultbuch. Es geht um Sex & Drugs & Rock'n'Roll - noch mehr aber um die Einsamkeit in der Metropole, um die Heimatlosigkeit des Emigranten, um Lust und Qual des Lebens am Limit. Der gewaltsame Tod des Autors lässt seinen stark autobiographischen Roman geradezu prophetisch wirken - aber Gänsehaut bekommt man bei der Lektüre dieses eindringlichen Manifests eines wunderbaren Künstlers in jedem Fall.

Ali Eskandarian wurde am 11. September 1978 in Florida geboren, wuchs aber in Teheran auf. Seine Familie emigrierte über Deutschland in die USA, und seine Teenagerjahre verbrachte Ali in Dallas, Texas. Immer schon suchte und fand Ali Zuflucht in Musik und Kunst. 2003 zog er nach New York. Im selben Jahr kam sein Debut-Album 'Nothing to Say' bei Wildflower Records heraus. Neben seiner Solo-Karriere spielte und tourte Eskandarian mit mehreren Bands, vor allem mit der iranischen Exil-Band 'The Yellow Dogs', mit denen er auch in einem Haus in East Williamsburg, einem Stadtteil von Brooklyn, lebte. Er hatte gerade die Arbeit an seinem ersten Roman abgeschlossen, als er am 10. November 2013 dem Amoklauf eines Musikerkollegen zum Opfer fiel und zusammen mit zwei Mitgliedern der Yellow Dogs in ihrem gemeinsamen Haus erschossen wurde.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783827077974
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum09.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1374 Kbytes
Artikel-Nr.1845638
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

# Manhattan

»Ich werde ganz ruhig und langsam reden, damit du alles verstehst, was ich sagen will«, denke ich mir, als ich zu Mana aufsehe. Sie sitzt mir am Tisch gegenüber und blickt mir direkt in die Augen. Ihre Minestrone ist heiß und der Dampf steigt ihr ins Gesicht. Sie sitzt mit dem Rücken zum Fenster. Ich will gerade etwas sagen, aber bevor ich den Mund aufbekomme, kommt eine Harley Davidson mit orangefarbenem Benzintank an den Bordstein gedonnert, rüttelt mir das Hirn durch und wirbelt meine Gedanken durcheinander. Ich gucke dem Fahrer zu, wie er den Motor abdreht und absteigt.

»Und?«, fragt Mana nach. »Was wolltest du gerade sagen ...?«

»Ach, eigentlich nichts. Klar, ein paar gab es schon. Na und? Nichts Besonderes, da gibt es eigentlich nichts zu erzählen.«

Mana hatte am Morgen angerufen, ganz unerwartet, und wollte mit mir lunchen gehen. Ich sei pleite, hatte ich ihr gesagt, und sähe aus wie ein Schlafwandler. Sie sagte, ich solle duschen und mir um das Geld keine Sorgen machen. Ich freute mich und konnte ein vertrautes Gesicht gut gebrauchen.

Als ich am Union Square ankam, saß sie schon auf einer Stufe an einem der U-Bahn-Eingänge mit ihren blauen Kuppeln, und ihre großen braunen Augen leuchteten beglückt. Wir hatten uns immer hier verabredet, von Anfang an. Wir spazierten in der Kälte Richtung Süden und rauchten ihre Camel-Importzigaretten, dann suchten wir uns einen gemütlichen Laden zum Essen.

»Erzähl schon«, sagt sie.

Ich fange an, meine Spaghetti dampfen, und der Duft nach Kapern und grünen Oliven versetzt mich zurück in die Zeit, als mein Vater Mitbesitzer eines italienischen Restaurants in Dallas war, des Sweet Basil Italian Ristorante an der Südostecke der Kreuzung Trinity Mills Lane und Midway Road.

»Wir können ja was trinken«, platze ich plötzlich heraus.

»Ich dachte, du willst noch warten«, sagt sie mit diesem süßen mütterlichen Unterton.

»Ich brauche was, damit mein Herz nicht mehr so rast«, antworte ich und versuche dem Kellner zu winken.

»Und? Was war jetzt mit diesen Frauen?«, sagt Mana.

Ich versuche, die Polarität des Ganzen zu erklären, so gut ich kann, und wie ungeeignet ich dafür war, auf der Fleischpiste herumzukrauchen, diesem monströsen gottverlassenen Korridor zwischen East River und Brooklyn-Queens-Expressway, voller moderner Unabhängigkeitskämpfer und Nymphen mit halbsynthetischen Seelen, Armen, Beinen, Mösen, Schwänzen und lutschbereiten Mündern, mit zinn-gepanzerten Herzen, die Nervengifte ausspien; Tausende Schwänze und Mösen im Wiegeschritt zu den Melodien von damals und heute, alles voller Körpersäfte, Schleim, Müll, Ratten, Pisse und Kotze, klebrig und geheimnislos.

Sie hört zu, isst ihre Suppe und ich merke, wie viel besser es ihr geht als nach unserer Trennung vor achtzehn Monaten. Noch nicht wieder richtig gut, aber so gut, dass sie es erträgt, wenn ich von anderen Frauen erzähle. Als sie an der Reihe ist, berichtet sie sofort von ihren gescheiterten Versuchen mit einem guten Typen. »Ganz normal«, in ihren Worten. Irisch-italienische Abstammung, ein alter Schulfreund aus der Zeit an der Brooklyn Tech, Deserteur, arbeitsloser Tankwagenfahrer, der bei seinen Eltern in der Upper West Side wohnt, schwerer Trinker, Kettenraucher ... so weit, so gut.

Sie hatten sich auf einer Beerdigung wiedergetroffen, hingen zusammen ab, eines Nachts war sie auf seinem Bett eingeschlafen, und als sie gegen sieben Uhr morgens wieder wach wurde, war er im Wohnzimmer mit zwei Männerfreunden am Koksen. Eigentlich hatte er ihr geschworen, dass er keine Drogen nahm.

»Du bist wenigstens Musiker, aber er ist einfach ein arbeitsloser Trucker. Er hat eine nackte Frau im Bett liegen und kokst die ganze Nacht mit zwei Männern durch?« Vielleicht hat er damals keinen hochgekriegt, denke ich. Noch ein bisschen Märchenstunde, dann braucht sie auch was zu trinken und bestellt eine Bloody Mary. Ich bestelle ein Bier. Nach ein paar Schlucken rast mein Herz nicht mehr so. Ich strecke meine Hand aus, um zu sehen, ob das Zittern aufgehört hat, und das hat es.

Nach einer Weile ist alles aufgegessen und ausgetrunken, sie zahlt und wir treten in die beißende Kälte hinaus. Ich bin am Erfrieren. Noch ein paar Straßen, dann kommt der hypothermische Schock, ganz bestimmt.

»Es ist nicht mehr weit bis zur U-Bahn, komm schon!«, drängt sie mich.

Wir gehen schneller, laufen die Treppe hinunter, springen in den Waggon, suchen uns einen Platz und kuscheln uns aneinander. Wir fahren zu ihr, in unsere alte Wohnung, wo alles kaputtgegangen war. Wo wir verzweifelt versucht hatten, uns an die letzten Reste der Liebe zu klammern, die es zwischen uns noch gab und die schließlich verreckt war, an einem finsteren, kühlen Oktobermorgen.

An der 86th Street steigen Mana und ich in den Bus durch den Park zur York Avenue um, dort gehen wir nach Süden. Sie besorgt ein Sixpack in einem Deli, ich warte draußen und rauche. Ich war lange nicht mehr in der Upper East Side gewesen, aber es macht mir nichts aus, wieder im alten Viertel zu sein. Wo sie aufgewachsen ist, wo ich mich in sie verliebt hatte, ein junges Mädchen von einundzwanzig Jahren frisch vom College, das bei ihren Eltern wohnt, lebhaft und verwirrt, liebeskrank und auf der Suche nach einem erfüllteren Leben. Wo ich ihr in die Augen sah und ihr meine Gefühle und Absichten gestand. Wo wir ihrer Familie von uns erzählten, endlos oft zum Mittag- und Abendessen waren, mit ihrem Neffen und ihrer Nichte spielten. Wo ihre Mutter und Schwester nebenan eine Kindertagesstätte leiteten. Die Schwester und der Schwiegersohn wohnten dort, bis sie sich schließlich in der Nähe eine eigene Wohnung kauften. Wo wir in einem Anfall von Verzweiflung beschlossen, unsere Wohnung in Park Slope, Brooklyn, aufzugeben, die mit dem Blick auf die Grabsteine, Obelisken und Mausoleen des Greenwood-Friedhofes, und bei ihnen einzogen, weil es billig war und ich kein Geld verdiente.

Hier, in dieser reizenden Wohnung mit ihrem herrlichen Hinterhofgarten, ging unsere Liebe in die Brüche. In der Endphase häuften sich dort die stürmischen Zusammenstöße, und dann zerstob die ganze Scharade fast wie nach Plan zu interplanetarischem Staub und die Trümmer wurden in alle Himmelsrichtungen in unsere kollektive Zukunft geblasen.

Der Schlüssel dreht sich im Schloss, die Tür öffnet sich, Madam und Monsieur treten ein. Drinnen ist es düster und es riecht nach Vergangenheit, tiefer finsterer Vergangenheit, eingefrorener Vergangenheit, eingeschrieben in Zellen und Atome, eine Vergangenheit, aus der es kein Entrinnen gibt, voller Dramen, Magie, Leid, Verlust, Glück, Sex, heimlichen Sehnsüchten, Zehennägeln, Hautcreme, Badeschaum, Kontaktlinsen, Zigaretten, Lachen, kindischen Spielchen, Onanie, Fastfood, Fernsehen, toten verwesenden stinkenden Mäusen, Schmerz, Schmerz und Liebe, unsterblicher und ewiger Liebe. Sie lässt sich Zeit beim Stiefelausziehen, dann geht sie zum Lichtschalter und beleuchtet das Schlachtfeld von einst.

Ich spaziere durch die alte Wohnung. Es hat sich nicht viel verändert. Sie geht aufs Klo. Ich sehe mir die alten Bücher im Regal an, jedes mit einer Zeit und einem Ort verbunden. Jeder Buchtitel steht für eine ganz bestimmte Erinnerung, zum Beispiel an gemeinsames Lesen im Bett oder allein auf dem Nachhauseweg in der U-Bahn oder daran, wie ich das Buch weglege, um sie an der Tür in Empfang zu nehmen, sie zu umarmen und leidenschaftlich zu küssen, ihr die Stiefel auszuziehen, die Beine zu massieren und sie eine Weile im Arm zu halten. Dann kommt sie herein und fragt, ob ich ein Bier will.

Wir nehmen das Bier mit in ihr Zimmer. Sie setzt sich auf den Fußboden und ich sehe mir ihre Bilder und Zeichnungen an, die auf einem Tisch ausgebreitet liegen. Nach unserer Trennung hat sie mit Malen und Zeichnen angefangen und sie ist gar nicht schlecht, aber blöderweise verschenkt sie das meiste unsigniert. Ich tätschele die Möbel wie zur Begrüßung. Da bist du ja wieder, Schublade, hallo Schrank, hallo Tisch, hallo Stuhl.

Ich setze mich neben sie auf den Fußboden und fahre mit den Fingern das Boteh-Muster auf dem alten Perserteppich ab. Schönes Gefühl, aber ich sitze nicht gern auf dem Fußboden, mein Arsch ist so knochig. Es dauert nicht lange, da reden wir über »uns«, die Vergangenheit, das Verlassenwerden, unsere besten Jahre haben wir hingegeben, warum, wo, wann? Es wird heftig, bleibt aber im Rahmen. Ich bin ihr noch immer böse, dass sie mich nicht angehimmelt hat, mir nicht genug das Gefühl gegeben hat, ein richtiger Mann zu sein, sich nach einem tollen Fick nicht an mich geklammert hat, der Sorte Fick, die andere Frauen dahinschmelzen lässt, ihr aber kaum ein Lächeln entlocken konnte. Mana sagt, das sei ihr jetzt klar, heute wisse sie, wie schön es war.

»Das soll jetzt kein Geständnis sein«, sage ich, »aber ab und zu muss ein Mann sich ein paar Sachen beweisen, und, na ja ...« Sie weiß Bescheid. Sie weiß alles.

Die Zeit vergeht, und wir liegen da und trinken und hören Miles Davis, erst Sketches of Spain, dann Kind of Blue, dann E.S.P. Nach einer Weile werden wir schlapp und beschließen, beim Vietnamesen Essen zu bestellen. Sie zieht mich aufs Bett und legt sich neben mich. Im nächsten Augenblick halten wir uns fest umklammert. Es passt. Unglaublich. Ich wische ihr die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht und streichele ihr mit dem Handrücken sanft die Wange, dann lege ich ihr die Hand auf den Hinterkopf und ziehe sie an mich. Sie stützt sich auf und küsst mich auf den Mund. Ich streichele ihr erst den Rücken, dann die Beine.

»Gott, wie klein du bist«, sage ich.

»Du bist klein! Wo bist du denn? Du bist so...
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Autor

Ali Eskandarian wurde am 11. September 1978 in Florida geboren, wuchs aber in Teheran auf. Seine Familie emigrierte über Deutschland in die USA, und seine Teenagerjahre verbrachte Ali in Dallas, Texas. Immer schon suchte und fand Ali Zuflucht in Musik und Kunst. 2003 zog er nach New York. Im selben Jahr kam sein Debut-Album "Nothing to Say" bei Wildflower Records heraus. Neben seiner Solo-Karriere spielte und tourte Eskandarian mit mehreren Bands, vor allem mit der iranischen Exil-Band "The Yellow Dogs", mit denen er auch in einem Haus in East Williamsburg, einem Stadtteil von Brooklyn, lebte. Er hatte gerade die Arbeit an seinem ersten Roman abgeschlossen, als er am 10. November 2013 dem Amoklauf eines Musikerkollegen zum Opfer fiel und zusammen mit zwei Mitgliedern der Yellow Dogs in ihrem gemeinsamen Haus erschossen wurde.