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Am Ende bleiben die Zedern

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Berlin Verlagerschienen am01.03.2016Auflage
Samir ist auf einer Reise, die Gegenwart und Vergangenheit verbinden soll: Er will endlich die Wahrheit über seinen Vater erfahren, der die Familie vor zwanzig Jahren ohne eine Nachricht verlassen hat. Mit einem rätselhaften Dia und den Erinnerungen an die Geschichten seines Vaters im Gepäck macht der junge Mann sich in den Libanon auf, das Geheimnis zu lüften. Seine Suche führt ihn durch ein noch immer gespaltenes Land, und schon bald scheint Samir nicht mehr nur den Spuren des Vaters zu folgen. Vielmehr ist es, als seien die Figuren aus dessen Geschichten real geworden. Sie bringen Samir einer Lösung näher, die seine kühnsten Vorstellungen übersteigt. Vor dem Hintergrund des dramatischen Schicksals des Nahen Ostens erzählt Pierre Jarawan eine phantasievolle, berührende und wendungsreiche Geschichte über die Suche nach den eigenen Wurzeln.

Pierre Jarawan wurde 1985 als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Amman, Jordanien, geboren, nachdem diese vor dem Bürgerkrieg geflohen waren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. Sein Romandebüt »Am Ende bleiben die Zedern« (2016), für das er Auszeichnungen und Preise erhielt, war ein Sensationserfolg und ist heute, übersetzt in viele Sprachen, ein internationaler Bestseller. Im März 2020 erschien sein lang erwarteter neuer Roman »Ein Lied für die Vermissten«. Pierre Jarawan lebt in München.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSamir ist auf einer Reise, die Gegenwart und Vergangenheit verbinden soll: Er will endlich die Wahrheit über seinen Vater erfahren, der die Familie vor zwanzig Jahren ohne eine Nachricht verlassen hat. Mit einem rätselhaften Dia und den Erinnerungen an die Geschichten seines Vaters im Gepäck macht der junge Mann sich in den Libanon auf, das Geheimnis zu lüften. Seine Suche führt ihn durch ein noch immer gespaltenes Land, und schon bald scheint Samir nicht mehr nur den Spuren des Vaters zu folgen. Vielmehr ist es, als seien die Figuren aus dessen Geschichten real geworden. Sie bringen Samir einer Lösung näher, die seine kühnsten Vorstellungen übersteigt. Vor dem Hintergrund des dramatischen Schicksals des Nahen Ostens erzählt Pierre Jarawan eine phantasievolle, berührende und wendungsreiche Geschichte über die Suche nach den eigenen Wurzeln.

Pierre Jarawan wurde 1985 als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Amman, Jordanien, geboren, nachdem diese vor dem Bürgerkrieg geflohen waren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. Sein Romandebüt »Am Ende bleiben die Zedern« (2016), für das er Auszeichnungen und Preise erhielt, war ein Sensationserfolg und ist heute, übersetzt in viele Sprachen, ein internationaler Bestseller. Im März 2020 erschien sein lang erwarteter neuer Roman »Ein Lied für die Vermissten«. Pierre Jarawan lebt in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783827078650
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum01.03.2016
AuflageAuflage
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2215 Kbytes
Artikel-Nr.1858766
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

1992.

Vater stand auf dem Dach. Oder besser: Er balancierte. Ich stand unten, beschirmte mein Gesicht mit der Hand und sah mit zusammengekniffenen Augen hinauf, wo er sich wie ein Seiltänzer dunkel vom Sommerhimmel abhob. Meine Schwester saß im Gras, wedelte mit einer Pusteblume und schaute zu, wie die kleinen Fallschirme Pirouetten schlugen. Die Beine hatte sie dabei so unnatürlich verrenkt, wie es nur Kleinkinder können.

»Nur noch ein bisschen«, rief unser Vater fröhlich herab und drehte an der Satellitenschüssel, während er breitbeinig das Gleichgewicht hielt. »Passt es jetzt?«

Im ersten Stock steckte Hakim den Kopf aus dem Fenster und rief: »Nein, jetzt sind Koreaner im Fernsehen.«

»Koreaner?«

»Ja, und Pingpong.«

»Pingpong. Und der Kommentar? Auch koreanisch?«

»Nein. Russisch. In deinem Fernseher spielen Koreaner Pingpong, und ein Russe kommentiert das.«

»Was sollen wir mit Pingpong?«, rief Vater.

»Ich glaube, du bist zu weit rechts.«

Mein Kopf war jetzt ebenfalls in einem Pingpongspiel gefangen. Ich verfolgte den Dialog der beiden und ließ meinen Blick immer wieder vom einen zum anderen schweifen. Vater zog einen Schraubenschlüssel aus der Hosentasche und lockerte die Befestigung. Dann holte er den Kompass hervor und drehte die Schüssel weiter nach links.

»Denk dran: 26,0° Ost«, rief Hakim, und sein grauer Kopf verschwand wieder im Wohnzimmer.

Bevor Vater aufs Dach gestiegen war, hatte er es mir genau erklärt. Wir standen auf dem schmalen Grasstreifen vor unserem Haus. Die Leiter lehnte bereits an der Wand. Sonnenstrahlen schimmerten durch die Kirschbaumkrone und erzeugten wundersame Schatten auf dem Asphalt.

»Im Weltraum kreisen Satelliten um die Erde«, sagte er, »mehr als zehntausend Satelliten. Sie zeigen uns, wie das Wetter wird, vermessen die Erde und andere Planeten und Sterne oder sorgen dafür, dass wir fernsehen können. Die meisten von ihnen bieten ziemlich schlechtes Fernsehen. Doch manche haben auch gutes im Angebot. Wir wollen den Satelliten mit dem besten Fernsehen, und der ist ungefähr dort.« Er sah auf den Kompass und drehte ihn so lange in der Hand, bis seine Nadel die 26°-Markierung auf der rechten Seite erreichte. Dann deutete er in den Himmel, und mein Blick folgte seinem Finger.

»Immer?«, wollte ich wissen.

»Immer«, sagte er, bückte sich, strich dabei meiner Schwester über den Kopf und hob zwei Kirschen auf, die im Gras lagen. Die eine aß er. Dann hielt er die andere vor unsere Gesichter und ließ den abgenagten Kern mit spitzen Fingern in einiger Entfernung darum kreisen. »Er dreht sich genauso schnell um die Erde, wie die Erde sich um sich selbst dreht.« Langsam zeichnete er mit dem Kern einen Halbkreis in den Himmel. »Dadurch ist er immer in der gleichen Position.«

Mir gefiel die Vorstellung von außerirdischem Fernsehen. Aber noch mehr gefiel mir die Idee, dass irgendwo dort oben ein Satellit seine Bahnen zog, immer an der gleichen Stelle, immer im gleichen Kreislauf, konstant und verlässlich. Vor allem jetzt, da auch wir unsere feste Position hier gefunden hatten.

»Passt es nun?«, rief Vater wieder vom Dach.

Mein Blick wanderte zum Wohnzimmerfenster, aus dem Hakim sogleich seinen Kopf schob.

»Nicht wirklich.«

»Pingpong?«

»Eishockey«, rief Hakim, »italienischer Kommentator. Ich glaube, du bist zu weit links.«

»Ich glaube, ich spinne«, antwortete Vater.

Inzwischen hatten sich mehrere Männer auf der Straße vor unserem Haus versammelt und reichten sich gegenseitig Pistazien. Auf den Balkonen gegenüber hatten die Frauen aufgehört, ihre Wäsche auf die Leinen zu hängen, und verfolgten das Schauspiel mit in die Hüften gestemmten Armen und amüsierten Mienen.

»Arabsat?«, fragte einer der Männer nach oben.

»Ja.«

»Sehr gutes Fernsehen«, rief ein anderer.

»Ich weiß«, kam es von Vater zurück, während er erneut die Schrauben löste und die Schüssel ein wenig nach rechts bewegte.

»26,0° Ost«, rief einer der Männer.

»Wenn Sie zu weit nach links drehen, kriegen Sie italienisches Fernsehen«, meinte ein anderer.

»Ja, und die Russen sind nicht weit rechts davon, da müssen Sie aufpassen.«

»Die ganze Welt macht Sport, ich sollte auch mehr Sport machen«, kam es von Hakim jetzt ein bisschen verzweifelt, dann verschwand sein Kopf wieder im Wohnzimmer.

»Mein Schwiegervater ist mal vom Dach gefallen, als er eine Katze retten wollte«, sagte ein Mann, der sich soeben zur Runde gesellt hatte. »Der Katze geht´s gut.«

»Soll ich hochkommen und den Kompass halten?«, fragte ein Jüngerer.

»Ja, hilf ihm, Khalil«, riet ihm ein Älterer, vermutlich sein Vater. »Russisches Fernsehen ist grauenhaft - haben Sie mal russische Nachrichten gesehen? Überall nur Jelzin und Panzer und ein Akzent wie ein Unfall!« Dann schob er sich noch eine Pistazie in den Mund und fragte in Richtung des Dachs: »Soll ich den Grill holen? Sieht aus, als bräuchten Sie noch eine Weile.« Es klang eher wie ein Scherz. Die Männer um mich herum lachten. Vater lachte nicht. Er dachte kurz nach und setzte das spitzbübische Lächeln auf, das immer dann seine Lippen umspielte, wenn er merkte, dass ein Plan aufging:

»Ja, mein Lieber, holen Sie den Grill. Wenn ich hier fertig bin, feiern wir ein Fest.« Und dann sah er zu mir herunter: »Samir, Habibi, geh und sag deiner Mutter, sie soll Salat machen. Die Nachbarn kommen zum Essen.«

Das war typisch für ihn. Ein impulsives Erkennen von Situationen, die es auszukosten galt. Wenn das Leben ihm die Möglichkeit bot, aus einem gewöhnlichen Augenblick einen besonderen zu machen, ließ er sich nie zweimal bitten. Meinen Vater umgab stets ein Mantel der Zuversicht. Er verströmte diese ansteckende Heiterkeit, die wie eine Parfumwolke von ihm ausging und jeden in seiner Nähe erfasste. In seinen Augen, die meist tiefbraun waren und manchmal ihre Farbe wechselten, wenn ein sonst kaum merklicher Grünton dazustieß, konnte man das Sichanbahnen seiner lausbübischen Gedanken erkennen, was ihn jedes Mal aussehen ließ, als sei er den Seiten eines Schelmenromans entstiegen. Seine Lippen umspielte stets ein lockeres Lächeln. Auch wenn die Naturgesetze ihm vorschrieben, dass plus und minus minus ergab: Er strich einfach das Negativzeichen, sodass nur ein Plus übrig blieb. Für ihn galten derlei Regeln nicht. Abgesehen von den letzten gemeinsamen Wochen habe ich ihn fast ausschließlich so erlebt: ein fröhlicher Geist, tänzelnd auf den guten Nachrichten des Lebens, während die schlechten nie den Weg in seine Gehörgänge fanden; als verhindere ein einzigartiger Glücksfilter ihr Eindringen in seine Gedanken.

Er hatte auch andere Seiten. Momente, in denen er eines verkörperte: in Stein gemeißelte Gefasstheit wie eine atmende Statue, unerschütterlich. Dann war er nachdenklich, sein Atem ging ruhig und sein Blick tiefer als tausend Wasser. Und er war liebevoll. Stets glitt seine warme Hand durch meine Haare oder über meine Wangen, und wenn er etwas erklärte, hatte seine Stimme den ermutigenden Tonfall unendlicher Geduld. Wie in dem Moment, als er mir auftrug, ins Haus zu gehen, weil er gerade den Entschluss gefasst hatte, ein Fest zu feiern mit Menschen, die er nicht kannte.

Also ging ich hinein und half Mutter beim Gemüseschneiden und Salatwaschen. Das Haus, in das wir gerade eingezogen waren, musste sehr alt sein. Die Treppen hatten faustgroße Dellen und knarrten bei jedem Schritt. Es roch nach nassem Holz und Moder. Im Treppenhaus wellte sich die Tapete. Dunkle wolkenförmige Flecken siedelten auf dem einstigen Weiß, in der Lampenfassung steckte nackt eine Glühbirne, die nicht funktionierte.

Für mich roch es neu. In den Ecken unserer Wohnung standen noch die Kartons vom Umzug, und der Duft frisch gestrichener Wände durchzog die Zimmer wie eine fröhliche Melodie. Alles war sauber. Ein Großteil der Schränke war bereits aufgebaut; vereinzelt lagen noch Schrauben und Werkzeuge herum: eine Bohrmaschine, ein Hammer, Schraubenzieher, Verlängerungskabel, Holzdübel wild durcheinander. In der Küche waren Töpfe, Pfannen und Besteck bereits verstaut. Wir hatten sie sogar poliert, bevor wir sie einräumten, und auch die Kochplatten glänzten. So ein großes, schönes Zuhause hatten wir nie gehabt. Es kam mir vor wie ein verzauberter Palast, etwas morsch von der Zeit, doch mit dem unbestreitbaren Glanz alter Tage versehen. Was noch fehlte waren helle Vorhänge, ein paar Pflanzen und Bilder an den Wänden, von meinen Eltern, meiner Schwester und mir, und ich stellte mir vor, wie sie bald schon dort hängen würden neben der Fernsehwand und ein vergrößertes neben der Wohnzimmertür, das man immer dann sah, wenn man in den Flur hinausging, wo ich jetzt stand.

Ich warf einen kurzen Blick ins Wohnzimmer. Dort saß Hakim vor dem Fernseher, der im Moment nichts anderes zeigte als weißes Rauschen. Er sah mich, lächelte mir zu und hob die Hand zum Gruß. Hakim war der beste Freund meines Vaters. Ich kannte ihn schon mein ganzes Leben und liebte seine Kauzigkeit. Seine Hemden waren stets verknittert, seine Haare standen wirr in alle Richtungen, was ihm das Aussehen eines verlotterten Genies verlieh, das man am liebsten kämmen wollte. Seine neugierigen Augen wanderten aufgeschreckt in ihren Höhlen; ein bisschen wirkte er wie ein Erdmännchen, nur dass er rundlicher daherkam. Hakim zählt zu den liebenswürdigsten Personen, die ich je getroffen habe, immer mit einem offenen Ohr und nie um einen gutgemeinten Rat oder einen Witz verlegen. All diese Facetten seiner Persönlichkeit dominieren meine Erinnerung, trotz der Dinge, die er mir...
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Autor

Pierre Jarawan wurde 1985 als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Amman, Jordanien, geboren, nachdem diese vor dem Bürgerkrieg geflohen waren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Seit 2009 zählt er zu den erfolgreichsten Bühnenpoeten im deutschsprachigen Raum. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. "Am Ende bleiben die Zedern" ist sein Romandebüt, für das er 2015 das Literaturstipendium der Stadt München erhielt. Pierre Jarawan lebt in München. Mehr zum Autor unter pierrejarawan.de.