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Princeton 66

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
223 Seiten
Deutsch
Klett-Cotta Verlagerschienen am20.02.20162. Auflage 2016
Während in Vietnam der Krieg tobt und Mao die Kultur »revolutioniert«, machen sich die wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller und Kritiker auf, um an der amerikanischen Ostküste über Literatur zu diskutieren: Jörg Magenaus kulturgeschichtliches Panorama über das Gastspiel der Gruppe 47 in Princeton. April 1966. Viele sind eingeladen, etwa achtzig machen sich auf die Reise. Unter den Schriftstellern Grass, Lenz und Enzensberger. Unter den Kritikern Höllerer, Mayer und Reich-Ranicki. Die Regeln denkbar einfach: Eine Lesung dauert nicht länger als zwanzig Minuten. Diskussion über das Gehörte. Dann die Wortmeldung eines pilzköpfigen, nahezu schüchternen Mannes, der den Anwesenden »Beschreibunsimpotenz« vorwirft: Über Nacht wurde Peter Handke zum Jungstar der Literatur - und es war nicht zuletzt diese grundsätzliche Kritik, die dazu führte, dass es nur mehr zu einem letzten Treffen der Gruppe 47 kommen sollte. Jörg Magenau zeichnet ein präzises Porträt dieses besonderen Wochenendes im Jahr 1966, das mehr war als nur ein Gipfeltreffen der deutschsprachigen Literatur.

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bei Klett-Cotta erschien die literarische Reportage »Princeton 66« und zuletzt sein erster Roman »Die kanadische Nacht« (2021) .
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextWährend in Vietnam der Krieg tobt und Mao die Kultur »revolutioniert«, machen sich die wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller und Kritiker auf, um an der amerikanischen Ostküste über Literatur zu diskutieren: Jörg Magenaus kulturgeschichtliches Panorama über das Gastspiel der Gruppe 47 in Princeton. April 1966. Viele sind eingeladen, etwa achtzig machen sich auf die Reise. Unter den Schriftstellern Grass, Lenz und Enzensberger. Unter den Kritikern Höllerer, Mayer und Reich-Ranicki. Die Regeln denkbar einfach: Eine Lesung dauert nicht länger als zwanzig Minuten. Diskussion über das Gehörte. Dann die Wortmeldung eines pilzköpfigen, nahezu schüchternen Mannes, der den Anwesenden »Beschreibunsimpotenz« vorwirft: Über Nacht wurde Peter Handke zum Jungstar der Literatur - und es war nicht zuletzt diese grundsätzliche Kritik, die dazu führte, dass es nur mehr zu einem letzten Treffen der Gruppe 47 kommen sollte. Jörg Magenau zeichnet ein präzises Porträt dieses besonderen Wochenendes im Jahr 1966, das mehr war als nur ein Gipfeltreffen der deutschsprachigen Literatur.

Jörg Magenau, geboren 1961 in Ludwigsburg, studierte Philosophie und Germanistik in Berlin. Er ist einer der bekanntesten deutschen Feuilleton-Journalisten und schrieb u. a. Biographien über Christa Wolf, Martin Walser und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bei Klett-Cotta erschien die literarische Reportage »Princeton 66« und zuletzt sein erster Roman »Die kanadische Nacht« (2021) .
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608109474
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum20.02.2016
Auflage2. Auflage 2016
Seiten223 Seiten
SpracheDeutsch
IllustrationenAbbildungen
Artikel-Nr.1862178
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Als es endlich losging, lehnte Hans Werner Richter sich erleichtert zurück. Seine Begrüßungsansprache war wie immer knapp ausgefallen und also kaum bemerkt worden, dann die umständliche Zettelsucherei, für die er berühmt war - wo verkramte er bloß immer seine Notizen? -, und schließlich, nachdem er Rat suchend im Saal herumgeschaut hatte, die wortkarge Ankündigung, die auch schon zum Ritual geworden war: Es liest, Moment, gleich hab ich's, ja, richtig, Walter Jens. Der stieg mit forschem Schritt als erster die Stufe zum Podium hinauf, ein wenig überrascht, so wie ein Hollywood-Schauspieler bei der Oscar-Verleihung überrascht tut, als hätte er damit nun wirklich nicht rechnen können, hielt das zum Zepter gerollte Manuskript aber trotzdem bereits in der Hand und ließ sich vom Saal aus gesehen links des niedrigen Tischchens - Richter saß rechts davon - auf dem Sessel nieder, der intern »elektrischer Stuhl« genannt wurde. Diese frohsinnige Bezeichnung mochte manchem Delinquenten zum Spannungsaufbau dienen; andere durchlitten lustvoll das grausame Ritual ihrer Vernichtung, denn darin besteht das Risiko für alle, die schreiben: Sie wissen es, sie kennen es, und hier setzten sie sich ihm buchstäblich aus. Mit seinen fein geschwungenen und dick gepolsterten Armlehnen, der weich bespannten Sitzfläche, der ornamental umschnörkelten Rückenpolsterung und den allerdings etwas klobig geratenen Beinen wirkte der elektrische Stuhl jedoch eher wie ein Thron, so dass die, die lesend darauf Platz nahmen, sich in Könige verwandelten, wenn sie nur wollten - und wenn es der literarische Fürstenhof ihnen gestattete.

Jens war immer noch so hager, wie sie bei ihrem ersten Treffen im September 1947 alle gewesen waren, als sie in ihren viel zu groß gewordenen Vorkriegsanzügen wie eingeschrumpft wirkten. Wenn das der Effekt der Geschichte gewesen war, dann galt es seither, wieder zuzusetzen und zuzulegen, und das taten sie mit Worten, mit Sprache, mit Lesen und Zuhören, da waren sie unersättlich. Jens strich das widerborstige Haar zurück, das aber gleich wieder in Strähnen nach vorne fiel, entrollte die Papiere, fuchtelte mit seinen Scherenhänden herum, mit denen er die Worte in der Luft zerteilen konnte, sprach kurzatmig und genauso zerstückelt wie er gestikulierte - »Ich lese. Einige kürzere. Passagen. Aus einem Stück« -, so dass die Zuhörer die entstandenen Wortfetzen im eigenen Kopf zusammenfügen und aufpassen mussten, dass sie am Ende des Satzes den Anfang nicht schon vergessen hatten. Dieses syntaktische Geschredder hatte seinen Grund darin, dass Jens Asthmatiker war, doch zugleich handelte es sich um einen rhetorischen Trick, mit dem er das Publikum an der kurzen Wortleine führte. Statt einfach loszulegen, erläuterte er erst einmal die verschiedenen Ebenen seines Dramas, das noch nicht fertig sei, es gehe darin (Atempause) um den Revisionsprozess (Atempause) gegen die Mörder von Rosa Luxemburg. Das war strenggenommen regelwidrig, nicht das Drama, nicht die Luxemburg-Geschichte, nicht die Häckselei, sondern die vorausgeschickte Erklärung. Autoren sollten lesen, und ansonsten sollten sie schweigen.

So lautete Paragraf zwei des ungeschriebenen Gesetzbuches, das sich gerade aufgrund seiner Ungeschriebenheit allgemeiner Geltung erfreute, denn auch Paragraf eins besaß, ohne je schriftlich festgehalten worden zu sein, unumstrittene Gültigkeit, dass nämlich kein anderer als Hans Werner Richter, er allein und ohne irgendjemandem eine Erklärung schuldig zu sein, darüber bestimmte, wer dabei ist, wer liest und ob und wann und wo das nächste Treffen stattfindet. Er feierte jedes Jahr ein Fest und lud sich die Gäste ein, die er dabeihaben wollte. Seine Postkarten waren so knapp wie präzise: Die Gruppe 47 tagt von bis, da und dort, ich lade Sie ein, falls Sie lesen wollen, geben Sie Bescheid, herzliche Grüße. Wenn er eines Tages keine Postkarten mehr verschickte, würde die Gruppe aufhören zu existieren. Er war das Gesetz. Richter richtete. Er allein konnte sich seiner Mitgliedschaft sicher sein. Er entschied über Sein oder Nichtsein der Gruppe und über Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit jedes Einzelnen, sei es, dass er gezielt einzelne Leute vergaß oder behauptete, ihre Adresse verlegt zu haben. Nicht jeden, den er einmal einlud, lud er wieder ein. Es gab kein Gewohnheitsrecht oder vielmehr: nur für manche, die Unverzichtbaren, die alten Freunde. Sein Elend bestand jedoch darin, dass es immer viel mehr waren, die er nicht einlud, als die, die eine Einladung erhielten, so dass er neben Dankbarkeit und Freundschaft unvermeidlich auch Neid, Gekränktheit, Missgunst produzierte. Nicht jeder ließ sich einfach abschütteln oder übersehen. Wolfgang Bächler zum Beispiel konnte nicht verbergen, wie beleidigt er war, als er, verbunden mit dem Hinweis, noch keine Einladung erhalten zu haben, seine Adresse schickte, nur damit Richter nicht die Ausrede habe, die Adresse nicht zu kennen. In seinem recht langen Brief versprach er, sich kurz zu fassen, damit Richter nicht sagen könne, der Brief sei zu lang, als dass ein mit so vielen Partys viel beschäftigter Mann ihn lesen könne oder zu unleserlich, um ihn zu entziffern. Eingeladen wurde Bächler aber trotzdem nicht.

Herbergsvater nannten sie ihn oder Spiritus Rector. Richter ließ sich gerne so nennen. Er war der aufgeklärte Despot, wie ihn sich auch Demokraten insgeheim wünschen, ein Mann mit buschigen Augenbrauen, nicht konservativ gekleidet, aber auch nicht sportlich, nicht unbedingt dick, aber auch nicht dünn, vielleicht ein wenig schlicht, aber von in sich ruhender Art und ausgestattet mit einer schwer zu erklärenden Autorität, so dass er nur ein paar Mal in die Hände klatschen musste, und schon kamen alle in den Saal und setzen sich, und wenn er um Ruhe bat, dann war auch Ruhe. Er war ungefähr das, was Sepp Herberger für die Fußball-Nationalmannschaft gewesen war. Aber der war 1964, nach der ersten Saison der neuen Bundesliga, zurückgetreten und durch Helmut Schön abgelöst worden. Die Wirtschaftswunder-Wiederaufbau-Ära ging zu Ende, doch für Richter gab es keinen Nachfolger. Richter sei, so Hans Mayer, das exakte Gegenteil eines Stefan George, der ja ebenfalls einen Kreis um sich geschart hatte. Doch Richter tat das nicht als anzubetender Dichterfürst und nicht als Genie, er war kein Zentralgestirn, um das die Jünger kreisten, und statt des hohen Tons kultivierte er pragmatische Nüchternheit.

Fünf Monate waren verstrichen, seit er am 27. November 1965 in die USA gekabelt hatte, dass er die Einladung der Gruppe 47 nach Princeton annehme. Damit hatten die Schwierigkeiten begonnen, oder vielmehr: Ab da wurden sie öffentlich, denn schon in den Monaten zuvor hatte es ein unerträgliches Hin und Her gegeben, Bedenken aus allen Richtungen, vor allem aber deshalb, ob Einmischungen von Bonn und Washington auszuschließen wären und die Reise, wenn man sich denn dafür entscheide, ohne offiziellen Anstrich über die Bühne gehen könnte. Sicherheitshalber, um sich nicht gleich auf eine der Weltmächte festzulegen, hatte er die Alternative Moskau ins Spiel gebracht, aber nur, um sie rasch wieder zu verwerfen. Inzwischen war Richter es leid, reihum als Fußabtreter benutzt zu werden, falscher Ort, falsches Land, falscher Termin, falsche Teilnehmer, und überhaupt und grundsätzlich diese Auslandssache als Gegenstand fortgesetzter Querelen. Dabei verschaffte er all diesen Unzufriedenen und notorischen Nörglern doch die Plattform, nach der sie gierten. Alles stammte von ihm: Konzeption und Methode, Spielregeln und Name. Und auch wenn er den Begriff »Gruppe 47« nicht selbst erfunden hatte - der stammte von dem früh verstorbenen Hamburger Sartre-Übersetzer Hans Georg Brenner -, so hatte er ihn immerhin gutgeheißen. Dankbarkeit zu erwarten, hatte er schon lange aufgegeben, obwohl er seine eigene Schriftstellerexistenz Jahr für Jahr zurückstellte. Wenn er, wie im Vorjahr, Satiren mit dem schönen Titel Menschen in freundlicher Umgebung vorlegte, dann schrieb darüber kein Mensch. Die Gruppe galt als sein Hauptwerk, ihn selbst nahmen sie bloß als freundliche Umgebung, als freundlichen Menschen wahr.


Hörte überhaupt jemand zu? Walter Jens, der Wortzerteiler aus Tübingen, als Erster auf dem elektrischen Stuhl.


Einen Bienenschwarm einzufangen war nichts gegen die Aufgabe, achtzig deutsche Schriftsteller unter einen Hut zu bringen, und sei es nur für drei Tage. Das...
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