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Die Köchin von Bob Dylan

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am11.03.20161. Auflage
Über Bob Dylan, eine junge Frau und ein unglaubliches Doppelleben. Markus Berges erzählt von der Freiheit zu sein, wer man will. Jasmin Nickenig fängt als Tourköchin bei Bob Dylan an. Ihr erster Einsatz: die Ukraine, woher ein Teil ihrer wie auch Dylans Familie stammt. Alles beginnt mit ruhigen Tagen auf der Krim - für Jasmin auch Tage der Bewährung. Kaum angekommen, erhält sie jedoch einen Anruf: Ein alter Mann aus Odessa behauptet, er heiße in Wahrheit Florentinius Malsam - wie Jasmins 1944 verschollener Großvater. Dieser, Sohn schwarzmeerdeutscher Bauern, erlebte eine gefährliche Kindheit und Jugend zwischen Hitler und Stalin, bevor der Krieg seine junge Familie auseinanderriss. Verwirrt besichtigt Jasmin am selben Tag - allein mit ihrem berühmten Arbeitgeber - die Villa Anton Tschechows in Jalta. Dylan schickt sie los, der Sache auf den Grund zu gehen. Jasmin begibt sich auf eine abenteuerliche Reise nach Odessa und hinein in ganz fremde familiäre und historische Verhältnisse. Schließlich trifft sie auf einen alten Mann und seine unglaubliche Geschichte ... Markus Berges erzählt von verschlungenen Lebenswegen und von den Lücken, die der Teufel lässt. Ein wunderbarer Roman über die verschiedenen Arten der Freiheit - und über die Schrullen von Bob Dylan.

Markus Berges, geboren 1966 in Telgte, studierte Germanistik und Geschichte. Als Sänger und Songschreiber der Band «Erdmöbel» wurde er als «großer zeitgenössischer Lyriker» (taz) und Erzähler «wie traumverloren dahingeraunter Geschichten» (Die Zeit) bezeichnet. «Erdmöbel» veröffentlichten bislang vierzehn Alben, zuletzt «guten morgen, ragazzi». Markus Berges erster Roman, «Ein langer Brief an September Nowak», erschien 2010, sein zweiter, «Die Köchin von Bob Dylan», 2016. Markus Berges lebt mit seiner Familie in Köln.
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Produkt

KlappentextÜber Bob Dylan, eine junge Frau und ein unglaubliches Doppelleben. Markus Berges erzählt von der Freiheit zu sein, wer man will. Jasmin Nickenig fängt als Tourköchin bei Bob Dylan an. Ihr erster Einsatz: die Ukraine, woher ein Teil ihrer wie auch Dylans Familie stammt. Alles beginnt mit ruhigen Tagen auf der Krim - für Jasmin auch Tage der Bewährung. Kaum angekommen, erhält sie jedoch einen Anruf: Ein alter Mann aus Odessa behauptet, er heiße in Wahrheit Florentinius Malsam - wie Jasmins 1944 verschollener Großvater. Dieser, Sohn schwarzmeerdeutscher Bauern, erlebte eine gefährliche Kindheit und Jugend zwischen Hitler und Stalin, bevor der Krieg seine junge Familie auseinanderriss. Verwirrt besichtigt Jasmin am selben Tag - allein mit ihrem berühmten Arbeitgeber - die Villa Anton Tschechows in Jalta. Dylan schickt sie los, der Sache auf den Grund zu gehen. Jasmin begibt sich auf eine abenteuerliche Reise nach Odessa und hinein in ganz fremde familiäre und historische Verhältnisse. Schließlich trifft sie auf einen alten Mann und seine unglaubliche Geschichte ... Markus Berges erzählt von verschlungenen Lebenswegen und von den Lücken, die der Teufel lässt. Ein wunderbarer Roman über die verschiedenen Arten der Freiheit - und über die Schrullen von Bob Dylan.

Markus Berges, geboren 1966 in Telgte, studierte Germanistik und Geschichte. Als Sänger und Songschreiber der Band «Erdmöbel» wurde er als «großer zeitgenössischer Lyriker» (taz) und Erzähler «wie traumverloren dahingeraunter Geschichten» (Die Zeit) bezeichnet. «Erdmöbel» veröffentlichten bislang vierzehn Alben, zuletzt «guten morgen, ragazzi». Markus Berges erster Roman, «Ein langer Brief an September Nowak», erschien 2010, sein zweiter, «Die Köchin von Bob Dylan», 2016. Markus Berges lebt mit seiner Familie in Köln.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644123717
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum11.03.2016
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse919 Kbytes
Artikel-Nr.1863452
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Hinke

prolog


Es ging ein Schneewind. Als sie hinaustrat durch das Tor, konnte man für einen Moment noch das Grün ihres Kopftuchs sehen. Niemand war auf der Straße. Um die Ecken heulte es. Der Wind hatte sich auf den Weg gemacht, über Steppen und Felder, und verschwendete sich nun in den Fängen von Helenenfeld. Die weißen Häuser wurden grau, auch die Gartenmauern, der Schnee von gestern auf den Akazien, die Hügel hinter den Höfen. In den Häusern entzündete man die Petroleumlampen.

Sie machte kleine, selbstverständliche Schritte. Die Nachbarin war ihr noch immer das Geld für die Butter schuldig. Auch Rochus´ Fenster leuchteten. Seine Frau hatte im Herbst, als ihnen der Sohn, siebenjährig, ertrunken war, im Kummer auch noch ihr Ungeborenes verloren. Im Haus, wo der neue Lehrer wohnte, stand im Fenster ein Schatten. Er sei ein Roter, hieß es, obwohl er ein Unsriger war.

Sie verschnaufte am Tor ihrer Tante. Auf der Gartenmauer eine Kappe aus Schnee. Sie dachte an Wassermelonen im ewigen Sommer, Melone in großen Stücken. Als sie klein war, hatte die Tante sie immer mit dem Melonenteller auf die Mauer gesetzt, sich selbst daneben, und beide hatten sie die Kerne ausgespuckt, die man eigentlich hinunterschluckte in Helenenfeld.

Vor der Schule war der Altschnee von den Schülern verwüstet. Dann die Kirche, stolz und dunkel. Sie bekreuzigte sich. Als sie endlich das Haus ihres Schwiegersohns erreicht hatte, war es Nacht. Man hätte ohne das Schneelicht die Hand vor Augen nicht gesehen. Sie trat in den Windfang, öffnete die Tür zur Küche, ohne anzuklopfen.

«Mutter!» Ihre Tochter sprang auf. «Ihr tragt den ganzen Schnee herein.» Die Tochter nahm ihr das Kopftuch ab, riss ihr den Mantel von den Schultern und klopfte ihn im Windfang aus.

«Erst mal wünscht man einen guten Abend.»

Alle schauten sie an und grüßten wie aus einem Mund. Sie saßen bei Brot und Speck.

Eher hätte sie sich die Zunge abgebissen als zugegeben, dass der Hunger sie hergetrieben hatte. «Man wird die Enkelchen besuchen dürfen!»

Der Schwiegersohn stand auf. «Setzt Euch.»

Er stellte ihr ein Weinglas hin. Die Kinder rückten zusammen, blieben still. Ihre Tochter deckte Teller und Messer. «Habt Ihr schon gegessen?»

«Schnee, Schnee, Schnee», antwortete sie. «Florentinius! Florelle! Florellele, komm zur Großmutter.»

Sofort krabbelte der Junge los, hinweg über die Schöße seiner älteren Schwestern, der Zwillinge, die stöhnten, als wäre es ihnen unangenehm, gleichzeitig aber strichen sie zärtlich über seinen Rücken.

Sie drückte den Enkel wie einen Schild an sich. Sie griff nach dem Weinglas, und noch einmal, schon war es leer.

Ihre Tochter schnitt eine Scheibe Brot vom Laib.

Florentinius auf ihrem Schoß rumorte.

«Großmutter, kitzelt mich!»

«Regen-Regentropfen», krächzte sie,

«die Buben muss man klopfen,

die Mädchen muss man schonen

wie die Ziteronen.»

Sie versuchte, ihn übers Knie zu legen, aber Florentinius wehrte sich mit Händen und Füßen, und sie griff ihm in die Seiten, in die kleinen Achseln, bis er quiekte.

Jetzt biss sie ab vom frischen Brot, stolz auf ihre Zähne. Die Zwillinge begannen ein kompliziertes Spiel mit den Fingern, klatschten einander die Hände. Speck kam, Wein wurde nachgeschenkt. Die Tochter schnitt wieder Brot, schlug nach den Zwillingen, verbat sich mit Wutaugen solches Klatschen bei Tisch.

«Seid Ihr satt, Mutter?»

Sie aß und trank in aller Ruhe.

Die Tochter und die Enkelinnen erledigten den Abwasch. Der Schwiegersohn war im Stall. Sie blieb sitzen. Florentinius kam mit seinen Zinnsoldaten. Besonders liebte er die Militärkapelle, die er aufbaute in frei phantasierter, dennoch unabänderlicher Reihenfolge. Sie hatte die Namen einiger Instrumente erst lernen müssen. Die Stange mit Horn und Glocke, die hieß Klingelbaum.

«Schellenbaum, Großmutter!»

Als der Vater zurückkam, flatterten die Kinder in Nachthemden umher. Sie bespritzten sich am Becken mit Wasser, während er am Tisch rauchte.

«Gute Nacht, Vater. Gute Nacht, Mutter.»

Alle drei verschwanden in der großen Stube, es rauschte in den Nachttopf, dann kehrte überraschend plötzlich Stille ein. Man hörte nur den Ofen, sein unsichtbares Feuer. Der Schwiegersohn schloss die Augen. Die Tochter lächelte.

Ja, sie war satt. Seufzend erhob sie sich, wie es einer Großmutter zukam, vom Tag zerschlagen. Dabei hatte sie von früh bis spät nur wie ein Huhn in der klammen Kammer gehockt, wie ein Huhn im Sack.

Sie folgte den Kindern in die große Stube, zog dort den Schemel hervor und schleppte ihn vor das Fußende des Bettes. Hier, in der Ofennische, war es warm, dennoch schlurfte sie zum Kanapee und holte die Wolldecke. Schließlich nahm sie auf dem Schemel Platz, ächzend. Jetzt wandte sie sich dem geschlossenen Vorhang zu, seinen Tannen und Zapfen und Zweigen, eingestickt wie Spinnweben, den strahlenäugigen Katzen zwischen gelben Monden, einem Muster, ihr vertraut wie den Kindern, die sich dahinter bemühten, stiller zu sein als die Toten. Als sie den Vorhang beiseitezog, lagen sie mit roten Wangen und offenen Augen da, waren trotz der Ofenhitze unter die Decken gekrochen. Florentinius tauchte zuerst auf, strahlend. Dann strampelten sich auch die Zwillinge frei.

«So brave Kinder hab ich mein Lebtag nicht gesehen», begann sie, «ich dacht schon, euch hätt der Teufel geholt. Habt ihr seinen Huf schleifen gehört?» Sie scharrte mit dem Schuh.

«Großmutter!»

«Aber ab morgen geht´s auf die Stummenschule!»

«Was ist die Stummenschule?», fragte Florentinius.

Sie klappte lautlos den Mund auf und zu, zeigte hierhin und dorthin, ballte die Faust, bekreuzigte sich.

«Dort lernt man Stummensprache», erklärten die Mädchen.

Sie fuhr gestikulierend fort, winkte wie zum Abschied und schickte sich an, den Vorhang wieder zuzuziehen.

«Großmutter!»

Der Junge war sofort am Vorhang, riss ihn wieder auf.

«Wen der Teufel verschonen tut, den verschon ich noch lange nicht.» Sie packte ihn, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

«Erzählt!», verlangten die Zwillinge.

«Böse Wölfe!», rief Florentinius.

«Böse Wölfe, Florelle? Wär denn je einer zu uns lieb gewesen?» Sie heulte wie ein Wolf. «Ich hab lang keinen gesehen und nicht gehört und tu´s nicht missen. Sogar die Wölfe, glaub ich, sind aufgefressen. Aber wo ich Kind war, an so einem Abend, wo statt dem Frühling der Schnee anklopft und noch die Hunde sind zu traurig zum Jaulen, da sind früher die Wölfe gekommen. Huuuuu! So hast du sie gehört. Erst von ganz fern, dann von nebenan, und dann war´s still. Ganz still. Und wir Kinder haben gewusst, dass sie gekommen waren, auf leisen Pfoten, näher und näher, bis vor unsere Tür. Und auf einmal heulten sie. Als täten sie reinkommen wollen auf einen Teller Borschtsch. Ist aber der Vater hinaus mit der Flinte, um die Gäste zu begrüßen, ist nichts zu sehen gewesen und nichts zu hören und nichts zu schießen.»

«Die Muhme!», sagte eines der Mädchen.

«Wieder von der Muhme?», fragte sie.

«Und von den Wölfen!»

«Ist´s nicht zu fürchterlich fürs Fischchen?»

«Bitte!»

«Aber sagt´s nicht dem Vater», begann sie. «Ihr kennt die Muhme. Oft hab ich euch von ihr erzählt. Sie ist gar nicht lang tot. Ich kann nicht sagen wie ... aber schon als junge Frau ist sie immer eine von den Ahnen gewesen. Ihre Großeltern, hat die Muhme gesagt, sind selbst noch von Ulm die Donau runtergekommen, in Schachteln, hat sie gesagt. Mich hat die Muhme meine ersten Jahre gehalten wie eine Älteste. Meine Mama war ja gestorben bei meiner Geburt, und da hat mich der Vater hergeben müssen. Ich hab Mutter gesagt zur Muhme. Neun Jahre alt bin ich gewesen, als mein Vater eure Urgroßmutter geheiratet hat und mich zurückgenommen. Die Muhme war noch eine junge Frau, da sind schon Kranke zu ihr gekommen, und sie hat ihre Gichtfinger besprochen oder mit was sie kamen gekrochen.

Der Muhme gab man keine Widerworte. Wenn ich´s getan hab, hat sie mich knien lassen. Auf Erbsen. Keine acht war ich, als sie ihr erstes Kind bekam. Von dieser Nacht erinnere ich mich noch an alles.

Ihr Mann, der Onkel Viktor, ist vielleicht gerade in Geschäften gewesen. Er war nicht da jedenfalls, als man ihn brauchte. Die Muhme ist den ganzen Nachmittag im Bett gelegen. Als es dunkel wurde, musste ich zum Nachbarn. Der russische Knecht sollte kommen mit einem Pferdeschlitten und sie nach Elsass fahren.

Was sie denn wollte in Elsass, in der Nacht, hab ich gefragt.

Wirst sehn , sagte sie. Gleich holst vom Hühnerstall einen Käfig, dann fängst bei den Schweinen das Ferkel und steckst es hinein. Sie sah es mir gleich an. Es war mein Ferkel.

Keine Angst , sagte sie, es fährt mit uns, und wir fahren´s auch wieder heim.

Mein Schweinchen, das hinkende, kleinste, das hatten wir weggesperrt vom Wurf. Schwächling , sagte die Muhme. Und ich zog´s mit der Flasche auf. Hinke hatte ich´s genannt.

Ich ging hinaus ohne Widerworte. Tagelang hatte es geschneit. Hinke ließ sich ohne Mühe fangen, aber nicht so leicht in den Hühnerkäfig sperren. Als ich zurückkam, stand die Muhme schon vorm Haus, mit Tasche und Decken. Der russische Knecht war vorgefahren. Sie legte mir einen Schal um den Kragen und zog mir die Mütze fest. Hinkes Käfig schob sie unter meine Bank. Es wurde also schnell dunkel um ihn, als wir losfuhren, unter unseren Decken. Und bald war es auch ganz still um uns, im tiefen Schnee hinterm Dorf, still bis auf dem Knecht sein Schnalzen und...
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Markus Berges, geboren 1966 in Telgte, studierte Germanistik und Geschichte. Als Sänger und Songschreiber der Band «Erdmöbel» wurde er als «großer zeitgenössischer Lyriker» (taz) und Erzähler «wie traumverloren dahingeraunter Geschichten» (Die Zeit) bezeichnet. «Erdmöbel» veröffentlichten bislang vierzehn Alben, zuletzt «guten morgen, ragazzi». Markus Berges erster Roman, «Ein langer Brief an September Nowak», erschien 2010, sein zweiter, «Die Köchin von Bob Dylan», 2016. Markus Berges lebt mit seiner Familie in Köln.