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Nationalstraße

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am29.02.2016
Frieden ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen
Vandam war einer von denen, die es losgetreten haben am 17. November 1989, als unten in der Prager Altstadt auf der Nationalstraße die samtene Revolution ins Rollen kam, die einige Wochen später das kommunistische Regime hinwegfegte. Damals war Vandam ein junger Polizist, ein Vorstadt-Held oben in der Plattenbausiedlung des neuen Prag, die dem Wald abgetrotzt mitten in rauer Natur liegt. Dort oben haben sie als kleine Jungs heimlich Krieg gespielt, dort hat Vandam nach seinem Vater gesucht, wenn der wieder einmal angedroht hatte, er würde sich erhängen, bis er am Ende doch übers Balkongeländer sprang.
Fünfundzwanzig Jahre später wohnt Vandam immer noch in der Plattenbausiedlung seiner Kindheit. Längst ist er kein Held mehr, sondern ein Verlierer: Wegen Gewaltexzessen aus dem Polizeidienst entfernt, prügelt er sich als einsamer Schläger durch Tage und Nächte und hebt im Fußballstadion regelmäßig die rechte Hand zum Hitlergruß. »Ich bin ein Römer. Kein Nazi. Warum sollte man in Europa nicht mit dem römischen Gruß grüßen dürfen? Ich bin ein Europäer. Ihr etwa nicht? Heil dem Volk! Heil Europa! Neger raus. Zigos raus. Sozialschmarotzer raus. Schwuchteln raus. Böhmen den Tschechen.«
Gekonnt schlüpft Jaroslav Rudi? in diesem brillanten Monolog in den Kopf und den Körper eines Schlägers: »Da wird mir das alles zu viel, meine Hand zuckt schon wieder, mein Herz pocht, ich spüre, wie sich alles in mir staut, wie es raus will, wie mein ganzer Körper kribbelt. Ich atme tief ein und aus, zum Schluss habe ich mich wieder.« Rudi? Buch gleicht einem Schlag in die Magengrube - und basiert auf einer realen Figur.

Jaroslav Rudi?, geboren 1972, ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker. Er studierte Deutsch und Geschichte in Liberec, Zürich und Berlin und arbeitete u.a. als Lehrer und Journalist. Im Luchterhand Literaturverlag erschienen seine aus dem Tschechischen übersetzten Romane »Grand Hotel«, »Die Stille in Prag«, »Vom Ende des Punks in Helsinki« und »Nationalstraße«, bei btb außerdem »Der Himmel unter Berlin«. »Winterbergs letzte Reise«, der erste Roman, den Jaroslav Rudi? auf Deutsch geschrieben hat, wurde 2019 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Für sein Werk wurde er außerdem mit dem Usedomer Literaturpreis, dem Preis der Literaturhäuser sowie dem Chamisso-Preis/Hellerau ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextFrieden ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen
Vandam war einer von denen, die es losgetreten haben am 17. November 1989, als unten in der Prager Altstadt auf der Nationalstraße die samtene Revolution ins Rollen kam, die einige Wochen später das kommunistische Regime hinwegfegte. Damals war Vandam ein junger Polizist, ein Vorstadt-Held oben in der Plattenbausiedlung des neuen Prag, die dem Wald abgetrotzt mitten in rauer Natur liegt. Dort oben haben sie als kleine Jungs heimlich Krieg gespielt, dort hat Vandam nach seinem Vater gesucht, wenn der wieder einmal angedroht hatte, er würde sich erhängen, bis er am Ende doch übers Balkongeländer sprang.
Fünfundzwanzig Jahre später wohnt Vandam immer noch in der Plattenbausiedlung seiner Kindheit. Längst ist er kein Held mehr, sondern ein Verlierer: Wegen Gewaltexzessen aus dem Polizeidienst entfernt, prügelt er sich als einsamer Schläger durch Tage und Nächte und hebt im Fußballstadion regelmäßig die rechte Hand zum Hitlergruß. »Ich bin ein Römer. Kein Nazi. Warum sollte man in Europa nicht mit dem römischen Gruß grüßen dürfen? Ich bin ein Europäer. Ihr etwa nicht? Heil dem Volk! Heil Europa! Neger raus. Zigos raus. Sozialschmarotzer raus. Schwuchteln raus. Böhmen den Tschechen.«
Gekonnt schlüpft Jaroslav Rudi? in diesem brillanten Monolog in den Kopf und den Körper eines Schlägers: »Da wird mir das alles zu viel, meine Hand zuckt schon wieder, mein Herz pocht, ich spüre, wie sich alles in mir staut, wie es raus will, wie mein ganzer Körper kribbelt. Ich atme tief ein und aus, zum Schluss habe ich mich wieder.« Rudi? Buch gleicht einem Schlag in die Magengrube - und basiert auf einer realen Figur.

Jaroslav Rudi?, geboren 1972, ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker. Er studierte Deutsch und Geschichte in Liberec, Zürich und Berlin und arbeitete u.a. als Lehrer und Journalist. Im Luchterhand Literaturverlag erschienen seine aus dem Tschechischen übersetzten Romane »Grand Hotel«, »Die Stille in Prag«, »Vom Ende des Punks in Helsinki« und »Nationalstraße«, bei btb außerdem »Der Himmel unter Berlin«. »Winterbergs letzte Reise«, der erste Roman, den Jaroslav Rudi? auf Deutsch geschrieben hat, wurde 2019 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Für sein Werk wurde er außerdem mit dem Usedomer Literaturpreis, dem Preis der Literaturhäuser sowie dem Chamisso-Preis/Hellerau ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641164072
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum29.02.2016
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2346 Kbytes
Artikel-Nr.1867374
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


III

Man nennt mich Vandam.

Man nennt mich so, weil ich wie er zweihundert Liegestütze am Stück mache.

Wie viele schaffst du am Tag?

Du brauchst mir keine Zahl nennen, wenn du nicht willst. Aber wissen musst du sie.

Du solltest gerüstet sein.

Du solltest trainieren.

Du solltest nicht auf andere hören.

Hör immer nur auf dich selbst. Auf deinen Bauch. Nicht auf den Kopf. Bauch, hab ich gesagt.

Und jetzt hör mir zu.

Sie labern dich voll, von wegen du lebst im Frieden.

Sie labern dich voll, von wegen Kriege gibt es nur am anderen Ende der Welt, ganz weit weg, wenn nicht gar auf ´nem anderen Planeten.

Sie labern dich voll, du hast mit deinem böhmischen Kessel das Superlos gezogen. Hier herrschen Frieden und Ruhe. Krieg gibt´s höchstens in deinem Bauch, wenn du deinem Schweinebraten mit Knödeln und Sauerkraut ein paar Biere hinterher schickst, dann donnert´s in deinem Gedärm wie damals vor Stalingrad.

Sie labern dich voll, von wegen du sollst glücklich sein.

Sie labern dich voll, du sollst dankbar sein.

Sie labern dich voll, du sollst ihnen deine Stimme geben.

Sie labern dich voll, sie meinen es gut mit dir.

Sie labern dich voll, von wegen du hast Rechte.

Sie labern dich voll, Darlehen, Hypotheken, Kredite sind für dich das Beste.

Sie labern dich voll, du sollst kaufen und dich kaufen lassen.

Sie labern dich voll, du sollst lächelnd und beschwingt und sorglos und achtsam und liebevoll durchs Leben gehen.

Sie labern dich voll, du darfst über Politik schimpfen, mehr aber nicht.

Sie labern dich voll, von wegen jeder macht mal Fehler.

Sie labern dich voll, sie meinen es nur gut mit dir.

Sie labern dich voll, sie sind immer für dich da.

Sie labern dich voll, du sollst glücklich sein.

Sie labern dich voll, ein Kredit löst alle deine Probleme.

Sie labern dich voll, ohne Schulden bist du nichts. Erst wenn du Schulden hast, ist dir dein Platz unter der Sonne sicher.

Sie labern dich voll, du sollst sie in Ruhe lassen, dann lassen sie dich auch in Ruhe.

Sie labern dich voll, das Allgemeinwohl erreicht man nur durch unbezahlbare Protzbauten.

Sie labern dich voll, wahre Freiheit und Demokratie sind nur so zu kriegen.

Sie labern dich voll, Kapitalismus heißt Freiheit plus Demokratie.

Sie labern dich voll, es gibt keine Alternative zum Jetzt.

Sie labern dich voll, wenn etwas den Bach runtergeht, stopft der Rest der Besatzung das Leck und bringt das Boot ins Gleichgewicht. Geld lässt sich nachdrucken, also ruhig Blut. Alles wird gut.

Sie labern dich voll, du sollst zufrieden sein.

Bloß ich weiß, wie der Hase läuft.

Ich kann dir sagen, wie das Leben läuft.

Politik ist nur ein Spiel, wo im Hintergrund Schatten an Strippen ziehen, Bonzen, die für teures Geld Kennzeichen mit 1111 und 6666 und 1010 an ihre Wagen schrauben lassen.

Diese Schatten entscheiden alles, nicht die Politiker. Das ist schon immer so gewesen.

Ich weiß, der Krieg existiert. Jeder trägt ihn in sich, seit Anbeginn der Zeit. Geschichte der Menschheit ist nichts anderes als Geschichte von Kriegen, Schlachten, Eroberungen und Niederlagen. Wie das Zusammenleben mit Weibern. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich kann dir sagen, wie das Leben läuft. In jedem von uns marschieren zukünftige Soldaten, zukünftige Feldherrn mit stolzgeschwellter Brust, zukünftige Leichen. Frieden ist eine Illusion, wir befinden uns im permanenten Krieg.

Im Warten auf einen Krieg.

In einer Pause zwischen zwei Kriegen.

Hier hat sich der Frieden nie lange gehalten.

In dieser Gegend gibt es immer einen, der es hier platt walzen will.

Wir lassen uns immer platt walzen.

Vielleicht ist es eine Überlebensstrategie.

Vielleicht aber auch nicht.

Frieden ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen.

Meine Großmutter hat immer gesagt: Iss, mein Junge, schlag dir ordentlich den Bauch voll, wenn der nächste Krieg kommt, sind die Dicken dünn und die Dünnen tot. Und sie hatte recht. Dann sagte sie noch: Frieden ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen.

Also musst du gerüstet sein.

Du musst stark sein.

Du musst trainieren.

Wer nicht gerüstet ist, für den ist es aus.

Ja, ich bin ein Krieger. Ein Krieger, der Frieden stiftet!

An meinen Fingern klebt nicht Blut, sondern Farbe.

Jedem großen Krieger geht es um Frieden, den will er bewahren, und wenn es nicht hinhaut, wenn es anders ausgeht, ist es nicht seine Schuld gewesen, da ist bloß ein dummer Umstand auf einen blöden Zufall geraten.

Man sagt, wenn du Frieden suchst, bereite dich auf den Krieg vor. Das ist richtig.

Wenn du es wissen willst, sind an einem Krieg vor allem die schuldig, die ständig nur zurückweichen und sich entschuldigen und beten und sich entschuldigen und noch einen Schritt zurück weichen. Bis es auf einmal keinen Platz mehr gibt, auf den man zurückweichen könnte.

Nichts auf dieser Welt hätte ich lieber als ewigen Frieden. Aber allem guten Willen zum Trotz darf man die Realität nicht vergessen. Der Weg zum ewigen Frieden ist noch lang. Ich weiß das, weil ich scharfe Augen hab. Wie ein Spürhund nehme ich jede Fährte auf, kann Signale lesen und ohne Hilfe den Nordpol finden, wohl das einzig Brauchbare, was man mir im Pionierverband beigebracht hat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich meine nur, dass ich am liebsten mit jedem Menschen Frieden schließen möchte, am meisten dann mit mir selbst, weil das ist das A und O von allem, schreib dir das hinter die Ohren. Willst du etwas zum Besseren ändern, fang bei dir selbst an. Komm mit dir selbst ins Reine. Schließe den berühmt-berüchtigten Westfälischen Frieden mit dir, den Frieden, der einst Europa gerettet hat.

Vorübergehend.

Also trainiere.

Konzentrier dich, geh in dich.

Einatmen.

Ausatmen.

Zack.

Zack.

Ich bin mit mir im Reinen, hab schon den Westfälischen Frieden mit mir geschlossen, hab meine Erfahrungen gemacht, ich weiß, wie das Leben läuft.

Nein, hör auf damit!

Sag das nicht!

Ich bin kein Nazi.

Das ist kein Blut.

Das ist Farbe.

Ich bin doch ein Römer. Ein Europäer. Das ist mein Glaubensbekenntnis. Ich glaube an Ideale. An Kultur. Marsch auf Rom! Wir alle sind doch Römer. Aber ich bin vor allem ich, Vandam, ich weiß, wie das Leben läuft, kenn jede Schlacht der Welt.

Jede verlorene Schlacht.

Jede gewonnene Schlacht.

Auf die Perspektive kommt es an. Darauf, auf welcher Seite der Barrikade du stehst.

Du kannst gewinnen.

Du kannst verlieren.

Aber du musst dabei sein, anders geht es nicht.

Ich weiß, wie es im September des Jahres 9 im Teutoburger Wald drunter und drüber ging.

Ich weiß, wie es im Mai 1434 in der Schlacht bei Lipan zuging, als die Hussiten hopsgingen.

Im November 1620 auf dem Weißen Berg.

Im Dezember 1805 bei Austerlitz.

Im Juli 1866 bei Königgrätz.

1916, fast das ganze lange Jahr, bei Verdun.

Im Juli 1917 bei Zborov.

Im Winter 1942/43 bei Stalingrad.

Im Juni 1944 in der Normandie.

Im April und Mai 1945 bei Berlin.

Im August 1968 in Prag.

Danach in Vietnam.

Später in Afghanistan.

Im November 1989 wieder in Prag.

Und im September 2001 in New York.

Bagdad im Frühjahr.

Normandie im Sommer.

New York im Herbst.

Stalingrad im Winter.

Die vier Jahreszeiten der Kriege.

Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich bei jedem Feldzug dabei gewesen, als hätte ich überall meine Finger ins Blut getunkt. Du hältst mich vielleicht für einen Spinner, Junge. Aber die Menschheit ist ein einziger großer Krieger. Vielleicht bist auch du dabei gewesen.

Quatsch? Hast du wirklich Quatsch gesagt, Junge?

Dann frage ich dich: Warst du schon mal bei uns im Wald?

Hast du die Bäume gesehen, wie sie aus dem Boden drängen, immer wieder und immer höher?

Die gespenstischen tausendjährigen Eichen?

Hast du mal versucht, ein Nickerchen unter ihnen zu machen?

Ging nicht, was?

Und hast du den schönsten Baum von unserem Wald gesehen? Die alte Ulme?

Die einzige Ulme weit und breit, die mitten in unserem Wald steht, wie ein Tor ins Anderswo.

Das kommt nicht von ungefähr, das sag ich dir.

Wusstest du, dass die Ulme der Baum des Todes ist?

Wusstest du, dass sich die Vögel in jedem Baum ein Nest bauen, nur in einer Ulme nicht? Um die machen sie einen Bogen.

Wusstest du, dass man unter der Rinde einer Ulme nie Würmer findet?

Wusstest du, dass dich ein starker Sud aus Ulmenlaub in eine andere Welt torpediert?

Wusstest du, dass die Germanenkrieger unter jeder Ulme, auf die sie im Wald gestoßen waren, Opfer darbrachten?

Wusstest du, dass nachdem die Germanen im Teutoburger Wald die Römer hingemäht hatten, sie unter ihrer heiligen Ulme auch alle gefangenen Frauen und Kinder geopfert haben?

Wusstest du, dass sie seelenruhig jeden Baum gefällt und zu Brennholz zerhackt haben, nur nie und nimmer eine Ulme?

Das Tor ins Anderswo.

So nannten sie die Ulme.

Erinnerst du dich an die furchtbaren Träume vom Krieg, von denen du...

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Autor

Jaroslav RudiS, geboren 1972, ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker. Er studierte Deutsch und Geschichte in Liberec, Zürich und Berlin und arbeitete u.a. als Lehrer und Journalist. Im Luchterhand Literaturverlag erschienen seine aus dem Tschechischen übersetzten Romane »Grand Hotel«, »Die Stille in Prag«, »Vom Ende des Punks in Helsinki« und »Nationalstraße«, bei btb außerdem »Der Himmel unter Berlin«. »Winterbergs letzte Reise«, der erste Roman, den Jaroslav RudiS auf Deutsch geschrieben hat, wurde 2019 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Für sein Werk wurde er außerdem mit dem Usedomer Literaturpreis, dem Preis der Literaturhäuser sowie dem Chamisso-Preis/Hellerau ausgezeichnet.