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Die Annäherung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am08.03.2016
Die berührende Geschichte einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung.
Als er wegen eines Schwächeanfalls in ein Krankenhaus eingeliefert wird, spürt Theo, dass er am Ende seines Lebens angekommen ist: Er ist alt und fortan pflegebedürftig, was ihn eine Ohnmacht und Hilflosigkeit spüren lässt, die er bisher nicht kannte. Er zieht Bilanz, ist in Gedanken oft bei seiner früh verstorbenen ersten Frau, deren Sterben er erst jetzt richtig begreift, und er erinnert sich an nicht mehr gut zu machende Versäumnisse, während ihm die Gegenwart und die bisher glückliche Ehe mit Berta aus dem Gleichgewicht geraten. Aber auch dieses letzte Lebensjahr bringt noch einmal Glück und einen Neuanfang durch die junge ukrainische Pflegerin Ludmila, die sein Herz erreicht, wie weder Berta noch seine seit Jahrzehnten entfremdete Tochter Frieda es vermögen. Ludmila wird zu Theos letzter Liebe, sie wird ihm zur Tochter, wie Frieda es nie war.
Für Frieda ist Theos liebevoller Umgang mit Ludmila, die Nähe zwischen den beiden, unbegreiflich und schmerzlich. Und doch erfüllt sie seine Bitte und reist in die Ukraine, um Ludmila zu ihm zurückzubringen. Im Gegenzug darf sie zum ersten Mal Einblick in Theos Kriegstagebuch nehmen, von dem sie sich die endgültige Antwort darauf verspricht, ob ihr Vater, entgegen seinen lebenslangen Beteuerungen, sich als Wehrmachtsangehöriger schuldig gemacht hat. Die Reise wird zu einer Spurensuche in die Vergangenheit, zu einem Versuch der nie geglückten Auseinandersetzung zwischen der Kriegsgeneration und den Nachgeborenen. Anna Mitgutschs Figuren balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Nähe und Ferne, Zuneigung und Ressentiment, Schuld und Schuldlosigkeit auf eine Lösung - vielleicht Erlösung - zu, die es niemals geben kann. Bis sie begreifen, dass das Glück ein Schwebezustand ist, der niemals enden muss, und ihr gespanntes Schweben ein Glück.

Anna Mitgutsch, 1948 in Linz geboren, unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen und erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Solothurner Literaturpreis sowie jüngst den Adalbert-Stifter-Preis. Sie übersetzte Lyrik, verfasste Essays und zehn Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie berührende Geschichte einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung.
Als er wegen eines Schwächeanfalls in ein Krankenhaus eingeliefert wird, spürt Theo, dass er am Ende seines Lebens angekommen ist: Er ist alt und fortan pflegebedürftig, was ihn eine Ohnmacht und Hilflosigkeit spüren lässt, die er bisher nicht kannte. Er zieht Bilanz, ist in Gedanken oft bei seiner früh verstorbenen ersten Frau, deren Sterben er erst jetzt richtig begreift, und er erinnert sich an nicht mehr gut zu machende Versäumnisse, während ihm die Gegenwart und die bisher glückliche Ehe mit Berta aus dem Gleichgewicht geraten. Aber auch dieses letzte Lebensjahr bringt noch einmal Glück und einen Neuanfang durch die junge ukrainische Pflegerin Ludmila, die sein Herz erreicht, wie weder Berta noch seine seit Jahrzehnten entfremdete Tochter Frieda es vermögen. Ludmila wird zu Theos letzter Liebe, sie wird ihm zur Tochter, wie Frieda es nie war.
Für Frieda ist Theos liebevoller Umgang mit Ludmila, die Nähe zwischen den beiden, unbegreiflich und schmerzlich. Und doch erfüllt sie seine Bitte und reist in die Ukraine, um Ludmila zu ihm zurückzubringen. Im Gegenzug darf sie zum ersten Mal Einblick in Theos Kriegstagebuch nehmen, von dem sie sich die endgültige Antwort darauf verspricht, ob ihr Vater, entgegen seinen lebenslangen Beteuerungen, sich als Wehrmachtsangehöriger schuldig gemacht hat. Die Reise wird zu einer Spurensuche in die Vergangenheit, zu einem Versuch der nie geglückten Auseinandersetzung zwischen der Kriegsgeneration und den Nachgeborenen. Anna Mitgutschs Figuren balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Nähe und Ferne, Zuneigung und Ressentiment, Schuld und Schuldlosigkeit auf eine Lösung - vielleicht Erlösung - zu, die es niemals geben kann. Bis sie begreifen, dass das Glück ein Schwebezustand ist, der niemals enden muss, und ihr gespanntes Schweben ein Glück.

Anna Mitgutsch, 1948 in Linz geboren, unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen und erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Solothurner Literaturpreis sowie jüngst den Adalbert-Stifter-Preis. Sie übersetzte Lyrik, verfasste Essays und zehn Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641160050
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum08.03.2016
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2637 Kbytes
Artikel-Nr.1869567
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Es war ihm, als höbe er vom Boden ab, so leichtfüßig glitt er über den weichen Rasen, er spürte das Gras noch kühl vom Tau unter seinen Füßen, die Morgensonne schien mit der funkelnden Frische mancher Frühsommertage damals, vor mehr als neunzig Jahren. Er war wieder zu Hause und lief über die Wiesen hinunter ins Dorf, nahm die Hügelwellen fast wie im Flug, die Hänge waren von einem leuchtenden Grün, und mit der Leichtigkeit kehrte ein Glück in seinen Körper zurück, wie es ihn seit seiner Kindheit nicht mehr erfüllt hatte.

Ein lautes Krachen schreckte ihn aus seinem schwerelosen Zustand auf, lang genug, um von der hereinbrechenden Katastrophe in bodenlose Schwärze gestürzt zu werden.

Als Theo zu sich kam, lag er auf dem Schlafzimmerboden und sein Flanellnachthemd entblößte die dünnen Beine, aus denen die Kniescheiben hervorragten. Die Deckenlampe erhellte den Raum und Berta stemmte sich gegen seinen Rücken, sie hatte ihn unter den Achseln gefasst und versuchte, ihn aufzurichten und von der Bettkante, gegen die er gestürzt war, wegzuziehen. Er spürte den reißenden Schmerz in seinem Hinterkopf, er erinnerte sich mit Bedauern an den grünen Wiesenhang und hätte sich auf dem weichen Gras gern noch ein wenig ausgeruht. Lass mich, wollte er sagen, ich komm schon allein hoch, aber zwischen Gedanken und Worten war eine Sperre und der Satz verhedderte sich im Mund zu einem dumpfen Lallen. Da erst packte ihn Entsetzen und sein Magen verkrampfte sich bei der jähen Gewissheit, die als fertiger Satz aus einer fernen Erinnerung aufstieg: Das ist der letzte Steilhang vor dem Ende. Nun würde alles diesen Hang hinunterrasen und es gab nichts mehr, das den Sturz aufhalten konnte. Wie das Kind, als das er sich eben noch gefühlt hatte, robbte er auf seinem linken Ellbogen zu seiner Bettseite zurück. Dort blieb er erschöpft liegen und dort hoben ihn die inzwischen eingetroffenen Sanitäter auf die Bahre und trugen ihn die Außentreppe hinunter zum Rettungswagen.

Zwei Wochen lang lag er in einem weißen Bett über den Dächern der Stadt. Draußen wirbelte der Schnee, es wurde hell, eine wässerige Wintersonne stand eine Weile am Himmel und verschwand, es dämmerte, es wurde wieder Nacht, er zählte die Tage nicht, sie gingen gleichförmig dahin. Er war nie allein, er döste in einem angenehmen Halbschlaf, zufrieden und schmerzlos, und sah den Schwestern zu, wie sie hin- und hergingen, Infusionsbeutel wechselten, Tee brachten, ihm halfen, den Löffel zum Mund zu führen, sich mit geschulten Händen an seinem Körper zu schaffen machten, junge, energische Frauen, sie taten es mit einem Lächeln, das keine Dankbarkeit forderte. Er war ein guter Patient, er war geduldig und beklagte sich nicht. Nur das Reden fiel ihm schwer, und so sehr er sich auch bemühte, sein Mund brachte nichts Verständliches hervor. Als Berta, seine Frau, ihn besuchen kam, starrte sie entsetzt auf sein asymmetrisch verzerrtes Gesicht, seine schlaffe rechte Wange, den feuchten, herabhängenden Mundwinkel.

Ich kann dich nicht verstehen, jammerte sie, als er sie begrüßte. In ihrem Blick lag hilflose Panik.

Aber du musst doch gar nichts verstehen! Das hätte er ihr gern gesagt, sie hatten nie Worte gebraucht, um einander zu verstehen, das war ja gerade das Wunderbare an ihrer Beziehung. Um Erklärungen ging es nicht, darum war es in ihrer Ehe nie gegangen. Die Hauptsache war, dass sie da saß, an seiner Seite, das war ihm tröstlich genug. Bleib einfach da, bei mir, versuchte er zu sagen, und sie beugte sich zu ihm, ganz nah an seinen Mund, um ihn so besser zu verstehen. Er tastete mit seiner rechten Hand, die ihm nicht recht gehorchen wollte, nach ihrer warmen festen Hand, er spürte sie durch die Bettdecke irgendwo in Reichweite auf seinem Oberschenkel. Den Zeigefinger der Linken legte er auf seinen Mund und versuchte ihr zuzuzwinkern, sie schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. Wir müssen nicht reden, hieß das. Diesmal verstand sie ihn. Ihre Gegenwart hüllte ihn mit einer beruhigenden Müdigkeit ein. Er hatte es immer als angenehm empfunden, dass sie keine Frau war, mit der man sich stundenlang über Dinge unterhalten musste, die über das Notwendige hinausgingen. Berta war einfältig in dem Sinn, dass sie nur interessierte, was für sie und den Menschen, den sie liebte, im Augenblick notwendig und nützlich war. Sie grübelte nicht, sie handelte, sie fand immer einen Ausweg, auf krummen oder geraden Wegen, und verlor nicht viele Worte darüber. So ist das Leben, pflegte sie zu sagen. Es mochte eine bodenständige Art von Egozentrik sein, aber er konnte nichts Schlechtes daran finden.

Seine erste Frau Wilma war komplizierter gewesen, intelligenter, belesener, mag sein, ständig mit Gedanken beschäftigt, aber nach einer Anzahl von Ehejahren kreisten auch sie stets um dieselben Themen, während Berta immer noch Eigenschaften entfalten konnte, die ihn erstaunten. Jetzt, im Spital, wo die Zeit langsam verging und er in den leeren Stunden seinen Erinnerungen nachhängen konnte, dachte er wieder öfter an Wilma. Er dachte daran, wie viel Zeit sie im Spital verbracht hatte und wie oft sie so dagelegen, wie verlassen sie sich gefühlt haben musste, als junge Frau, während für ihn, am Abend nach der Arbeit, die Besuche im Krankenhaus eine lästige Pflicht gewesen waren und er nicht die Ruhe gefunden hatte, auf ihre Klagen, ihre Bedürfnisse einzugehen. Zu diesem Zeitpunkt trennte sie schon eine zu große Kluft von Missverständnissen und Schweigen, als dass er sie noch hätte erreichen können, selbst wenn er die Kraft dafür aufgebracht hätte. Jetzt, fünfzig Jahre nach ihrem Tod, erschien sie ihm wie eine Fremde in einem fremden Land, die durch ihr kurzes Leben gegangen war und auf ihrer flüchtigen Durchreise keinen Anlass gesehen hatte, sesshaft zu werden.

In den frühen Jahren ihrer Ehe hatte Wilma ihn mit nächtelangen, seelenzerfasernden Gesprächen am Schlaf gehindert, und am Ende war immer er als der Schuldige hervorgegangen, der sie zu wenig liebte, jedenfalls nicht so, wie es ihr zustand. Erst nach ihrem Tod war ihm bewusst geworden, dass das, was die Ärzte damals ihre Gemütskrankheit nannten, ein langsames Ersticken an ihrem von Mangel eingegrenzten Leben gewesen war. Für ihre Träume von einem anderen Leben hatte er keine Geduld gehabt. In den ersten Jahren hatte sie noch versucht, ihm zu erklären, was ihr fehlte, sie sprach über ihre unrealistischen Pläne. Ein Studium wollte sie nachholen, immer noch träumte sie davon, Lehrerin zu werden, das Haus war ihr zu klein, reisen wollte sie, die Welt sehen, Konzerte, Theater, ein wenig Luxus, zu viele Wünsche an das Leben und keine Kraft, auch nur einen einzigen zu verwirklichen. Er hörte ihr zu, wie man den Phantastereien eines Kindes zuhört, er hatte nicht viel beizusteuern. Hie und da verrannte sie sich so sehr, dass er sie auf die Realität hinweisen musste, auf sein Monatsgehalt und die beschränkten Mittel, und dass man sich die Theaterstücke auch in der Stadtbücherei ausborgen und zu Hause lesen konnte. Er kaufte ihr ein Klavier, weil sie in ihrem Elternhaus eines gehabt hatte, einen Plattenspieler für ihre Schellacksammlung, aber alles, was er für sie tat, tröstete sie nur eine Weile, es war nie genug, nichts machte sie glücklich.

Später richteten sie sich in einem Schweigen ein, wo sie einander nicht mehr erreichen konnten, das selbst einem wortkargen Mann wie ihm unheimlich war, weil das Unheil sich spürbar in ihm verdichtete. Am Ende waren sie zwei zutiefst unglückliche Menschen gewesen, die glaubten, dass das Wenige, was sie hatten, schon alles gewesen sei, was das Leben ihnen jemals zuteilen würde. Wilma ging daran zugrunde. Sie sah keinen Ausweg aus ihrem Leben und litt mit einer Hingabe an ihrem eigenen Unglück, dass er es in seiner Hilflosigkeit kaum ertragen konnte. Es vergiftete jede noch so kurze Freude. Am Schluss war ihr Leben nur noch ein Warten darauf gewesen, dass endlich alles vorbei sei, die unerträglichen Kopfschmerzen, die Müdigkeit, ihr tagelanges Weinen, ihr barsches Lass-mich-allein, ich will in Ruhe gelassen werden, nur um dann laut nach ihm zu rufen und ihm Vorwürfe zu machen, er schliefe friedlich, er lese stillvergnügt, während sie unglücklich sei. Glück war zu einer fernen Erinnerung geworden, etwas, das er sich nicht mehr vorstellen konnte.

Als sie tot war, wurde ihm klar, dass er auf ihren Tod gewartet, ihn manchmal herbeigesehnt hatte, aber er hatte es nie gewagt, es sich einzugestehen. Danach träumte er wiederholt, sie käme nach Hause, nicht als verweinte, nörgelnde Kranke mit dem ewigen Tuch über der Stirn, um die Kopfschmerzen zu lindern, sondern wie sie als Siebzehnjährige gewesen war, mit der kühlen, selbstsicheren Ausstrahlung, die ihn fasziniert und eingeschüchtert hatte, ihrem üppigen kastanienbraunen Haar und dem scheuen und zugleich herausfordernden Lächeln. Ihr Haar, ihre bernsteinfarbenen Augen, ihr schlanker Körper mit den schmalen Hüften, er hatte vergessen, wie schön sie einmal gewesen war. Nach ihrem Tod träumte er öfter von ihr und wachte mit einem Gefühl der Dankbarkeit auf. So musste es gewesen sein, ganz am Anfang, als sie sich durch einen unwahrscheinlichen Zufall kennenlernten, denn sie gehörten verschiedenen Welten an, und ihre Wege hätten sich unter normalen Umständen nie gekreuzt. Die Prinzessin und der Holzfäller heiraten. Als er den sarkastischen Satz in einer Reihe hinter sich flüstern hörte, während ihr Aufgebot in der Kirche verlesen wurde, hatte es ihn nicht gekränkt, es hatte ihn mit Genugtuung erfüllt. Es gab etwas, worum man ihn beneidete. Meine Frau, hatte er triumphierend gedacht. Er hatte keine Gelegenheit ausgelassen, es laut zu wiederholen: meine Frau Wilma, die Enkelin des Bürgermeisters. Er hatte vor allem...

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Anna Mitgutsch, 1948 in Linz geboren, unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen und erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Solothurner Literaturpreis sowie jüngst den Adalbert-Stifter-Preis. Sie übersetzte Lyrik, verfasste Essays und zehn Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.