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Das letzte Rennen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
266 Seiten
Deutsch
Beck C. H.erschienen am08.03.20161. Auflage
Komisch, grotesk, hellsichtig und voll schwarzem Humor und Melancholie erzählt Marjana Gaponenko in ihrem neuen Roman vom bösen Erwachen eines modernen Taugenichts, der auf drastische Weise einige hilfreiche Lektionen fürs Leben lernt. Kaspar, ein verwöhnter junger Mann in der guten Wiener Gesellschaft, studiert etwas ziellos vor sich hin und scheint von den Menschen, insbesondere den Frauen um ihn, weniger zu verstehen als von den Ponys, die sein wohlhabender Vater sammelt. Der Vater Adam, ein aus Polen stammender Ingenieur und Selfmademan, verehrt Pferdekutschen und Kutschpferde und liefert sich mit dem einzigen Sohn ein verhängnisvolles Rennen.


Marjana Gaponenko wurde 1981 in Odessa, Ukraine, geboren und studierte dort Germanistik. Nach Stationen in Krakau und Dublin lebt sie nun in Mainz und Wien. Sie schreibt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr auf Deutsch. 2010 erschien ihr erster Roman «Annuschka Blume». Für den Roman «Wer ist Martha?» wurde sie mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis und dem österreichischen Literaturpreis Alpha ausgezeichnet. Ihre freie Zeit verbringt Marjana Gaponenko mit ihren Haflingern.
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Produkt

KlappentextKomisch, grotesk, hellsichtig und voll schwarzem Humor und Melancholie erzählt Marjana Gaponenko in ihrem neuen Roman vom bösen Erwachen eines modernen Taugenichts, der auf drastische Weise einige hilfreiche Lektionen fürs Leben lernt. Kaspar, ein verwöhnter junger Mann in der guten Wiener Gesellschaft, studiert etwas ziellos vor sich hin und scheint von den Menschen, insbesondere den Frauen um ihn, weniger zu verstehen als von den Ponys, die sein wohlhabender Vater sammelt. Der Vater Adam, ein aus Polen stammender Ingenieur und Selfmademan, verehrt Pferdekutschen und Kutschpferde und liefert sich mit dem einzigen Sohn ein verhängnisvolles Rennen.


Marjana Gaponenko wurde 1981 in Odessa, Ukraine, geboren und studierte dort Germanistik. Nach Stationen in Krakau und Dublin lebt sie nun in Mainz und Wien. Sie schreibt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr auf Deutsch. 2010 erschien ihr erster Roman «Annuschka Blume». Für den Roman «Wer ist Martha?» wurde sie mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis und dem österreichischen Literaturpreis Alpha ausgezeichnet. Ihre freie Zeit verbringt Marjana Gaponenko mit ihren Haflingern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406689567
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum08.03.2016
Auflage1. Auflage
Seiten266 Seiten
SpracheDeutsch
Illustrationenmit 1 Abbildung
Artikel-Nr.1904229
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I


Wenn es ein Wort gab, das mein Vater besonders häufig in den Mund nahm, so war es das Wort «meisterlich». Als alter Pole sprach er es mit jiddischem Akzent aus, so dass sein «majsterlich» gar nicht so unwienerisch klang. Meisterlich konnte für ihn ein erstklassiges Gulasch sein, ebenso wie eine versalzene Suppe, ein Hufbeschlag, aber auch ein Deichselbruch. Wer nicht meisterlich zu scheitern verstand, verdiente in seinen Augen keine Bewunderung.

Unvergesslich der Tag, an dem er sich überreden ließ, in eine Ausstellung zu gehen, weniger mir als meiner ersten Freundin Anna zuliebe. Auf dem Albertinaplatz gingen einige Fiaker frierend vor ihren Gespannen auf und ab. Im scharfen Novemberwind standen die Mähnen der Pferde für einige Sekunden aufrecht, fielen in sich zusammen und hoben sich wieder zu kraftlosen Irokesenschnitten. Der Vater lüftete im Vorbeigehen den Hut und wies mit mürrischer Miene auf das Plakat Von der Romantik zur Op-Art. Zu gerne wäre er bei den Fiakern geblieben, um mit ihnen in der Kälte über die Kutschen zu plaudern, darüber, wie sie fuhren, wie es um die Lackierung stand, wann sie das letzte Mal gewartet und was genau ersetzt worden war. Kurz nach seinem 60.Geburtstag hatte er begonnen, seine Kutschensammlung aufzulösen. Die prachtvollsten Exemplare verkaufte er an Museen, die seltensten an Sammler, die Stadtkutschen, seine Lieblinge, an einige größere Fiakerunternehmen in Wien, so dass man sagen konnte: Wenn er eine Kutsche auf der Straße wiedererkannte, kannte er auch den Fiaker. Aus diesem Grund galt das Lüften des Huts mehr dem alten Wagen als dem davorstehenden, rotnasigen Geschöpf im weiten Lodenmantel. Zur Ausstellung an jenem Novembertag ging er also in der Hoffnung, einen seiner Lieblinge unterwegs in Aktion zu sehen.

Wie nicht anders erwartet, konnte er dem dünnen Wanderer eines Caspar David Friedrich oder den rosigen, rankenumwundenen Engeln eines Philipp Otto Runge nichts abgewinnen. Naserümpfend ging der gelernte Maschinenbauingenieur, Hände auf dem Rücken gefaltet, von Bild zu Bild. Nur manchmal verweilte er etwas länger vor einem Kunstwerk.

«Meisterlich», hörte ich ihn murmeln. Nur ich wusste, dass sein Lob dem kunstvoll geschnitzten Goldrahmen galt.

«Schau mal, Vater, hier lugt ein Pferdekopf aus dem Gebüsch!», sagte ich, um ihn auf sein Lieblingsthema zu bringen. «Da stimmt etwas grundsätzlich nicht», knurrte er, nachdem er das kleine dunkle Bild durch die Brille betrachtet hatte. «Das Pferd schaut einem Picknick zu, sollte aber, so wie es dargestellt wurde, eigentlich auf der Flucht sein. Mit diesen aufgeblähten Nüstern! Das soll Kunst sein? Das ist doch eine Lüge!» Den letzten Satz sprach er etwas lauter, so dass mehrere Besucher sich zu uns umdrehten. Einige versuchten aus der Ferne zu erkennen, was mit dem Bild nicht stimmte. Wer sich auf Pferde verstand, hätte meinem Vater jedoch recht gegeben. Dieses Bild war nicht nur deswegen eine Lüge, weil es getreu den Gesetzen der Romantik die Wirklichkeit leugnete. Es barg dazu noch eine Ungereimtheit in sich, welche die Naturferne des Malers offenbarte. Und so musste ich Anna erklären, dass ein Pferd mit geblähten Nüstern, einem gereckten Hals und viel Weiß im Auge niemals seelenruhig einem Picknick zweier Edelmänner am Wegesrand zuschauen könne, weil es in diesem Zustand um sein Leben renne.

«Und das hier ist überhaupt eine Frechheit. Für wen hält er uns eigentlich!», rief er zwei Säle weiter vor einem Miró-Bild aus. Wassertropfen auf rosafarbenem Schnee hieß das Kunstwerk, auf dessen eindeutig orangefarbenem Hintergrund sich zwei fette Striche krümmten. «Ich mag es nicht, wenn mich irgendwelche Künstler verhöhnen. Noch bin ich nicht farbenblind!», brummte er und schielte zu den anderen Museumsbesuchern. Ihnen schien Mirós Humor zu gefallen. Jene, die den Titel gelesen hatten, grinsten und zückten sofort ihre Kameras. Wir gingen weiter.

«Kunst - das ist Können und sauberes Handwerk», sagte er im nächsten Saal vor einem schmalen, weiß grundierten Bild, aus dem rostige Nägel in aparten Wellen ragten. «Das ist zum Beispiel eine saubere Arbeit. Ich verstehe zwar die Botschaft nicht, die Art, wie die Nägel eingeschlagen sind, finde ich aber meisterlich», fügte er händereibend hinzu. Immer wenn er verunsichert war, rieb er sich die Hände. «Wollen wir es dem Schmied schenken?»

«Wir sind in einem Museum und nicht in einer Verkaufsausstellung», wehrte ich ab.

«Du weißt, Geld ist kein Problem», sagte er an mir vorbei zum Albertina-Publikum und zu Anna, die mir an dem Abend gestand, dass sie meinen Vater peinlich fand.

Als armer Maschinenbaustudent aus Krakau hatte mein Vater in seiner Jugend viel über Geld nachgedacht. Einmal muss er aufgewacht sein und beschlossen haben, sich aus der finanziellen Misere zu befreien. Jahrelang mühte er sich ohne nennenswerten Erfolg ab, bis er eines Tages an der Kreuzung Uliza Filipa und Uliza Krotka um ein Haar mit einem pferdegezogenen Milchwagen zusammengestoßen wäre. Lange sah er der Staubwolke hinterher - das durchgegangene Pferd war nur durch die Barbakan-Mauer aufzuhalten. Am nächsten Morgen berichtete eine Zeitung über den Unfall, die riesige Milchpfütze auf der Fahrbahn und die Schäden an dem einmaligen gotischen Bauwerk. Den Artikel hatte er ausgeschnitten und Jahre später seinen Wiener Freunden und Gästen immer wieder voller Stolz gezeigt, wenn die Rede darauf kam, wie er seinen mondänen Lebensstil eigentlich finanzierte.

Landwirte, schmiert eure Bremsen mit Bedacht, lautete der erste Satz des Zeitungsartikels. Zeigte sich Unverständnis in den Augen seines Gegenübers, so erklärte der Vater, dass er nach dem Lesen dieses traurigen Berichts zum Erfinder eines ölfreien Verdichters für Bremsen geworden war. Monatelang habe er unter dem Eindruck des Unfalls gehämmert, nachts, in seiner Wohnung am Rande von Krakau, so dass sogar die Nachbarn misstrauisch geworden seien. Hinter dem Hämmern eine terroristische Tätigkeit vermutend, sollen sie sogar einmal die Polizei gerufen haben, und nur dem an der Wand hängenden Zeitungsartikel sei es zu verdanken gewesen, dass die Polizisten den humanistischen Ambitionen des jungen Maschinenbaustudenten Vertrauen geschenkt hätten. Klar wäre es in einem Betrieb viel einfacher, sagte er zu den Polizisten, wer aber sollte denn einen Studenten ohne Beziehungen wie mich anstellen?

Er trat planvoll der polnischen vereinigten Arbeiterpartei bei, verschuldete sich, fuhr nach Leipzig zur Messe und sah jedoch ziemlich schnell ein, dass der Kommunismus und der Fortschritt nicht kompatibel waren und dass er noch weiter westlich fahren musste: zur Messe nach Hannover. Auch diese Reise nahm er ein Jahr später mit noch größeren Schulden auf sich und wurde wieder enttäuscht. Auch hier schien es nicht um die Technik zu gehen. Die großen Firmen waren nicht geneigt, seine Erfindung mit offenen Armen zu empfangen. Solche wie er tummelten sich außerdem in Mengen an den Ständen, nur waren sie älter als er, gebeugt, ergraut und so gekleidet, als wären sie einmal um den Erdball gelaufen, um zur Messe nach Hannover zu kommen. Und es gab bereits erschreckend viele Verdichter kleinerer Firmen auf dem Markt. Manche liefen zwar nicht ölfrei, aber aufgrund einer einfachen Ventilsteuerung schienen sie genauso effizient zu sein wie seine Erfindung. Der Vater wurde nachdenklich und beschloss schließlich, einen Abstecher nach Wien zu machen, um bei einer großen und angesehenen Maschinenbaufirma seine Erfindung vorzustellen. Seine letzte Hoffnung war Österreich, das er für ein angenehm zurückgebliebenes, sozialistisches Land hielt, allerdings pfiffiger und unkomplizierter als Polen. So kam er am Franz-Josephs-Bahnhof an: nur noch mit 30 Dollar in der Tasche, der heimlichen Universalwährung des Ostblocks, die auch jetzt, Jahrzehnte später, auf ihrem Thron nicht schwankt.

Mit seinem wagemutigen Ausflug erreichte er jedoch etwas anderes: Ihm wurde die Stelle des Entwicklungsingenieurs in der Konstruktionsabteilung der besagten Firma angeboten. So blieb er als politischer Flüchtling in Wien und fiel bei seinen Eltern unwiderruflich in Ungnade. Beide Russischlehrer, hatten sie sich für ihren Ältesten eine Karriere als Ingenieur im fernen Russland vorgestellt, bei Roskosmos oder zur Not auf einem Dozentenposten an einer technischen Universität des verbrüderten und verhassten Riesenlandes. Nur sein Bruder hielt Kontakt mit ihm. Dieser, Ernest mit Namen, soll als Kind den Wunsch geäußert haben, Sänger zu werden. Völlig grundlos, wie mein Vater sagte, er soll gesungen haben wie ein Ferkel. Als Einziger in der Familie ging der kleine Caruso regelmäßig zum Friseur. Die...
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Marjana Gaponenko wurde 1981 in Odessa, Ukraine, geboren und studierte dort Germanistik. Nach Stationen in Krakau und Dublin lebt sie nun in Mainz und Wien. Sie schreibt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr auf Deutsch. 2010 erschien ihr erster Roman «Annuschka Blume». Für den Roman «Wer ist Martha?» wurde sie mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis und dem österreichischen Literaturpreis Alpha ausgezeichnet. Ihre freie Zeit verbringt Marjana Gaponenko mit ihren Haflingern.