Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Der Dicke und der Seltsame

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
190 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.03.20161. Auflage
Ein Radfahrer verschwindet nach einem Kneipenbesuch auf dem Nachhauseweg spurlos. Und noch in derselben Nacht gibt es einen anonymen Anruf, dass angeblich ein toter Radler gefunden wurde. Für Kommissar Ketterle geht es zunächst nur um den Verschwundenen, dann aber stellt er selbst die Weichen in eine ganz andere Richtung. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
mehr

Produkt

KlappentextEin Radfahrer verschwindet nach einem Kneipenbesuch auf dem Nachhauseweg spurlos. Und noch in derselben Nacht gibt es einen anonymen Anruf, dass angeblich ein toter Radler gefunden wurde. Für Kommissar Ketterle geht es zunächst nur um den Verschwundenen, dann aber stellt er selbst die Weichen in eine ganz andere Richtung. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105609187
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.03.2016
Auflage1. Auflage
Seiten190 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse820 Kbytes
Artikel-Nr.1907034
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Rose Radek hatte den Vorzug, hübsch zu sein, ein Vorzug, der einem jungen Mädchen von einem Teil der Leute stets hoch angerechnet, von dem anderen aber nie verziehen wird. Die allerwenigsten von ihnen bemerkten die Wärme, die von ihr ausstrahlte. Zu ihnen gehörte Ervin von Stranzky. Es war einer der Gründe, aus denen Rose ihn schätzte. Es wäre ihr zutiefst zuwider gewesen, sich näher mit Menschen zu befassen, bei denen ihre Schönheit im Vordergrund stand, weshalb sie auch früh zu der Erkenntnis gelangt war, wie gefährlich Schönheit für eine Frau ist. Eine für Rose zwangsläufige Konsequenz bestand darin, aus diesem Grunde keinerlei Aufhebens von sich zu machen. Sie zog sich einfach und unauffällig, wenn auch teuer an, fuhr keine rasanten Sportwagen, obwohl sie es gekonnt hätte, und begnügte sich mit wenig und unaufdringlichem Schmuck.

Rose hatte den Wunsch geäußert, praktisch im Kunst- und Antiquitätenhandel zu lernen. Ihr Vater könne ihr ja, hatte sie gemeint, wenn sie einmal jemand heirate, der nicht Gilbert Radeks Geschäft übernehmen könne oder wolle, einen eigenen kleinen Laden einrichten, den sie dann schon hochbringen werde. Seit damals arbeitete sie als Verkäuferin bei Edgar Baldus, der in den einschlägigen Kreisen der Stadt den Ruf wohltemperierter Bonhomie und vorzüglicher Sachkenntnis genoß.

Es war nur natürlich, daß ihre Gedanken an das Gespräch mit ihrem Vater anknüpften, das sie, bevor er das Haus verlassen hatte, mit ihm geführt hatte. Er hat es ihm also tatsächlich abgeschlagen, dachte sie, während sie vor einem Ungetüm von Zeitungsverlag stand und wartete, bis sie die Straße überqueren konnte. Und er hat es ihm auf eine sehr häßliche Weise abgeschlagen. Aber so häßlich konnte die Art und Weise ihres Vaters gar nicht sein, daß Stranzky nur deswegen, ohne ein weiteres Wort mit ihr zu reden, einfach aus dem Lokal verschwand. Dafür muß es einen anderen Grund geben, dachte sie, als sie die Fahrbahn hinter sich hatte und auf der anderen Straßenseite die wenigen Häuserblocks entlangging, die sie noch von Edgar Baldus´ Laden trennten. Die Sonne hatte den diffusen Dunst aufgesogen und wärmte. Rose Radek öffnete ihren Mantel. Ervin ist doch kein Schuljunge, grübelte sie. Er wird doch nicht etwa glauben, ich hätte das mit Papa so eingefädelt, um ihm eins auszuwischen oder ihn loszuwerden? Nachdenklich prüfte sie diesen Gedankengang. Mein Gott, dachte sie dann, vielleicht ist er doch ein Schuljunge. Wer kennt schon den anderen.

Nachdenklich drückte sie die Ladentür nach innen. Zuerst sah sie Edgar Baldus gar nicht, aber dann sah sie ihn im Hintergrund des Ladens, wo er mit einem Staublappen die Rahmen von Bildern säuberte.

»Guten Morgen, Herr Baldus«, sagte sie, während sie nach hinten ging und den Mantel von den Schultern zog.

»Morgen, Morgen«, sagte Edgar Baldus und faltete den Staublappen anders. »Ist irgend etwas Besonderes bei Ihnen los?«

»Nein«, sagte Rose und nahm ihm das Staubtuch aus der Hand, um seine Tätigkeit fortzuführen. »Warum?«

»Jemand hat für Sie angerufen. Eine Frau. Schwede oder so ähnlich. Sie hat es sehr dringend gemacht.«

»Frau Schwede?« sagte Rose gedehnt. »Was wollte denn Frau Schwede von mir? Um diese Zeit?«

»Sie hat es mir nicht gesagt«, murmelte der Kunsthändler und griff wieder nach dem Tuch in Roses Hand. »Aber Sie sollen zurückrufen.«

Frau Schwede war Ervins Wirtin. Es hätte sie nicht weiter gewundert, wenn Ervin selbst angerufen und nach ihr gefragt hätte, um ihr eine Erklärung für sein Verhalten zu geben. Aber Frau Schwede?

Rose ging, während sich ihr Chef weiter mit den Bilderrahmen beschäftigte, hinüber zum Telefon. Ervins Nummer wußte sie auswendig. Sie wußte auch, daß das Telefon jetzt auf einer altväterlichen, glänzenden Kredenz läutete, die Frau Schwedes ganzer Stolz war, als sie das Blöken im Hörer vernahm. Sonderbarerweise wußte sie aber auch schon beim ersten Läuten, daß niemand das Telefon abheben würde. Nur zur Bestätigung behielt sie den Hörer eine Zeitlang in der Hand, ehe sie ihn wieder in seine Gabel legte. Nachdenklich sah sie durch die geöffnete Tür von Edgar Baldus´ Privatraum zu, wie ihr Chef sich bemühte, einen elektrischen Heizofen in Gang zu bringen. Ihre Blicke begegneten sich.

»Na«, rief Edgar Baldus, während er versuchte, das weiße Kabel zu entwirren, »also doch etwas Besonderes?«

»Sozusagen«, sagte Rose. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich rasch eine Stunde wegführe? Um elf bin ich bestimmt wieder hier.«

»Natürlich nicht«, sagte Edgar Baldus und kam nach vorn, während sie in ihren Mantel schlüpfte und den Kragen mit dem für sie typischen Chic halbhoch stellte. »Aber denken Sie daran, die Hefeschnecken mitzubringen.«

»Selbstverständlich, Herr Baldus«, sagte Rose. »Sie können schon das Kaffeewasser aufsetzen.«

Dann verließ sie den Laden. Sonderbar, dachte sie, wie sich im Verlauf eines Lebens alles zu verändern scheint. Sicher war Edgar Baldus auch einmal ehrgeizig gewesen, nach oben strebend, ein Mensch mit Fehlern, Leidenschaften, guten und schlechten Seiten. Und heute zählte ein Frühstück mit Kaffee und Hefeschnecken nicht nur zu seinen heimlichen, sondern sogar zu den Freuden, zu denen er sich offen bekannte.

Sie hatte gar nicht einmal übermäßig weit zu fahren. Frau Schwedes Wohnung lag am Jungfrauenthal. In dieser Gegend standen schmale, zurückhaltende Häuser mit platten- oder klinkerverkleideten Fassaden in kleinen, anheimelnden Vorgärten, Seite an Seite aneinandergelehnt. Eines davon gehörte Frau Erika Schwede, deren Pension, obschon die Preise stiegen, gleichblieb und die sich deshalb schweren Herzens entschlossen hatte, die beiden Zimmer des zweiten Obergeschosses zu vermieten. Sie mußte soeben zurückgekommen sein, denn sie war noch in Hut und Mantel, als Rose läutete, und die Einkaufstasche stand mitten auf dem Boden der Diele.

»Ach du lieber Gott, Fräulein Radek«, rief sie, von irgend etwas atemlos. »Sie hätten doch besser angerufen, bevor Sie den Weg hierheraus machten.«

»Ich habe angerufen«, sagte Rose. »Aber nachdem sich niemand meldete, wollte ich nachsehen, was los ist.«

»Ich weiß es auch nicht«, sagte Frau Schwede, während sie den Mantel aufhängte und den Hut oben auf die Flurgarderobe legte. Dann wendete sie sich um und faltete die Hände vorwurfsvoll vor der Brust.

»Aber es muß doch einen Grund haben, daß Sie bei mir im Geschäft anriefen, Frau Schwede.«

»Jaja«, sagte Frau Schwede rasch, »den hat es ja auch. Ich habe mir eben Sorgen gemacht. Sie wissen doch, daß ich manchmal nicht mehr so gut schlafe wie früher. Ich liege also in meinem Bett und höre den Herrn Baron die ganze Nacht oben in seinem Zimmer. Er ist überhaupt nicht zu Bett gegangen. Und gegen sieben, als ich ins Bad wollte, kommt er die Treppe runter, sieht mich an, als bemerke er mich überhaupt nicht, grüßt nicht einmal und verläßt das Haus. Und wie ich später in seine Zimmer will, um aufzuräumen ...«

Sie stockte verletzt.

»Na, was war denn da, Frau Schwede? Reden Sie doch.«

»Tja, denken Sie, er hat seine Zimmer abgeschlossen. Es ist ja nicht deswegen, wissen Sie. Schließlich ist es sein gutes Recht. Aber er hat es eben noch nie getan.«

Rose biß sich nachdenklich auf die Unterlippe. In ihre Gedanken schlich sich fast unmerklich die Sorge ein. Es war eine Kleinigkeit, gewiß. Aber eine Kleinigkeit, die mit den Ereignissen des Abends im American an Bedeutung gewann. Frau Schwede bemerkte Roses Unruhe.

»Sehen Sie«, sagte sie. »Es geht Ihnen genauso. Es ist doch ungewöhnlich, nicht wahr?«

Noch während Frau Schwede sprach, hatte Rose einen Entschluß gefaßt.

»Sie haben doch Vertrauen zu mir, Frau Schwede?«

Die Frau nickte.

»Gut«, fuhr Rose fort, »dann geben Sie mir jetzt Ihren zweiten Schlüssel. Ich möchte gern nach dem Rechten sehen und ihm eine Nachricht hinterlassen. Würden Sie das tun?«

Frau Schwede zögerte nur einen kurzen Augenblick.

»Bei Ihnen schon, Fräulein Radek«, sagte sie dann. »Aber so was würde ich bei niemand anderem tun. Das können Sie mir glauben, und das müssen Sie ihm auch sagen.«

Frau Schwede verschwand in der Küche und war nach wenigen Sekunden mit dem Schlüssel wieder bei Rose.

»Sie wissen ja Bescheid«, sagte sie. »Und schließen Sie wieder zu, wenn Sie rausgehen.«

»Natürlich«, sagte Rose und wendete sich zur Treppe, während Frau Schwede ihre Einkaufstasche hochhob und die Tür zum Keller aufzog. Als Rose den zweiten Stock erreichte, sah sie mit einem Blick, daß in Stranzkys Zimmern die Vorhänge noch geschlossen waren, denn hinter den Milchglasscheiben des Türeinsatzes war es dunkel. Allmählich begann das alles doch Bedenken in ihr zu wecken, und als sie den Schlüssel ins Schloß schob und drehte, tat sie es mit deutlicher Nervosität.

Sie betrat das Zimmer und schloß wie aus einem Instinkt heraus sofort hinter sich die Tür. Durch die zugezogenen Gardinen fiel ein matter Schimmer des Vormittagslichts in den Raum. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dämmerung. Dann atmete sie auf. Es war also doch nichts Besonderes geschehen. Nur mitten im Zimmer stand auf einem Vorführtischchen Ervins Bildwerfer, mit dem er bisweilen Schmuckstücke in starker Vergrößerung gegen eine Leinwand projizierte, um ihren Aufbau und ihre Verarbeitung zu studieren. Na also, dachte sie, als sie mechanisch und ohne zu überlegen, was sie tat, das Gerät einschaltete.

Sie starrte regungslos auf die weiße Fläche der Wand, die von dem scharfen Lichtkegel angestrahlt wurde. Zuerst glaubte sie, unter einer Halluzination zu leiden. Dann mußte sie sich stützen und sackte, ohne die...
mehr

Autor

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.