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Die Nacht vor Barbarossa

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.03.20161. Auflage
Mit dem als »Unternehmen Barbarossa« getarnten deutschen Überfall auf Rußland verknüpfen sich die Lebenswege dreier Männer, Freunde, seit die blutigen Ereignisse des Sommers 1920 sie in Ostpreußen zusammengeführt haben. Ihre Schicksale erfüllen sich einundzwanzig Jahre später in einer einzigen Nacht: der Nacht vor Barbarossa. Ein eindringlicher Roman - exakt recherchiert wie ein Sachbuch, packend geschrieben wie ein Polit-Thriller. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
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Produkt

KlappentextMit dem als »Unternehmen Barbarossa« getarnten deutschen Überfall auf Rußland verknüpfen sich die Lebenswege dreier Männer, Freunde, seit die blutigen Ereignisse des Sommers 1920 sie in Ostpreußen zusammengeführt haben. Ihre Schicksale erfüllen sich einundzwanzig Jahre später in einer einzigen Nacht: der Nacht vor Barbarossa. Ein eindringlicher Roman - exakt recherchiert wie ein Sachbuch, packend geschrieben wie ein Polit-Thriller. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105609231
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.03.2016
Auflage1. Auflage
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1057 Kbytes
Artikel-Nr.1907036
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

II. Ein Sommer in Kalenten

Der 27. August 1920 war heiß, trocken und staubig, ein Mittwoch, wie sich der Wachtmeister noch oft erinnerte. Sie ritten die Grenze ab und hielten sich dabei bewußt diesseits der bisweilen sichtbaren verwitterten Markierungssteine. Niemand hätte im Augenblick sagen könne, ob dies die Grenze zu Rußland, Litauen oder Polen war. Eindeutig aber war sie die Grenze Ostpreußens. Wachtmeister Brausewein, Führer einer sechsköpfigen berittenen Patrouille des Grenzschutzes, hatte an diesem Tage dafür zu sorgen, daß sie es auch blieb. Das war ein schwieriger und gefährlicher Auftrag. Schon seit einer ganzen Weile hatten sie die anderen gesehen, drüben jenseits der Grenze, von dieser aber ein oder zwei Kilometer entfernt. Wie er und seine Leute ritten auch sie in nördlicher Richtung. Auf deutscher Seite dehnten sich dichte Wälder, nach Osten zu aber war leicht hügeliges Heideland mit vereinzelten Kiefernparzellen. Als sie dort drüben die vierundzwanzig Reiter entdeckt hatten, die manchmal hinter dem lockeren Baumbestand oder in einer Bodensenke halb verschwanden, hatten sie die Karabiner aus den Kolbenschuhen genommen, durchgeladen und quer über den Sattel gelegt. Nur einer nicht, der Kavalleriegefreite Kurt Jagow, der den einzigen Feldstecher der Patrouille mit sich führte und dessen Augen noch scharf genug waren, ihn auch richtig zu benutzen.

»Müssen verdammt vorsichtig sein. Oder hundemüde«, hatte Jagow gemeldet. »Reiten im Schritt und weit auseinandergezogen, eine Gruppe ziemlich weit zurück.«

Dies hatte es den Deutschen ermöglicht, mit ihren frischen Pferden im schnellen Trab immer ein gutes Stück voraus zu sein und die vierundzwanzig Reiter wieder in Ruhe zu beobachten. So waren sie an eine Stelle gelangt, wo der große Wurzsee seine schilfige Südzunge zwischen sie und die anderen schob. Die Grenze verlief hier in der Mitte des Sees. Wieder blickte der Gefreite Jagow hinüber. »Sie haben angehalten«, berichtete er. »Beratschlagen irgendwas, scheint ein großes Palaver im Gang zu sein. Jetzt reitet ein Teil weiter, der größere Haufen jedenfalls ...« Jagow unterbrach sich und schwang sich aus dem Sattel. »Halt mir mal den Zossen, Ernst«, sagte er zu einem der anderen. Der saß ab und nahm Jagows Braunen kurz am Zügel. Der Gefreite legte die Unterarme auf den Sattel, damit er den Feldstecher möglichst ruhig halten konnte, und schaute nochmals hinüber. »Das will ich doch genau wissen, was die machen«, murmelte er.

Die flimmernde Hitze des Spätsommernachmittags vergrößerte zwar das Bild, machte es aber zugleich unscharf. Grau in grau verschwammen dort drüben die fremden Reiter.

»Die haben kein Glas«, knurrte Jagow, während er sie beobachtete. »Sonst müßten sie uns schon lange im Visier haben. Karte haben sie auch keine, denn vom See ahnen die nichts. Und Wasser bräuchten die Zossen von denen dringend.«

Noch während Kurt Jagow über seine Beobachtungen berichtete, spielte sich drüben ein Vorgang ab, so unerhört, daß er zunächst seinen Augen nicht traute. Erst eine ganze Weile später setzte er das Glas ab, wischte mechanisch mit der Ärmelstulpe über die Optik und sagte: »Vielleicht sehe ich weiße Mäuse, Karl. Aber wenn ich keine weißen Mäuse sehe, dann haben zwei von denen die anderen vorreiten lassen und dann einen Mann und ein Pferd erschossen. Einer von ihnen mit der Pistole den Mann und der andere mit dem Gewehr das Pferd. Ich hab´ das ja alles nur durch diese flimmernde Luft gesehen, aber wie der eine den Revolver hob und der andere das Gewehr anlegte ... es kann sein, daß ich weiße Mäuse gesehen habe. Aber wenn ich keine gesehen habe, dann war es so.«

»Ihr müßt ja zählen können, ob es immer noch vierundzwanzig sind«, sagte einer von den anderen. »Oder nur noch dreiundzwanzig«.

Aber genau dies konnten sie jetzt nicht mehr: Die Reiter jenseits der Grenze wurden nach und nach verschluckt von einer Waldzunge, die sich dunkel vorschob.

Natürlich redeten die Männer der Patrouille von den Beobachtungen, die der Gefreite Kurt Jagow zufällig gemacht hatte:

Das Pferd des Fähnrichs Boris Kamzkow war nämlich am Ende seiner Kräfte. Kein Wunder, auch die Reiter waren es. In den Sätteln, seit im Frühjahr der Befehlshaber der Westfront, Michail Nikolajewitsch Tuchatschewskij, damals knapp siebenundzwanzig Jahre alt, seine Rote Arbeiter- und Bauernarmee bereitgestellt hatte. Schon während des Weltkriegs waren durch polnische Nationalisten wie Pilsudski, Roman Dmowski und Paderewski polnische Unabhängigkeitsansprüche erhoben und von den Westalliierten wohlwollend beurteilt worden. Jetzt, während die Siegermächte in Versailles über die Neuordnung Osteuropas nachdachten, schien die Stunde der polnischen Chauvinisten gekommen: Unter Ausnutzung der russischen Schwäche sollte polnisches Territorium so weit wie möglich nach Osten ausgedehnt werden. Im April hatte Pilsudski seinen Marsch auf die Ukraine begonnen und am 7. Mai Kiew eingenommen. Damit hatten die polnischen Militärs eine nationalrussische Existenzfrage berührt. Konservative und revolutionäre Kräfte waren sich in der Verteidigung russischer Interessen einig. Im Juni hatte der Sowjetbefehlshaber Tuchatschewskij seine erste Gegenoffensive über Düna und Beresina nach Westen eröffnet, doch war sie durch den Widerstand der Polen zum Stillstand gekommen. Der zweite, energischere Vorstoß der Russen hatte am 4. Juli begonnen und war erfolgreich gewesen. Mit einundzwanzig Infanterie- und zwei Kavalleriedivisionen war die Rote Arbeiter- und Bauernarmee wie ein Sturmwind westwärts gebraust, hatte Ostpolen und Litauen überrannt und stand in der ersten Augusthälfte vor Warschau. Zu einer der Kavalleriedivisionen des Roten Generals hatten auch jene vierundzwanzig Männer gehört, die der Gefreite Kurt Jagow durch seinen Feldstecher beobachtet hatte. Durst hatten sie alle, Pferde und Männer. Hunger auch. Und pro Gewehr noch sieben Schuß Munition. Die stumpf gewordenen Reitersäbel, die bei einigen an den Sätteln hingen, zählten nicht. Orlow, der Oberpolitruk der Eskadron, durch einen Zufall zu dem versprengten und flüchtigen Trupp verschlagen, wandte sich an den Anführer, den neunzehnjährigen Fähnrich Boris Kamzkow.

»Mir läuft die Galle über«, sagte Orlow, der um einiges älter war als der Fähnrich, etwa dreißigjährig. »Mir läuft die Galle über, wenn ich daran denke, wie nah wir daran waren, diesen polnischen Bourgeois den Kragen umzudrehen. Da kannst du einmal sehen, wie ein Bourgeois dem anderen hilft. Ohne die Hilfe und Unterstützung von Amerikanern, Engländern und Franzosen hätten diese großmäuligen Polacken niemals der Revolution entkommen können. Pilsudski ...«, der hochaufgeschossene, unrasierte Mann mit der Pelzmütze und dem Schnauzbart, schnaubte verächtlich. »Rydz-Smigly, Sosnkowski und Dmowski, hahaha, was sind sie denn alle? Grundbesitzer, Intellektuelle, Beamte, beschissene polnische Bourgeois. Die brauchen nur mit dem kleinen Finger zu winken, und die anderen beschissenen Bourgeois kommen herbeigeeilt, um sie gegen den Aufstand der Volksmacht in Schutz zu nehmen.«

»Du denkst an den Franzosen?« fragte Kamzkow einsilbig und beobachtete mit Sorge, wie müde sein Grauschimmel den Kopf hängen ließ. »Ich fürchte, mein Gaul macht´s nicht mehr lange.«

»Diesen verdammten Hund von Weygand, den sie aus Paris herangekarrt haben, um ihre parfümstinkenden Hurenhöhlen in Warschau unserem Zugriff zu entziehen. Die hunderttausend französischen Poilus, die sie gebraucht hätten, haben sich nicht mehr gegen uns mobilisieren lassen. Dafür ein ganzer stöckchenschwingender und reitstiefelnder eleganter Generalstab ...«

»Aber nachdenken konnten sie, die eleganten Franzosen, Genosse Orlow«, erwiderte Fähnrich Kamzkow. »Sonst wären wir nämlich jetzt in den parfümstinkenden Warschauer Hurenhöhlen und nicht hier in ...« Der Fähnrich zog leicht die Zügel an, und sein Pferd stand. Er sah sich um. »Wo sind wir denn überhaupt?«

»Nachdenken!« schnaubte Orlow, ging auf die Frage des Fähnrichs gar nicht ein. »Wenn Tuchatschewskij nachdenken könnte, hätte er denen Warschau weggeschnappt, bevor die Franzosen da waren.«

»Du verstehst vielleicht etwas von der Revolution, Genosse Orlow«, sagte der Fähnrich. »Aber nichts von der Strategie. Erinnere dich, daß der Frontkriegsrat der Heeresgruppe Südwest ... wie heißt er doch gleich ..?«

»Du meinst den Genossen Josef Wissarionowitsch Stalin?«

»Richtig, daß Frontkriegsrat Stalin seine Unterschrift zur Verlegung der beiden zusätzlichen Armeen, mit denen Tuchatschewskij Warschau hätte nehmen können, verweigert hat.«

Der Politruk sah den Fähnrich mißtrauisch von der Seite an. »Bist du vielleicht auch gegen das System der Politischen Kriegskommissare, Genosse Kamzkow?«

»Wie alle Offiziere, die das, was sie tun, auch verantworten müssen«, sagte der Fähnrich. »Genosse Stalin hat Tuchatschewskij um seinen Sieg bei Warschau gebracht und den Polen ihr Wunder an der Weichsel beschert. Damit dürfte Stalin sich einen unerbittlichen Feind gemacht haben.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Und Tuchatschewskij auch.«

»Offiziere«, stieß Orlow hervor. »Offiziere, haha, nichts weiter als Militärspezialisten sind diese Herren, die schon dem Nikolaus bei der Unterdrückung des Volkes gedient haben. So denkt auch Frontkriegsrat Genosse Stalin. Wenn man die machen lassen würde, wo kämen wir dann hin?«

»Wo wir hinkommen, wenn man die Parteibonzen machen läßt, siehst du ja«, sagte Fähnrich Kamzkow. »Oder weißt du etwa, wo wir hier sind, Genosse...
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Autor

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.