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Bis aller Glanz erlosch

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.03.20161. Auflage
In einem Spannungsbogen, der von 1900 bis 1945 reicht, erzählt Stefan Murr die Geschichte eines Österreichers tschechischer Nationalität, die Geschichte seines Lebenskonflikts und seines tragischen Todes. In den elementaren Umbrüchen des Jahrhunderts wird er zunächst Offizier der deutschen Abwehr im besetzten Prag, doch er lernt zu sehen und zu erkennen: Er schließt sich dem Widerstand gegen Hitler an und wird zum wichtigsten Spion der Alliierten während des Zweiten Weltkrieges. Ein dramatisches und packendes Schicksal mit authentischem Hintergrund. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
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Produkt

KlappentextIn einem Spannungsbogen, der von 1900 bis 1945 reicht, erzählt Stefan Murr die Geschichte eines Österreichers tschechischer Nationalität, die Geschichte seines Lebenskonflikts und seines tragischen Todes. In den elementaren Umbrüchen des Jahrhunderts wird er zunächst Offizier der deutschen Abwehr im besetzten Prag, doch er lernt zu sehen und zu erkennen: Er schließt sich dem Widerstand gegen Hitler an und wird zum wichtigsten Spion der Alliierten während des Zweiten Weltkrieges. Ein dramatisches und packendes Schicksal mit authentischem Hintergrund. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105609422
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.03.2016
Auflage1. Auflage
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1300 Kbytes
Artikel-Nr.1907043
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1 Eine Beichte im Trentino

Steil aus der engen, tiefen und steinigen Schlucht aufragend, wo sich die Gebirgsbäche Ruffré und Verdés vereinigen, steht das Kloster auf seinem furchteinflößenden Felsenkegel. Es reckt sich nur bis zu den Rändern der schmalen Schlucht hinauf. Man blickt aus jeder der schießschartenähnlichen Fensteröffnungen nicht über weites Land und freundliche Dörfer, sondern auf die abschüssigen, von verwitterten und zerzausten Fichten bestandenen Abstürze der schroffen Klamm. Das Kloster ist klein. Es hat niemals in seiner Geschichte mehr als ein Dutzend Mönche beherbergt. Und seine Geschichte ist lang. Es türmt seine aus den verschiedensten Epochen stammenden Gebäudeteile aufeinander und untereinander, bis es ganz oben, noch über einer aus dem neunten Jahrhundert herrührenden romanischen Kapelle, die mit ihrer Apsis tief in den Fels hineingetrieben ist, mit einem klobigen, sechseckigen Trakt endet, dessen tief heruntergezogenes, fast flaches Ziegeldach sich über einen düsteren Wehrgang stülpt. Von diesem Wehrgang aus gehen die Zellen der Brüder ab.

 

In einer von ihnen lag am 23. Februar 1987 ein alter Mann im Sterben, und er wußte es. Es war nachmittags gegen fünf, und in der kargen und engen Zelle wurde es bereits dämmerig. Der alte Mann hatte sich immer gewünscht, schmerzlos und im hellen Licht des Tages sterben zu dürfen. Beides schien ihm der Herr in seinem unerforschlichen Ratschluß zu versagen. Er litt Schmerzen, denn vielleicht hatte er noch nicht genug gebüßt. Und es wurde dunkel, denn vielleicht war es der Wille des Herrn, daß er auch die Schatten der Vergangenheit, die die nahezu vierzig Jahre der Abgeschiedenheit in dem Kloster des heiligen Romedius begleitet hatten, mit hinübernahm in sein ewiges Reich. Der Mann starb ohne ärztliche Hilfe. Die schmale Straße nach Sanzeno, die unter den steilen Abstürzen der Schlucht hindurch neben dem zu eisigen Kaskaden gefrorenen Bach auf der Talsohle dahinkriecht, bis sie beginnt, sich an dem Felskegel zum Klostereingang emporzuwinden, war an den drei Stellen, wo dies jedes Jahr geschieht, von Lawinen verschüttet, so daß es vom sonnigen Nonnstal aus keine Möglichkeit gab, das Kloster zu erreichen. Der Mann starb ohne ärztliche Hilfe, aber er starb nicht ohne geistlichen Beistand. Er hatte nach dem Prior um die Sterbesakramente geschickt, mit der Bitte, ihm die Beichte abzunehmen. Der alte Mann starb fromm. Aber fromm war er nicht immer gewesen. Wichtig erschien ihm, daß er es jetzt war.

Von weit unten her aus dem verwinkelten Bau hörte er die Schritte des Priors über die endlosen, steilen eichenen Treppenläufe nahen. Der alte Mann hatte noch sehr gute Ohren. Deutlich vernahm er deshalb die gedämpften Schritte des zweiten Mannes, der hinter Pater Renatus nach oben unter das Wehrdach gestiegen kam und sich Mühe gab, den Laut seiner Sandalen zu unterdrücken. Das war Bruder Mamertus, der das Kruzifix trug, die heiligen Sterbesakramente und die Stola. Der Mann auf seiner eisernen Bettstelle in der unwirtlichen Zelle versuchte ein Lächeln. Es machte ihm nichts aus, daß Bruder Mamertus mit den Sterbesakramenten kam. Er ersehnte es jetzt sogar. Der Tod würde ihm nicht nur gnädig das Ende seiner Schmerzen gewähren, sondern auch das Ende des Denkens, der Erinnerungen, der Reue, der Sühne und der Erniedrigung. Denn der sterbende Mann glaubte jetzt daran, daß dort drüben die Reuigen zur Gnade kamen, wie es in der Schrift steht.

 

Als Pater Renatus die schwere Eichenholztür nach innen stieß und die Petroleumlampe mit ihrem grünen Glassturz über den Kopf hob, erhellte ihr Licht den Raum und gleichzeitig das Gesicht des Priors. Auch Pater Renatus war ein alter Mann, und seine Züge glichen der rissigen Erde eines ausgetrockneten Ackers. Seine Augen waren hell und sehr ehrlich. Er lächelte nicht und versuchte auch nicht, den sterbenden Bruder im Herrn zu trösten. Er trat in die Zelle, setzte die Lampe auf das an der Bohlenwand befestigte Klappbrett, das als Tischchen diente, kam zur Lagerstatt und strich dem Sterbenden über das schweißnasse Haar. Der alte Mann verlangte zuerst nach der Beichte. Der Prior bat den Bruder Mamertus, obwohl es kalt war, draußen unter dem tiefgezogenen Wehrdach zu warten. Als die beiden alten Männer in der Zelle allein waren, raffte der Prior die Soutane um die Schenkel und ließ sich auf dem rohen Eichenholzhocker nieder, der neben dem Bett stand.

»Wie lange ist die Zeit, die du in diesen Mauern verbracht hast und die jetzt zu Ende geht?« fragte er und faltete die Hände vor dem Leib wie für ein längeres Gespräch. »Du warst schon da, als ich hierher zum heiligen Romedius kam. Laß mich rechnen, es müssen also mehr als dreißig Jahre sein. Eine lange Spanne.«

»Es sind genau fünfunddreißig Jahre und fünf Monate, Padre Priore«, sagte der alte Mann. »Aber seit ich zum ersten Mal hier war, sind es einundvierzig Jahre und neun Monate. Damals war Pater Remigius der Prior. Das Kloster war vollgestopft mit verzweifelten Flüchtlingen und Deserteuren. Und ich war behängt mit den Patronengurten für ein Maschinengewehr, mit Handgranaten am Koppel, und auf dem Kopf trug ich den Stahlhelm der deutschen Waffen-SS.« Der alte Mann nahm eine kaum spürbare Überraschung, ein fast unmerkliches Zurückzucken seines Gegenübers wahr. Es entstand ein Schweigen, währenddessen sie den frierenden Bruder Mamertus draußen in dem dunkel werdenden Wehrgang hin- und herschlurfen hörten.

»Und damals sind also Dinge geschehen, für die du jetzt die Absolution erbittest«, sagte der Prior.

»Nicht damals«, antwortete der alte Mann. »Vorher sind Dinge geschehen, die noch heute mein Gewissen belasten. Am Ende meines Lebens. Und ich will sie beichten.«

Der Prior nahm das Kruzifix, das er um den Hals trug, deutete das Kreuzeszeichen auf Stirn und Brust von Bruder Justus an und sagte: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes: Der Herr schenke dir seine Huld. Und nun sprich, mein Sohn, Gott wird dich hören.«

Der alte Mann nickte und sagte: »In dem Bord über meinem Kopf steht das Breviarum Romanum , siehst du es?« Der Prior nickte. »Dann hol es herunter.«

Der Prior erhob sich nicht ohne Mühe, griff nach oben und entnahm dem Wandbord das Brevier.

»Schlag es auf«, sagte Bruder Justus. »An der Stelle, wo dir etwas entgegenfällt.«

Der Prior tat dem Frater den Willen. Das, was ihm entgegenfiel, war eine schon ziemlich verblichene Fotografie, ungefähr in dem Format, das auch das Brevier hatte. Der Prior mußte sie nah an den Lichtkegel der Lampe halten, um zu erkennen, was das Bild darstellte. Erst nach einer Weile begriff er. Auf der Fotografie waren elf Männer in Uniform zu sehen. Neun von ihnen standen in einer Reihe, die sich aus der vorderen rechten Ecke nach links rückwärts zog. Diese Männer trugen mit silbrigen Totenköpfen verzierte Schirmmützen, blickten provozierend in das Objektiv der Kamera und hielten ihre Karabiner in der traditionellen Präsentierhaltung des preußischen Heeres senkrecht vor dem Körper. An ihrem rechten Flügel war ein zehnter Mann zu sehen, der kein Gewehr trug. Am linken Bildrand, schon fast im Hintergrund, bildete der elfte, frontal zur Kamera, den Abschluß der Reihe, ein Offizier, wie an der silbernen Mützenkordel und dem ebenfalls silbrig glänzenden, runden Koppelschloß vor seinem Leib zu erkennen war. Diese elf Männer standen vor einer schmucklosen, weiß getünchten und von einem Stacheldrahtgeflecht gekrönten Mauer, hinter der auf der linken Seite des Fotos ein häßliches Gebäude aufragte. Ein Eckfenster war geöffnet, und wenn man genau hinsah, meinte man, eine Frau zu erkennen, die sich auf das Sims lehnte. In dieser Hinsicht konnte man sich immerhin täuschen. Nicht täuschen konnte man sich allerdings in dem durch und durch verworfenen Gesichtsausdruck der meisten dieser SS-Männer, in den mit Tinte dunkel über ihren Köpfen aufgetragenen arabischen Ziffern eins bis elf von rechts vorne nach links hinten und in der mit der gleichen Tinte und von der gleichen Hand an den unteren Bildrand gesetzten Schrift: Das Erschießungskommando von Theresienstadt.

Als Pater Renatus nach einiger Zeit begriffen hatte, was das alles bedeutete, ließ er die Hand mit der Fotografie sinken, starrte Bruder Justus an und murmelte: »Was sind das für Männer, Bruder? Wie heißen sie? Und was haben sie getan?«

»Ich habe diese Männer vorher und nachher nie wieder gesehen«, sagte Bruder Justus. »Von diesen elf Männern kenne ich nur einen einzigen. Seinen Namen findest du auf der Rückseite der Fotografie unter Nummer vier.«

Der Prior drehte die Fotografie um und entzifferte auf ihrer Rückseite nicht ohne Mühe unter Nummer vier den Namen Rudolf von Alpacher. Er murmelte diese beiden Worte vor sich hin und sah den Mönch an.

»Das bin ich«, sagte der Frater.

»Unglückseliger Mensch«, murmelte der Prior. »Du wirst doch damit nichts zu tun gehabt haben, mit der Judenvernichtung im Hitlerreich?«

»Nein, nein«, sagte der Frater. »Ich kann dich beruhigen. Damit hatte ich nichts zu tun. Jedenfalls nicht mehr als Millionen andere, die sich nicht dagegen aufgelehnt haben, als sie es erfuhren.«

Der Prior atmete erleichtert auf. »Aber was hat es dann mit dieser Fotografie auf sich, Bruder Justus?«

»Hör mir zu«, sagte der Mönch. »Ich will es dir erzählen. Es war, glaube ich, im Spätherbst des Jahres 1949. Ich hatte damals einen Hauswartsposten in der Leopoldvorstadt von Wien, als es eines Abends bei mir läutete. Ich drückte den Türöffner und ließ einen Mann ein, den ich nicht kannte. Er stolperte zu mir...
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Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.