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Die Toten der Nefud

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
446 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.03.20161. Auflage
Dr. Martin Conrath, ein Deutscher, der den französischen Kernreaktor für den Irak mitentwickelt hat, überlebt als einziger den Absturz eines Kurierflugzeugs in der arabischen Wüste Nefud. Während er versucht, israelisch kontrolliertes Gebiet zu erreichen, ahnt er, daß ihn der Direktor der CIA für den Nahen Osten niemals aus den Augen verloren hat: Ein Zweikampf, der 1942 begann, als Conraths jüdische Mutter bei den Amerikanern in der Schweiz Schutz suchte, nähert sich der Entscheidung. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
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Produkt

KlappentextDr. Martin Conrath, ein Deutscher, der den französischen Kernreaktor für den Irak mitentwickelt hat, überlebt als einziger den Absturz eines Kurierflugzeugs in der arabischen Wüste Nefud. Während er versucht, israelisch kontrolliertes Gebiet zu erreichen, ahnt er, daß ihn der Direktor der CIA für den Nahen Osten niemals aus den Augen verloren hat: Ein Zweikampf, der 1942 begann, als Conraths jüdische Mutter bei den Amerikanern in der Schweiz Schutz suchte, nähert sich der Entscheidung. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105609385
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.03.2016
Auflage1. Auflage
Seiten446 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1096 Kbytes
Artikel-Nr.1907045
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Das Zelt der Kompaniebefehlsstelle, in der das Feldtelefon klingelte, war zur Hälfte in den noch weichen Erdboden eingegraben. Der Kompaniechef, ein Oberleutnant, nahm selbst den Hörer ab und meldete sich. Sein Hauptfeldwebel, der an den Munitionsbestandslisten des Tages schrieb, blickte auf, als er seinen Vorgesetzten sagen hörte:

»Das darf doch nicht wahr sein.«

Der Gesprächspartner des Oberleutnants war der Bataillonsadjutant, mit dem er sich duzte. Der Feldwebel lauschte den Antworten und Fragen seines Chefs, im Zivilberuf Inhaber eines Herrenbekleidungsgeschäfts in Lüdenscheid, der übrigens zusammen mit dem Feldwebel vier Tage später beim letzten Versuch, die Werman-Linie der Russen zu durchbrechen, fallen sollte. Als zweifle er am eigenen Verstand, schüttelte der Offizier schließlich den Kopf und legte auf.

»Wimberger«, sagte er. »Gehen Sie rüber und holen Sie mir den Conrath. Wie er geht und steht. Den wird es glatt vom Stuhl reißen, den Mann.«

Der Feldwebel verließ das Stabszelt und kehrte nach wenigen Minuten mit dem Unteroffizier Carl Conrath zurück, der trotz der Anweisung des Oberleutnants in seine verschlissene Feldbluse geschlüpft war und die Mütze aufgesetzt hatte. Conrath machte seine Ehrenbezeigung, nahm die Mütze ab und blieb am Eingang stehen.

»Conrath«, begann der Offizier und drehte sich auf der Munitionskiste, die ihm als Sitz diente, ganz zu dem Unteroffizier um. »Sie packen Ihre Sachen, begeben sich zum Troß, holen dort Ihr großes Gepäck und melden sich beim Schreibstubenunteroffizier des Bataillonsstabs. Die stellen schon Ihren Marschbefehl aus.«

»Urlaub?« fragte der Unteroffizier.

Der Oberleutnant stand auf.

»Nein«, sagte er. »Ein Blitzfernschreiben Ihres Wehrbezirksamtes. Sie sind auf Befehl des Führers sofort aus dem aktiven Wehrdienst zu entlassen und UK zu stellen. Alles Weitere erfahren Sie direkt vom Bataillonsstab.«

Da Carl Conrath wie betäubt vor sich hinstarrte, fragte der Oberleutnant: »Haben Sie mich verstanden, Unteroffizier Conrath?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Was war doch gleich Ihr Zivilberuf, Conrath?«

»Ich bin Chemiker, Herr Oberleutnant.«

»Ach ja, richtig. Können Sie sich von alldem ein Bild machen?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

Der Offizier schwieg einige Augenblicke, wahrscheinlich in der Hoffnung, Conrath werde ihm Einzelheiten mitteilen. Da Conrath jedoch beharrlich schwieg, half er nach. »Nun?«

»Wenn das auf eine Führerweisung hin geschieht, bin ich nicht befugt, Auskunft zu geben, Herr Oberleutnant.«

Der Kompaniechef verschränkte die Arme vor der Brust und wippte auf den Fußballen, als er weitersprach: »Was es mit der Chemie auf sich hat, mögen die Götter wissen, Conrath. Aber jedenfalls hat Ihnen der Führer einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Sie wissen, daß wir übermorgen noch einmal die Werman-Linie angreifen?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Und daß deshalb absolute Urlaubssperre verhängt wurde?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Na schön«, sagte der Offizier. »Sie werden dann also nicht mehr dabeisein. Dazu kann man Sie nur beglückwünschen. Sie packen Ihre Sachen ...«

»Noch heute?«

»Sofort«, entschied der Offizier mit einem Blick auf die Armbanduhr. »Bei Dunkelwerden schicke ich die Munitionswagen los. Da können Sie aufsitzen. Inzwischen schreibe ich einen Brief, den Sie mit nach Deutschland nehmen.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Und jetzt stehen Sie bequem, Conrath.«

In diesem Augenblick fuhr ein feines, messerscharfes Winseln durch die Luft, gefolgt von drei- oder viermaligem krachendem Einschlag in einiger Entfernung und von dem Geräusch splitternd niederstürzender Äste und Stämme. Der Feldwebel steckte vorsichtig den Kopf hinaus. »Der Iwan ist nervös, tastet schon wieder die Gegend ab, Herr Oberleutnant«, meldete er.

»Hoffentlich haben die nicht Wind von unserem geplanten Angriff bekommen«, sagte Conrath.

»Das kann Ihnen doch jetzt gleichgültig sein«, erwiderte der Oberleutnant. »Warum schlagen Sie eigentlich seit Jahren die Reserveoffizierslaufbahn aus, Conrath?«

»Es gibt da gewisse Hindernisse«, gestand Conrath nach kurzem Zögern. »Ihr Vorgänger wußte davon, Herr Oberleutnant. Die einschlägigen Unterlagen sind beim Bataillon. Aber mein Fall kann Ihnen ja jetzt gleichgültig sein, wie mir der bevorstehende Angriff.«

Von draußen drang wieder das dünne, von einer Detonation gefolgte Winseln des russischen Störfeuers herein.

»Na schön«, sagte der Oberleutnant. »Machen Sie sich fertig, und melden Sie sich anschließend bei mir ab.«

Als Carl Conrath das Stabszelt verlassen hatte, wandte der Offizier sich an seinen Hauptfeldwebel. »Haben Sie eine Ahnung, was da anliegt?«

»Sie meinen die Freistellung?«

»Nein, das Hindernis.«

»Er hat eine jüdische Frau«, sagte der Feldwebel und machte sich wieder an seine Munitionsbestandslisten, um das letzte Tageslicht auszunutzen. Der Oberleutnant schüttelte den Kopf. »Sorgen haben die. Leutnant darf er nicht werden. Aber der Führer läßt ihn freistellen, bloß weil er Chemiker ist. Was soll man davon halten?«

»Daß die Sache, wegen der er freigestellt wird, sehr wichtig ist, Herr Oberleutnant. Wichtiger als denen ihr Judenfimmel. Die Ehe war übrigens schon privilegiert, als er voriges Jahr zum Bataillon kam. Ich habe läuten hören, als ob Conrath an der Konstruktion von Raketen beteiligt ist, mit denen sie in Berlin den Krieg gewinnen wollen.«

Der Oberleutnant schüttelte wieder den Kopf.

»Sorgen haben die«, wiederholte er. »Mit der Offensive auf den Nachschubhafen der Russen bleiben wir liegen, die Engländer fangen an, unsere Städte in Schutt zu legen, demnächst führt Amerika Krieg gegen uns, und in Berlin haben sie nichts anderes zu tun, als sich um jüdische Ehefrauen zu kümmern.«

 

Carl Conrath packte seine Sachen, bestaunt und beneidet von seinen Kameraden. Briefe wurden geschrieben und Grüße aufgetragen, und bei einsetzender Dämmerung brach Carl Conrath feldmarschmäßig aus der Stellung auf, um seinem Führer einen weit wertvolleren Dienst zu leisten, als sich mit einer Infanteriegeschützkompanie des XXXVI. Armeekorps in den düsteren, melancholischen Fichtenwäldern Nordkareliens sinnlos verheizen zu lassen. Er ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken, als er auf der pferdebespannten Protze kauerte und darauf lauschte, wie das dünne Winseln und satte Krachen hinter ihm leiser und leiser wurden. Dunkel standen die Wälder ringsumher, halb verborgen darin die zusammengeschossenen Blockhausbunker der Russen, die die deutschen Truppen auf ihrem Vormarsch bis zum endgültigen Halt an der Seensperre des Werman erobert hatten. Rechts und links der ausgefahrenen Erdstraße lagerten getarnte Trosse und Stäbe. Es roch nach Holzrauch, Pferdemist und Ozon. Eine Front am Ende der Welt. Unteroffizier Carl Conrath erhielt beim Bataillonsstab seinen Marschbefehl ausgehändigt, fuhr, behängt mit Gepäck, Karabiner, Stahlhelm und Gasmaske, weiter, nächtigte in einer Baracke beim Feldflugplatz der Jägerstaffel von Alakurtti, um am nächsten Morgen mit einer Kuriermaschine der Luftwaffe die Heimreise nach Deutschland anzutreten. Das Flugzeug brachte ihn nach der Stadt Turku. Dort bestieg Conrath einen Frachter, der Nachschub für die finnische Front geholt hatte und nun Verwundete nach Swinemünde transportierte. Conrath war einer der ganz wenigen, die keiner ärztlichen Betreuung bedurften. Er stand am Heck, beobachtete das Kielwasser und sah Hafen und Stadt langsam verschwinden. Ein Lebensabschnitt war für ihn zu Ende. Zwar trug er noch die Uniform, war noch Angehöriger der Wehrmacht, aber das bedeutete nur noch eine leere, formelhafte Hülle. Mechanisch erwies er den verwundeten Offizieren und den Militärärzten an Bord seine Ehrenbezeigungen. Es befriedigte Carl Conrath zutiefst, daß nicht einer von ihnen ahnte, welche Wendung sein Leben in kurzer Zeit nehmen würde. Und in der Tat wußte an Bord des Dampfers »Kolberg« niemand, nicht einmal Conrath selbst, daß der Führer mit ihm einen Ingenieur vom Wehrdienst freigestellt hatte, dessen Vorarbeiten es den Amerikanern knapp zwanzig Jahre später ermöglichen sollten, zur Eroberung des Weltalls aufzubrechen.

In Swinemünde betrat er deutschen Boden. Ein Schnellzug brachte ihn nach Berlin, wo er am Stettiner Bahnhof von seiner Frau Ruth und seinem Sohn Martin begrüßt wurde, der damals dreizehn Jahre alt war. Als Fronturlauber mit Marschgepäck konnte er zu dieser Zeit sogar noch ein Taxi ergattern, das die Familie zu dem Bürgerhaus am Lützowplatz brachte, in dem die Conraths eine Vierzimmerwohnung im zweiten Stock besaßen. Ruth Conrath war von der Rückkehr ihres Mannes von der Eismeerfront nicht überrascht.

»Ich wußte es schon, bevor du aus Stettin angerufen hast«, sagte sie, als das Taxi die Siegessäule umrundete und nach Süden in den Tiergarten einbog, den die gepflegten Bauten fast aller ausländischen Missionen säumten.

»Woher wußtest du es denn?« fragte Conrath.

»Man hat zweimal angerufen, einmal das Ministerium und einmal die Luftwaffe. Ich weiß nicht genau, wer dich sprechen wollte. Aber sie melden sich wieder. Und außerdem sind zwei Briefe vom Wehrbezirkskommando für dich gekommen. Es war also nicht schwer zu erraten, daß du bald vor der Tür stehen würdest. Was hat das alles zu bedeuten, Carl?«

»Ich werde entlassen«, sagte Carl Conrath trocken.

Sein Blick fiel durch die Bäume auf die Umrisse einer riesigen Baustelle, die sich brutal mitten in die herrlichen Parkanlagen fraß.

»Was wird denn...
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Autor

Stefan Murr, Pseudonym eines promovierten Juristen, schrieb mehrere TATORT-Krimis und Romane. Seine Bücher zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Details aus und haben als Kern meist ein tatsächlich geschehenes Verbrechen. 1982 wagte er mit »Affäre Nachtfrost« den Schritt zum großen zeitgeschichtlichen Spannungsroman, was die rückhaltlose Zustimmung der Kritik fand.