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David steigt aufs Riesenrad

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
134 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.12.20151. Auflage
Als ein Glücksfall wurde Detlev Meyers zerknirschter Großstadtfreak, der stets verhinderte Dichter Dorn, nach Erscheinen des ersten Teils der bestürzenden Biographie ?Im Dampfbad greift nach mir ein Engel? gefeiert. Im zweiten Teil greift Dorn zum Fahrrad. Eingerahmt von zwei Briefen jeweils an einen jugendlichen Softie ist Dorns Bericht über zwei Fahrradtouren von Berlin ans Steinhuder Meer, die er zusammen mit dem eifersuchtsgepeinigten Freund Viktor (»Wir spielen Strindberg für Schwule«) und einer gewissen engelsgeduldigen Todora unternimmt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Detlev Meyer (1950-1999), studierte Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Berlin, Cleveland und Ohio; Bibliothekar in Toronto, Entwicklungshelfer in Jamaica; Literaturstipendien des Berliner Senats 1980 und 1984, Döblin-Stipendium 1986; veröffentlichte Gedichtbände und Romane, ferner Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien.
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Produkt

KlappentextAls ein Glücksfall wurde Detlev Meyers zerknirschter Großstadtfreak, der stets verhinderte Dichter Dorn, nach Erscheinen des ersten Teils der bestürzenden Biographie ?Im Dampfbad greift nach mir ein Engel? gefeiert. Im zweiten Teil greift Dorn zum Fahrrad. Eingerahmt von zwei Briefen jeweils an einen jugendlichen Softie ist Dorns Bericht über zwei Fahrradtouren von Berlin ans Steinhuder Meer, die er zusammen mit dem eifersuchtsgepeinigten Freund Viktor (»Wir spielen Strindberg für Schwule«) und einer gewissen engelsgeduldigen Todora unternimmt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Detlev Meyer (1950-1999), studierte Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Berlin, Cleveland und Ohio; Bibliothekar in Toronto, Entwicklungshelfer in Jamaica; Literaturstipendien des Berliner Senats 1980 und 1984, Döblin-Stipendium 1986; veröffentlichte Gedichtbände und Romane, ferner Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105607183
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.12.2015
Auflage1. Auflage
Seiten134 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse721 Kbytes
Artikel-Nr.1913575
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Tour der Freuden

Das Waldhaus oder Logieren im Staatsforst:

Wir bauen uns ein Haus, so groß, daß man die Wände nicht sieht. Das Regal liegt flach auf der Erde, die Bücher werden aufgereiht zwischen den abgeschlagenen Stämmen. Wenige Bücher haben wir: Das ABC der Jägerprüfung , Du und der Wald , Wild und Schonung - Zum Problem der Schadensbegrenzung .

Viktor verschwindet. Nach einer halben Stunde kommt er wieder als ein Anderer. Als Fremder!

Wer bist du, Fremder?

Wo kommst du her, Fremder?

Wo gehst du hin, Fremder?

Sag: Wohin gehst du, Fremder?

Okay! Wohin gehst du, Fremder?

Drei Fragen, die drei Fragen, wie von selbst gestellt. Keine Anstrengung im Nutzholz, die Zeit verträumt im grünen Dunkel.

Schön!

Sag du jetzt: Grün bemoost die Zeit die Uhren.

Ich trau mich nicht.

Dann sag: Im Moos der Zeit uhrt grün das Dunkel.

Au ja! Im Moos der Zeit uhrt grün das Dunkel.

Jetzt ich: Grünzeit dunkelt in den Traum des Mooses. Traumuhr, du wieder, Traumzeit ... warte mal ... Traumuhr grünt in Dunkelzeiten ... Dunkelmoos verzeit ...

Verzeiht?

Ohne h, verzeiten meine ich, das neue Wort für Zeit vergeht , also: Dunkelmoos verzeit ...

Verzeihung, sagt Viktor, aber ihr beginnt, mich tierisch zu nerven.

Schmeckt tierisch gut, sagte der Vegetarier, entgegnet Dorn.

Todora freut sich. Die Jungs streiten sich immer so nett.

 

Viktor und Dorn folgsam auf dem Fahrradweg, den Todora mutwillig meidet. Allein auf der Landstraße tritt sie ein auf Sturm und Regen. Mit ihrem weißen Turban und dem nachtblauen Cape sieht sie aus wie Else Lasker-Schüler auf Nordlandfahrt.

Huhu, du blauer Kai in blauer Kiste, ruft Dorn.

Todora lächelt und leckt sich die Regentropfen von den Lippen.

Viktor dreht sich um: Machen wir nun eine Fahrradtour, oder poussieren wir?

Viktor ist der Captain, und sein Wort ist das Gesetz der Straße.

Schweig still, mein Herz, flüstert Dorn, die nächste Scheune ist unsere. Viktor, ruft er, dreh dich, bitte, noch einmal um. Du siehst so jung aus mit nassem Haar.

Viktor hält sich die Ohren zu und fährt bestimmt fünfhundert Meter freihändig.

Schau ihn dir an, sagt Dorn zu Todora, ist er nicht wunderschön?

 

 

 

Die Kekserbin, erzählt Todora auf dem Baumstamm liegend, ziert sich sogar noch beim Meditieren ... Egal, was für ein Glas die in der Hand hält, es hat immer den Anschein, als würde sie aus einem goldenen Fingerhut trinken ... Die raucht zwar Kette, aber das tut sie mit buddhistischer Gelassenheit ...

Die hat es auch nicht leicht, sagt Viktor, die betet sich seit Jahren durch die unterschiedlichsten fernöstlichen Religionen und lebt mit diesem Rasta-Prinzen, der an die Unsterblichkeit des Negus glaubt.

I and I, singt Dorn und legt ein paar Reggae-Schritte vor, das ist der typische Vernissage-Jamaicaner, der unter seinen wallenden Gewändern Eminence-Slips trägt.

Woher weißt du das? fragt Viktor.

Das hat mir Todora erzählt.

Lüge! schreit die, Rufmord! Da war nie was!

Natürlich war da was, halb Berlin hat sich darüber das Maul zerrissen.

Du wirst doch heute noch ganz blaß, wenn du einen Bunten siehst, sagt Dorn.

Frechheit! Das muß ich mir als Dame nicht gefallen lassen. Todoras Kopf verschwindet im Cape.

Wo seid ihr, ruft sie aus dem blauen Zelt, ich seh euch nicht.

Todora, wo bist du? ruft Viktor, wir sehen dich nicht.

Dorn ist Betty Middler als Janis Joplin: Where are you? Where ist everybody going?

Und dann klingen im Walde die Gläser. Irre, diese Natur, die törnt richtig.

Der Wald spricht!

Was, der Wald spricht?

Ja, was spricht denn der Wald?

Hört ihr das echt nicht? fragt Viktor irritiert.

Schon, aber nicht so deutlich.

Kopfschüttelnd verschwindet Viktor in des Staatsforsts Dickicht.

Dickicht? Laß das nicht den Förster hören, sagt Todora, der kommt und räumt hier gründlich auf. Siehst du hier wirklich Dickicht?

Wenn ich will, sogar einen Dschungel.

Plötzlich: Rübezahl! Rübezahl!

Nun hat es Viktor erwischt, nun kommt er nie wieder. Nun läßt er sich einen langen Bart wachsen, Viktor, der sich zweimal täglich rasiert. In die Höhe schießen wird er, und bald mißt er drei Meter achtzig, dieser Rübezahl der BRD.

So weit wird er nicht gehen, sagt Todora, Viktor gedeiht nur unter Neonlicht. Das braucht er für sein Chlorophyll.

Nicht ganz, Todora. In seinem Herzen ist er ein Grüner.

Indianerleise schleicht sich Viktor heran.

Ich bin ein Kerl wie ein Baum, ruft er. Macht sich groß und breit und schüttelt die Zweige, die in seinen Taschen stecken. In den Hosentaschen, vorne und hinten, in den Jackentaschen, innen und außen, selbst im Haar und in den Ohren.

Todora ist entzückt ob der Mühe, die sich der Liebe gemacht hat. Sie klatscht in die Hände und sagt: Nein, wie apart!

Viktor verbeugt sich: Übrigens nicht abgerissen! Aufgelesen habe ich die Zweige.

Ein Baum auf Beinen, staunt Dorn, bleib so, das muß ich knipsen.

Knisternde Erotik, wo du auch hinguckst. Zum Beispiel Bauernjungen nach dem Weg fragen! Nun komm mir nicht mit deiner letzten Sauna-Orgie! Ich wiederhole: Bauernjungen nach dem Weg fragen. Allein bei dem Wort Bauernjungen bekommst du doch eine Gänsehaut. Und erst der direkte Kontakt ...

Erzähl!

Also, wir drei zwischen Waygaard und Fahretoft, aus einem Haus treten, halt dich fest! Bauernjungen, zwei an der Zahl, und einer knackiger als der andere.

Nein!

Doch! Ich sie sehen und volle Bremsung ist eins. Harmlos sage ich zu Viktor und Todora: Vielleicht wissen die Jungs, wo es nach Dagebüll geht. Todora guckt mißtrauisch. Laß ihn, sagt Viktor, da kennt der nichts. Dorn fragt auch auf dem Wittenbergplatz, wo das KaDeWe ist, wenn er jemanden anmachen will. Viktor, auch kein Kostverächter, gesellt sich zu uns, hat plötzlich auch Fragen, die Route betreffend, und entwickelt einen derart urbanen Charme, daß es den Bauernjungen in den Ohren saust. Indes sage ich zu dem Kleineren: Zeig es mir doch auf der Karte. Schlage sie auf und versteck mich mit ihm dahinter. Mit trockenem Mund verfolge ich einen kräftigen Bauernjungendaumen, der einer roten Linie folgt. Plopp macht es, und ein Knopf springt mir vom Schlitz.

Angeber!

Gut. Aber erregt war ich schon. Auch Viktor wird zum Tier. Ich sehe einen Wolf ein Schäfchen reißen. Lecker, sag ich dir. Todora ist die ganze Situation furchtbar peinlich.

Unmöglich, denkt sie, das ist ja zwanghaft.

Viktor reibt sich wollüstig den Bauch.

So, sagt er, jetzt könnte ich eine Kleinigkeit vertragen.

Appetit bekommen? fragt Dorn aus dem Mundwinkel.

Und selber? fragt Viktor aus dem Mundwinkel.

Todora sagt: Was gibt´s denn da zu tuscheln?

Hühnerbrühe im Gasthof zur Post .

Erinnerung an eine Konfirmation im Westdeutschland der frühen 60er: Cousine Marion, aufgenommen in die Gemeinschaft der Gläubigen mit Ach und Krach - sie hatte große Schwierigkeiten beim Lernen der Zehn Gebote -, erlaubt sich ihren ersten öffentlichen Liebeskummer. Zeit wird es, ihre Tage bekommt sie schon, und nun hat sie auch noch eine Dauerwelle wie Conny. Cousine Marion möchte nicht ihren Tag an der Stirnseite der Hufeisentafel verbringen, eingeklemmt zwischen dem sangesfrohen Vater und der tränenfreudigen Mutter, sie möchte hinterm Haus mit Peter schmusen, Peter aber ist beim Bund.

Cousin Wolf-Dieter, der schöne Wolf-Dieter, Verkörperung des Inzestwunsches dieser braven Familie, legt eine Platte auf, die er toff findet.

Toff, sagt Dorn verächtlich zu seinem Bruder, hast du das schon mal in Berlin gehört?

Bestimmt nicht, sagt der, noch eine Spur verächtlicher. Es erklingt der beliebte Schlager: Einsam steh ich hier und warte ... , Kommando Wasser marsch! für Marions Mutter, die versonnen weinend im Ausschnitt ihres Brokatkleides nach dem Taschentuch sucht. Auch Wolf-Dieter ist der Cowboy nicht, und seine dunklen Augen schwimmen nach Palermo.

Einsam steh ich hier und warte / auf mein einzig wahres Glück / an den Strand von Palermo / sehne ich mich zurück ...

Zurück ist gut, flüstert Dorn seinem Bruder zu, die kennen doch gerade den Maschsee.

Schluchzend stürzt Cousine Marion ins elterliche Schleiflackzimmer. Vor lauter Verzweiflung möchte sie sich aufs Ehebett werfen, aber so groß ist ihr Kummer nun doch nicht, daß sie es wagte, die Tagesdecke zu zerwühlen. Mit feuchtem Schlagerblick schaut sie in den Frisierspiegel.

I love you, sagt sie mit runden Lippen.

Wenn man sie in diesem Moment fragte: Wen denn? wüßte sie nicht zu antworten. Sie kann sich schwer etwas merken.

Komm endlich, sagt ihre verquollene Mutter, wir sind schon bei der Suppe.

Hühnerbrühe. Mit Eierstich! Schließlich ist sie das einzige Kind.

 

 

 

Privatquartier bei Schremmels in Steinhude.

Todora verschwindet ins Mädchenzimmer zu Angélique , alle Bände. Viktor und Dorn steigen ins Doppelbett, als begingen sie ein Sakrileg. Beobachtet werden sie von einer jungen Zigeunerin in zerrissener Bluse, dem Schmerzensmann und einem Edelweißsträußchen.

Sei mit nicht böse, sagt Viktor, aber in diesem Design krieg ich keinen hoch.

Und leicht kommt der Schlaf zu den artigen Jungen.

Am Frühstückstisch gibt es nicht einen Traum zu erzählen.

Die Muskeln, die sie spüren, werden...
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Autor

Detlev Meyer (1950-1999), studierte Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Berlin, Cleveland und Ohio; Bibliothekar in Toronto, Entwicklungshelfer in Jamaica; Literaturstipendien des Berliner Senats 1980 und 1984, Döblin-Stipendium 1986; veröffentlichte Gedichtbände und Romane, ferner Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien.