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Absurdistan

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am16.12.20161. Auflage
Mischa Vainberg ist 30, 147 Kilo schwer und auf der Suche nach der Liebe. Seine Mutter starb, als er noch klein war. Als 18-Jähriger schickte ihn sein Vater zum Studium und zur Beschneidung nach Amerika. Doch just als Mischa ihn in St. Petersburg besuchen will, wird der alte Vainberg erschossen. Für Mischa beginnt eine Irrfahrt: Zurück in die USA kann er nicht, da ihm die Einreise verweigert wird. Also sucht er sein Heil in der Flucht. Ein Bekannter ist belgischer Diplomat in Absurdistan, vielleicht verschafft der ihm die nötigen Papiere? Aber Absurdistan wird gerade von einem Bürgerkrieg erschüttert ... Einfallsreich. Wortgewaltig. Grenzenlos. «Gary Shteyngart ist so böse wie Borat und lustiger als Nabokov.» (Die ZEIT) «Gary Shteyngart ist ein virtuoser Geschichtenerzähler.» (The New York Times) «So politisch unkorrekt ist schon lange kein Romanheld mehr durchs Zeitgeschehen gerast.» (Der Spiegel) «In dieser derb-amüsanten und überschäumend bösartigen Satire schießt der jüdische Exil-Russe Shteyngart gegen alles.» (Süddeutsche Zeitung) «So eine umwerfende, abenteuerliche und bis zum Schluss spannende Story ... ist für sich schon eine Rarität ... Aber bei Shteyngart erzeugt obendrein der verschwenderische, ausgreifende Erzählstil einen echten Sog.» (Frankfurter Allgemeine)

Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad (St. Petersburg) geboren und emigrierte im Alter von sieben Jahren in die USA. Er veröffentlichte die Romane «Handbuch für den russischen Debütanten», ausgezeichnet u.a. mit dem National Jewish Book Award for Fiction, «Absurdistan» «Super Sad True Love Story» - dieser dritte Roman wurde in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. 2015 erschien sein autobiographisches Buch «Kleiner Versager». Gary Shteyngart lebt in New York.
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Produkt

KlappentextMischa Vainberg ist 30, 147 Kilo schwer und auf der Suche nach der Liebe. Seine Mutter starb, als er noch klein war. Als 18-Jähriger schickte ihn sein Vater zum Studium und zur Beschneidung nach Amerika. Doch just als Mischa ihn in St. Petersburg besuchen will, wird der alte Vainberg erschossen. Für Mischa beginnt eine Irrfahrt: Zurück in die USA kann er nicht, da ihm die Einreise verweigert wird. Also sucht er sein Heil in der Flucht. Ein Bekannter ist belgischer Diplomat in Absurdistan, vielleicht verschafft der ihm die nötigen Papiere? Aber Absurdistan wird gerade von einem Bürgerkrieg erschüttert ... Einfallsreich. Wortgewaltig. Grenzenlos. «Gary Shteyngart ist so böse wie Borat und lustiger als Nabokov.» (Die ZEIT) «Gary Shteyngart ist ein virtuoser Geschichtenerzähler.» (The New York Times) «So politisch unkorrekt ist schon lange kein Romanheld mehr durchs Zeitgeschehen gerast.» (Der Spiegel) «In dieser derb-amüsanten und überschäumend bösartigen Satire schießt der jüdische Exil-Russe Shteyngart gegen alles.» (Süddeutsche Zeitung) «So eine umwerfende, abenteuerliche und bis zum Schluss spannende Story ... ist für sich schon eine Rarität ... Aber bei Shteyngart erzeugt obendrein der verschwenderische, ausgreifende Erzählstil einen echten Sog.» (Frankfurter Allgemeine)

Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad (St. Petersburg) geboren und emigrierte im Alter von sieben Jahren in die USA. Er veröffentlichte die Romane «Handbuch für den russischen Debütanten», ausgezeichnet u.a. mit dem National Jewish Book Award for Fiction, «Absurdistan» «Super Sad True Love Story» - dieser dritte Roman wurde in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. 2015 erschien sein autobiographisches Buch «Kleiner Versager». Gary Shteyngart lebt in New York.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644400573
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum16.12.2016
Auflage1. Auflage
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1083 Kbytes
Artikel-Nr.1926426
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Prolog
Von wo aus ich anrufe


Dies ist ein Buch über die Liebe. Mit der prallen russischen Gefühlsseligkeit, die als echte Herzenswärme durchgeht, widme ich die folgenden 452 Seiten meinem Geliebten Herrn Papa, der Stadt New York, meiner süßen, verarmten Freundin in der South Bronx und der US-Einwanderungsbehörde.

Außerdem ist dies ein Buch über zu viel Liebe. Es ist ein Buch über das Verarschtwerden. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin verarscht worden. Sie haben mich benutzt. Mich ausgenutzt. Mich abgecheckt. Haben gleich gewusst: Ich bin der Mann, den sie zum Affen machen können. Falls «Mann» hier das richtige Wort ist.

Vielleicht ist dieses ganze Verarschbarkeits-Ding genetisch. Ich denke da an meine Großmutter. Sie war eine glühende Stalinistin und treue Mitarbeiterin der Leningrader Prawda, bis Alzheimer ihr an Grips nahm, was noch übrig war, und sie hatte die berühmte Allegorie von Stalin als Bergadler verfasst, der ins Tal herabstieß, sich drei imperialistische Dachse zu greifen, Großbritannien, Amerika und Frankreich, deren magere Körper in den blutigen Krallen des Generalissimo in Stücke gerissen wurden. Es gibt ein Bild von mir als Baby auf Omas Schoß. Ich sabbere sie voll. Sie sabbert mich voll. Man schreibt das Jahr 1975, und wir sehen beide völlig gaga aus. Nun sieh nur, was aus mir geworden ist, Oma. Siehst du die Zahnlücken und den kaputten Unterleib? Was sie meinem Herzen angetan haben, diesem zerquetschten Kilo Fett, das an meinem Brustbein baumelt? Für die Aufgabe, sich im 21. Jahrhundert in Stücke reißen zu lassen, empfehle ich mich als der vierte Dachs.

Dies schreibe ich in Davidovo, einem kleinen Dorf nahe der Nordgrenze der ehemaligen Sowjetrepublik Absurdsvanï, bevölkert ausschließlich von den sogenannten Bergjuden. Ach, die Bergjuden! In ihrer weltfernen Abgeschiedenheit hinter den sieben Bergen und ihrer starrsinnigen Hingabe an die Sippe und Jehova erscheinen sie mir prähistorisch, noch nicht einmal wie Säugetiere, sie erinnern mich eher an schlaue Mini-Dinosaurier, die sich einst über die Erde quälten, Vertreter der Gattung Chaimosaurus Rex.

Es ist früh im September. Das Blau des Himmels ist unerschütterlich, seine Leere und Grenzenlosigkeit erinnern mich daran, weiß auch nicht wie, dass wir uns auf einem kleinen runden Planeten befinden, der sich seinen Weg Zentimeter für Zentimeter durch ein schreckliches Nichts bahnt. In ihrem Schlaf auf den Dachfirsten der weitläufigen Rotklinkeranwesen richten sich die Satellitenschüsseln des Dorfes auf die Berge der Umgebung aus, deren Gipfel zartes Alpenweiß bekrönt. Eine sanfte Spätsommerbrise kühlt meine Wunden, und selbst der gelegentliche streunende Köter tapert so ruhig und zufrieden daher, als würde er morgen in die Schweiz auswandern.

Das ganze Dorf hat sich um mich versammelt, die vertrockneten Senioren, die öligen Teenager, die einheimischen Schwerverbrecher mit sowjetischen Gefängnistätowierungen auf den Fingern (frühere Freunde meines Geliebten Herrn Papa), selbst der verwirrte einäugige Greis von einem Rabbi weint nun an meiner Schulter und wispert mir in seinem schlechten Russisch zu, was für eine Ehre es sei, einen bedeutenden Juden wie mich in seinem Dorf zu wissen, und wie gern er mich mit Spinatküchlein und Hammelbraten wieder aufpäppeln würde, um mir dann im Dorf eine gute Frau zu suchen, die mir einen bläst und mich stopft, bis mein Bauch aussieht wie ein Gummiball kurz vorm Platzen.

 

Ich bin ein tiefungläubiger Jude und finde weder in Nationalismus noch Religion meinen Frieden. Aber hier unter diesen seltsamen Abkömmlingen meiner Rasse packt mich nun doch ein Wohlgefühl. Die Bergjuden verhätscheln und verwöhnen mich; ihr Spinat ist saftig und nimmt all ihren Knoblauch und ihre zerlassene Butter auf.

Und doch sehne ich mich danach, in die Lüfte zu steigen.

Quer über den Globus zu brausen.

Auf der 173. Straße zu landen, an der Ecke Vyse Avenue, wo sie auf mich wartet.

Mein hochmögender Psychoanalytiker Dr. Levine (Park Avenue!) hat mich schon beinahe von der Vorstellung befreit, dass ich fliegen kann. «Wir wollen auf dem Boden bleiben», so sagt er gern. «Wir wollen uns auf das Mögliche beschränken.» Kluge Worte, Herr Doktor, aber vielleicht haben Sie es einfach noch nicht geschnallt.

Ich bilde mir nicht ein, ich könnte fliegen wie ein anmutiger Vogel oder ein toller amerikanischer Superheld. Ich fliege wohl eher so, wie ich alles tue - ruckend und zuckend, immer in Gefahr, dass mich die Schwerkraft auf das dünne schwarze Band des Horizonts schmettert, dass spitze Felsen an meine Titten und Bäuche schrammen, Flüsse mir den Mund mit vermoostem Wasser füllen und Wüsten mir die Taschen mit Sand auskleiden und sich jede hart erkämpfte Landung in einen scharfen Absturz ins Nichts verwandelt. Und so mache ich es jetzt, Herr Doktor. Ich brause davon, weg von dem greisen Rebbe, der sich liebevoll an den Kragen meines Jogginganzugs klammert, fort über das Blattgemüse des Dorfes und seine vorgeschmorten Hammel, über den grün betupften Überhang zweier zusammenstoßender Gebirgsketten, die den prähistorischen Bergjuden Schutz vor den unheilbringenden Muslimen und Christen der Umgebung gewähren, über das geplättete Tschetschenien und das pockennarbige Sarajewo, über hydroelektrische Dämme und die leere Welt der Geister, über Europa, die herrliche Polis, die Bergfestung mit dem blauen Sternenbanner auf ihren Mauern, über die frostige Totenstille des Atlantiks, der mich am liebsten ein für alle Mal ertränken würde, immer und immer wieder, und schließlich näher, näher, näher, näher und näher zu ihr, der Spitze jener schlanken Insel ...

 

Nordwärts fliege ich, zur Frau meiner Träume. Ich bleibe dicht über dem Boden, genau wie Sie gesagt haben, Herr Doktor. Ich versuche, einzelne Formen und Orte auszumachen. Ich versuche, mein Leben wieder zusammenzustückeln. Da ist der pakistanische Imbiss in der Church Street, wo ich die ganze Küche leer gefressen und mich in Ingwer und eingelegten Mangos ertränkt habe, in scharfen Linsen und Blumenkohl, während die versammelten Taxifahrer mich anfeuerten und die Nachricht von meiner Unersättlichkeit an ihre Verwandten in Lahore funkten. Jetzt bin ich über der kleinen Skyline, die östlich des Madison Park entstanden ist, mit dem kilometerhohen Nachbau des Campanile von San Marco in Venedig, der goldenen Spitze des New-York-Life-Gebäudes, diesen Symphonien aus Stein, diesen modernistischen Formationen, die sich die Amerikaner aus mondgroßen Felsen geschnitzt haben müssen, diesem letzten Sichaufbäumen hin zu einer gottlosen Unsterblichkeit. Jetzt bin ich über der Klinik in der 24. Straße, wo mir einmal ein Sozialarbeiter gesagt hat, dass ich HIV-negativ bin, dass ich kein Aids habe, worauf ich auf dem Klo voller Schuldgefühle um die schönen dünnen Jungen weinen musste, deren ängstliche Blicke ich im Wartezimmer an mir hatte abprallen lassen. Jetzt bin ich über dem dichten Grün des Central Park und fahre die Schatten junger Matronen nach, die ihre häppchengroßen orientalischen Hunde auf die kommunale Versöhnungswiese des Großen Rasens führen. Unter mir fliegt der trübe Harlem River vorbei; ich ziehe über das silbrige Dach des langsam vorwärts tuckernden Pendlerzuges und setze meinen Flug nach Nordosten fort; mein Körper ist müde und schlaff und bittet um Landeerlaubnis.

Jetzt bin ich über der South Bronx, längst nicht mehr sicher, ob ich noch fliege oder schon in olympiareifem Tempo über den Asphalt schlittere. Die Welt meiner Freundin greift nach mir und umfängt mich. In alle grausamen Wahrheiten der Tremont Avenue bin ich eingeweiht - wo einem anmutig geschwungenen Graffito zufolge BEBO ewig LARA liebt, wo mich die neonglänzende Fassade der tapferen Hühnerbraterei bittet, ihre ölig-süßen Aromen zu kosten, und der Schönheitssalon «Adonai» mir droht, meine schlaffe Lockenpracht aufwärts zu wenden und in Brand zu setzen wie die orangene Fackel der Freiheitsstatue.

Wie ein fetter Lichtstrahl sause ich durch Billigläden, die Achtzigerjahre-T-Shirts und nachgemachte Rocawear-Jogginghosen verkloppen, durch die dunklen Sandsteinklötze der Sozialwohnungsbauten (Warnung: «Operation Sauberer Flur». Und: «Unbefugte werden verhaftet!»), hinweg über die Köpfe der Jungen mit ihren gangfarbenen Stirnbändern und ihren Haarnetzen, die im Sattel ihrer Monsterräder miteinander Turniere ausfechten, über die dreijährigen dominikanischen Mädchen in ihren Tanktops, mit ihren Strassohrringen, über den sauberen Vorgarten, wo die weinende dunkelhäutige Jungfrau nicht von dem Rosenkranz um ihren errötenden Nacken lassen kann.

An der Ecke 173. Straße und Vyse Avenue, auf den Eingangsstufen eines Sozialwohnungs-Ziegelbaus, übersät mit vom Winde verwehten Käsetörtchen und roten Lakritzstangen, hat mein Mädchen seinen nackten Schoß mit Lehrbüchern für das Hunter College geschmückt. Ich fahre mitten hinein in die Pracht ihrer zuckerglasierten Sommerbrüste. Das engsitzende gelbe Hemdchen, das die beiden kaum bedeckt, informiert mich: « G steht für Gangsta». Und wie ich sie so mit Küssen bedecke, wie der Schweiß meines Transatlantikfluges sie in Salz und Sirup meiner eigenen Machart einlegt, trifft mich vor lauter Liebe für sie der Schlag und vor lauter Trauer um fast alles sonst. Trauer um meinen Geliebten Herrn Papa, den echten «Gangsta» in meinem Leben - Trauer um Russland, das ferne Land meiner Herkunft, und um Absurdistan,...
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Autor

Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad (St. Petersburg) geboren und emigrierte im Alter von sieben Jahren in die USA. Er veröffentlichte die Romane «Handbuch für den russischen Debütanten», ausgezeichnet u.a. mit dem National Jewish Book Award for Fiction, «Absurdistan» «Super Sad True Love Story» - dieser dritte Roman wurde in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. 2015 erschien sein autobiographisches Buch «Kleiner Versager». Gary Shteyngart lebt in New York.Robin Detje lebt als Autor und Übersetzer in Berlin. Er ist Teil der Künstlergruppe bösediva. Für seine literarischen Übersetzungen wurde er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse und dem Preis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung ausgezeichnet.