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Der Junge bekommt das Gute zuletzt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am10.10.20161. Auflage
Claude ist anders als andere Dreizehnjährige; da muss man gar nicht erst seine Faszination für die Geschichte der Todesstrafe in Wien kennen. Sein Vater ist Posaunenlehrer, die Mutter Ethnologin, und das so engagiert, dass eines Tages ein echter Indio in die Wohnung zieht. Eilig wird eine Mauer hochgezogen: Auf der einen Seite wohnt die Mutter mit Claudes Bruder und dem neuen Liebhaber, auf der anderen Claude und sein Vater. Der hat aber schnell auch eine Neue (Flötistin, Veganerin, Deutsche). Bald sind beide Eltern ausgezogen, Claude bleibt allein zurück, warum auch nicht? Überhaupt soll er weniger rumjammern, findet seine dicke Großmutter, und auch einmal an andere denken. Bleibt nur noch Taxifahrer Dirko aus der Nachbarwohnung, der ihn täglich in das Elitegymnasium fährt, wo Claude regelmäßig von den Reichenkindern vermöbelt wird. Dirko kommt aus Serbien, hat eine Hütte an der Donau und eine Schublade voller falscher Ausweise. Er ist mal Däne, mal Armenier und kann Geschichten erzählen ohne Ende. Von schmerzhaften Insektenstichen, schmutzigen Kriegsverbrechen und winzigen Glasfröschchen, deren Herz man schlagen sieht. Irgendwann lernt Claude an seiner neuen Schule auf einem alten Donaufrachtschiff ein Mädchen kennen. Liebe erwacht. Claude und Minako machen sich daran, ihre eigene Familie zu gründen, dabei sind sie beide doch noch so jung. Ob das ohne Schmerzen abgeht?

Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er zählt zu den populärsten Kabarettisten und Fernsehmoderatoren Österreichs und ist auch in Deutschland durch Fernseh- und Radioshows sowie durch Bühnenauftritte und Kinofilme weit bekannt. 2016 erschien sein Roman Der Junge bekommt das Gute zuletzt, und NDR Kultur urteilte: «Ein lustiger deutscher Medienstar, der als österreichischer Romancier sehr ernst genommen werden sollte.» 2019 folgte Der Hammer und 2022 Maksym.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextClaude ist anders als andere Dreizehnjährige; da muss man gar nicht erst seine Faszination für die Geschichte der Todesstrafe in Wien kennen. Sein Vater ist Posaunenlehrer, die Mutter Ethnologin, und das so engagiert, dass eines Tages ein echter Indio in die Wohnung zieht. Eilig wird eine Mauer hochgezogen: Auf der einen Seite wohnt die Mutter mit Claudes Bruder und dem neuen Liebhaber, auf der anderen Claude und sein Vater. Der hat aber schnell auch eine Neue (Flötistin, Veganerin, Deutsche). Bald sind beide Eltern ausgezogen, Claude bleibt allein zurück, warum auch nicht? Überhaupt soll er weniger rumjammern, findet seine dicke Großmutter, und auch einmal an andere denken. Bleibt nur noch Taxifahrer Dirko aus der Nachbarwohnung, der ihn täglich in das Elitegymnasium fährt, wo Claude regelmäßig von den Reichenkindern vermöbelt wird. Dirko kommt aus Serbien, hat eine Hütte an der Donau und eine Schublade voller falscher Ausweise. Er ist mal Däne, mal Armenier und kann Geschichten erzählen ohne Ende. Von schmerzhaften Insektenstichen, schmutzigen Kriegsverbrechen und winzigen Glasfröschchen, deren Herz man schlagen sieht. Irgendwann lernt Claude an seiner neuen Schule auf einem alten Donaufrachtschiff ein Mädchen kennen. Liebe erwacht. Claude und Minako machen sich daran, ihre eigene Familie zu gründen, dabei sind sie beide doch noch so jung. Ob das ohne Schmerzen abgeht?

Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er zählt zu den populärsten Kabarettisten und Fernsehmoderatoren Österreichs und ist auch in Deutschland durch Fernseh- und Radioshows sowie durch Bühnenauftritte und Kinofilme weit bekannt. 2016 erschien sein Roman Der Junge bekommt das Gute zuletzt, und NDR Kultur urteilte: «Ein lustiger deutscher Medienstar, der als österreichischer Romancier sehr ernst genommen werden sollte.» 2019 folgte Der Hammer und 2022 Maksym.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644053212
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum10.10.2016
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1204 Kbytes
Artikel-Nr.1926525
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1.0


Leicht, flüchtig, fast fruchtig.
Als ob ein winziger Funke ein einziges Haar auf dem Arm ansengen würde.

Blutbienen, Furchenbienen


«Mein Vater, dein Großvater. Er hat bei einem Arbeitsunfall ein Bein verloren. Also wirklich verloren. Es sollte ihm im Spital angenäht werden, man konnte es aber nicht finden. Sie hatten es in den Kofferraum geschmissen, hieß es. Aber im Kofferraum war nur eine alte, rostfleckige Decke. Und ein Wagenheber. Das Bein deines Großvaters nicht. Weinst du?»

«Komm zur Sache, Papa.»

«Deshalb schaute er sich später immer um. Er hat sein Bein gesucht. Jemand hatte es verlegt, ein Kollege. Wir wissen es nicht. Irgendwo liegt das Bein deines Großvaters. Das linke. Du kennst die Maschinen, die Pappkartons zerkleinern? Da war er hineingeraten. In Rohrbach. Bei uns in Hühnergeschrei gab es so was nicht. Das waren Schmerzen! Obwohl, der Körper sendet da Hilfe aus, irgendeine Chemie, die dich das alles aushalten lässt.»

«Meinst du mich? Willst du mich trösten, Papa?»

«Dich? Nein, glaube ich nicht. Da geht´s ja um richtigen körperlichen Schmerz. Bei dir, das ist ja nur Trauer, also, nur. Ich weiß schon, gut, du bist sehr traurig. Das Bein deines Großvaters war mein Lehrer.»

«Das hast du uns schon erzählt, Papa, mehr als ein Mal. Opa hat Akkordeon gespielt und beim Spielen deinen Oberschenkel an seinen gebunden. So hast du Rhythmus gelernt.»

«Richtig, Claude. So hab ich Rhythmus gelernt. Weißt du, wie merkwürdig das war, als im Hausflur nur mehr fünf Schuhe standen? Meine, Omas und seiner.»

Papa biss in das Mohnweckerl. An seinen Lippen klebten Mohnsamen und Eigelb.

«Um was geht´s, Papa?»

«Ich musste so lachen, als dein Großvater danach das erste Mal mit uns schwimmen war. Mit der fleischfarbenen Prothese. Das war zu komisch. Er stieg die Leiter aus dem Schwimmbad hinauf, und das Wasser schoss links und rechts aus seiner Prothese. Wie bei einem Auto, das man aus einem Fluss zieht, wo es dann aus den Fenstern und dem Motor rausläuft. Als er starb, hat deine Großmutter den Bestatter gefragt, ob es einen günstigeren Sarg für Einbeinige gäbe. Gab es aber nicht.»

«Papa?»

«Sieh mal, deine Mutter ist Ethnologin. Da muss man doch sagen, gut, mit diesem Straßenmusiker, mit dem hat sie sich einen Traum erfüllt. Ein peruanischer Straßenmusiker. Sie ist im Panflötenparadies. Besser, als wenn sie sich einen Pantomimen genommen hätte, oder? Claude? Stell dir vor. Lieber so einen Poncho-Compañero als einen Kerl, der nur so tut, als täte er was, stimmt´s?»

Papa lachte. Ich sah, dass auch an seinem Schneidezahn Eigelb klebte.

«Claude, wir haben uns das so überlegt. Wir behalten die Wohnung, ziehen aber eine Wand ein. Drüben ist Lateinamerika, bei uns ist Österreich. Broni kommt rüber zu den Inkas, und du bleibst bei mir. So haben wir uns das gedacht. Deine Mutter ist ja nicht komplett weg, wie Großvaters Bein, sie ist hinter einer provisorischen Wand. Wände und Mauern sind nicht für die Ewigkeit gebaut, frag die Berliner.»

«Und die Chinesen, Papa?»

«Welche Chinesen, Claude? Außerdem ist das bei denen aus touristischen Gründen. Ich war mal mit dem Bruckner Orchester dort. Da ist nichts, Claude. Gar nichts. Wär da nicht die Mauer, wär da überhaupt nichts. Kein Tourist wüsste, wohin er schauen soll. Die brauchen die Mauer, die Chinesen. Aber wir brauchen keine Touristen. Wir beide haben uns. Und hinter der Wand sind Broni, deine Mutter und der Mayahengst. Besser als so ein Marionettenspieler. Kennst du die? Wo man Panik kriegt, dass sich die Scheißschnüre verheddern, und dann schaut man kurz zu und wünscht sich, dass die Scheißschnüre sich für immer verknoten?»

«Wieso wohnt Bronislaw bei Mama?»

«Frag deine Mutter. Sie hat das entschieden.»

«Wollte sie nicht, dass ich auch drüben wohne?»

«Nein, Claude. Außerdem müssen wir die Sachen aufteilen. Sie haben den Fernseher und wir das Klavier.»

«Wo ist Bronislaw?»

«Broni ist schon drüben. Er hat dein altes Zimmer. Ich habe deine Sachen ins Ethnokammerl gegeben. Die Masken hat sie mit rübergenommen. Die kann sie sich ja anziehen, beim Ethnosex.»

«Das Zimmer ist winzig, Papa.»

«Dadrin hat sie ihre Diplomarbeit geschrieben. Ist doch ein gutes Zeichen für deine Schulkarriere.»

«Mama hat fünfzehn Jahre an ihrer Diplomarbeit geschrieben.»

«Dann nimm halt Bronis Zimmer. Langweil mich nicht schon am ersten Tag, Claude. Ich weiß, wie lang sie gebraucht hat. Bemüh dich ein bisschen, ein interessanter Mitbewohner zu sein, ja?»

«Ich bin nicht dein Mitbewohner, ich bin dein Sohn. Ich find auch nicht alles brüllend komisch, was du witzig meinst, Papa.»

Papa nahm einen Schluck Kaffee. Vielleicht würde sich das Eigelb ja so vom Zahnschmelz lösen.

«Noch was, Claude. Mama möchte das jetzt am Anfang mal so durchziehen. Also ihn und die Situation. Ich hab ihr gesagt, dass wir sie in Ruhe lassen. Bis sich alles eingespielt hat. Für dich heißt das, tu so, als wär sie verreist. Als wär unsere Wohnung geschrumpft, nebenan wohnt irgendwer, den wir nur nerven, falls das Haus brennt. Natürlich kannst du sie grüßen, wenn du sie und Broni im Haus triffst oder auf der Straße. Aber es gilt, die beiden sind für dich nicht da. Klar wär es besser, sie könnte sich eine eigene Wohnung leisten. Wir wissen beide, dass das keine optimale Lösung ist, aber gut, machen wir das Beste draus. Okay, Claude?»

«Und du, Papa? Ist dir das egal mit dem anderen Mann? Seit wann weißt du das? Was sagt Mama? Ich will zu ihr.»

«Du nervst. Nein, du kannst nicht zu deiner Mutter. Sei nicht kindisch, du bist bald fünfzehn.»

«Ich bin noch nicht einmal vierzehn.»

«Jetzt schau nicht wie ein Narr. Deine Mutter hat uns verlassen. So was passiert. Du hast Glück. Stell dir vor, du wärst Jeside im Islamischen Staat oder Jesidin. Sei froh, Claude. Ich mein, es gibt Tunten da unten, die haben Angst vor jedem Stein, der in der Wüste liegt. Dass er aufgehoben wird, und schon fliegt er ihnen an den Schädel. Du wohnst in Wien, du bist weiß, du bist jung, du bist Mitteleuropäer. Du könntest eins von einer Million Flüchtlingskindern in einem Flüchtlingslager in Afrika sein, dem eine Million Fliegen im Auge sitzt. Oder du könntest eine der einen Million Fliegen sein, die sich um einen Platz in der Augenflüssigkeit eines Kindes mit allen anderen Fliegen streitet.»

Papa blickte auf die Uhr. Mama hatte sie ihm zur Geburt von Broni geschenkt.

«Herrgott noch mal, du musst zur Schule. Lass den Serben nicht warten!»

 

Seit einigen Wochen fuhr Dirko Dumic mich jeden Tag zur Schule. Smbat Smbatjan. Res Moos. Storm Pontoppidan. Dirk van Quaquebeke. Dass mein Vater an diesem Morgen mit mir frühstückte, war ungewöhnlich. Normalerweise unterrichtete er während der Woche in Linz. Wolfgang Raupenstrauch.

«Raupenstrauch? Was ist denn das für ein Name?», hatte Dirko gesagt, als wir uns im Aufzug kennenlernten. Er stieg im sechsten Stock zu. Wir wohnen im achten. Ohne Terrasse, aber mit Blick, sagt mein Vater.

«Interessierst du dich für Raupen und Insekten? Für kleine Tiere?», hatte Dirko mich damals gefragt.

«Nicht sehr.»

«Ich dachte, wegen deinem Namen. Frösche?»

«Nein.»

«Lohnt sich aber. Ich war in Costa Rica. Ich hab dort für einen Schweizer gearbeitet, ein Taxiunternehmen an der Karibikküste. Er spielte Karten, ich fuhr mit seinem Wagen durch den Regenwald. Jassen in der Karibik. Lauter Schweizer Auswanderer. Käsefondue im Tropenregen. Die meisten Schweizer sind dümmer als Kapuzineräffchen. Aber sogar im Urwald haben sie kleine Kübel auf dem Tisch, für den Müll beim Essen. Musst du zur Schule?»

Ich nickte. Wir stiegen aus dem Lift. Ich bemerkte, dass er hinkte. Er sprach mit einem merkwürdigen Akzent, ein bisschen wie der bosnische Hausmeister im Theresianum, aber so, als käme der aus Bern oder Eriwan oder Kopenhagen.

«Ich kann dich fahren», sagte er. «Am Hohen Markt steht mein Taxi.»

«Ich hab kein Geld», sagte ich.

«Ich auch nicht», sagte er. «Dirko!» Er gab mir seine Hand.

«Claude», sagte ich.

«Wie Kleidung auf Englisch?»

«Nein, meine Mutter ist Ethnologin. Sie hat mich nach Claude Lévi-Strauss benannt. Der war auch Ethnologe.»

«Lévi-Strauss, hm? Weißt du, wie man die roten Erdbeerfrösche auch nennt? Blue Jeans Frogs. Wegen der Beine. Blaue Beine. Ich werd dich Blue Jeans nennen, ist dir das recht?»

Ich zuckte mit den Schultern. Sein graues Haar sah aus wie ein Helm. Ich hatte noch niemals zuvor so dichtes Haar gesehen. Der Ansatz begann in der Mitte der Stirn. Über den Augen hingen Brauen mit mehr Volumen, als mein Vater Haare auf dem gesamten Kopf hatte. Wie eine alte Vogelscheuche, die aufgeplatzt ist. Überall graues Stroh. Wie unser Bundespräsident sah er aus. Drahthaar. Mit so was ging man nicht zum Friseur, sondern zum Steinmetz. Leonid Breschnew, Heinz Fischer, Dirko Dumic. Augenbrauen wie Büsche und Haare wie dichte Hecken. Dirko kratzte sich, und es klang, als würde er einen Besen streicheln.

Wir waren am Hohen Markt angekommen, wo sein Wagen stand. Er stieg ein und öffnete von innen die Beifahrertür.

«Setz dich zu mir nach vorne. Wenn ich jetzt sage, musst du die Handbremse ziehen, gut?»

«Wieso, was soll das?»

«Kann sein, dass ich bremsen muss und nicht kann. Dann kommst du und rettest uns.»

Ich dachte, er macht einen Witz. Aber schon gleich bei der Ampel beim Würstelstand schrie er:...
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Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er zählt zu den populärsten Kabarettisten und Fernsehmoderatoren Österreichs und ist auch in Deutschland durch Fernseh- und Radioshows sowie durch Bühnenauftritte und Kinofilme weit bekannt. 2016 erschien sein Roman Der Junge bekommt das Gute zuletzt, und NDR Kultur urteilte: «Ein lustiger deutscher Medienstar, der als österreichischer Romancier sehr ernst genommen werden sollte.» 2019 folgte Der Hammer und 2022 Maksym.