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Elisabetta

Roman
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2016
Eine außergewöhnliche Frau, eine große Leidenschaft. 1665. Ganz Bologna trauert um die Malerin Elisabetta Sirani. Sie sei vergiftet worden, heißt es - von ihrer Magd. Fassungslos ist auch Giovanni Luigi Picinardi, der Elisabetta liebte und an der Auf-gabe, die Trauerrede zu verfassen, schier zerbricht. Er taucht ein in Elisabettas Leben und Welt, als Jurist auch in den Mordfall. Und er macht erstaunliche Entdeckungen,  die seine Sicht und Wahrnehmung der Dinge entscheidend verändern. So wie der historische Giovanni Luigi Picinardi mit seiner Trauer-rede hat auch Liv Winterberg der Künstlerin Elisabetta Sirani ein eindrucksvolles literarisches Denkmal gesetzt.

Liv Winterberg wurde 1971 geboren und studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Sie arbeitet als freie Autorin und Rechercheurin fu¨r Film und Fernsehen und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Ihr erster Roman >Vom anderen Ende der Welt< wurde gleich ein Bestseller. Mit ihren insgesamt vier Romanen hat sich Liv Winterberg als starke Stimme im historischen Genre etabliert.
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Produkt

KlappentextEine außergewöhnliche Frau, eine große Leidenschaft. 1665. Ganz Bologna trauert um die Malerin Elisabetta Sirani. Sie sei vergiftet worden, heißt es - von ihrer Magd. Fassungslos ist auch Giovanni Luigi Picinardi, der Elisabetta liebte und an der Auf-gabe, die Trauerrede zu verfassen, schier zerbricht. Er taucht ein in Elisabettas Leben und Welt, als Jurist auch in den Mordfall. Und er macht erstaunliche Entdeckungen,  die seine Sicht und Wahrnehmung der Dinge entscheidend verändern. So wie der historische Giovanni Luigi Picinardi mit seiner Trauer-rede hat auch Liv Winterberg der Künstlerin Elisabetta Sirani ein eindrucksvolles literarisches Denkmal gesetzt.

Liv Winterberg wurde 1971 geboren und studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Sie arbeitet als freie Autorin und Rechercheurin fu¨r Film und Fernsehen und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Ihr erster Roman >Vom anderen Ende der Welt< wurde gleich ein Bestseller. Mit ihren insgesamt vier Romanen hat sich Liv Winterberg als starke Stimme im historischen Genre etabliert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423430562
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum01.07.2016
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2402
Artikel-Nr.1927644
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Von auferlegter Last und ungewollter Ehre

Ruhelos wanderte Picinardi im Piano nobile auf und ab. Irgendwer hatte hier immerhin einen der Fensterläden geöffnet. Das diffuse Licht legte sich, einer bleiernen Müdigkeit gleich, umgehend auf sein Gemüt und machte ihm das Denken schwer. Auch den Gemälden, die Rahmen an Rahmen hingen, schien es ihre Farbkraft zu nehmen. Selbst das diamantene Kreuz, derart im Schrank positioniert, dass es unmöglich war, es zu übersehen, wirkte stumpf. Da er sich nie hatte merken können, ob es nun 54 oder 56 Steine waren, die Aufmerksamkeit einforderten, fing er an - in der aussichtslosen Hoffnung, seine innere Unruhe damit zu bezwingen -, sie zu zählen. Als er die 49 erreichte, betrat Giovanni Andrea Sirani den Raum.

Sein Anblick war ein Schlag.

Er war stets ein hagerer Mann gewesen, dessen Kraft, lange nachdem die Gicht seine Gelenke zu krümmen begonnen hatte, noch immer spürbar gewesen war. Nun war er mager geworden, als hätte er über Nacht ein erhebliches Maß an Gewicht verloren. Das Glühen seiner Augen war nie erloschen, der Bariton seiner Stimme ungebrochen geblieben. Stets hatte sich erahnen lassen, dass dieser Mann einst ansehnlich gewesen war und gern lachte, denn in seinem lebhaften Gesicht, vor allem um seine Augen herum, hatte es zahlreiche Lachfalten gegeben. Sie waren indessen zu tiefen Kerben des Kummers geworden.

Der Prior musste sich bemühen, den väterlichen Freund nicht anzustarren, er musste sich sogar regelrecht ermahnen, auf ihn zuzugehen und ihn zu umarmen. So schloss er den Maestro unbeholfen in die Arme und bemerkte mit der Nähe den trüben Blick der verquollenen, fast zugeschwollenen Augen mit tiefen Ringen darunter.

»Einen Kondolenzbesuch hätte ich von dir schon erwartet«, sagte der Maestro, während er sich aus Picinardis Armen löste und am Tisch auf einem Stuhl niederließ. Seinen Gehstock klemmte er zwischen die Knie.

»Ganz Bologna ist erschüttert, und du weißt, ich bin ebenso fassungslos. Es zerreißt mir das Herz, doch der Überfall ⦫ Er wies auf seinen Hals.

Kurz blickte der Maestro auf den Schal und nickte, offensichtlich nicht überzeugt, jene Schrammen und Flecken würden sein Fehlen entschuldigen.

Picinardi stockte. »Das ist eine ⦠Ich kann das nicht. Vergib mir«, fuhr er fort, wesentlich leiser als zuvor. »Ich hörte, dass deine Familie Beistand erhält, von nahezu allen Seiten. Was soll ich dann hier? Ich bin ein Maulheld, dem, wenn es darauf ankommt, vor Trauer doch die Worte fehlen.« Er schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Wie gern wäre er neben dem Alten auf die Knie gesunken, hätte seine Hand ergriffen und ihm das eigene Elend entgegengebrüllt. Sich an ihm festgehalten und ihm begreiflich gemacht, dass auch er sich vor Schmerz kaum aufrecht halten konnte.

Der Maestro nickte müde. »Lass gut sein. Ich will dich nicht angreifen. Wäre dir jemals eine Tochter entrissen worden, hätte ich es ebenfalls nicht über mich gebracht, einen Fuß in dein Haus zu setzen, es sei denn, mein Weib hätte darauf bestanden.«

»Wie geht es Margherita?«

»Schlecht, sehr schlecht, deshalb werde ich mich kurzfassen. Aber ich habe eine Bitte«, sagte er und schaute auf die Knoten, die in den letzten Jahren an den Gelenken seiner Finger entstanden waren.

»Alles, was du willst. Du weißt, ich bin für dich da. Auf meine Art. Wenn du mich brauchst, dann stehe ich deiner Familie und dir zur Seite.« Auch wenn Picinardi ehrlich meinte, was er sagte, begriff er, dass die Worte, sein täglich Werkzeug, sich wieder einmal verflüchtigt und nichts als die Hülsen ihrer selbst zurückgelassen hatten.

Der Maestro schien es nicht zu bemerken. Er biss auf seiner Unterlippe herum, dann, ganz unvermittelt, fuhr sein Kopf in die Höhe, und er sah dem Prior direkt in die Augen. »Du sollst es machen ⦠Du sollst über sie schreiben!« Er stieß die Worte förmlich aus sich heraus, und jedes von ihnen schien den Schmerz, an dem er litt, zu verstärken. Ganz so, als würden diese beiden Sätze das Geschehene erst zur Gewissheit machen.

Picinardi schwieg. Ein Epigramm. Letzte Worte für eine Inschrift auf der Grabplatte. War es nicht seltsam, dass das Schicksal ihn derart verhöhnte und aufforderte, ihr diese Ehre zu erweisen?

»Eine Ehre, es ist mir eine große Ehre, dass du mir zutraust, die Inschrift ⦫, abermals zögerte er, da er es nicht wagte, das Wort »Grabplatte« auszusprechen, »also, ich werde das natürlich übernehmen und ⦫

»Wovon redest du?«, fiel ihm der Maestro ins Wort. Er runzelte die Augenbrauen, während Picinardi innehielt, seinen Rücken anspannte und sich aufrichtete.

»Ich rede nicht von der Inschrift auf einer Grabplatte. Es wird eine Trauerfeier geben, wie die Stadt sie bisher nicht gesehen hat. Größer und beeindruckender als alle, mit denen die Künstler in Bologna bisher bedacht wurden. Viele Maler waren es ja ohnehin nicht, denen diese Ehre zuteilwurde, und wenn sie jemand verdient hat, dann meine Tochter. Sie war ein Ideal der Perfektion, und es braucht Können, ihre Einzigartigkeit in Worte zu fassen. Wie auch immer: In der Basilika San Domenico wird diese Feierlichkeit begangen, und ich möchte, dass du die Trauerrede hältst. Du wirst diese Worte finden und eine Rede schreiben, so mitreißend und wahrhaftig, dass sie die Jahrhunderte überdauern und das Andenken meiner Tochter in Ehren halten wird. Sie durfte nicht länger unter uns weilen, es war Gottes Wille oder Teufels Werk. Aber ihre Gemälde und deine Rede, sie werden sie unsterblich machen.«

Nein!, schrie es in Picinardi, ich bin nichts als ein Heuchler, die falsche Schlange, die sich unter fadenscheinigem Vorwand an deine Brust geschmiegt hat. Ich kann das nicht, und ich werde dir nie erklären können, warum nicht. Nein, niemals!

Der Maestro schien ihm sein Zaudern anzusehen und wies energisch mit dem Gehstock auf ihn. »Sage es nicht, ich weiß, du wirst die richtigen Worte finden. Ich habe das Büchlein gelesen, das du letzthin hast drucken lassen, die Iris Poetica . Die Art, wie du darin mit den Farben des Regenbogens die Schönheit der Poetik erstrahlen lässt, berührt mich. Du kanntest mein Kind von klein auf. Nicht irgendein dahergelaufener Trauerredenschreiber wird ihren Nachruf in Worte fassen, du wirst das machen.«

»Nein, glaube mir, das kann ich nicht.«

»Natürlich kannst du das, keine Widerrede. Du bist ein kluger Junge, das weiß ich.«

Picinardi schluckte gegen den Knoten in seiner Kehle an und wusste nichts zu erwidern.

»Einem Mann wie dir geht das zügig und sicher von der Hand. Wenn es einem gelingt, unsere Erinnerungen in Worte zu fassen, dann dir. Aber alles zu seiner Zeit. Du ahnst nicht, was wir hinter uns haben. Es ging so schnell und kam gänzlich unerwartet. Wir haben sie beigesetzt, gestern, in der Basilika San Domenico ⦫

Die Basilika. Er war da gewesen, mitten in der Nacht, und hatte es nicht gewagt, das Portal zu öffnen. Vermutlich wäre es ohnehin verschlossen gewesen, aber er hatte nicht einmal den Mut gefunden, es wenigstens zu versuchen. Noch immer erschien ihm die Beisetzung einer Frau in der Mutterkirche der Dominikaner abwegig. Einen anderen Ort hätte er sich für eine Künstlerin wie sie gewünscht, auch wenn er nicht sagen konnte, welchen.

»Warum San Domenico? Bei den domini canes, den Hunden Gottes?«

»Wo denn sonst? Ihr Taufpate, du weißt schon, Saulo, er hat sie in seiner Gruft aufgenommen.«

Picinardi runzelte die Stirn. Natürlich, Senator Saulo Guidotti. Warum hatte er nicht daran gedacht? »Aber achten die Brüder des Ordens nicht darauf, dass nur Familienmitglieder in der Gruft beigesetzt werden?«

Unwillig schüttelte der Maestro den Kopf.

Es blieb kein Zweifel. Der Senator hatte Wege gefunden, seinen Willen durchzusetzen. Und es war naheliegend: Das Patenkind hatte in der Rosenkranzkapelle seine letzte Ruhe gefunden, direkt neben Guido Reni, dessen Beisetzung in der Familiengruft der Guidottis ebenfalls nicht mit einer familiären Verbindung zu erklären war. Denn auch um diesen Maler würdig zu bestatten, hatte Saulo Guidotti vor ziemlich genau 23 Jahren die Familiengruft bereits geöffnet.

»Ja, es ist eine Ehre und ein kleiner Trost für unsere Familie: Sie sind nun im Tode vereint, zwei der größten Maler dieser Stadt«, sagte der Maestro, und ein wenig Glanz kehrte in seine Augen zurück. »Wir haben gut zwei, vielleicht drei Monate für die Gespräche zur Trauerrede, denn die Gedenkfeier wird erst im November stattfinden. Die Vorbereitungen werden Zeit brauchen. Wenn du irgendwen sprechen möchtest, aus der Familie, der Bottega - lass es mich wissen.«

Nach einer für beide Männer schmerzlichen Verabschiedung trat Picinardi hinaus in die Via Urbana, nahezu vergiftet von dem Gefühl, seinem Freund gegenüber nicht ehrlich gewesen zu sein, seit Jahren schon, und ihm heute sogar ins Gesicht gelogen zu haben. Aber wie sollte er dem alten Mann erklären, warum er vor der Basilika San Domenico gesessen und sturzbetrunken Ausschau gehalten hatte, bis zwei Männer des Weges kamen, die ihm geeignet erschienen waren? Zwei derbe Kerle, die er in aller Form beleidigte hatte, damit sie ihm den Schmerz aus dem Leib prügelten. Wie sollte er erklären, dass er fast enttäuscht gewesen war, als ihm ein Fremder zu Hilfe eilte, weil er annahm, ein Überfall würde sich vor seinen Augen ereignen? Dass er die Sehnsucht in sich verspürt hatte, die zwei Idioten würden ihn hinter ihr her in den Tod schicken.

Da stand er nun, und die Helligkeit blendete ihn. Nach einigen Atemzügen sah er in den tiefblauen Himmel hinauf, der einen Bogen verheißungsvoller Leichtigkeit spannte, der nicht zu dem passen wollte, was sich...
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