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Mr Norris steigt um

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am18.11.2016
Berlin am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: Der junge Engländer William Bradshaw verbringt seine Tage damit, bourgeoisen Damen Englischstunden zu geben, nachts jedoch umgibt er sich mit Gestalten der Halbwelt. Besonderen Eindruck macht die Begegnung mit Arthur Norris auf ihn, einem Lebemann und Kommunisten - im Deutschland jener Tage eine zunehmend riskante Haltung. Und dann steht der Reichstag in Flammen ... Mit großer Präzision zeichnet Christopher Isherwood das faszinierende Porträt eines Menschen, dem zuletzt alles genommen wird. Und wie schon in Leb wohl, Berlin fängt er auch hier auf einmalige Weise die Stimmung im Deutschland der Vorkriegszeit ein - aus der Perspektive eines scheinbar unbeteiligten Beobachters.

Christopher Isherwood wurde 1904 in der Grafschaft Cheshire als Sohn eines englischen Offiziers geboren. Nach erfolglosen Studien der Geschichte und der Medizin in Cambridge und London ging er 1929 nach Berlin. Von 1942 bis zu seinem Tod im Jahr 1986 lebte er im kalifornischen Santa Monica. Mit Werken wie Leb wohl, Berlin, A Single Man, Mr Norris steigt um und Praterveilchen zählt Christopher Isherwood zu den berühmtesten Schriftstellern seiner Generation.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextBerlin am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: Der junge Engländer William Bradshaw verbringt seine Tage damit, bourgeoisen Damen Englischstunden zu geben, nachts jedoch umgibt er sich mit Gestalten der Halbwelt. Besonderen Eindruck macht die Begegnung mit Arthur Norris auf ihn, einem Lebemann und Kommunisten - im Deutschland jener Tage eine zunehmend riskante Haltung. Und dann steht der Reichstag in Flammen ... Mit großer Präzision zeichnet Christopher Isherwood das faszinierende Porträt eines Menschen, dem zuletzt alles genommen wird. Und wie schon in Leb wohl, Berlin fängt er auch hier auf einmalige Weise die Stimmung im Deutschland der Vorkriegszeit ein - aus der Perspektive eines scheinbar unbeteiligten Beobachters.

Christopher Isherwood wurde 1904 in der Grafschaft Cheshire als Sohn eines englischen Offiziers geboren. Nach erfolglosen Studien der Geschichte und der Medizin in Cambridge und London ging er 1929 nach Berlin. Von 1942 bis zu seinem Tod im Jahr 1986 lebte er im kalifornischen Santa Monica. Mit Werken wie Leb wohl, Berlin, A Single Man, Mr Norris steigt um und Praterveilchen zählt Christopher Isherwood zu den berühmtesten Schriftstellern seiner Generation.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455814156
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum18.11.2016
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1114 Kbytes
Artikel-Nr.1928214
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverTitelseiteFür W.H. AudenErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes kapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelÜber Christopher IsherwoodImpressummehr
Leseprobe
Erstes Kapitel

Als Erstes fiel mir auf, dass der Fremde ungewöhnlich helle blaue Augen hatte. Sie sahen mich mehrere Sekunden lang an, starr und sichtlich verängstigt. Auf arglose Weise vorwitzig, erinnerten sie mich vage an einen Zwischenfall, den ich nicht recht einordnen konnte; etwas, das vor langer Zeit geschehen war und mit dem Unterricht in der neunten Klasse zu tun hatte. Es waren die Augen eines Schülers, den man beim Verstoß gegen eine Regel erwischt hatte. Dabei hatte ich ihn offenbar bloß aus seinen Gedanken aufgeschreckt: Vielleicht dachte er, ich könne sie lesen. Jedenfalls schien er weder gehört noch bemerkt zu haben, wie ich von der anderen Seite des Abteils auf ihn zugetreten war, denn beim Klang meiner Stimme zuckte er zusammen, und zwar so heftig, dass seine plötzliche Bewegung mich wie ein Rückstoß traf. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück.

Es war genau so, als wären wir auf der Straße zusammengestoßen. Wir waren beide verwirrt und beflissen, uns zu entschuldigen. Um ihn zu beruhigen, wiederholte ich lächelnd meine Frage:

»Dürfte ich Sie um Feuer bitten, Sir?«

Aber auch jetzt antwortete er nicht sofort. Er schien in Gedanken eilig etwas zu überschlagen, während seine Finger nervös und hektisch an seiner Weste herumzupften. Man hätte meinen können, er wolle sie aufknöpfen, um einen Revolver zu ziehen oder auch nur um nachzuschauen, ob ich vielleicht sein Portemonnaie entwendet hatte. Dann verschwand die Bestürzung aus seinem Blick, wie eine kleine Wolke, und hinterließ einen strahlendblauen Himmel. Endlich verstand er, was ich von ihm wollte:

»Ja, ja. Äh - selbstverständlich. Aber sicher.«

Während er redete, tippte er sich leicht mit den Fingerspitzen an die linke Schläfe, hüstelte und lächelte dann plötzlich. Sein Lächeln war äußerst charmant. Es entblößte die hässlichsten Zähne, die ich je gesehen hatte. Sie sahen aus wie abgebrochene Felskanten.

»Selbstverständlich«, wiederholte er. »Mit Vergnügen.«

Vorsichtig fischte er mit Daumen und Zeigefinger in der Westentasche seines edlen grauen Flanellanzugs und zog ein goldenes Benzinfeuerzeug hervor. Seine Hände waren weiß, feingliedrig und sorgfältig manikürt.

Ich bot ihm eine von meinen Zigaretten an.

»Äh - vielen Dank. Danke vielmals.«

»Nach Ihnen, Sir.«

»Nein, nein. Bitte.«

Die winzige Flamme des Feuerzeugs flackerte zwischen uns, so flüchtig wie die Atmosphäre, die unsere übertriebene Höflichkeit erzeugt hatte. Der leiseste Atemhauch hätte die eine ausgelöscht, eine einzige unbedachte Geste oder ein Wort die andere zerstört. Als beide Zigaretten brannten, setzten wir uns zurück auf unsere Plätze. Der Fremde war noch immer misstrauisch. Er überlegte wohl, ob er zu weit gegangen und in die Fänge eines Langweilers oder eines Ganoven geraten war. Sein ängstliches Wesen drängte auf Rückzug. Ich für meinen Teil hatte nichts zu lesen dabei und sah eine Reise in völliger Schweigsamkeit vor mir, sieben oder acht Stunden lang. Ich war entschlossen zu reden.

»Wissen Sie, wann wir die Grenze erreichen?«

Im Rückblick scheint mir diese Frage nicht besonders ungewöhnlich gewesen zu sein. Es stimmt, dass mir an der Antwort nichts lag; ich wollte lediglich eine Frage stellen, die ein Gespräch in Gang brachte und zugleich weder neugierig noch unverschämt war. Die Wirkung auf den Fremden war bemerkenswert. Zweifellos hatte ich sein Interesse geweckt. Er warf mir einen langen, geheimnisvollen Blick zu, und seine Gesichtszüge schienen sich zu straffen. Es war der Blick eines Pokerspielers, den plötzlich der Gedanke beschleicht, dass sein Gegenüber einen Straight Flush auf der Hand hat und er sich besser in Acht nehmen sollte. Schließlich erwiderte er betont langsam und vorsichtig:

»Bedauerlicherweise kann ich Ihnen das nicht genau sagen. In etwa einer Stunde, nehme ich an.«

Sein Blick, der einen Moment lang nur leer gewesen war, trübte sich wieder. Ein unangenehmer Gedanke schien ihn wie eine Wespe zu ärgern; als wollte er ihm ausweichen, legte er den Kopf leicht zur Seite. Dann fügte er seltsam gereizt hinzu:

»Alle diese Grenzen â¦ eine fürchterliche Plage.«

Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Vielleicht war er eine Art Internationalist, ein Anhänger des Völkerbunds. Ich wagte mich vor:

»Sie sollten abgeschafft werden.«

»Da bin ich vollkommen Ihrer Meinung. Das sollten sie tatsächlich.«

Sein Eifer war unverkennbar. Er hatte eine klobige fleischige Nase und ein Kinn, das zur Seite gerutscht schien, wie eine kaputte Ziehharmonika. Wenn er redete, machte es die tollsten Verrenkungen, und auf einer Seite zeigte sich ein tiefes, schmales Grübchen wie eine Stichverletzung. Die Stirn über seinen apfelroten Wangen war weiß wie die einer Marmorskulptur. Darauf lag ein merkwürdig geschnittener dunkelgrauer Pony, dicht, schwer und kompakt. Nach eingehender Betrachtung stellte ich höchst amüsiert fest, dass er eine Perücke trug.

»Besonders«, schickte ich meinem ersten Erfolg hinterher, »diese vielen bürokratischen Formalitäten; die Passkontrollen und so weiter.«

Nein. Das war ein Fehler gewesen. An seinem Gesichtsausdruck erkannte ich sofort, dass ich einen neuen, beunruhigenden Aspekt angesprochen hatte. Wir redeten ähnliche, aber dennoch unterschiedliche Sprachen. Diesmal jedoch reagierte der Fremde nicht mit Misstrauen. Er fragte mit verblüffender und unverhohlener Neugier:

»Hatten Sie hier schon einmal Schwierigkeiten?«

Befremdlich war weniger die Frage als vielmehr der Ton, in dem sie gestellt wurde. Ich verbarg meine Verwunderung hinter einem Lächeln.

»Aber nein. Ganz im Gegenteil. Oft machen sie sich gar nicht erst die Mühe, das Gepäck zu öffnen; und der Pass wird auch nur flüchtig kontrolliert.«

»Ich bin froh, dass Sie das sagen.«

Er muss mir angesehen haben, was ich dachte, denn er fügte hastig hinzu: »Es mag Ihnen absurd vorkommen, aber ich hasse es, wenn man mir Umstände macht und mich belästigt.«

»Natürlich. Das verstehe ich gut.«

Ich grinste, denn soeben war mir eine plausible Erklärung für sein Verhalten gekommen. Der alte Knabe wollte irgendein harmloses Geschenk ins Land schmuggeln. Vermutlich ein Kleidungsstück aus Seide für seine Frau oder eine Kiste Zigarren für einen Freund. Und natürlich wurde er jetzt nervös. Dabei sah er so betucht aus, als müsste er sich eigentlich keine Sorgen über Zollgebühren - ganz gleich in welcher Höhe - machen. Die Reichen haben seltsame Marotten.

»Dann haben Sie diese Grenze noch nie überschritten?« Ich kam mir sehr wohlwollend, beschützend und überlegen vor. Ich würde ihn aufmuntern und ihm nötigenfalls mit einer glaubhaften Lüge zur Seite springen, um das Herz des Zollbeamten zu erweichen.

»Seit einigen Jahren nicht mehr. Gewöhnlich reise ich über Belgien. Aus verschiedenen Gründen. Ja.« Wieder wurde sein Blick leer, er verstummte und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Plötzlich schien ihn irgendetwas an meine Gegenwart zu erinnern: »Vielleicht ist es nun an der Zeit, dass ich mich vorstelle. Arthur Norris, Gentleman. Oder vielleicht besser: Privatier?« Er kicherte nervös und rief erschrocken: »Ich bitte Sie, bleiben Sie doch sitzen!«

Wir saßen zu weit voneinander entfernt, um einander die Hand zu geben. Deshalb beließen wir es bei einer höflichen Verbeugung.

»Ich heiße William Bradshaw«, sagte ich.

»Du liebe Zeit! Sie sind nicht zufällig einer der Bradshaws aus Suffolk?«

»Vermutlich schon. Vor dem Krieg wohnten wir in Ipswich.«

»Was Sie nicht sagen. Tatsächlich? Ich war dort einmal bei einer Mrs Hope-Lucas zu Besuch. Sie hatte ein hübsches Haus in der Nähe von Matlock. Vor ihrer Heirat war sie eine Miss Bradshaw.«

»Ganz recht. Das war meine Großtante Agnes. Sie starb vor etwa sieben Jahren.«

»Ach ja? Das tut mir aufrichtig leid â¦ Natürlich war ich damals noch ein junger Mann; und sie eine Dame mittleren Alters. Bedenken Sie, ich rede von 98.«

Die ganze Zeit über betrachtete ich verstohlen seine Perücke. Ich hatte noch nie eine gesehen, die so raffiniert gemacht war. Am Hinterkopf ging sie nahezu unmerklich in sein eigenes Haar über. Nur der Scheitel verriet sie sofort, aber aus drei oder vier Metern Entfernung war auch das nicht zu erkennen.

»Nun denn«, bemerkte Mr Norris. »Wie klein die Welt doch ist.«

»Meine Mutter haben Sie wohl nicht kennengelernt? Oder meinen Onkel, den Admiral?«

Ich hatte mich damit abgefunden, dass nun das übliche Verwandtschaftsgerede folgen würde. Es war langweilig, aber nicht weiter anstrengend und konnte stundenlang fortgeführt werden. Ich sah eine ganze Kette von Themen vor mir, die sich wie von selbst abspulten - Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, ihre Ehen und ihren Besitz, Erbschaftssteuern, Hypotheken, Verkäufe. Dann weiter zu Internaten und Universitäten, Betrachtungen über das Essen, Anekdoten über Lehrer, legendäre Kricket-Matches und umjubelte Ruderwettbewerbe. Ich wusste genau, welcher Ton angemessen war.

Aber zu meiner Überraschung schien Mr Norris sich nicht darauf einlassen zu wollen, denn er antwortete hastig:

»Leider nein. Seit Kriegsbeginn habe ich den Kontakt zu meinen englischen Freunden weitgehend verloren. Meine Geschäfte haben mich oft ins Ausland geführt.«

Bei dem Wort »Ausland« schauten wir beide unwillkürlich aus dem Fenster. Die Niederlande zogen mit der trägen Schläfrigkeit, die einen manchmal nach dem Abendessen überkommt, an uns vorbei: eine...
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Autor

Christopher Isherwood wurde 1904 in der Grafschaft Cheshire als Sohn eines englischen Offiziers geboren. Nach erfolglosen Studien der Geschichte und der Medizin in Cambridge und London ging er 1929 nach Berlin. Von 1942 bis zu seinem Tod im Jahr 1986 lebte er im kalifornischen Santa Monica. Mit Werken wie Leb wohl, Berlin, A Single Man, Mr Norris steigt um und Praterveilchen zählt Christopher Isherwood zu den berühmtesten Schriftstellern seiner Generation.