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Der Sommer, in dem Anna verschwunden war

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
364 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am10.06.20161. Auflage
Anna ist verschwunden, weder ihr Mann noch ihre Kinder oder Freunde können es sich erklären. Ist ihr ein Unglück geschehen, oder hat sie sich davongestohlen, um ein bißchen Leben nachzuholen? Aus den mal irritierten, mal sorgenvollen, mal ironischen Stimmen von vier Beteiligten entsteht das lebendige Bild einer Frau, die auf ihrem Glücksanspruch beharrt. Anna hat immer alles auf eine Karte gesetzt, besonders wenn es um Liebe ging. Wegen Ali, der aus seinem Land hatte fliehen müssen, brach sie sogar ihr Studium ab. Obwohl es die Familie nicht leicht hatte, schien Anna glücklich. Doch eines Tages ist sie verschwunden. Ali und die beiden Kinder warten, suchen, sind verzweifelt. Langsam jedoch richten sie sich wieder im Alltag ein, und jeder versucht, mit dem Unerklärlichen fertigzuwerden. Manchmal kommt es ihnen so vor, als hätte Annas Verschwinden einen Krater aufgerissen, aus dessen Abgrund Erinnerungen und Vermutungen auftauchen. Barbara Frischmuth überrascht wieder einmal durch die vitale Schilderung beeindruckender Frauengestalten. Raffiniert und höchst gekonnt läßt sie aus verschiedenen Stimmen ein lebendiges Bild der Verschwundenen erstehen, einem Wesen aus Eis und Glut, wie es heißt.


Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit über 25 Jahren lebt sie wieder in Altaussee.

Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt »Die Klosterschule« und dem Roman »Das Verschwinden des Schattens in der Sonne« wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie »Die Schrift des Freundes«, »Der Sommer, in dem Anna verschwunden war«, »Vergiss Ägypten«, »Woher wir kommen« und »Verschüttete Milch« veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. »Der unwiderstehliche Garten« war das vierte ihrer literarischen Gartenbücher.
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Produkt

KlappentextAnna ist verschwunden, weder ihr Mann noch ihre Kinder oder Freunde können es sich erklären. Ist ihr ein Unglück geschehen, oder hat sie sich davongestohlen, um ein bißchen Leben nachzuholen? Aus den mal irritierten, mal sorgenvollen, mal ironischen Stimmen von vier Beteiligten entsteht das lebendige Bild einer Frau, die auf ihrem Glücksanspruch beharrt. Anna hat immer alles auf eine Karte gesetzt, besonders wenn es um Liebe ging. Wegen Ali, der aus seinem Land hatte fliehen müssen, brach sie sogar ihr Studium ab. Obwohl es die Familie nicht leicht hatte, schien Anna glücklich. Doch eines Tages ist sie verschwunden. Ali und die beiden Kinder warten, suchen, sind verzweifelt. Langsam jedoch richten sie sich wieder im Alltag ein, und jeder versucht, mit dem Unerklärlichen fertigzuwerden. Manchmal kommt es ihnen so vor, als hätte Annas Verschwinden einen Krater aufgerissen, aus dessen Abgrund Erinnerungen und Vermutungen auftauchen. Barbara Frischmuth überrascht wieder einmal durch die vitale Schilderung beeindruckender Frauengestalten. Raffiniert und höchst gekonnt läßt sie aus verschiedenen Stimmen ein lebendiges Bild der Verschwundenen erstehen, einem Wesen aus Eis und Glut, wie es heißt.


Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit über 25 Jahren lebt sie wieder in Altaussee.

Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt »Die Klosterschule« und dem Roman »Das Verschwinden des Schattens in der Sonne« wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie »Die Schrift des Freundes«, »Der Sommer, in dem Anna verschwunden war«, »Vergiss Ägypten«, »Woher wir kommen« und »Verschüttete Milch« veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. »Der unwiderstehliche Garten« war das vierte ihrer literarischen Gartenbücher.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841211996
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum10.06.2016
Auflage1. Auflage
Seiten364 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1930696
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Emmi

Die Sonntage waren immer am schlimmsten. Was Wunder, daß da plötzlich eine Frau im Baum hing, mit den Beinen zappelte und um Hilfe schrie.

Es war der Sonntag, an dem Inimini zum ersten Mal ihr Kopftuch trug. Ali und Omo hatten den Mund noch nicht zugekriegt, da kam diese Person und versaute Inimini den Auftritt. Dazu kreischten die Vögel, als hätte die Katze sie am Schwanz gepackt, und der Wind legte die Grashalme flach.

»Völlig daneben, die Frau«, maulte Inimini und schleppte geistesgegenwärtig eine Leiter an. Die Zapplerin fand Halt und stieg, mit dem Rücken zur Welt, Sprosse für Sprosse auf die Erde herab.

Ali und Omo stand der Mund noch immer offen. Als die Frau sich schließlich umdrehte und ihren Rock zurechtschob, merkten sie, daß es Irene war.

Inimini schien kurz daran zu denken, Irene die Hand zu küssen, wie es die Töchter von Haluk getan hätten. Um sich Mut zu machen, griff sie rasch nach dem verrutschten Kopftuch, aber das Kopftuch sprach nicht zu ihr, und so sagte sie einfach, was ihr auf der Zunge lag. »Spinnst du?« Man konnte sehen, wie sie sich dabei entspannte. »Was hast du bloß in aller Früh auf unserem Baum zu suchen?«

»Auf meinem Baum.« Durch den Nachdruck war der Sachverhalt ein für alle Male klargestellt. Irene kam langsam näher. »Ich wollte euch sehen, bevor ihr mich seht.« Sie trug das Haar in einem sanften Puderton gefärbt, der wohl die Kerben in ihrem Gesicht mildern sollte. Ansonsten wirkte sie noch recht passabel, wie Emmi von ihrem Fenster aus beobachten konnte, zumindest figurmäßig.

Ali besann sich auf seine Herkunft und ging auf Irene zu. »Willkommen, herzlich willkommen, Irene hanım!« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drückte seine Bartstoppeln an ihre Wangen.

Nur Omo tat, als gehe ihn das alles nichts an. Es sah ganz so aus, als wäre er dabei, sich im Schatten der Begrüßungsszene aus dem Staub zu machen, als Irenes Stimme ihn lauthals traf.

»Ist das Onur? Ich traue meinen Augen kaum.« Irene war die einzige, die Onur mit seinem richtigen Namen anredete. Für alle anderen war er Omo, schneeweiß und blitzblank, mit waschblauen Augen und bierhellem Haar, der kleine Wikinger eben.

»Komm schon!« flötete Irene, auf einmal ganz Großmutter.

Omo blieb stehen, wie in die Erde gerammt, und Irene ging um ihn herum. Zum Glück kam sie nicht auf die Idee, ihn zu küssen. Sie hätte sich dazu auf die Zehenspitzen stellen müssen, so stocksteif, wie Omo sich ihr gegenüber hielt.

»Und was jetzt?« Inimini hatte ihr Kopftuch wieder in die richtige Fasson gebracht, und Irene schien endlich zu begreifen, was sie sah. Inimini war kein Kind mehr. Sie trug einen langen Rock, dazu einen Pulli, und das Kopftuch bedeckte auch noch ihre Schultern. Sie wirkte winzig, geradezu ergreifend, und dennoch so gut wie erwachsen. Anstelle eines Busens zeichneten sich zwei Knöpfe von der Größe eines Aspirins auf ihrer Vorderseite ab, und ihre Augenbrauen verliefen in einem so makellosen Bogen, daß sie lange daran gezupft haben mußte.

Eine Nachricht nach der anderen bahnte sich den Weg durch Irenes Lidspalten in Irenes Gehirn. Sie schüttelte sich, als ließe sich so das Erkannte besser im Kopf verteilen, machte einen Schritt und antwortete, als niemand mehr mit einer Antwort gerechnet hatte: »Ich habe eigentlich an Frühstück gedacht.«

»Aber klar ⦫ Ali war wieder völlig bei sich. »Ich stelle schon Teewasser auf.« Mit weit ausladender Geste bat er Irene ins Haus.

Irene zögerte einen Augenblick und bemerkte dann trocken, aber unmißverständlich: »Ich werde wieder hier wohnen, ihr Lieben.« Sie lächelte und kostete die Überraschung aus, die sich auf den Gesichtern von Inimini, Omo und Ali ausbreitete.

Inimini und Omo waren die Kinder von Ali baba und Anna anne. In Ali babas Sprache heißt baba Vater und anne Mutter. Ali baba verging fast vor Mitleid mit ihnen, und natürlich tat er sich auch selber leid, seit Anna anne verschwunden war. Sie hatten von da an den Haushalt untereinander aufteilen müssen und achteten darauf, daß alle drankamen.

Omo, der - warum, weiß keiner - so viel größer war als Inimini und selbst Ali baba, hatte sich als Jüngster den geringsten Teil ausbedungen, Mülleimer-Leeren und Teller in den Geschirrspüler schlichten, während Inimini, die weitaus Kleinste, am meisten zu werken hatte, die Betten überzog und auch noch die Wäsche wusch. Sie hieß übrigens Nilüfer - was angeblich Seerose bedeutet -, aber als sie am Anfang ihrer Schulzeit eine Lehrerin zur anderen sagen hörte: »Stellen Sie sich vor, das arme Kind heißt auch noch Nil-Ufer«, verzichtete sie auf ihren Blumennamen und wurde zu Inimini, der Winzigen.

Ali baba verdiente das Geld, das sie zum Leben brauchten, und gelegentlich putzte er auch die Fenster.

Der Baum, auf den Irene hatte steigen müssen, war übrigens ein Nußbaum. Emmi erinnerte sich an Zeiten, in denen sie beide, Irene und sie, auf ihn geklettert waren und mit grünen Nüssen auf die Radfahrer zielten. Da er neben dem Haus stand, konnte man von seinen Ästen aus tatsächlich zum Fenster hineinschauen.

Während Irene und sie bloß älter geworden waren, hatte der Nußbaum auch noch an Höhe zugelegt. Das hätte Irene bedenken sollen. Ein Wunder, daß sie überhaupt hinaufgekommen war. Womöglich hatte sie gedacht, Ali baba, Omo und Inimini würden über sie reden - ausgerechnet jetzt und ausgerechnet über sie -, und hätte wohl gerne erfahren, was. Aber bei allem, was sie, Emmi, wußte, und sie wußte mehr, als ihr lieb war, wäre ihnen alles andere eher in den Sinn gekommen, als über Irene zu reden. Warum auch? Nachdem sie sich so lange nicht hatte blicken lassen, nicht einmal, als Anna, ihre Tochter, verschwunden war - was nun auch schon wieder zwei Wochen her war -, hatte wohl niemand mehr so recht an Irene gedacht.

Am Nachmittag kam Omo mit zwei Koffern und mehreren Taschen vom Bahnhof. Höchstwahrscheinlich vom Bahnhof, wo hätte er sonst mit dem Zeug herkommen sollen. Den einen Koffer hatte er am Gepäcksträger seines Fahrrads festgeschnallt, den anderen zog er auf Rollen hinterher. Die Reisetaschen hingen rechts und links von der Lenkstange, und er hatte alle Hände voll zu tun, um das Gleichgewicht zu halten.

Omo war in Wirklichkeit viel kleiner als sein Körper, und so kam es öfter zu Verwechslungen. Nicht einmal Ali baba wußte wirklich Bescheid. Darum sagte Omo fast nie etwas. Er wußte, daß er sich, wenn er sprach, leicht verraten konnte. Wenn es trotzdem sein mußte, gab er Sätze von sich, die er von älteren Freunden gehört hatte, damit konnte ihm nicht viel passieren. Nur zu Inimini sagte er offenbar, was er dachte. Zumindest hatte er es neulich getan, als sie das Wort von der Wand kratzten, das jemand an die Hausmauer gesprüht hatte, nachdem Anna anne verschwunden war.

»Kann ich reinkommen?« Irene hatte die Tür schon in der Hand. »Die da drüben brauchen etwas Zeit, um sich an mich als Tatsache zu gewöhnen.« Ihr Lächeln war das alte, infernalische Irene-Lächeln, auch trug sie noch immer den Rock, in dem sie vom Nußbaum geklettert war.

Irene sah sie, Emmi, nicht gleich, da sie beinah im Dunkeln saß. »Ich möchte wissen, wie alles gekommen ist. Von denen«, Irene deutete durchs Fenster auf das Haus drüben, »denkt jeder dreimal nach, bevor er einmal etwas sagt. Das ist mir zu mühsam.«

Irene tastete sich mit zusammengekniffenen Augen in ihre Richtung, wobei Emmi, die ans Dämmerlicht gewöhnt war, Irene natürlich besser sehen konnte als Irene sie.

»Irene, du überraschst mich.« Irene zuckte zusammen, kam aber geradewegs auf sie zu. »Oh!« machte Irene, als sie vor ihr stand. Irene sah mittlerweile wohl genauso gut wie sie, und sie wußte natürlich, was Irene dachte. Mit einer Armbewegung bot sie ihr Platz an.

»Emmi, Emmi, sogar deine Stimme hat Fett angesetzt!« Irene ließ sich, ohne den Blick von ihr zu nehmen, in den Armstuhl fallen, in dem sie auch früher immer gesessen war. »Menschenskind, was ist los mit dir?«

»Nichts. Ganz und gar nichts.« Sie hatte alles in Reichweite, mußte sich nur ein wenig zur Seite recken, um den stummen Diener näher heranzuziehen.

Sie, Emmi, nahm ein Glas und fragte höflich, was es denn sein dürfe. Sie wußte, daß Irene Unicum sagen würde, und hielt die Flasche bereits in der Hand. In solchen Situationen hatte Irene immer Unicum gesagt. Irene zeigte mit dem Finger auf die grüne, kugelförmige Flasche.

»Wie üblich.« Sie schenkte ihr ein und reichte ihr das Glas.

»Und du?« fragte Irene.

»Ich esse und trinke nicht mehr in Gegenwart anderer.«

Irene nickte, als hätte sich eine ihrer Vermutungen bestätigt. Doch bevor Irene sich weiter mit ihr beschäftigen konnte, sagte Emmi scheinheilig: »Bist du auf Urlaub?«

Irene schien sich ein wenig zu erbosen. »Denkst du jetzt auch nicht mehr in Gegenwart anderer?« Sie machte eine kleine Pause. »Ich bin im Ruhestand.« Es klang nach nichts Gutem. »Und bin endgültig zurückgekommen.«

»Allein?« Schwer zu glauben. Irene, die immer einen Mann zur Hand hatte.

»Allein. Ich habe keine Lust mehr auf das ganze Drumherum.« Irene nahm einen Schluck von dem Unicum, seufzte verhalten und meinte dann vage: »Irgendwie interessiert mich das alles nicht mehr.«

Darauf würde auch sie dringend einen Schluck gebraucht haben, saß jedoch in der eigenen Falle.
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Autor

Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit vielen Jahren lebt sie wieder in Altaussee. Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt "Die Klosterschule" und dem Roman "Das Verschwinden des Schattens in der Sonne" wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie "Die Schrift des Freundes"; "Der Sommer, in dem Anna verschwunden war"; "Vergiss Ägypten", "Woher wir kommen" und "Verschüttete Milch" veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. "Der unwiderstehliche Garten" war das vierte ihrer literarischen Gartenbücher. Zuletzt erschien "Dein Schatten tanzt in der Küche" (2021).