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Zwischen Himmel und Meer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am09.01.2017
Im Finistère, am Ende der Welt, mitten im Ozean liegt sie, felsig, rau und märchenhaft: die Île de Sein. Die Pariserin Emma muss die nächsten Wochen auf der kleinen bretonischen Insel verbringen, gemeinsam mit ihrem bezaubernden, doch für sein Alter viel zu klugen Sohn Camille. Er verliebt sich sofort in die Insel, wo der Wind seine uralten Geheimnisse in die Wellen flüstert. Doch Emma hadert mit ihrem Schicksal. Während die großherzige Restaurantbesitzerin Armelle, der einnehmende Seemann Ronan und der einsame Musiker Louis-Camille langsam herausfinden, welches Geheimnis die schöne Emma hütet, entspinnt sich auf der einsamen Insel ein Drama zwischen der Weite des bretonischen Himmels und dem rauen Meer ...

Françoise Kerymer wurde 1952 in eine Familie von Buchhändlern geboren, ihr Urgroßvater war einer der Bouquinisten von Paris und eröffnete 1886 seine boîtes am Ufer der Seine. Sie wuchs zwischen Büchern auf, ist heute selbst Buchhändlerin in Paris und verbringt mit ihrem Mann viel Zeit in der Bretagne, wo auch ihre Romane entstehen.
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Produkt

KlappentextIm Finistère, am Ende der Welt, mitten im Ozean liegt sie, felsig, rau und märchenhaft: die Île de Sein. Die Pariserin Emma muss die nächsten Wochen auf der kleinen bretonischen Insel verbringen, gemeinsam mit ihrem bezaubernden, doch für sein Alter viel zu klugen Sohn Camille. Er verliebt sich sofort in die Insel, wo der Wind seine uralten Geheimnisse in die Wellen flüstert. Doch Emma hadert mit ihrem Schicksal. Während die großherzige Restaurantbesitzerin Armelle, der einnehmende Seemann Ronan und der einsame Musiker Louis-Camille langsam herausfinden, welches Geheimnis die schöne Emma hütet, entspinnt sich auf der einsamen Insel ein Drama zwischen der Weite des bretonischen Himmels und dem rauen Meer ...

Françoise Kerymer wurde 1952 in eine Familie von Buchhändlern geboren, ihr Urgroßvater war einer der Bouquinisten von Paris und eröffnete 1886 seine boîtes am Ufer der Seine. Sie wuchs zwischen Büchern auf, ist heute selbst Buchhändlerin in Paris und verbringt mit ihrem Mann viel Zeit in der Bretagne, wo auch ihre Romane entstehen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641171490
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum09.01.2017
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3094 Kbytes
Artikel-Nr.1941746
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1.

Er setzt seinen Fuß ins Meer.

Nachdem er den Strand mit seinen großen grauen Kieselsteinen überquert und den Schmerz in seinen nackten Füßen überwunden hat - das Auftreten auf den Steinen hatte ihm die Knöchel verbogen und den kleinen käseweißen Rücken gekrümmt -, geht er beharrlich weiter ins Wasser.

Der stechend kalte Nordwind pfeift in seinen Ohren, der bleierne graue Himmel droht ihm von allen Seiten, trotzdem ist das Meer in dieser engen Bucht eher ruhig, so ruhig, wie es eben sein kann, wenn ein Gewitter aufzieht.

Hinter ihm liegen seine Kleidungsstücke, verstreut entlang des Weges, den er zurückgelegt hat, wie die Kieselsteine des Kleinen Däumlings: die rote Jacke, auf die seine Mutter so stolz ist, der marineblaue Pulli mit Reißverschluss - »Und da machst du nicht wieder ein Loch rein, okay, sonst bekommst du´s mit mir zu tun!« -, eine blau-weiß geringelte Socke, eine rote Mütze, eine zweite Socke, seine Jeans, sein Slip, wie immer passend zu den Socken, eine Marotte seiner Mutter. Dazwischen seine beiden Gummistiefel, die ihm zu klein sind, aber »keine Zeit, darum kümmern wir uns vor Ort«.

Er hat seine Sachen genervt von sich geworfen, wie man sich von Überflüssigem und Bedrückendem befreit. Zusammengeknüllt auf dem nackten Boden könnte man sie für kleine verängstigte und gefügige Kreaturen halten.

Seit seiner Ankunft mit dem Schiff Heol Sun heute Morgen hat er auf diesen Moment gewartet. Schon während der gesamten Überfahrt hat sie ihn neugierig gemacht, diese ebene, fließende Fläche, die dennoch hart wie ein Blechschild wirkt. Jetzt will er es wissen, will es spüren, am eigenen Leib, mit jeder Pore seiner Haut, was es auf sich hat mit diesem Meer da, diesem grauen und undurchsichtigen Meer. Er kennt nur die Klarheit des Mittelmeeres, die zu ruhige Lauheit der Hotelstrände und ihre Langeweile, weil man dort nichts Interessantes tun kann. Er hat das ewige Spiel mit den Sandburgen satt, bis auf den Moment, in dem er zu den verblüfften Schreien der Erwachsenen seine Schaufel wie ein Schwert herumwirbelt und die absurden Kinderspielereien mit unendlicher Genugtuung zerstört.

Ja, seit dem Morgen betrachtet er den Atlantik und sagt sich: Ich will ins Wasser, ich werde ins Wasser gehen. Seine Mutter hat vergeblich versucht, ihn auf Abstand zu halten, als ahnte sie bereits, dass er ihr wieder einmal entwischen würde und sie dann nur ihre Wut herausschreien könnte, also hatte er abgewartet. Gewartet, dass ihre Wachsamkeit nachlässt, dass sie ihre Nase in eine Zeitschrift steckt. Zwischen zwei Felsen ist sie mit ihren Gedanken jetzt woanders, in ihrer entlegenen Welt, seufzend, hoffnungslos schwer, abwesend.

Da steht er nun, nackt vor der Unendlichkeit, und ist mit seinem Wunsch konfrontiert. Die dunklen Algen, die den Grund bedecken, und die dazwischen herausschauenden Felsen sind im Lichte seiner Entschlossenheit bloß unbedeutende Hindernisse. Die Kälte packt ihn am Knöchel wie die Zähne einer Bärenfalle, doch in seinem kleinen Körper regt sich nichts. Bloß seine Fäuste ballen sich ein wenig, ein ganz kleines bisschen. Er geht mit der sturen Regelmäßigkeit eines Metronoms weiter, ohne einzuknicken. Das Wasser umschließt seine langen, dünnen Oberschenkel, leckt mit seiner Metallzunge an ihnen bis hinauf zu seinen Pobacken, seinen schmalen Hüften, steigt an seinem Rücken hinauf und verbreitet auf seinem Weg Zucken und Gänsehaut. Die Kälte raubt ihm den Atem, er bekommt kaum noch Luft, diesmal fährt ihm eine Hand mit Eisennägeln über den Rücken, doch das ändert nichts am Tempo seiner Schritte. Dann wird auch der Hals vom Wasser umschlossen, sein Körper fühlt sich an wie abgeschnitten, und an der Oberfläche bleibt nur noch die zerbrechliche Kugel aus Haut und Haaren.

»Camiiiille!«

Schließlich doch der Schrei seiner Mutter.

Ohne sich umzudrehen, holt er tief Luft, beugt langsam die Knie und verschwindet so langsam er kann unter Wasser. Als er schließlich knallrot wieder auftaucht, sind die Schreie noch immer zu vernehmen, erfüllen die Luft noch mehr als der eisige Wind, der ihn zwingt, die Lider zu schließen.

Er dreht sich nicht um, er weiß, dass sie da ist, gestikulierend am Ufer steht, voller Panik, machtlos. Tränen steigen in seine ernsten Kinderaugen.

So viel Zeit er sich beim Hineingehen gelassen hatte, so schnell verlässt er es jetzt wieder, so rasch wie es ihm die kleinen Beinchen eines Siebenjährigen erlauben, und er eilt zu ihr. Tropfend umschlingt er ihre Taille, ohne die Schläge zu spüren, die auf ihn niederprasseln.

* * *

»Dieses Haus ist schrecklich feucht, und dieses grauenhafte Zimmer ist winzig. Ich kann hier unmöglich bleiben, hörst du, niemals. Eine Nacht hier ist schon zu viel. Wir reisen morgen wieder ab.«

Emma tigert in dem engen Zimmer mit Blick aufs Meer herum. Zerfahren schiebt sie ihr Gepäck hin und her, von einem Stuhl aufs Bett, vom Bett auf den Tisch, vom Tisch wieder auf den Stuhl. Koffer und Taschen verstopfen den ganzen Raum.

Eingezwängt zwischen zwei Fassaden, die seiner eigenen nicht unähnlich sind - die eine honiggelb, die andere in einem undefinierbaren und verwaschenen Meergrün -, steht Les Filets bleus, ein einfaches Ferienhaus aus Granit, das in den Reisekatalogen als eines der charmantesten Häuser der Insel geführt wird. Zwei Stufen, eine schmale Tür und man betritt den einzigen Raum im Erdgeschoss, in dem sich eine Kochecke diskret in der Nische unter der Treppe verbirgt. Durch zwei Sprossenfenster dringt das graue Nachmittagslicht nur mühsam in diese kleine Welt aus dunklem Holz. Im oberen Stockwerk befinden sich zwei Schlafzimmer und ein Bad mit Dusche; darüber ein verschlossener Dachboden. Das war´s. »Es ist lächerlich winzig hier. Wo soll ich meine Sachen unterbringen? Schau dir bloß diesen mickrigen Schrank an und diese albernen Bügel, die sich ja fast gegenseitig duellieren müssen ...«

Wutentbrannt schleudert Emma die Handvoll Bügel aufs Bett. »Dein Vater hat wirklich kein Herz!« Sie bricht inmitten des Berges aus elegantem Ledergepäck einer namhaften italienischen Marke in Tränen aus. »Ein Unmensch ist er, hörst du?«

Camille, der in der Nähe der Tür steht, kommt langsam näher und setzt sich neben sie. Mit seinen dunkelbraunen Augen sieht er seine Mutter ernst an. Zwischen den Fingern dreht er einen kleinen Kieselstein, den er auf dem Weg zum Haus aufgesammelt hat. Seine leicht nach vorne gebeugten Schultern unterstreichen seine nachdenkliche Haltung. Es gibt da etwas, das er nicht versteht. Sein Vater hat sehr wohl ein Herz, jeder Mensch hat ein Herz. Auf seiner Bildtafel der menschlichen Anatomie, deren medizinische Bezeichnungen er allesamt kennt, ist auch das Herz abgebildet. Wie kann sich seine Mutter in diesem Punkt so irren?

»Aber Mama ... Papa hat ...«

»Rede nicht mehr von deinem Vater! Mich hierherzuschicken und verfaulen zu lassen ... Auf dieser Insel im Nirgendwo, mitten im Atlantik ... er kennt wirklich kein Mitleid. Mein Gott, schlimmer geht es wirklich nicht. Und weißt du was, er hat sogar noch für zwei Monate Kostgeld im Voraus bezahlt, in dem Restaurant nebenan, um sicherzugehen, dass du wenigstens einmal am Tag was zu essen bekommst ... Und dann noch die Rechnung zum Anschreiben im Lebensmittelgeschäft an der Ecke ... das ist alles so demütigend. Als würde er mich anketten. Ich bin im Gefängnis, Camille. Im Gefängnis, hörst du?«

Emma weint immer heftiger, ihre feinen blonden Haare sind zerzaust von einem Wind, der keine Rücksicht nimmt auf kunstvolle Föhnfrisuren. Mit geschickten Fingern versucht Camille die rebellischen Strähnen zurecht zu zupfen, damit seine Mutter wieder das vertraute Gesicht, das einer makellosen Pariserin, bekommt. »Lass meine Haare in Ruhe, das nervt mich! Und geh in dein Zimmer ... Falls man diesen Wandschrank überhaupt als Zimmer bezeichnen kann.«

Camille steht auf, zögert und lässt den Blick durch das kleine Zimmer schweifen, betrachtet die Taschen, das Fenster, die Aussicht auf den kleinen Hafen und das Meer. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin ja da, Mama. Ich liebe dich.«

Emma antwortet nicht. Sie putzt sich geräuschvoll die Nase, greift dann nach ihrem Telefon und kontrolliert nervös ihre Nachrichten.

»Ich hab dich lieb, Mama. Ich hab dich lieb, ich hab dich lieb ...«

»Lass mich, hab ich gesagt, ich kann nicht mehr. Und wenn du nicht weißt, was du tun sollst, dann nimm deine Tasche und pack deine Sachen aus.«

* * *

Neben seinem Nachttisch in dem Wandschrankzimmer steht ein Regal voller Bücher über die Insel, die Region, das Meer. Wahllos greift Camille eines heraus: Île de Sein, ein Landfragment im Atlantik.

Île de Sein - Buseninsel -, was für ein komischer Name für eine Insel ... Bei ihrer Ankunft hatte er sich seiner Mutter gegenüber verwundert darüber gezeigt, woraufhin diese sehr schlecht gelaunt seufzte: »Komisch? Warum komisch? So ist eben ihr Name, das ist alles.« Er findet es lustig: »Ich bin auf einem Busen. Auf einem Busen!« Aber er weiß nicht, was »Fragment« heißen soll: »Land-Frag-Ment«, ein Land das fragt? Ein Land kann doch nichts fragen. Land ist Land. Er kann Fragen stellen, die Insel ja wohl nicht.

Camille tritt ans Fenster, öffnet es, schaut hinaus. Ein Land, das Fragen stellt ... Die Insel breitet sich wie eine flache, einsame Pfütze rund um diesen kleinen zurückgezogenen Ort aus, der sich an seine Küste schmiegt. Ist das überhaupt Land hier?, fragt er sich. Oder befinden wir uns vielleicht auf einer Scholle, die...

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Autor

Françoise Kerymer wurde 1952 in eine Familie von Buchhändlern geboren, ihr Urgroßvater war einer der Bouquinisten von Paris und eröffnete 1886 seine boîtes am Ufer der Seine. Sie wuchs zwischen Büchern auf, ist heute selbst Buchhändlerin in Paris und verbringt mit ihrem Mann viel Zeit in der Bretagne, wo auch ihre Romane entstehen.