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Kokoro

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am26.09.2016
Zum 100. Todestag des Autors am 9. Dezember 2016
«Liebe ist ein Verbrechen!» Welches Geheimnis quält den alten, hochgebildeten Mann, der sich zu solchen Aussagen versteigt? Sein Gegenüber, ein unbedarfter Student, fühlt sich zu dem rätselhaften «Sensei» hingezogen und besucht ihn regelmäßig in Tokio. Doch trotz des offensichtlichen Wohlwollens wahrt der Alte Distanz. Hat die junge Frau des Sensei, eine schweigsame Schönheit, etwas mit dessen unerklärlichem Misstrauen zu tun? Erst in einem elegischen Abgesang offenbart sich schließlich, welch unaussprechliche Schuld auf dem Sensei gelastet hat. Dieser an feinen Nuancen reiche Roman gewährt tiefe Einblicke in das Lebensgefühl Japans an der Schwelle zur Moderne.
Erstmals mit Kommentar und mit überarbeiteter Übersetzung.

Natsume S?seki (1867-1916) begeisterte sich früh für klassische chinesische Literatur und Haiku-Dichtung. Er studierte englische Literatur, lebte zwei Jahre in London und unterrichtete schließlich an der Kaiserlichen Universität Tokio. Ab 1907 widmete er sich ganz dem Schreiben. Seine Romane gelten als die ersten modernen Werke in japanischer Sprache.
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Produkt

KlappentextZum 100. Todestag des Autors am 9. Dezember 2016
«Liebe ist ein Verbrechen!» Welches Geheimnis quält den alten, hochgebildeten Mann, der sich zu solchen Aussagen versteigt? Sein Gegenüber, ein unbedarfter Student, fühlt sich zu dem rätselhaften «Sensei» hingezogen und besucht ihn regelmäßig in Tokio. Doch trotz des offensichtlichen Wohlwollens wahrt der Alte Distanz. Hat die junge Frau des Sensei, eine schweigsame Schönheit, etwas mit dessen unerklärlichem Misstrauen zu tun? Erst in einem elegischen Abgesang offenbart sich schließlich, welch unaussprechliche Schuld auf dem Sensei gelastet hat. Dieser an feinen Nuancen reiche Roman gewährt tiefe Einblicke in das Lebensgefühl Japans an der Schwelle zur Moderne.
Erstmals mit Kommentar und mit überarbeiteter Übersetzung.

Natsume S?seki (1867-1916) begeisterte sich früh für klassische chinesische Literatur und Haiku-Dichtung. Er studierte englische Literatur, lebte zwei Jahre in London und unterrichtete schließlich an der Kaiserlichen Universität Tokio. Ab 1907 widmete er sich ganz dem Schreiben. Seine Romane gelten als die ersten modernen Werke in japanischer Sprache.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641196738
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum26.09.2016
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse429 Kbytes
Artikel-Nr.1941897
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Ich habe immer «Sensei»1 zu ihm gesagt. Daher will ich ihn auch hier so nennen und seinen Namen verschweigen. Das tue ich nicht etwa aus Scheu vor der Welt - ich kann gar nicht anders. Sobald ich mich an ihn erinnere, drängt sich mir das Wort «Sensei» auf die Lippen. Auch jetzt geht es mir so. Ich kann mich nicht überwinden, kalte Initialen zu gebrauchen.

Ich lernte ihn in Kamakura2 kennen. In jener Zeit war ich noch ein blutjunger Student. Einer meiner Freunde, der seine Sommerferien dort am Strand verbrachte, hatte mir eine Karte geschrieben, ich möge ihn doch besuchen, und so verschaffte ich mir binnen weniger Tage das Reisegeld und fuhr hin. Es waren aber noch keine drei Tage vergangen, da telegrafierte man ihm plötzlich, er solle unverzüglich in seine Heimat zurückkehren: Seine Mutter sei schwer erkrankt. Mein Freund wollte das nicht glauben. Er war von seinen Eltern, die dort lebten, zu einer Heirat gezwungen worden, gegen die er sich heftig gesträubt hatte. Er kam sich - nach moderner Auffassung - viel zu jung für eine Ehe vor, zudem gefiel ihm das Mädchen nicht. In den Sommerferien hatte man ihn natürlich zurückerwartet, doch er fuhr nicht nach Hause, sondern verbrachte seine Zeit lieber in der Nähe von TÅkyÅ. Er zeigte mir das Telegramm und fragte mich nach meiner Ansicht, aber ich wusste beim besten Willen keinen Rat. War seine Mutter wirklich erkrankt, musste er selbstverständlich auf der Stelle heimfahren. Das tat er denn schließlich auch. Ich, der ich eigens gekommen war, ihn zu besuchen, blieb allein zurück.

Bis zum Beginn des Semesters war es noch ein paar Tage hin, und so blieb ich weiter in dem Gasthof, da es mir im Grunde gleichgültig war, ob ich mich in Kamakura oder in TÅkyÅ aufhielt. Mein Freund stammte zwar aus einer vermögenden Familie in der ChÅ«goku-Region3 und kannte keine Geldsorgen, doch da wir gleichaltrig waren und dieselbe Universität besuchten, unterschied sich sein tägliches Leben kaum von dem meinen. Aus diesem Grunde brauchte ich mir jetzt auch nicht die Mühe zu machen, in eine meinen Verhältnissen angemessenere Bleibe umzuziehen.

Der Gasthof lag am äußersten Rand von Kamakura. Moderne Vergnügungsmöglichkeiten wie Billardsaal und Eisdiele waren von hier aus nur erreichbar, wenn man einen langen Weg zwischen Reisfeldern zurückgelegt hatte. Fuhr man mit einer Rikscha, so kostete das zwanzig Sen4. Doch gab es dort, wo ich wohnte, viele hübsche Privatvillen, und da der Strand recht nahe war, lag der Gasthof für meinen Freund und mich bequem.

Ich ging jeden Tag schwimmen. Jedes Mal, wenn ich an den alten, verräucherten Strohhäuschen vorbei zum Strand hinuntertrabte, tummelten sich dort so viele Sommerfrischler, dass man sich kaum vorstellen konnte, wie sie alle in Kamakura Unterkunft gefunden hatten. Manchmal wimmelte das Meer von kleinen schwarzen Köpfen wie in einem öffentlichen Badehaus. Auch ich, der ich von all den Leuten niemanden kannte, wurde von dem lauten Treiben wie verschlungen; ich streckte mich träge im Sand aus oder tollte vergnügt in den heranbrandenden Wellen.

Mitten in diesem Gewimmel sah ich den Sensei zum ersten Mal. Es standen damals zwei Umkleide- und Erfrischungsbuden am Strand. Irgendwann war ich in eine der beiden hineingegangen, und dabei blieb ich fortan. Wer in dem nahen Dorf Hase eine Villa besaß, war nicht darauf angewiesen, doch die zahlreichen Sommergäste, für die keine Kabinen vorgesehen waren, brauchten einen Umkleideraum. Außerdem tranken sie hier Tee, ruhten sich vom Schwimmen aus, spülten ihre Badekleidung rein, säuberten ihren von dem Salzwasser juckenden Körper, deponierten hier Hut und Sonnenschirm. Auch ich, der ich keine Badekleidung besaß, sondern mich mit einem Lendenschurz begnügte, zog mich dort um, bevor ich ins Meer sprang, und gab meine Habseligkeiten in Verwahrung.

2

Als ich in dieser Bude den Sensei erblickte, hatte sich dieser schon umgezogen und wollte eben zum Meer hinuntergehen. Ich aber war gerade erst aus dem Wasser gestiegen und ließ, langsam herausspazierend, die triefende Haut im Winde trocknen. Zwischen uns beiden bewegten sich zahllose schwarzhaarige Köpfe, die mir immer wieder die Aussicht versperrten. Hätte nicht ein seltsamer Umstand meine Aufmerksamkeit auf jenen Mann gelenkt, wäre er mir bestimmt nicht weiter aufgefallen. Obwohl der ganze Strand ein einziges Gewühl bildete und ich schläfrig vor mich hin döste, erweckte der Sensei sofort meine Neugierde: Er befand sich in Gesellschaft eines Europäers.

Ich war aufs höchste erstaunt, als jener Ausländer mit seiner so außerordentlich weißen Haut in der Umkleidebude auftauchte. Er hatte seinen japanischen Yukata5 abgenommen, ihn über eine Bank geworfen und stand nun mit verschränkten Armen da und blickte auf das Meer hinaus. Außer einer kurzen Hose, wie wir Japaner sie auch trugen, hatte er nichts am Leib. Das verblüffte mich. Erst vor zwei Tagen hatte ich am Strand von Yuigahama badenden Europäern zugesehen. Ich saß auf einem kleinen Sandhügel dicht beim Hinterausgang des Hotels, und es kamen viele Männer an mir vorbei, um sich hier das salzige Wasser abzuspülen, doch bei keinem waren Brust, Oberarme oder Schenkel nackt. Noch mehr waren die Frauen ängstlich bedacht, ihren Körper vor fremden Blicken verborgen zu halten. Die meisten trugen Gummikappen, die in den Wellen wie kastanienbraune, grüne oder blaue Blätter auf und ab tauchten. Mir kam nun, als ich mich jenes Schauspiels entsann, dieser Ausländer, der nur mit einer kurzen Hose bekleidet vor allen dastand, höchst seltsam vor.

Schließlich wandte er sich zur Seite, um mit einem Japaner, der sich gerade bückte, ein paar Worte zu wechseln. Dieser Japaner hob ein in den Sand gefallenes Handtuch auf, wickelte es sich um den Kopf und ging mit dem Ausländer auf das Meer zu. Dieser Mann war der Sensei!

Neugierig spähte ich den beiden nach, wie sie durch den Sand schritten. Sie gingen sofort ins Wasser, wateten eine Weile hindurch, durchquerten die in dem seichten Wasser lärmende Menschenmenge und schwammen, nachdem sie eine verhältnismäßig breite und freie Fläche erreicht hatten, wie auf Verabredung gleichzeitig hinaus. Ihre Köpfe bewegten sich schnell zur offenen See hin, bis sie nur mehr als winzige Punkte zu sehen waren. Dann näherten sie sich in gerader Linie wieder dem Strand. Ohne sich in der Umkleidebude mit Brunnenwasser das Salz vom Körper zu spülen, zogen sie sich sofort an und brachen auf.

Nachdem ich sie aus den Augen verloren hatte, setzte ich mich auf einen Klappstuhl und rauchte. Wie geistesabwesend sann ich über den Sensei nach. Ich war überzeugt, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, mich zu erinnern, wann und wo dies geschehen sein mochte.

Damals hatte ich keinen besonderen Kummer, sondern litt mehr an Einsamkeit. Ich wusste mit meiner freien Zeit nicht viel anzufangen, und so ging ich, in der Hoffnung, dem Sensei wieder zu begegnen, am nächsten Tag zur gleichen Stunde zur Umkleide. Diesmal erschien der Sensei allein, ohne jenen Europäer, einen Strohhut auf dem Kopf. Er nahm seine Brille ab, legte sie auf die Bank, band sich sofort sein Handtuch um den Kopf und ging schnell den Strand hinunter. Als er wie am Vortag mitten durch das kreischende Badevolk geschritten war und hinausschwamm, stieg plötzlich das Verlangen in mir auf, ihm zu folgen. Durch das seichte Wasser plantschend, spritzte ich es mir bis zum Kopf und schwamm, nachdem ich eine ziemlich tiefe Stelle erreicht hatte, Hand über Hand auf den Sensei zu. Er aber beschrieb, anders als am Tag zuvor, einen weiten Bogen und näherte sich dann aus unerwarteter Richtung wieder dem Strand. So war meine Absicht gescheitert. Als ich an Land stieg und, die wassertriefenden Arme kräftig hin und her schüttelnd, die Umkleidebude betrat, war der Sensei bereits angezogen und ging, an mir vorbei, ins Freie.

3

Auch am nächsten Tag erschien ich zur gleichen Stunde am Strand und entdeckte den Sensei. Ebenso geschah es an den folgenden Tagen, doch fand ich leider keine Gelegenheit, ihn anzusprechen oder ihn auch nur zu grüßen. Er war eigentlich ungesellig. Einsam tauchte er zu bestimmter Stunde auf und ging einsam wieder fort. Wie heiter und laut es in seiner Umgebung auch war, er schien das alles kaum zu bemerken. Auch jener Ausländer, der das erste Mal bei ihm gewesen war, blieb verschwunden. Stets war der Sensei allein.

Einmal kam er schnellen Schrittes wie gewöhnlich vom Meer herauf und wollte in der Umkleidebude gerade seinen Yukata anlegen, da fand er diesen voller Sand. Er wandte sich um und schwenkte das Kleidungsstück, damit der Sand herausfalle, ein paarmal hin und her. In diesem Augenblick rutschte seine Brille, die unter dem Yukata gelegen hatte, durch die Bretterritzen. Er aber nahm den Verlust erst wahr, als er den schmalen, ungefütterten Obi6 über seinem baumwollenen Yukata zusammengebunden hatte. Sofort begann er danach zu suchen. Da schlüpfte ich blitzschnell mit Kopf und Armen unter die Bank und hob die Augengläser auf. Der Sensei nahm sie, sich höflich bedankend, aus meiner Hand entgegen.

Am nächsten Tag sprang ich gleich hinter ihm ins Wasser. Und dann schwamm ich in dieselbe Richtung wie er. Etwa zweihundert Meter waren wir ins offene Meer hinausgelangt, da wandte sich der Sensei um und rief mir etwas zu. Auf dem riesigen blauen Meer war niemand, nur wir beide. Kraftvoll strahlte die Sonne weithin auf das Wasser und auf die Berge am Strand. Vom Gefühl unendlicher Freiheit wie berauscht,...

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Autor

Natsume Soseki (1867-1916) begeisterte sich früh für klassische chinesische Literatur und Haiku-Dichtung. Er studierte englische Literatur, lebte zwei Jahre in London und unterrichtete schließlich an der Kaiserlichen Universität Tokio. Ab 1907 widmete er sich ganz dem Schreiben. Seine Romane gelten als die ersten modernen Werke in japanischer Sprache.