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Sturmflimmern

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am29.08.2016
Ein flirrend heißer Sommer in einer amerikanischen Kleinstadt: Die 15-jährige Sofia würde am liebsten einfach nur die großen Ferien genießen, mit ihren Freunden Partys feiern und im Fluss baden gehen. Doch mit ihrer eigensinnigen Art hat sie unbeabsichtigt den Konflikt zwischen ihrem besten Freund Oscar und seinem brutalen älteren Bruder David verschärft. Aus ein bisschen Geplänkel entsteht eine gefährliche Spirale der Gewalt. Dabei fangen mit der Ankunft eines alten Bekannten von Sofias Vater die Probleme gerade erst an ...

Moira Frank, geboren 1993 bei Hamburg, studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Sie hat in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht und war 2015 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses. »Sturmflimmern« ist ihr Debütroman.
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Produkt

KlappentextEin flirrend heißer Sommer in einer amerikanischen Kleinstadt: Die 15-jährige Sofia würde am liebsten einfach nur die großen Ferien genießen, mit ihren Freunden Partys feiern und im Fluss baden gehen. Doch mit ihrer eigensinnigen Art hat sie unbeabsichtigt den Konflikt zwischen ihrem besten Freund Oscar und seinem brutalen älteren Bruder David verschärft. Aus ein bisschen Geplänkel entsteht eine gefährliche Spirale der Gewalt. Dabei fangen mit der Ankunft eines alten Bekannten von Sofias Vater die Probleme gerade erst an ...

Moira Frank, geboren 1993 bei Hamburg, studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Sie hat in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht und war 2015 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses. »Sturmflimmern« ist ihr Debütroman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641188863
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum29.08.2016
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse993 Kbytes
Artikel-Nr.1950599
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Der Kassierer beobachtete sie, seit sie hereingekommen war. Er hatte ihr Gesicht gesehen. Das getrocknete Blut unter ihrer Nase, das sie nicht ganz hatte abwischen können. Ihre aufgeplatzte, dick geschwollene Lippe. Wahrscheinlich sogar ihre zitternden Hände.

Im Kiosk roch es nach Kaffee und Zeitschriften und schwach nach dem Diesel, mit dem der Angestellte draußen die Autos betankte. Aus dem Kofferradio im Regal hinter dem Tresen drang blechern klingender, schläfriger Country. Am Durchgang ins Hinterzimmer hing ein Wandtelefon. Um halb vier in der Nacht war Harriet die einzige Kundin, doch sie fühlte sich, als durchbohrten ihren Rücken noch Dutzende mehr Augenpaare als nur das des Kassierers, einem weißen Mittvierziger in kariertem Hemd und mit Baseball-Schirmmütze, der wahrscheinlich gleichzeitig der Inhaber war. Harriet stand am Kühlschrank und hatte ihm den Rücken zugewandt. In der linken Hand balancierte sie drei eingepackte Sandwiches, unter den Ellbogen hatte sie eine Flasche geklemmt, deren Kälte durch ihren Mantel strahlte. Die geschwollene untere Hälfte ihres Gesichts pochte. Auf ihrem linken Ohr war seit drei Stunden ein leises, aber hartnäckiges Pfeifen. Aus den Augenwinkeln sah sie den Inhaber durch das Fenster Blicke mit jemandem wechseln, dann zum Telefon blicken.

Harriet nahm instinktiv von ganz unten eine Flasche Milch und schloss den Kühlschrank mit der Schulter. Als sie sich umdrehte, sah der Inhaber sie plötzlich nicht mehr an, sondern blätterte in etwas hinter dem Tresen. Harriet hielt die Flaschen so fest, dass ihre Hände still waren, ging zu ihm hinüber und stellte sie auf den Tresen.

»Abend«, sagte sie. Ihre Stimme war rau, aber fest.

Der Mann sah von seiner Zeitung auf und räusperte sich. Er vermied, ihr direkt in die Augen zu sehen. Auf seinem Gesicht sah Harriet wie schon bei dem Tankwart, dem sie draußen zehn Dollar gezahlt hatte, eine Mischung aus Misstrauen und Mitleid. Das Misstrauen überwog.

»Abend auch«, sagte er. Er trug eine Kappe der Cincinnati Reds, die im letzten Jahr, 1971, eine katastrophale Saison gespielt hatten. Sie legte die drei eingepackten Sandwiches und eine Packung Tylenol neben die Flaschen und zog einen zerknitterten Schein aus ihrer Hosentasche. Im Radio löste ein melancholischer Titel von Johnny Cash den letzten Song ab. Der Inhaber nahm den Schein und hielt ihn bloß in der Hand. Harriet sah, dass er heftig mit sich rang. Als er endlich den Mund öffnete, kam sie ihm zuvor.

»Das war das letzte Mal«, sagte sie. »Ich lass mich von ihm nicht mehr so behandeln, wissen Sie?«

»Ach ja?«, sagte der Inhaber, verdutzt von ihrer Initiative.

»Ja«, sagte Harriet und zwang sich zu einem Lächeln, bei dem ihre Unterlippe wieder zu bluten begann. »Diesmal geh ich ganz bestimmt nicht zu ihm zurück. Mir reicht´s.«

Der Inhaber hielt noch immer ihren Schein. »Es geht mich ja nichts an«, sagte er, »aber ich hoffe doch, dass Sie bei der Polizei waren. Ich will nicht unhöflich sein, aber Sie sind ganz schön zugerichtet. Und Sie bluten sogar.«

»Wenn ich mir gleich eine kalte Coke an den Mund halten kann, geht´s mir viel besser.«

Er warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Harriet ballte die Hand, die sie nicht auf den Tresen gelegt hatte, zu einer zitternden Faust. In ihren Ohren dröhnte es.

»Es ist nett, dass Sie sich Sorgen machen«, sagte sie, »aber das müssen Sie nicht.«

Plötzlich sah er sie wieder an, zum ersten Mal direkt. »Er hat Sie doch nicht gezwungen? Zu tanken und dann hier reinzukommen und was zu kaufen?«

»Nein«, sagte Harriet zu rasch und zu schrill, »nein, um Gottes willen!«

»Wissen Sie, ich kann die Cops rufen, ganz unauffällig. Wenn Sie Hilfe brauchen. Ich tu so, als würde ich meine Frau anrufen oder irgendwen, und Sie bleiben hier, bis die Cops kommen.«

»Das ist wirklich nett, aber ich bin mit meinem Schwager hier. Er hat mich abgeholt. Mein Ex hat ihn ganz schön zugerichtet. Deshalb fahre ich und er hat sich auf dem Rücksitz hingelegt. Wir wollen heute noch zu meiner Schwester nach Columbus. Das habe ich ihr versprochen.« Und einer Eingebung folgend fügte sie hinzu: »Sie ist großer Fan der Reds, wissen Sie. Meine Schwester. Vielleicht werd ich´s ja auch, wenn ich zu ihr und ihrem Mann ziehe.«

Wie durch ein Wunder wirkte das. Er hörte auf nachzubohren, auch wenn er nicht völlig überzeugt davon schien, die Cops aus dem Spiel zu lassen. »Wenn Sie bis Columbus durchhalten müssen, brauchen Sie und Ihr Schwager einen Kaffee. Der geht aufs Haus.«

»Nein, vielen Dank, aber ich glaube, eine kalte Coke wäre jetzt viel besser.«

»Dann geht die Coke aufs Haus«, sagte er und begann, die einzelnen Posten in die Kasse einzugeben. Ihre Einkäufe steckte er in eine Papiertüte. »Passen Sie auf sich auf.«

»Mache ich.«

»Und gehen Sie bloß nicht zu ihm zurück. Das darf man mit keiner Frau machen.«

Harriet zwang sich noch einmal zu einem Lächeln, diesmal nicht ganz so breit, weil ihr Mund ertaubte und sie plötzlich Tränen in den Augen hatte. »Der sieht mich nie wieder.«

Sie verließ den Laden. Es regnete noch, doch es war nichts im Vergleich zu dem Sturm in Philadelphia, der innerhalb von zwei verregneten Tagen den Delaware River über die Ufer hatte treten lassen und die halbe Stadt unter Wasser gesetzt hatte. Sie ging rasch in Richtung Wagen, die Papiertüte umklammernd, den Kopf gegen den Nieselregen gesenkt, der sich auf ihrem Gesicht und ihren Händen wie feine Nadeln anfühlte. Der Tankwart stand neben der Zapfsäule und rückte seine Kappe zurecht, als sie auf ihn zukam.

»Ma´am«, sagte er. Sie nickte ihm zu und hoffte, dass er sie nicht ebenfalls beiseitenahm und ihr anbot, die Cops zu rufen. Er war jung, sichtbar ein guter Sportler. Er war schwarz, und vielleicht sah er sie deshalb mit viel weniger Misstrauen an als sein Chef. »Alles in Ordnung?«

»Mir geht´s gut. Sagen Sie Ihrem Chef von mir noch mal Danke. Wenn er Ihr Chef ist«, fügte sie hinzu.

Er nickte mit sichtbarer Skepsis. »Werd ich. Gute Fahrt, Ma´am«, sagte er und ließ sie vorbei.

Als Harriet einstieg, roch sie zuerst das Blut. Schill war noch bei Bewusstsein. Er atmete schwer aus vor Erleichterung, dass sie zurück war. Sie stellte die Einkäufe neben sich und sah sich kurz nach ihm um.

»Fahr«, sagte er erstickt.

Harriet schnallte sich an, ließ den Wagen an und bog vom leeren Parkplatz zurück auf die vom Regen glänzende, die Leuchtanzeige der Tankstelle spiegelnde Straße. Im Rückspiegel sah sie den Tankwart zum Kiosk hinübergehen und eintreten.

»Er ruft die Cops«, sagte Schill, träge vor Schmerzen. Er war aschfahl und saß vornübergebeugt, die rechte Schulter gegen die Tür gestützt, um sich nicht auf die linke lehnen zu müssen. »Verdammtes Wunder, dass er mich nicht zur Rede gestellt hat. Sah so aus, als wollte er das tun, wenn du nicht gekommen wärst.«

Harriet bezweifelte, dass der Tankwart tatsächlich einen Versuch gemacht hätte, Schill mit den Gesichtsverletzungen seiner Begleiterin zu konfrontieren. Breitschultrig, muskulös und größer als die allermeisten Männer, hätte Schill auch unverletzt Respekt einflößend gewirkt. Doch wenn er näher in den Wagen gesehen hätte, würde wahrscheinlich bereits jetzt die örtliche Polizei nach ihnen fahnden.

»Ich habe den Chef überzeugt. Ich habe ihm gesagt, du wärst mein Schwager und hättest mich vor meinem Ex gerettet.« Sie redete gegen ihre Zweifel an. »Schill, wir mussten tanken, und sie wären viel misstrauischer gewesen, wenn ich nicht ausgestiegen wäre.« Die Tankstelle war weit hinter ihnen zu einem vom Regen verwaschenen Lichtfleck verschwommen. Harriet musste sich beherrschen, nicht das Gaspedal durchzudrücken. Ihr Puls war immer noch zu hoch. Ihre Muskeln brannten vom Zittern. Die Angst saß ihr heiß und spitz in der Brust. Gleichzeitig kam ihr alles unwirklich vor, wie durch eine Glasscheibe beobachtet. Vielleicht, dachte sie, schlief sie oder sah mit Julie einen schlechten Kriminalfilm im Kino. Dann fielen ihr die Einkäufe wieder ein. Sie war inzwischen ruhig genug, um eine Hand vom Lenkrad zu nehmen. »Versuch, ob sie nicht was essen will«, sagte sie. »Und ich habe dir Tylenol mitgebracht.«

Schill nahm ihr die Tüte mit der gesunden Hand ab, stellte sie neben sich und lehnte sich steif vor Schmerzen nach vorn, um in den Fußraum greifen zu können.

»Hey«, sagte er leise. »Du kannst wieder hochkommen.«

Harriet warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah Sofias zerzausten Kopf unter der Decke auftauchen, mit der Schill sie im Fußraum verborgen hatte. Er zog sie vorsichtig hoch auf die Rückbank. Ihr Haar, immer noch feucht vom Regen, stand ihr wild vom Kopf ab. Ihre Augen waren verquollen vom vielen heftigen Weinen in dieser Nacht, doch jetzt war sie ruhig. Harriet sah zurück auf die Straße.

»Bist du hungrig?«, hörte sie Schill zu Sofia sagen.

Sofia streckte sich, um in die Tüte zu spähen. Schill nahm ihre Hand und schlug ihr Julies viel zu großen weißen Strickpullover an den Ärmeln hoch. Sofias verbundene Hände kamen zum Vorschein. Schill holte ein Sandwich aus der Tüte und wickelte es für sie aus. Er konnte nur eine Hand für alles benutzen. Wie Harriet zitterte er.

»Thunfisch?«, sagte er. »Ernsthaft, Harriet? Für ein vierjähriges Kind?«

Doch Sofia verschlang es in großen Bissen. Schill strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, damit sie ihr nicht in den Mund gerieten. Dann nahm er vier Tylenol auf einmal und trank die Hälfte der Cola hinterher, die...

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Moira Frank, geboren 1993 bei Hamburg, studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Sie hat in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht und war 2015 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses. »Sturmflimmern« ist ihr Debütroman.
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