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Nachbemerkungen zu Thomas Mann (2)

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
230 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.07.20161. Auflage
Diese Essays von Peter de Mendelssohn koordinieren Thomas Manns Leben und Werk. Die Sammlung wird zum unentbehrlichen Kompendium. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Peter de Mendelssohn (1908-1982) wuchs als Sohn eines Goldschmieds in der Künstlersiedlung Dresden-Hellerau auf. Bereits während seiner Redakteurstätigkeit beim 'Berliner Tageblatt' veröffentlichte er erste Texte. 1933 emigriert, baute sich Mendelssohn eine neue Existenz in Großbritannien auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg berichtete er von den Nürnberger Prozessen und war am Aufbau des 'Berliner Tagesspiegel' und der 'Welt' beteiligt. Bekannt wurde er als Thomas-Mann-Biograph und Herausgeber von dessen Tagebüchern.
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Produkt

KlappentextDiese Essays von Peter de Mendelssohn koordinieren Thomas Manns Leben und Werk. Die Sammlung wird zum unentbehrlichen Kompendium. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Peter de Mendelssohn (1908-1982) wuchs als Sohn eines Goldschmieds in der Künstlersiedlung Dresden-Hellerau auf. Bereits während seiner Redakteurstätigkeit beim 'Berliner Tageblatt' veröffentlichte er erste Texte. 1933 emigriert, baute sich Mendelssohn eine neue Existenz in Großbritannien auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg berichtete er von den Nürnberger Prozessen und war am Aufbau des 'Berliner Tagesspiegel' und der 'Welt' beteiligt. Bekannt wurde er als Thomas-Mann-Biograph und Herausgeber von dessen Tagebüchern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105611159
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.07.2016
Auflage1. Auflage
Seiten230 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1023 Kbytes
Artikel-Nr.1979854
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Späte Erzählungen

Thomas Manns späte Erzählungen, die in seiner zweiten Lebenshälfte, seit dem Ersten Weltkrieg geschaffenen, die in diesem Band in der Reihenfolge ihrer Entstehung zusammengestellt sind, nehmen in seinem Gesamtwerk eine andere Stellung ein als die frühen und erfüllen eine andere Funktion. Allein schon ihre Anzahl zeigt den Unterschied: während der Band der Frühen Erzählungen sechsundzwanzig Stücke enthält, die in knapp zwanzig Jahren vor, neben und zwischen den großen Romanen entstanden, sind es in den fünfunddreißig Jahren von 1918 bis 1953 nur ihrer acht; zwischen den einzelnen Erzählungen liegen jetzt zumeist viele Jahre; dafür sind sie länger, breiter konzipiert.

In den Anfängen von Thomas Manns Schaffen machten die kurzen oder höchstens mittellangen Novelletten, Skizzen und Studien das ganze Werk aus; der Dichter meinte sich zu nichts anderem bestimmt und begabt; die kleine Form erschien ihm als die ihm gemäße schlechthin. Das wandelte sich, als die große erzählerische Kraftprobe der Buddenbrooks bestanden war. Hinfort liefen die kleinen Erzählungen nur noch hier und dort neben den großen, viele Jahre Arbeitszeit beanspruchenden Romanen her, wenn sich Gelegenheit für sie ergab, ohne sich jedoch in ihrer Art wesentlich zu ändern. Ihre Thematik blieb streng eingegrenzt und von der anekdotischen Pointierung bestimmt; kaum eine von ihnen, nicht einmal Tonio Kröger oder Der Tod in Venedig, trägt den Keim oder auch nur den versteckten Ehrgeiz zu Größerem in sich - so wie später die geplante Goethe-Novelle sich ganz einfach kraft des Gewichts ihrer Thematik den Lotte-Roman erzwang.

In Tonio Kröger und gewiß im Tod in Venedig kündigt sich indessen bereits die neue Gestalt der kurzen oder doch kürzeren Erzählung an, die Thomas Mann in der zweiten Phase sich schafft und zu hoher Meisterschaft entwickelt. Der Übergang in ein anderes Genre wird sichtbar: die Erzählungen werden thematisch reicher, gedanklich ehrgeiziger und ergiebiger. Was einst die Schule Maupassants nicht verleugnete, rückt nun Schritt um Schritt in die Nähe Goethes, Stifters und der vielbewunderten Meister Turgenjew und Tschechow. Und es hüpft nicht wie einst, zur Zeit von Buddenbrooks und Königliche Hoheit, mehr oder weniger leichtfüßig nebenher, sondern ist in ihre Kette eingegliedert.

Die Erzählungen der zweiten Lebenshälfte, die jetzt zwischen und nicht mehr neben den großen Prosa-Epen entstehen, bezeichnen die unerläßlichen Atempausen nach der Vollendung der Hauptwerke. Das ist ihre Funktion im Gesamtgefüge des Erzählwerks; es bleibt Sache der Reden und Aufsätze, der Essays und Untersuchungen, neben den Romanen einherzugehen. Thomas Mann machte in seinem Schaffen stets einen Unterschied zwischen »Musizieren« und »Reden«, wie er es nannte, zwischen Erzählen also und Erörtern, und er war stets froh, wenn er vom leidigen Reden zum Musizieren zurückkehren konnte. Nur das Reden unterbrach von nun an noch das Musizieren; daß eine kleine Musik eine große begleitete oder unterbrach, kam nicht mehr vor.

Atempausen zwischen den großen Erzählwerken waren allemal geboten; dieses Bedürfnis stellte sich regelmäßig ein. Doch da der Dichter stets unglücklich war, wenn er nichts zu schreiben hatte, bestand eine solche Pause keinesfalls darin, daß er eine Weile die Feder - er schrieb ja bis zuletzt alles mit der Hand! - ruhen ließ und gar nichts zu Papier brachte; vielmehr darin, daß er etwas anderes ersann und komponierte. Nicht keine Arbeit, sondern andere Arbeit, nicht Ruhe, sondern Abwechslung - das war das Geheimnis der Erquickung und Belebung, ehe ein neues »Hauptgeschäft« in Angriff genommen wurde.

So folgen Herr und Hund und Gesang vom Kindchen, mit Vorbedacht »zwei Idyllen« genannt, unmittelbar auf die ganz und gar unidyllische Riesen-Polemik der Betrachtungen eines Unpolitischen; Unordnung und frühes Leid ist ein Aufatmen nach der Vollendung des Zauberberg; Mario und der Zauberer eine Pause im ersten und zweiten Joseph-Roman; Die vertauschten Köpfe sind die Rast nach Lotte in Weimar, ehe Thomas Mann zum vierten und letzten Joseph-Roman aufbricht; Das Gesetz ist ein Nachspiel zu Joseph, der Ernährer, und Die Betrogene ist ein Zwischenspiel während des weitläufigen Felix Krull.

Gleichwohl sind allzu scharfe Unterscheidungen nicht dienlich: die Grenzen zwischen »großer Novelle« und »kleinem Roman« sind immer und überall fließend, und es stellt sich zumeist erst während der Arbeit heraus, wo sie verlaufen. Zu bedenken, daß alle großen Romane Thomas Manns, mit Ausnahme von Buddenbrooks, ursprünglich als Novellen konzipiert waren. Der Zauberberg hatte eigentlich ein Gegenstück zum Tod in Venedig sein sollen, und Lotte in Weimar hieß anfänglich »Novelle«, dann »ein kleiner Roman« und endlich Roman schlechtweg. Der Erwählte, der als Erholung nach dem Gewaltmarsch des Doktor Faustus gedacht war, verlangte zu guter Letzt doch drei Jahre Arbeitszeit und war, wiewohl er sich einen Roman nannte, in mehr als einem Bezug recht eigentlich den »großen Novellen« zuzurechnen.

Wie also dann? Es geht hier eines ins andere über, und wie immer wir diese Erzählungen nennen, sie haben zwei charakteristische Eigenarten gemeinsam: sie sind die Rastplätze auf der großen epischen Reise, und sie stehen allesamt, wie man sie auch versteht und betrachtet, in der Nachfolge des Tod in Venedig. Dies war die letzte der frühen Erzählungen aus der ersten Schaffenszeit, von welcher der Dichter damals meinte, von hier gehe der Weg nicht weiter. In Wahrheit begann mit ihr ein neuer; sie lieferte Form und Gestalt, wie vielfältig auch immer abgewandelt, für die kürzeren Erzählungen der späteren Zeit: der strenge Bau, die Struktur und Architektur bis hinein in die Gliederung und Verschränkung der Kapitel ist hier vorgeprägt. So vergnüglich Thomas Mann auch späterhin die verschiedensten Form-Varianten der klassischen Novelle durchspielt, bleibt doch, ob in den Vertauschten Köpfen oder der Moses-Erzählung, ob in Unordnung und Mario oder in der Betrogenen, die Venedig-Novelle das große Glück eines selbstgeschaffenen gebieterischen Vorbildes, das schöpferische Muster, das den Maßstab setzt. Diese beiden Eigentümlichkeiten binden die Späten Erzählungen dieses Bandes zusammen und schaffen ihre künstlerische Gemeinsamkeit.

 

Die Betrachtungen eines Unpolitischen - »das Untier«, wie Thomas Mann das unförmige Buch nannte - waren Mitte März 1918 endlich abgeschlossen und vom Schreibtisch verschwunden. Der Dichter, aufatmend in einem glücklichen Gefühl der Befreiung vom »Gerede«, konnte es nicht abwarten, zum Musizieren, zum »Dreidimensionalen« zurückzukehren. Er hatte sogleich den im Herbst 1915 unterbrochenen Zauberberg wieder aufnehmen wollen. Aber funktionierte der Erzähler-Webstuhl nach so langer Stillegung überhaupt noch? Er war sich im Zweifel und spürte, daß er sich für die Fortführung der großen Erzählung erst durch eine kleine wieder eingewöhnen müsse. »Nach Abschluß des mühseligen Gedankenwerkes«, heißt es in dem autobiographischen Vortrag On Myself, »war es nötig, für neue dichterische Aufgaben erst einmal wieder das Handgelenk zu üben.« So schrieb er, während er auf die Korrekturen des »Untiers« wartete, »rasch noch (was ich so rasch nenne) eine Art von Idyll betitelt Herr und Hund , dessen Prosa etwas wie Hexameter-Geist atmet, und das Ihnen, meine ich, Spaß machen wird«. So in einem Brief. Es machte ihm selber Spaß; von der ersten Seite der kleinen Erzählung an ist die Freude an der wiedergewonnenen Freiheit, an der Aussicht, »etwas Hübsches zu machen«, zu spüren. Er sprach scherzend, in einem anderen Brief, von »meinen ersten dichterischen Gehversuchen«, und berichtete in einem dritten: »Ich sehe, es geht noch leidlich.«

In dieser Idylle ist wenig oder nichts erfunden, fast alles »gefunden«, fertig, wie es da war, in der eigenen, erlebten alltäglichen Wirklichkeit. Der Name Bauschan ist eine frühe Kindheitserinnerung: so heißt ein Hund in Fritz Reuters Ut mine Stromtid , das die Mutter ihm vor Zeiten im Lübecker Elternhaus vorgelesen hatte, eine niedersächsische »zutrauliche Verballhornung« von Bastian, also Sebastian. Die Familie hatte den Hund im Sommer 1916 auf die in der Erzählung geschilderte Weise erworben und hatte ihn fünf Jahre lang. Das Gehege, in dem die Erzählung sich abspielt, ist der damals noch wenig bebaute, verwilderte Münchner Herzogpark und der Isarstrand zwischen der Poschingerstraße, wo Thomas Manns 1914 erbautes Haus stand, und dem einstigen Fährhaus, das bald darauf durch die heutige Wehranlage über Fluß und Kanal ersetzt wurde.

»Jetzt erzähle ich wieder und freue mich des unschuldigen und positiven Wesens der Kunst.« So im Juni 1918. Die herzerfrischende Arbeit nahm doch wieder mehr Zeit in Anspruch, als er gedacht hatte. Nicht nur nötigte die plötzlich hereinbrechende »Sturzsee von Korrekturen« zur Unterbrechung; die kleine Erzählung fiel außerdem, wie er gestand, beträchtlich umfangreicher aus als er beabsichtigt hatte. »Die Sache ist eben die, daß man, um das an und für sich Nichtige interessant zu machen, sehr exakt sein muß, und solche Exaktheit braucht Raum.« Drei der vorgesehenen vier Kapitel - es wurden dann doch fünf, wie im Tod in...
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Autor

Peter de Mendelssohn (1908-1982) wuchs als Sohn eines Goldschmieds in der Künstlersiedlung Dresden-Hellerau auf. Bereits während seiner Redakteurstätigkeit beim "Berliner Tageblatt" veröffentlichte er erste Texte. 1933 emigriert, baute sich Mendelssohn eine neue Existenz in Großbritannien auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg berichtete er von den Nürnberger Prozessen und war am Aufbau des "Berliner Tagesspiegel" und der "Welt" beteiligt. Bekannt wurde er als Thomas-Mann-Biograph und Herausgeber von dessen Tagebüchern.