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Das Rätsel des Feuers

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am14.10.20161. Auflage
Die Liebe hat schöne und dunkle Seiten... Als Sofias Schwester an Aids erkrankt, bricht für Sofia eine Welt zusammen. Dann aber verliebt sie sich in Armando, den »Mondjungen« - und lernt die schönen Seiten der Liebe kennen ... Henning Mankells Jugendbuch-Afrika-Trilogie erstmals als eBook!

Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.
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Produkt

KlappentextDie Liebe hat schöne und dunkle Seiten... Als Sofias Schwester an Aids erkrankt, bricht für Sofia eine Welt zusammen. Dann aber verliebt sie sich in Armando, den »Mondjungen« - und lernt die schönen Seiten der Liebe kennen ... Henning Mankells Jugendbuch-Afrika-Trilogie erstmals als eBook!

Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423430272
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum14.10.2016
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1198 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.2081971
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2.

Sofia hatte oft überlegt, dass sich das Leben fast nur aus Ereignissen zusammensetzte, von denen man nichts im Voraus wusste. Auch wenn man plante, was man tun wollte, geschah häufig etwas Unerwartetes. Sofia erinnerte sich ganz deutlich, wann sie diesen Gedanken zum ersten Mal gedacht hatte. Es war nach der großen Katastrophe gewesen. An jenem Morgen, jenem ganz gewöhnlichen Tag, als Sofia auf die Mine getreten war, die in der Erde vergraben lag und ihre Schwester Maria umgebracht hatte. Der Tag, an dem sie ihre beiden Beine verloren hatte; damals hatte sie gelernt, dass im Voraus nichts verlässlich und sicher war. Im Leben kam es immer auf alles an. Wenn man schlafen ging, wusste man nicht, ob es am nächsten Tag, wenn man aufwachte, regnen würde. Man wusste nie, wann man Magenschmerzen oder einen juckenden Mückenstich bekommen würde an einer Stelle am Körper, die nur ein anderer kratzen konnte.

 

Man wusste nie, wann es ein guter oder ein schlechter Tag werden würde.

Man konnte nur hoffen.

 

Sofia hatte mehrere Male versucht, mit Rosa darüber zu reden.

Aber Rosa war es egal. Sie fand Sofia kindisch. Außerdem war Rosa fast immer verliebt. Dann hatte sie nur Zeit, an den neuen Jungen zu denken. Wenn Sofia ihr die Zöpfe flocht, waren sie einander am nächsten. Dann teilten sie sich ihre innersten Gedanken mit. Aber nicht alle. Sofia wusste, dass Rosa ihre Geheimnisse hatte, genau wie sie selber. Man kam einem anderen Menschen nie so nah, dass man alle Gefühle und Träume teilen konnte. Immer gab es eine kleine Höhle, deren Zugang man nicht preisgab.

 

Trotzdem teilten sie alles Wichtige miteinander. Rosa war älter als Sofia. Sie hatte länger gelebt und sie hatte mehr erlebt. Sie konnte von Dingen erzählen, die Sofia noch nicht erlebt hatte. Besonders solche Dinge, die man Liebe nannte. Und Sofia hörte zu und merkte sich alles gut.

 

Aber es gab auch etwas wie eine unsichtbare Grenze zwischen ihnen.

Rosa war noch nie auf eine Mine getreten. Sie besaß noch ihre Beine, mit denen sie geboren worden war. Keine Plastikstümpfe mit festgemachten Schuhen, die Sofia sich jeden Morgen anschnallte und jeden Abend abnahm.

 

Manchmal dachte Sofia, dass nicht nur sie ihre Schwester Maria verloren hatte. Maria war auch Rosas Schwester gewesen. Trotzdem schien Rosa nicht so sehr um Maria zu trauern wie Sofia. Maria besuchte Rosa auch nicht jeden Morgen. Jedenfalls hatte Rosa noch nie etwas davon gesagt. Das hätte sie getan. Sofia überlegte vorher immer ganz genau, ehe sie ein Geheimnis verriet. Aber Rosa war anders. Sobald ihr ein Gedanke durch den Kopf flog, hatte er sich schon in Worte verwandelt, die aus ihrem Mund kamen.

 

Es gab also Dinge, über die man nur schwer reden konnte.

Häufig war Sofia neidisch auf Rosa, weil sie richtige Beine hatte. Nie würde sie lernen, genauso hübsch zu gehen wie Rosa, sich nie in den Hüften wiegen wie sie. Sofia würde sich immer auf mindestens eine Krücke stützen müssen, und sie würde immer steif gehen, als hätte sie zwei Stelzen unter den Knien. Es war schwer zuzugeben, dass sie neidisch war. Rosa konnte ja nichts dafür, dass es Sofia gewesen war, die mit Maria gespielt hatte, als sie auf die Mine getreten war. Manchmal schämte Sofia sich, dass sie neidisch auf Rosa war. Manchmal morgens, wenn sie darauf wartete, dass der Hahn krähte, machten die Gedanken sie so wütend, dass sie Rosa am liebsten geschlagen hätte, die immer noch auf dem Fußboden lag und schlief.

 

Außerdem war Rosa hübscher als sie.

Selbst wenn Sofia ihre Beine behalten hätte, wäre sie nie so hübsch geworden und hätte auch nie so einen schönen Körper bekommen wie Rosa. Sofia war untersetzt, Rosa dagegen groß und schlank. Sofia hatte größere Brüste. Rosas Brüste hatten genau die richtige Größe. Es kam vor, dass sie ihre nackten Körper kichernd miteinander verglichen, bevor sie sich schlafen legten. Dann zündeten sie eine Kerze an und betasteten und kniffen einander. Manchmal fühlte Lydia sich in dem anderen Raum gestört und fragte, was sie da trieben. Dann hörten sie sofort auf. Aber wenn Lydia anfing zu schnarchen, flüsterten sie noch lange in der Dunkelheit. Es gab immer so viel zu bereden. Nicht zuletzt über all die Jungen, die sich darum prügelten, in Rosas Nähe zu sein.

 

Sofia stand auf, schnallte die Beine an, zog sich an und ging hinaus. Lydia war schon dabei, ein Feuer zu entfachen.

Sofia wusch sich das Gesicht. Rosa kam aus der Hütte. Sie gähnte und streckte sich. Ihr Gesicht hatte sie mit einer Creme eingerieben, die sie von einem ihrer Freunde bekommen hatte. Als sie das Gesicht zur Sonne hob, glänzte ihre Haut. Sofort spürte Sofia wieder diesen Stich. Ihre Haut würde nie so hübsch glänzen wie Rosas. Außerdem würde sie wohl nie einen Jungen treffen, der ihr so eine Creme schenkte, wie Rosa sie hatte.

 

Rosa kam zu Sofia.

»Ich weiß gar nicht, warum ich so müde bin«, sagte sie.

»Du schläfst eben zu wenig«, sagte Lydia streng. »Du treibst dich abends zu lange herum. Dir laufen einfach zu viele Jungen nach.«

Lydia rührte in dem kochenden Wasser im Eisenkessel. Aber Sofia sah, dass sie einen hastigen Blick auf Rosas Bauch warf. Das tat sie jeden Morgen. Sofia fragte sich, wonach sie eigentlich guckte. Etwa, ob Rosa schwanger war? Bei Mama Lydia wusste man nie so genau.

 

Rosa kauerte sich in den Schatten der Hütte.

Sofia ging zu ihr und lehnte sich gegen die Wand.

»Ich bin so müde«, wiederholte Rosa. »Wie lange ich auch schlafe, ich habe das Gefühl, als hätte ich keine Kraft.«

»Bist du krank?«

Rosa schüttelte den Kopf.

»Mir tut nichts weh.«

Dann sprachen sie nicht mehr darüber.

Das Frühstück war fertig. Die Familie versammelte sich am Feuer. Lydia verteilte das Essen, Maisgrütze für jeden. Sofia half, den zweitjüngsten Bruder zu füttern. Faustino, der noch keine vier Jahre alt war. Alfredo, der sechs war, aß langsam, damit das Essen lange reichte.

 

Sofia war nicht ganz sicher, wer Faustinos Vater war. Ihr eigener, Alfredos, Marias und Rosas Vater war im Krieg von Banditen umgebracht worden. Von ihm gab es ein Schwarz-Weiß-Foto, ausgeblichen und eingerissen. Lydia hatte erzählt, dass ein Fotograf das Bild gemacht hatte, als sie frisch verheiratet waren und er in den Diamantengruben in Südafrika arbeitete. Manchmal, wenn Sofia bedrückt war, nahm sie das Foto hervor, das in Lydias Gesangbuch lag, und betrachtete es. In Gedanken hatte sie Maria mehrere Male gefragt, ob sie jetzt mit ihrem Vater zusammenwohnte, der auch tot war. Aber Maria hatte nie geantwortet.

 

Doch wer Faustinos Vater war, wusste sie nicht.

Es war ein Geheimnis, das Lydia nicht verriet. Hin und wieder redeten Rosa und Sofia darüber. Rosa hatte eines Abends, kurz bevor sie einschliefen, Sofia zugeflüstert, dass vielleicht Herr Temba Faustinos Vater war. Sofia war ganz bestürzt gewesen. Sollte Mama Lydia Herrn Temba wirklich einmal erlaubt haben, in ihrer Hütte zu übernachten, als sie sich einsam fühlte? Sofia mochte Herrn Temba, das war das eine. Aber es war etwas ganz anderes, sich vorzustellen, dass er mit Lydia geschlafen hatte und er womöglich der Vater von Faustino war. Sie hatte protestiert und Rosa hatte ausweichend geantwortet und gesagt, vielleicht war auch alles ganz anders, als sie dachte.

 

Einmal hatte Sofia Lydia gefragt.

Da es eine schwierige Frage war und Lydia manchmal sehr aufbrausend sein konnte, hatte sie einen Moment gewählt, als Lydia guter Laune war. Da hatte sie die Frage so ganz beiläufig gestellt, als ob sie gar nicht wichtig wäre und die Antwort auch nicht, die sie vielleicht bekommen würde. Lydia hatte nur gelacht und geantwortet:

»Es war ein netter Mann, der vorbeigekommen ist. Und dann ist er wieder verschwunden.«

Sofia hatte keine weiteren Fragen gestellt. Lydia hatte es nicht gern, wenn ihre Kinder sie bedrängten. Aber Sofia gefiel es nicht, dass ihr Bruder Faustino einen Vater hatte, den sie nicht kannte.

 

Der Morgen verging wie üblich.

Frau Mukulela kam vorbei und wünschte ihnen einen guten Morgen. Sie war neugierig und passte immer auf, ob der Hof sauber und ordentlich war oder ob eins der Kinder eine neue Jacke hatte. Das passierte fast nie, und Frau Mukulela konnte zufrieden zurück zu ihrem Haus wanken. Ihr passte es nicht, wenn sich bei ihren Nachbarn etwas änderte. Jedenfalls nicht zum Besseren. Frau Mukulela wollte immer die sein, die sich den schönsten Stoff um den Körper schlingen konnte und deren Hühner die meisten Eier legten. Auf dem Weg blieb sie oft eine Weile stehen und zankte sich mit Herrn Temba, der sich schon in der Dämmerung vor seine Hütte setzte und an seinen Körben arbeitete.

 

Lydia hob Faustino auf ihren Rücken und band ihn fest, nahm die Hacke und setzte sich zum Machamba in Bewegung, der einige Kilometer entfernt lag, in Richtung der hohen Berge, die im Sonnendunst kaum zu sehen waren. Sie ging schnell, als ob der Tag allzu kurz wäre für alles, was sie schaffen wollte. Sofia sah ihr nach. Lydia war mager und ausgemergelt. Neun Kinder hatte sie geboren. Vier waren noch am Leben. Fünf Kinder waren gestorben, und eins davon war Maria. Sofia sah ihr nach, wie sie den Weg entlangeilte, und überlegte, was Lydia eigentlich dachte. Sie hatte Kinder geboren, die gestorben waren, und jeden Tag eilte sie hinaus zu ihrem Acker und dem Gemüse, das sie verkaufen und mit dem sie ein wenig Geld verdienen wollte.

 

Lydia verschwand in der Sonne.

Genau wie Maria, dachte Sofia....
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Autor

Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.