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Der Ruf der Bäume

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am16.01.2017
Auf der Suche nach einer neuen Heimat - die große Familiensaga von Tracy Chevalier
Amerika, Mitte des 19. Jahrhunderts: Die Goodenoughs träumen von fruchtbarem Ackerland im Westen, bleiben aber mit ihrem Planwagen kläglich im Sumpfland von Ohio stecken. Der verzweifelte Versuch, hier eine Apfelplantage anzulegen, endet tragisch. Fasziniert von Erzählungen über Bäume, die angeblich in den Himmel wachsen, zieht der jüngste Sohn Robert weiter westwärts, bis nach Kalifornien. Doch am Ziel seiner Träume wird er von seiner tragischen Familiengeschichte eingeholt.

Die Amerikanerin Tracy Chevalier, Jahrgang 1962, hat bisher acht historische Romane geschrieben. Ihr zweiter, 'Das Mädchen mit dem Perlenohrring', wurde zum Weltbestseller und mit Scarlett Johansson und Colin Firth in den Hauptrollen verfilmt. 'Der Ruf der Bäume' ist nach 'Zwei bemerkenswerte Frauen' und 'Die englische Freundin' ihr dritter Roman bei Knaus. Tracy Chevalier lebt mit ihrer Familie in London.
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Produkt

KlappentextAuf der Suche nach einer neuen Heimat - die große Familiensaga von Tracy Chevalier
Amerika, Mitte des 19. Jahrhunderts: Die Goodenoughs träumen von fruchtbarem Ackerland im Westen, bleiben aber mit ihrem Planwagen kläglich im Sumpfland von Ohio stecken. Der verzweifelte Versuch, hier eine Apfelplantage anzulegen, endet tragisch. Fasziniert von Erzählungen über Bäume, die angeblich in den Himmel wachsen, zieht der jüngste Sohn Robert weiter westwärts, bis nach Kalifornien. Doch am Ziel seiner Träume wird er von seiner tragischen Familiengeschichte eingeholt.

Die Amerikanerin Tracy Chevalier, Jahrgang 1962, hat bisher acht historische Romane geschrieben. Ihr zweiter, 'Das Mädchen mit dem Perlenohrring', wurde zum Weltbestseller und mit Scarlett Johansson und Colin Firth in den Hauptrollen verfilmt. 'Der Ruf der Bäume' ist nach 'Zwei bemerkenswerte Frauen' und 'Die englische Freundin' ihr dritter Roman bei Knaus. Tracy Chevalier lebt mit ihrer Familie in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641191702
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum16.01.2017
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4061 Kbytes
Artikel-Nr.2098591
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Wieder stritten sie sich über Äpfel. Er wollte mehr Tafel­äpfel anbauen, zum Essen; sie mehr Mostäpfel, zum Trinken. Ihr Streiten war so eingeübt, dass sie beide ihre Rollen inzwischen perfekt beherrschten und ihre Worte glatt und monoton einander umflossen; sie hatten sie ja oft genug gehört, mussten nicht mehr genau hinhorchen.

Dass der Kampf um süß oder sauer diesmal anders verlief, lag nicht daran, dass James Goodenough müde war; das war er immer. Sich im Black Swamp ein Leben aufzubauen war anstrengend. Es lag auch nicht daran, dass Sadie Goodenough einen Kater hatte; den hatte sie oft. Der Unterschied bestand darin, dass am Abend zuvor John Chapman bei ihnen gewesen war. Von allen Goodenoughs war nur Sadie aufgeblieben, hatte ihm bis spät in die Nacht gelauscht und dabei gelegentlich Kiefernzapfen ins Feuer geworfen, um es auflodern zu lassen. Der Funke in seinen Augen und seinem Bauch und Gott weiß wo sonst noch war auf sie übergesprungen wie eine Flamme, die ­ihren Weg von einem Hobelspan zum nächsten fand. Nach John Chapmans Besuchen war sie immer glücklicher, lebhafter und selbstbewusster.

Solange John Chapmans Stimme mit der Beharrlichkeit ­einer Sumpfmücke durch die Hütte surrte, konnte James trotz seiner Müdigkeit nicht einschlafen. Vielleicht hätte er es geschafft, wenn er sich zu seinen Kindern auf dem Dachboden gesellt hätte, aber er wollte das Bett auf der dem Ofen gegenüberliegenden Seite des Zimmers nicht verlassen, denn das wäre ihm wie eine regelrechte Einladung erschienen. Nach zwanzig gemeinsamen Jahren begehrte er Sadie nicht mehr, wie er es früher getan hatte, erst recht, seit der Applejack ihre boshafte Seite zum Vorschein gebracht hatte. Doch wenn John Chapman zu den Goodenoughs kam, ertappte sich James dabei, dass er plötzlich die Fülle ihrer Brüste unter dem abgetragenen blauen Kleid und ihre nach zehn Kindern zwar üppigere, aber immer noch überraschend deutliche Taille bemerkte. Er wusste nicht, ob solche Dinge John Chapman auch auffielen - für einen Mann in den Sechzigern war er, dem Eisengrau in seinen ungekämmten ­Haaren zum Trotz, immer noch schlank und kraftvoll. James wollte es lieber nicht herausfinden.

John Chapman war ein Apfelmann, der in einem Kanu voller Apfelbäumchen, die er den Siedlern zum Kauf anbot, die Flüsse von Ohio hinauf- und hinunterpaddelte. Zum ersten Mal tauchte er mit seiner Bootsladung Bäume bei den Goodenoughs auf, als diese gerade frisch im Black Swamp angekommen ­waren; er erinnerte sie sachte daran, dass, falls sie einen gesetzlichen Anspruch auf ihr Land erheben wollten, sie innerhalb von drei Jahren fünfzig Obstbäume anpflanzen mussten. Vor dem Gesetz bezeugte ein Obstgarten eindeutig die Absicht eines Siedlers zu bleiben. James kaufte auf der Stelle zwanzig Bäume.

Es lag ihm fern, John Chapman die Schuld an ihrem späteren Pech zu geben, aber wenn er an diesen ersten Kauf erinnert wurde, verzog er doch das Gesicht. Im Angebot waren damals einjährige Sämlinge oder dreijährige Setzlinge, Letztere dreimal so teuer wie Erstere, aber sie würden zwei Jahre früher Früchte tragen. Wäre er vernünftig gewesen - und eigentlich war er vernünftig! -, hätte James damals einfach fünfzig billigere Sämlinge gekauft, eine Fläche für sie freigemacht und sie wachsen lassen, und dann immer, wenn seine Zeit es erlaubte, systematisch Land für einen Obstgarten gerodet. Das hätte aller­dings auch bedeutet, fünf Jahre lang auf den Geschmack von Äpfeln zu verzichten. Und das, so glaubte James Goodenough, hätte er nicht ausgehalten - nicht im Elend des Black Swamp mit seinen stehenden Gewässern, seinem Gestank nach Fäulnis und ­Moder, seinem zähen schwarzen Schlamm, den man selbst durch Schrubben nicht von Haut und Kleidern bekam. Er brauchte einen Geschmack, der ihm das Unglück, hier gelandet zu sein, versüßte. Und so kaufte er zwanzig Setzlinge, die er sich eigentlich nicht leisten konnte, und nahm sich die Zeit, die er eigentlich nicht hatte, um ein Stück Land für sie zu roden. Dadurch geriet er mit dem Anbauen der Feldfrüchte in Verzug, sodass ihre erste Ernte schlecht war und sie Schulden machen mussten, die er jetzt, neun Jahre später, immer noch abzahlte.

»Das sind meine Bäume«, beharrte Sadie jetzt und erhob so Anspruch auf eine Reihe von zehn Mostapfelbäumen, auf die James Tafeläpfel aufpfropfen wollte. »John Chapman hat sie mir vor vier Jahren gegeben. Du kannst ihn fragen, wenn er wiederkommt - er erinnert sich bestimmt. Rühr sie bloß nicht an!« Sie war dabei, von einem Stück Schinken Scheiben für das Abendessen abzuschneiden.

»Wir haben diese Sämlinge von ihm gekauft. Er hat sie dir nicht geschenkt. Chapman verschenkt nie Bäume, nur Samen - Sämlinge und Setzlinge sind für ihn zu wertvoll. Diese Bäume sind zu groß, als dass sie aus Samen gewachsen sein könnten, die vor vier Jahren gesät wurden. Und sie gehören nicht dir - sie gehören der Farm.« Während er sprach, konnte James sehen, dass seine Frau die Worte gar nicht an sich heranließ, doch er wollte sie zum Zuhören bewegen und musste daher einfach Satz an Satz reihen.

Es ärgerte ihn, dass Sadie Bäume im Obstgarten für sich ­beanspruchte, obwohl sie deren Geschichte nicht einmal kannte. So schwer war es doch wahrhaftig nicht, sich die Details von achtunddreißig Bäumen zu merken. Egal, auf welchen man zeigte, James wusste von jedem, in welchem Jahr er als Same, Sämling oder Setzling in die Erde gekommen oder aber gepfropft worden war. Er kannte den Ursprung des Baums - ein Pfropfreis von der Goodenough-Farm in Connecticut oder eine Handvoll Samen des Roxbury Russet von einem Farmer in ­Toledo, oder ein weiterer Setzling von John Chapman, gekauft, als ein Bären­fell etwas Geld eingebracht hatte. Er konnte den Ertrag ­jedes Baumes in jedem Jahr nennen und sagen, in welcher Woche im Mai jeder einzelne blühte, wann die Äpfel pflückreif waren und ob man sie am besten kochte, trocknete, presste oder so, wie sie waren, aß. Er wusste, welche Bäume ­unter Apfelschorf, welche unter Mehltau oder der Karminspinnmilbe gelitten hatten, und was zu tun war, um den jeweiligen Befall loszuwerden. Für James Goodenough war dieses Wissen so selbstverständlich, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, dass es für andere nicht so war, weshalb er sich ständig über die Unwissenheit seiner ­Familie in Bezug auf ihre Äpfel wunderte. Sie schienen zu glauben, dass man ein paar Samen ausstreute und dann, ohne ­jeden Zwischenschritt, die Ernte einfuhr. Abgesehen von Robert. Der jüngste Goodenough-Spross war wie immer die Ausnahme.

»Das sind meine Bäume«, wiederholte Sadie, und ihr Gesicht verdüsterte sich. »Du kannst sie nicht fällen. Gute Äpfel an ­diesen Bäumen. Guter Saft. Wenn du einen umhaust, ver­lieren wir ein Fass davon. Willst du deinen Kindern den Saft wegnehmen?«

»Martha, hilf deiner Mutter.« James konnte nicht zusehen, wie Sadie mit dem Messer hantierte, wie sie ungleichmäßige Steaks mit einem zu dicken und einem zu dünnen Ende abschnitt und ihre Finger ebenfalls Bestandteil des Abendessens zu werden drohten. Gut möglich, dass sie den ganzen Schinken bis zum letzten Steak aufschnitt oder aber die Lust verlor und schon nach drei Stücken aufhörte.

James wartete, bis seine Tochter - ein schmales Mädchen mit dünnem Haar und zusammengekniffenen grauen Augen - mit dem Schneiden weitermachte. Die Goodenough-Töchter waren es gewohnt, die Zubereitung der Mahlzeiten von ihrer Mutter zu übernehmen. »Ich haue sie nicht um«, erklärte er Sadie zum wiederholten Mal. »Ich veredle sie, damit sie süße Äpfel produzieren. Das weißt du. Wir brauchen mehr Gold­peppings. Diesen Winter haben wir neun Bäume verloren, die meisten davon Tafeläpfel. Jetzt haben wir fünfunddreißig Mostäpfel und nur drei Tafeläpfel. Wenn ich auf zehn von den Mostäpfeln Goldpeppings aufpfropfe, gibt uns das in ein paar Jahren dreizehn Bäume mit Tafeläpfeln. Eine Zeit lang werden nicht so viele von unseren Bäumen tragen, aber auf lange Sicht wird das unseren Bedürfnissen eher entsprechen.«

»Deinen Bedürfnissen. Du gierst nach Süßem.«

James hätte Sadie daran erinnern können, dass sie es war, die Zucker in ihren Tee gab und die, wenn er zu Ende ging, James in den Ohren lag, er solle nach Perrysburg fahren und neuen besorgen. Stattdessen erklärte er ihr beharrlich die Zahlen, wie er es in der vergangenen Woche schon mehrfach getan hatte mit der Ankündigung, dieses Jahr weitere Bäume veredeln zu wollen. »Das macht dann dreizehn Tafeläpfel und fünfundzwanzig Mostäpfel. Jetzt nimm noch die fünfzehn Setzlinge, die John Chapman uns nächste Woche bringt, dann sind wir bei dreiundfünfzig Bäumen, drei mehr, als wir brauchen, um dem Gesetz Genüge zu tun. Dreizehn Tafeläpfel und vierzig Mostäpfel, die in ein paar Jahren alle tragen. Am Ende werden wir mehr ­Äpfel für Cider haben als jetzt. Und im Notfall können wir ­immer noch Tafeläpfel pressen.« Insgeheim schwor er sich jedoch, niemals Tafeläpfel zum Mosten zu verschwenden.

Während ihre Tochter sich beim Zubereiten des Abendessens unauffällig um sie herum bewegte, warf Sadie, am Tisch zusammengesackt, ihrem Mann spöttische Blicke zu. Ihre ­Augen waren gerötet. »Das ist jetzt dein neuester Apfelplan, was? Du gehst also gleich über die magische Zahl von fünfzig raus auf dreiundfünfzig?«

James war klar, dass er zur Erklärung seines Vorhabens nicht so viele Zahlen hätte anführen dürfen. Sie belästigten Sadie wie Wespen, vor allem, wenn sie Applejack getrunken hatte. »Zahlen sind eine Erfindung der Yankees, und wir sind nicht mehr in Connecticut«, erinnerte sie...

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Die Amerikanerin Tracy Chevalier, Jahrgang 1962, hat bisher acht historische Romane geschrieben. Ihr zweiter, "Das Mädchen mit dem Perlenohrring", wurde zum Weltbestseller und mit Scarlett Johansson und Colin Firth in den Hauptrollen verfilmt. "Der Ruf der Bäume" ist nach "Zwei bemerkenswerte Frauen" und "Die englische Freundin" ihr dritter Roman bei Knaus. Tracy Chevalier lebt mit ihrer Familie in London.