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Etwas von der Größe des Universums

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am01.02.20171
Am Beginn der Geschichte steht der Tod, doch in Wahrheit zelebriert dieser Roman das Leben: über mehrere Generationen hinweg wird von Ari und seiner Familie erzählt; von der Leidenschaft zwischen Mann und Frau, von verbotener Liebe, Gewalt, Kummer, Betrug und Bedrückung. In Aris Familie werden Glück und Unglück eben gleichermaßen von einer Generation in die nächste gereicht. Am vorläufigen Ende dieser Reihe steht Ari selbst, auf dem Weg zu seinem Vater, mit dem er noch eine Rechnung offen hat, bevor dieser stirbt. Jon Kalman Stefánsson vermag diese raue Schönheit des Lebens, die auch der isländischen Landschaft eingeschrieben ist, in seiner archaischen und ergreifenden und dann doch wieder vollkommen heutigen und humorvollen Prosa einzufangen wie kaum eine anderer Autor seiner Generation.

Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Islands. Er arbeitete in der Fischindustrie, als Maurer und Polizist, bevor ihm mit »Himmel und Hölle« (2009) der internationale Durchbruch gelang. Seither wurde sein Werk in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa ausgezeichnet. Jón Kalman Stefánsson war 2018 für den alternativen Literaturnobelpreis nominiert, »Dein Fortsein ist Finsternis« erhielt 2022 als bester ausländischer Roman des Jahres den französischen Prix du Livre étranger. Die deutsche Übersetzung von Karl-Ludwig Wetzig wurde mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis 2023 geehrt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextAm Beginn der Geschichte steht der Tod, doch in Wahrheit zelebriert dieser Roman das Leben: über mehrere Generationen hinweg wird von Ari und seiner Familie erzählt; von der Leidenschaft zwischen Mann und Frau, von verbotener Liebe, Gewalt, Kummer, Betrug und Bedrückung. In Aris Familie werden Glück und Unglück eben gleichermaßen von einer Generation in die nächste gereicht. Am vorläufigen Ende dieser Reihe steht Ari selbst, auf dem Weg zu seinem Vater, mit dem er noch eine Rechnung offen hat, bevor dieser stirbt. Jon Kalman Stefánsson vermag diese raue Schönheit des Lebens, die auch der isländischen Landschaft eingeschrieben ist, in seiner archaischen und ergreifenden und dann doch wieder vollkommen heutigen und humorvollen Prosa einzufangen wie kaum eine anderer Autor seiner Generation.

Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Islands. Er arbeitete in der Fischindustrie, als Maurer und Polizist, bevor ihm mit »Himmel und Hölle« (2009) der internationale Durchbruch gelang. Seither wurde sein Werk in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa ausgezeichnet. Jón Kalman Stefánsson war 2018 für den alternativen Literaturnobelpreis nominiert, »Dein Fortsein ist Finsternis« erhielt 2022 als bester ausländischer Roman des Jahres den französischen Prix du Livre étranger. Die deutsche Übersetzung von Karl-Ludwig Wetzig wurde mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis 2023 geehrt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492976152
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum01.02.2017
Auflage1
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3645 Kbytes
Artikel-Nr.2134039
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Das Schicksal setzt sich langsam in Bewegung, es schneit auf die leeren Straßen von Keflavík, auf Arbeitslosigkeit und Reklametafeln

Ari und meine Tante glaubten nicht sonderlich an von altersher Überkommenes, was vielleicht nur eine höfliche Umschreibung für Aberglauben und Unwissenheit darstellt, sofern es sich nicht im Gegenteil um ein Wissen handelt, das uns in diesem schwierigen Land am Leben gehalten hat, auf dieser großen, einsamen Insel. Das Leben hatte nur selten Mitleid mit unserer Tante, die Menschen nicht und das Schicksal ebenso wenig, und sie schrieb in ihrem Leben nur ein einziges Gedicht. Es handelte von ihrer Tochter Lára, die nach einer schweren Krankheit mit nur acht Jahren gestorben ist. Trotz ihrer Jugend schien die Kleine zu wissen, was auf sie zukam, sie war unglaublich stark und tapfer, doch zuletzt brach sie zusammen; sie erwachte aus ihrem Dahindämmern, riss die Augen auf, griff nach ihrer Mutter und fragte ängstlich: Mama, glaubst du, sterben tut weh? Mama, werde ich dann mutterseelenallein sein? Und unsere Tante, immer nur Lilla genannt, lächelte und sagte: Nein, mein Zuckerstückchen, wir werden immer zusammen sein, ich lasse dich nie allein. Es kostete sie große Kraft, zu lügen, dabei zu lächeln und dieses Lächeln vor der Tochter beizubehalten, damit sie in diesen letzten Stunden ihres Lebens etwas Schönes sah und darum glaubte, der Tod sei lediglich ein kleiner Seitenschritt, ein augenblickskurzes Innehalten vor dem Glück, und dass sie nicht zu fürchten brauchte, der Tod könnte stattdessen ein harter, grausamer alter Mann sein, der in dem dunklen Berg oberhalb des Orts hauste. Ihr Lächeln konnte Lilla durchhalten, aber an den Tränen, die ihr dabei aus den Augen liefen, war nichts zu ändern. Sie hielt Lára in den Armen und fühlte, wie das junge Leben erlosch, sie hielt sie mit der ganzen Kraft der Liebe, die unermesslich ist und viel älter als die siebenhundert Jahre alte Lava, die sie durch das Fenster ihres Hauses in Grindavík sah. Sie hielt ihre Tochter fest, doch auf der anderen Seite zog noch viel fester der Tod, und am Ende zieht er alles an sich, Blumen und Sonnensysteme, Bettler und Präsidenten. Lilla spürte das, sie fühlte, dass die Liebe, die Tränen, die Verzweiflung nicht halfen, dass es in der Nähe des Todes keine Gerechtigkeit gab, nur das Ende, und da schrieb sie ihr Gedicht, konnte sich dessen nicht erwehren, eine unaufhaltsame Kraft trieb sie dazu, während sie den ausgezehrten, acht Jahre jungen Körper hielt; längst hatte sie ihr eigenes Leben zum Tausch angeboten, ihr Glück, ihre Gesundheit, ihre Erinnerungen, alles, aber sie war mit allem abgewiesen worden. Es war alles umsonst, und das Einzige, was Lilla zu tun blieb, das Einzige, was sie noch für ihre Tochter tun konnte, war, sie zu halten, während ihr die Tränen herabliefen, ein Gebet nach dem anderen zu sprechen, so aufrichtig und rein, dass es unbegreiflich ist, dass nichts geschah; sie bewirkten nichts, vielleicht gibt es wirklich keinen Funken, keine Spur von Gerechtigkeit auf dieser Welt. Und da, oder vielleicht deswegen, verfasste sie das Gedicht auf ihre Tochter. Dass sie ein acht Jahre altes Mädchen mit lockig blondem Haar, klarer Stirn, hellblauen Augen, einem lustigen Knubbelnäschen und einem Mund darunter sei, der so lachen konnte, dass alles Übel der Welt davor zu einem dunklen Stein zusammenschrumpfte, der sich einfach wegwerfen ließ.

Lillas jüngerer Bruder war ein Dichter, ihre Schwester auch, aber Lilla hatte nie dichten können, ebenso wenig wie ihr älterer Bruder, Aris und mein Großvater, nicht eine Zeile hatte sie geschrieben, bis zu dem Zeitpunkt nicht, an dem alles zusammenbrach. Ein Gedicht, zwei Strophen, dann ging die Welt unter.

Ein Jahr später hatte Lillas Mann sie verlassen. Sie schien nicht mehr leben zu wollen, bekam keine Kinder mehr, ließ ihn nicht mehr an sich heran, er durfte kaum noch um sie sein, sie erst recht nicht anfassen. Er bezichtigte sie einer fanatischen Trauer, so drückte er sich aus, fanatische Trauer. Ich hätte es wissen müssen, sagte er wütend, er spuckte die Worte regelrecht aus. Ich bin mehrfach vor deiner Familie gewarnt worden, wurzellose, fanatische, unzuverlässige und nervlich zerrüttete Künstlernaturen. Ich will noch weiterleben. Ist das ein Verbrechen? Ist das etwa Verrat? Du bringst mich wirklich um mit deiner Trauer.

Und dann hatte er die große geballte Faust auf den Tisch geknallt, allerdings mit glänzenden Augen, als hätte er plötzlich mit den Tränen zu kämpfen. Später wurde er ein reicher Reeder im Fischereiwesen, landesweit bekannt, auch in der Geschichte Grindavíks wird er erwähnt, nicht aber Lilla, denn so ist es, wir erinnern uns an Reichtum, aber nicht an Sorge und Trauer. Sie zog nach Reykjavík zurück. Mit all ihrem Hab und Gut in einem Koffer: Wäsche zum Wechseln, vier Bücher, die Schnupftabakdose ihres Vaters, der am Tag vor ihrer Konfirmation ums Leben gekommen war, nachdem er voll wie eine Haubitze ins Reykjavíker Hafenbecken gefallen war, lachend im kalten Wasser geplanscht hatte und spät oder noch später erst von seinen kichernden Saufkumpanen herausgefischt worden war, weil Lillas Vater, Aris und mein Großvater, im Wasser wie eine groteske Qualle oder ein missgebildeter Fisch aussah, so spät, dass er sich etwas holte, eine Lungenentzündung bekam und starb. Nichts weiter im Koffer als das: Wechselwäsche, vier Bücher, eine Schnupftabakdose, ein Bild von Lára, zwei Kleidchen von ihr, ihre Puppe, vier Bilder und das Gedicht, das Lilla noch mit der Maschine abtippen und unter das Foto kleben würde. Und dann noch die Selbstvorwürfe, dass sie Lára im Stich ließ, indem sie weiterlebte, anstatt mit ihr zu sterben.

Das Bild und das Gedicht waren immer das Erste, was sie aufhängte, wenn sie in ein neues Zuhause zog, ein neues Kellerloch, ein neues Mansardenzimmer, ein neues Kabuff, und das tat sie häufig, in gut vierzig Jahren zog sie sechsundzwanzigmal um. Als wäre sie auf der Flucht, sie hielt es nirgendwo länger als zwei Jahre aus, und als Erstes hängte sie nach einem Umzug immer das kleine Foto von einem siebenjährigen lächelnden Mädchen vor einer Hauswand in Grindavík auf, aus den Jahren, in denen noch die Sonne geschienen hatte. Das Bild hing immer über ihrem kleinen grünen Sofa, das Gedicht darunter und die vier Zeichnungen drumherum. Mit der Zeit wurden die Bilder und das Gedicht zu dem Einzigen, das die Welt noch daran erinnerte, dass es einmal ihre Tochter auf Erden gegeben hatte. Ari und ich lernten das Gedicht schon früh auswendig, ganz von uns aus und ohne uns etwas dabei zu denken. Wir haben einfach so oft auf den Sesseln vor der Couch gesessen, heißen Kakao getrunken, Kekse dazu gemümmelt und uns von Lillas Gutmütigkeit bemuttern lassen, und dabei ist das Gedicht irgendwie in uns eingesickert. Lilla hat das nur aus Zufall mitbekommen, als sie schon alt und gebrechlich war und die Kontrolle über sich zu verlieren begann; die sonst so beherrschte Frau fing an zu zittern, wiegte sich dann vor und zurück, als wollte sie sich auf diese Weise beruhigen, brach dann aber doch vor uns in hemmungsloses Weinen aus, als wäre dieses Gedicht das Einzige, das verhinderte, dass ihre Tochter in Vergessenheit geriet. Als wäre Lára so lange im Jenseits nicht in Gefahr, wie es das Gedicht noch gab und jemand es auswendig konnte. Als würde dadurch jemand auf sie aufpassen, wenn das Dunkel voller Bedrohungen war - als wäre das Gedicht eine Art Botschaft, die den namenlosen Abstand zwischen Leben und Tod überwinden und bis zu der Achtjährigen durchdringen konnte, die auf ihre Mama wartete, die sie jenseits von allem, was wir wissen, erreichen und berühren und ihr sagen würde: Alles ist gut, deine Mama kommt bald, bald stirbt sie auch, und dann geht ihr wieder zusammen Blümchen pflücken.

Sechsundzwanzigmal zog sie um, aus dem Keller auf den Dachboden, vom Speicher wieder in den Keller, und bevor sie sich in einer neuen Behausung zum ersten Mal schlafen legte, zählte sie immer die Fenster, eins, zwei, drei, vier, fünf, denn dann würde in Erfüllung gehen, was sie in der Nacht träumte. Es war ein alter Aberglaube, alter Ballast, und es war so ziemlich das Einzige, was sie an derlei mit sich herumschleppte, aber daran wollte sie glauben, dass Träume über eine Kraft verfügten, von der weder das Wachsein noch die Logik etwas wussten, und wer weiß, vielleicht würde sie eines Morgens neben dem Lächeln ihrer Tochter aufwachen, die noch immer acht Jahre alt war, obwohl inzwischen Jahrzehnte vergangen waren, denn Tote altern nicht, in der Ewigkeit vergeht keine Zeit, denn dort richtet ihre rücksichtslose Macht nichts aus. Aus irgendeinem Grund haben Ari und ich diesen Glauben von ihr übernommen, die Fenster abzuzählen, wenn wir zum ersten Mal irgendwo übernachten. Ich zähle die Fenster in dem kleinen zweistöckigen Holzhaus des Onkels in Keflavík. Dazu muss ich eigens nach draußen gehen, in den Schneefall, so dicht, dass Keflavík darin ganz verschwunden ist. Völlig weiß komme ich wieder herein, von einer Lage Schnee bedeckt, die wir Engelskleid nennen, wie gesegnet, aber die Katzen des Onkels fauchen mich an wie zwei Giftschlangen. Ich gehe schlafen, breite erst noch eine Decke über den Onkel, der in seinem Lehnstuhl eingeschlafen ist, während die Hljómar sangen »Himmlisch ist es, zu leben«, was natürlich eine kühne Behauptung ist. Ich decke ihn zu, stoße mir zweimal den Kopf an den Flugzeugmodellen, die an dünnen Fäden von der Decke hängen, Kampfflugzeuge der Amerikaner. Ich habe die Fenster gezählt, der Schnee auf mir ist geschmolzen, ich schließe sorgfältig die Zimmertür, damit mir die Katzen nicht im Schlaf die Augen auskratzen, liege dann im Bett, das mich an mein altes, schmales Konfirmationsbett erinnert, und schlafe ein. Im Schlaf...
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Autor

Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Islands. Er arbeitete in der Fischindustrie, als Maurer und Polizist, bevor er sich in Mosfellsbær bei Reykjavík niederließ. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa ausgezeichnet, u.a. mit dem isländischen Literaturpreis. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit "Himmel und Hölle", zuletzt erschienen "Fische haben keine Beine" und "Etwas von der Größe des Universums". 2018 war Jón Kalman Stefánsson für den alternativen Literaturnobelpreis nominiert.