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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am27.04.20171. Auflage
Was unsere Sehnsucht nach Heimat mit uns macht - eine Zeit-Diagnose. Heimat ist auch heute möglich - aber nicht durch die Beschwörung des Vergangenen, sagt der Feuilletonist, Philosoph und Publizist Christian Schüle. Er beschreibt den Verlust des Vertrauten und den Mangel an Vertrauen. Beides bestimmt die aktuelle Diskussion um den Begriff Heimat und schürt die Angst vor dem Unbekannten. Vor dem Hintergrund von Flüchtlingskrise und Migration derzeit verändert sich Heimat so rasant, wie es Deutschland nie zuvor erlebt hat. Politische, wirtschaftliche und soziale Grenzen lösen sich mit dem Siegeszug der Globalisierung auf. Die Welt wird immer unüberschaubarer, und die Zahl derjenigen wächst, die einen Verlust an Sicherheit und Geborgenheit beklagen. Die Stichworte Globalisierung, Flüchtling und Migration sind aber nicht nur die markantesten Merkmale dieser Veränderung von Heimat, sondern sie sind mittlerweile auch zum Kampf-Begriff in Politik und Gesellschaft geworden. 'Wie können wir diese Herausforderung bestehen?', fragt Christian Schüle in seinem politischen Essay. Er begibt sich in den deutschen Alltag und erkundet die Gefühle und Traditionen der Deutschen. Sein Resümee: Der Verlust von Heimat ist ein Phantom-Schmerz - denn die Betroffenen verklären die Vergangenheit und sind kaum bereit, die Möglichkeiten zu sehen, die Gegenwart und Zukunft bieten, um die eigene Angst zu überwinden. Welche Möglichkeiten das sind und wie wir sie zur Stärkung unserer Demokratie nutzen können, zeigt Christian Schüle in seinem Debattenbeitrag. 'Einer der besten politischen Feuilletonisten Deutschlands' SWR über Christian Schüle

Christian Schüle, geboren 1970, ist freier Autor und Publizist. Seine Essays, Feuilletons und Reportagen erscheinen u. a. in Die Zeit, mare, Deutschlandfunk, Deutschlandradio und Bayerischer Rundfunk und wurden mehrfach ausgezeichnet. Darüber hinaus war er dreimal für den Egon-Erwin-Kisch- bzw. den Henri-Nannen-Preis nominiert. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. Er hat bislang acht Bücher veröffentlicht, zuletzt 'Wie wir sterben lernen' und 'Was ist Gerechtigkeit heute?'
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextWas unsere Sehnsucht nach Heimat mit uns macht - eine Zeit-Diagnose. Heimat ist auch heute möglich - aber nicht durch die Beschwörung des Vergangenen, sagt der Feuilletonist, Philosoph und Publizist Christian Schüle. Er beschreibt den Verlust des Vertrauten und den Mangel an Vertrauen. Beides bestimmt die aktuelle Diskussion um den Begriff Heimat und schürt die Angst vor dem Unbekannten. Vor dem Hintergrund von Flüchtlingskrise und Migration derzeit verändert sich Heimat so rasant, wie es Deutschland nie zuvor erlebt hat. Politische, wirtschaftliche und soziale Grenzen lösen sich mit dem Siegeszug der Globalisierung auf. Die Welt wird immer unüberschaubarer, und die Zahl derjenigen wächst, die einen Verlust an Sicherheit und Geborgenheit beklagen. Die Stichworte Globalisierung, Flüchtling und Migration sind aber nicht nur die markantesten Merkmale dieser Veränderung von Heimat, sondern sie sind mittlerweile auch zum Kampf-Begriff in Politik und Gesellschaft geworden. 'Wie können wir diese Herausforderung bestehen?', fragt Christian Schüle in seinem politischen Essay. Er begibt sich in den deutschen Alltag und erkundet die Gefühle und Traditionen der Deutschen. Sein Resümee: Der Verlust von Heimat ist ein Phantom-Schmerz - denn die Betroffenen verklären die Vergangenheit und sind kaum bereit, die Möglichkeiten zu sehen, die Gegenwart und Zukunft bieten, um die eigene Angst zu überwinden. Welche Möglichkeiten das sind und wie wir sie zur Stärkung unserer Demokratie nutzen können, zeigt Christian Schüle in seinem Debattenbeitrag. 'Einer der besten politischen Feuilletonisten Deutschlands' SWR über Christian Schüle

Christian Schüle, geboren 1970, ist freier Autor und Publizist. Seine Essays, Feuilletons und Reportagen erscheinen u. a. in Die Zeit, mare, Deutschlandfunk, Deutschlandradio und Bayerischer Rundfunk und wurden mehrfach ausgezeichnet. Darüber hinaus war er dreimal für den Egon-Erwin-Kisch- bzw. den Henri-Nannen-Preis nominiert. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. Er hat bislang acht Bücher veröffentlicht, zuletzt 'Wie wir sterben lernen' und 'Was ist Gerechtigkeit heute?'
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426442326
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum27.04.2017
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse669 Kbytes
Artikel-Nr.2137715
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Die Gretchenfrage der Epoche

Heimat schmerzt, wenn man sie verloren hat. Heimat schmerzt, wenn man sie aufgeben muss. Heimat schmerzt, wenn man ihr wahllos ausgesetzt ist. Heimat schmerzt, weil sie womöglich eine Chimäre ist, weil es Heimat vielleicht gar nicht wirklich gibt, obwohl jeder eine eigene zu haben glaubt. Der Zusammenhang zwischen Heimat, Herkunft und Identität betrifft jeden, weil jeder für seine Identität Heimat und Herkunft braucht und einen Staat dafür nicht nötig hat. Jeder wurzelt in einem Boden. Jeder bezieht sich auf eine Gruppe. Jeder kommt aus einer Familie. Jeder lebt in einem Umfeld, ist auf Sicherheit und Vertrauen angewiesen. So ist der Mensch. Nicht alle haben eine explizite Heimat, obwohl alle eine explizite Herkunft haben (und nicht immer ergibt heimatliche Herkunft zugleich eine abrufbare Identität, wenn Identität überhaupt etwas abrufbar zur Verfügung Stehendes ist). Kaum etwas eignet dem mit Fantasie- und Vertrauensfähigkeit begabten Individuum mehr, als sich Heimat zu erträumen und sich am Phantomschmerz ihrer Abwesenheit wahlweise zu erfreuen oder darüber zu verzweifeln.

Jahrzehntelang war »Heimat« in Deutschland ein kontaminierter Begriff mit dem Geschmack von Blut-und-Boden-Bitterkeit und dem Geruch von Rassenreinheit. Heimat war verdorben, das Denken an Heimat vergiftet, eine schwärende Wunde; jedes Ansinnen von Heimatverklärung unterlag dem Verdacht auf schwiemeligen Revisionismus. Der Gestank alles Heimatlichen war einer der nachhaltigen Siege der völkischen Blut-und-Boden-Apologeten, die Volk und Rasse topografisch radikalisierten, geografisch definierten und das Nationale mit dem Sozialistischen unheilvoll vermählten. Die Gleichsetzung von Heimat mit Ausgrenzung, Folter, Mord, Totschlag, mit Verwesung, Vernichtung und Vertreibung ist das nicht vergehende und vermutlich unvergängliche Wahnsinns-Werk des Dritten Reichs.

Und heute, hier und jetzt? Die Jahre 2015 und 2016 haben die durch ihre beständige Globalisierung aufgeblähte und ins Unermessliche vergrößerte Welt auf eine existenzielle Monade reduziert, indem sie den Bürgern Deutschlands und der Europäischen Union eine denkbar schlichte Frage vor Augen geführt hat: Wie hältst du´s mit der Heimat? Direkt oder als Teilnehmer einer demoskopischen Stilübung wurde niemand gefragt, aber die plötzliche Ankunft millionenfach Geflüchteter auf deutschem (wie europäischem) Boden warf und wirft in Gestalt jedes einzelnen dieser Fremden die Frage nach dem Eigenen auf, nach Wert und Konstruktion dessen, was der Sprachgebrauch als »Heimat« kennt. Mit dem Fremden kommt - jenseits kultureller oder politischer Wertung gesprochen - das Unheimliche ins Heimelige. Das Fremde definiert sich durch seine Un-Heimlichkeit: Durch die Absenz von Heim und Haus, durch den Mangel an oder den Verlust von Heimlichkeit, die ja nichts anderes ist als anheimelnde Geborgenheit einer friedsamen Gemeinschaft.

Die Frage nach der Bestimmung von Heimat ist eine der schwierigsten, obwohl sie so leicht zu beantworten scheint. Wer das Verhältnis zur Heimat erfragt, thematisiert immer einen Sachverhalt, der logisch und rational nicht erklärbar ist. Heimat lässt sich begrifflich nicht erschöpfend fassen und nur durch ein aufgespürtes Gefühl behaupten. Man könnte nicht sagen: Dies oder jenes ist exakt das, was meine Heimat ist. Das Nachdenken über unsere ewige Sehnsucht nach Heimat ist also Begehren und Entwurf zugleich. Ein psychologisches, philosophisches, kulturelles, politisches Konzept aus Erinnerung, Wahrnehmung, Ich-Bewusstsein, Gemeinschaft, Sprache und Sitte.

Im verstaubt klingenden, aus dem Archiv abgelegter Ideen hervorgekramten Wort »Heimat« sind mit einem Mal die drängendsten Probleme unserer Tage kurzgeschlossen: Herkunft, Bleiberecht, Wanderung und vor allem das Streben nach Zugehörigkeit, Schutz und Sicherheit. Im Begriff Heimat verstecken sich Theorien zu Inklusion, Integration und Assimilation und neuerdings wieder der politische Anspruch auf »echtes« Volkstum, »wahre« Kultur, ethnische Homogenität und kollektive Identität. Das Wort »Heimat« ruft nach seiner Verklärung durch Nationalisten und seiner Vergiftung durch Nationalsozialisten zur Entgiftung und Klärung auf. Es erfordert Besinnung und fordert zur Reflexion heraus, weil im Konzept der Heimat Geschichte und Gegenwart nicht immer berechenbar abgemischt sind und niemand die Qualität dieser Verbindung vorhersagen kann.

Eine Re-Romantisierung von Heimat und Natur ist dieser Tage ebenso festzustellen wie die nostalgiesatte Verklärung der Boden-Scholle als Frontabschnitt im Kampf der Kulturen. War die Heimattümelei der Deutschen Romantik als Epoche ab 1800 eine trotz aller Poesiebehauptung auch politische Antwort auf den abstrakten Rationalismus, auf die sittliche Verstocktheit, Altersspießigkeit und Neigung der damaligen Ära, allem einen Anfang und ein Ende zuzuordnen, versucht das neo-romantische Denken unserer Tage im Zuge der Entgrenzung des Raums durch Globalität und Digitalismus, durch Heimat Halt und Haltung neu zu definieren. Das ist nicht ohne Gefahr für Europa als Lebensraum und Idee.

Die Europäische Gemeinschaft (und heute Europäische Union) war und ist der Versuch, getrennte, benachbarte, einander feindselige Heimatblöcke zu überwinden, eine gemeinsame neue Heimat zu schaffen. Die einseitige Begründung dieser Idee mit Handelsfreiheit rächt sich heute und zwingt zur Erkenntnis, weder emotionale Bindekraft noch ideellen Überbau zu haben. Wohin sind wir mit alldem gekommen? An einen Kristallisationspunkt? Vieles, wenn nicht alles steht auf dem Spiel. Auch wenn Stilisierung und Dramatisierung, die wohlfeil gewordene Rede vom Ende der Welt, die Anrufungen des Luziferischen, all die Präfigurationen des Apokalpytischen und Flakfeuer der Katastrophik, gefährliche Versuche zur Revitalisierung der eigenen Komfortzone sind, werden die Karten offenbar neu gemischt. Ein Spiel ist das freilich nicht mehr; etwas Großes ist in Bewegung gekommen, und alle sind gezwungenermaßen auf der Wanderschaft, durch Außen- wie Innenräume.

»Heimat« ist wieder en vogue und ein Motiv für politische Moden. Nah an der beschworenen Liebe zur Heimat entlang verlief zum Beispiel im Sommer 2016 die Frontlinie des mecklenburg-vorpommerischen Landtagswahlkampfs, als sowohl die SPD als auch die CDU, vor allem aber die AfD mit verschiedenen Assoziationen des Satzes »Für die Heimat« um Zustimmung und Stimmen warben. Ähnlich war dies bei der Neuauflage des Bundespräsidentschaftswahlkampfs in Österreich zu beobachten, in dem sowohl der als rechtspopulistisch bezeichnete FPÖ-Kandidat Norbert Hofer als zu gleichen Teilen auch der ehemalige Grüne Alexander van der Bellen - für den TV-Spot ins alpine Hochland platziert - ein Bundespräsident »für die Heimat« werden wollten. Und zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im Frühjahr des Jahres sah man in zweiminütigen Wahlfilmchen, wie eine offenbar höchst naturverbundene CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner mit ihrem Pudel über Wiesen und durch Auen spazierte und, in die Knie gehend, das Hündchen knuddelte, wozu ihre zarte Stimme aus dem Off erzählte: »Menschen brauchen Boden unter den Füßen. Erdung und Verwurzelung, Fortschritt und Tradition schließen sich nicht aus, schon gar nicht bei uns in Rheinland-Pfalz.« Schnitt. Dann saß Klöckner auf einem Traktor und stutzte schließlich Äste der Reben im Weinstock. »So bin ich von zu Hause geprägt, so mache ich Politik.« Die politische Botschaft dieser Inszenierung eigener Verheimatung: Ich will die Einführung eines Landesfamiliengelds. Die Überzeugung der Kandidatin: »Dass Jung und Alt die Generationen zusammenhalten, das ist mir wichtig. Wir brauchen eine Hand, die uns hält, wenn wir ins Leben gehen, und eine, die uns stützt, wenn wir älter werden.« Schnitt. Dann sie im Dienstwagen. »Auf mich können Sie sich verlassen.«

Im vergangenen Herbst schließlich legten Politiker der CSU und der sächsischen CDU gemeinsam ein Papier mit folgender Botschaft vor: Heimatliebe und Patriotismus sind Kraftquellen der Gesellschaft. Vor Jahren hätte man für diesen Satz heftige Häme einzustecken gehabt, nun klingt der Aufruf zur Wiederbelebung einer »Leit- und Rahmenkultur« wie der letzte Sirenengesang jener, die im Lärm der Weltgeschichte unterzugehen drohen, weil die Basslinie der Zivilität durch die Wiedererweckung des Nationalismus und Nationalchauvinismus peu à peu nach unten verschoben wird.

 

Die in diesem Buch vorliegenden Betrachtungen, Gedankensplitter und Fragmente setzen sich zum Ziel, den Begriff der Heimat auf der Basis seiner Landläufigkeit zeitgemäß zu durchdenken und womöglich neu zu verstehen. Sie streben die Erkundung des Ungefähren mittels des Konkreten an, was ein ambitiöses Unterfangen ist. Nach der Bestimmung von Heimat als Sehnsucht und Gefühl führt der Weg zur Reproduktion des Heimatbezugs als Erinnerungsleistung des Gehirns. Der Pfad führt fort in den Transzendenzraum der Religion, die den nach Vertrauen suchenden Menschen ebenso beheimatet wie die bloße Natur und die konstruierte Nation, um deren Politik und Mythen es im zweiten Teil des Buches gehen wird. Nationalismus als politisierter Heimatschutz gegen die scheinbare oder empfundene Überfremdung Abertausender Wanderer auf der Flucht vor Tod und Elend führt zur Erörterung des Kampfs um Heimat als Konflikt der Kulturen am Beispiel des Kopftuchs. Kann Herkunft Identität stiften, oder gibt es nur den Plural der Identitäten? Im dritten Teil entfaltet sich schließlich das Spannungsverhältnis zwischen Integration und Identität. Unserer Tage, da eine große Krise der Zivilität festgestellt werden muss, wird Heimat aufgerüstet...
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Autor

Christian Schüle, geboren 1970, ist freier Autor und Publizist. Seine Essays, Feuilletons und Reportagen erscheinen u. a. in Die Zeit, mare, Deutschlandfunk, Deutschlandradio und Bayerischer Rundfunk und wurden mehrfach ausgezeichnet. Darüber hinaus war er dreimal für den Egon-Erwin-Kisch- bzw. den Henri-Nannen-Preis nominiert. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. Er hat bislang acht Bücher veröffentlicht, zuletzt "Wie wir sterben lernen" und "Was ist Gerechtigkeit heute?"