Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Beute

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am21.07.20171. Auflage
Bagdad 2003: Die 19-jährige Soldatin Cassandra hält Wache in Falludscha. Es sind die ersten Tage der Invasion; die Amerikaner fühlen sich als Befreier und verteilen eimerweise Kaugummi. Cassandra geht in ihrer Soldatenrolle auf. Dass sie Frauen liebt, weiß keiner und ahnt jeder. Abu al-Hul ist einer der Mudschaheddin, die sich den Besatzern entgegenstellen. Er hat schon in Tschetschenien gegen die Sowjets gekämpft. Am Dschihad ist er nicht irregeworden, wohl aber an den Methoden. Sein Gegenspieler Dr. Walid dagegen will einen modernen Krieg mit Terror und mit den Medien. Mit zwei anderen Soldaten gerät Cassandra in die Hände von Walids Gruppe. Gewalt bricht sich Bahn unter den US-Truppen, die nun in jedem Einheimischen einen Terroristen sehen. Die Gefangenen werden derweil zu Figuren in einem Propagandastück. Walid will sie zur öffentlichen Konversion zwingen. Als das nicht gelingt, müssen Cassandras Kameraden vor der Kamera sterben. Sie als Einzige bleibt am Leben. Doch ihr Martyrium hat erst begonnen. Dieser Roman, der so anders ist als viele Bücher über dieses Thema, schildert historisch präzise einen Punkt, an dem der Krieg so wurde, wie er heute noch ist: mit unklaren Grenzen, mit moderner Technik, mit schrankenlosem Terror. Und so ist «Beute» ein überzeitliches Nachdenken über den Menschen als Geschöpf, das Kriege führt. Ein Roman, der bewegt und klüger macht.

Brian Van Reet ist in Houston geboren. Nach dem 11. September brach er sein Studium ab und wurde Panzergrenadier in der US-Armee mit Einsatz im Irak. Im Anschluss studierte er an den Universitäten von Missouri und Texas. Sein literarisches Schaffen wurde mit Fellowships und Preisen bedacht, Texte erschienen unter anderem in der New York Times und der Washington Post. 'Beute' ist sein erster Roman.
mehr

Produkt

KlappentextBagdad 2003: Die 19-jährige Soldatin Cassandra hält Wache in Falludscha. Es sind die ersten Tage der Invasion; die Amerikaner fühlen sich als Befreier und verteilen eimerweise Kaugummi. Cassandra geht in ihrer Soldatenrolle auf. Dass sie Frauen liebt, weiß keiner und ahnt jeder. Abu al-Hul ist einer der Mudschaheddin, die sich den Besatzern entgegenstellen. Er hat schon in Tschetschenien gegen die Sowjets gekämpft. Am Dschihad ist er nicht irregeworden, wohl aber an den Methoden. Sein Gegenspieler Dr. Walid dagegen will einen modernen Krieg mit Terror und mit den Medien. Mit zwei anderen Soldaten gerät Cassandra in die Hände von Walids Gruppe. Gewalt bricht sich Bahn unter den US-Truppen, die nun in jedem Einheimischen einen Terroristen sehen. Die Gefangenen werden derweil zu Figuren in einem Propagandastück. Walid will sie zur öffentlichen Konversion zwingen. Als das nicht gelingt, müssen Cassandras Kameraden vor der Kamera sterben. Sie als Einzige bleibt am Leben. Doch ihr Martyrium hat erst begonnen. Dieser Roman, der so anders ist als viele Bücher über dieses Thema, schildert historisch präzise einen Punkt, an dem der Krieg so wurde, wie er heute noch ist: mit unklaren Grenzen, mit moderner Technik, mit schrankenlosem Terror. Und so ist «Beute» ein überzeitliches Nachdenken über den Menschen als Geschöpf, das Kriege führt. Ein Roman, der bewegt und klüger macht.

Brian Van Reet ist in Houston geboren. Nach dem 11. September brach er sein Studium ab und wurde Panzergrenadier in der US-Armee mit Einsatz im Irak. Im Anschluss studierte er an den Universitäten von Missouri und Texas. Sein literarisches Schaffen wurde mit Fellowships und Preisen bedacht, Texte erschienen unter anderem in der New York Times und der Washington Post. 'Beute' ist sein erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644058019
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum21.07.2017
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1037 Kbytes
Artikel-Nr.2137840
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1 Cassandra: Der Kreisverkehr

Irak (Triangletown): Der Tag


Gefährlicher als sie ist nichts und niemand hier. Die besten Soldaten sind so, der Kindheit gerade entwachsen. Warum sie in den Krieg ziehen, spielt keine große Rolle. Vielleicht tragen sie einen tiefen Groll mit sich herum oder sind mit einem sorglosen Naturell gesegnet; Angst und Scham sind die beiden wichtigsten Werkzeuge der Army-Ausbildung, sie funktionieren bei den meisten Persönlichkeitstypen gleich gut. Was Cassandra zuallererst zu einer guten Soldatin macht, ist das Alter. Die Ausbildung schlägt bei keinem an, der wesentlich älter ist als dreißig. Kein Drill, kein Gebrüll, keine stumpfsinnige Routine mit Schmerz, Demütigung und Schikane kann die in Jahren voller Schicksalsschläge gewachsene Vorsicht auslöschen, die Angst der Erwachsenen vor dem Tod. Sie macht die für einen Bodenkrieg unabdingbare Risikofreude zum Privileg der Größenwahnsinnigen, heimlichen Selbstmordkandidaten und Teenager.

Diese Soldatin langweilt sich heute Nacht. Statt den Kreisverkehr zu bewachen, würde sie lieber näher an den Glutkern des Krieges heranrücken. Einiges hat sie schon gesehen, und trotzdem will sie mehr. Ein naiver, ein leichtsinniger Wunsch, schon klar. Aber das Verlangen ist da, der irrationale Drang, die Waffe zu schultern und den Humvee, Crump und McGinnis hinter sich zu lassen, die dunkle, regennasse Straße entlangzuwandern wie ein moderner Ronin, sich allein nach Bagdad aufzumachen, auf der Suche nach einem Kampf. Eine lächerliche Idee, die sie trotzdem nicht loslässt. Der Regen prasselt hörbar auf ihren Parka, auf dem schwarzen öligen Maschinengewehr vor ihr sammeln sich Tropfen. Hätte man auch nicht gedacht, dass es im Irak so heftig regnen kann. Sie lehnt sich an das Drehlager in der Dachluke, wischt den Verschluss des .50ers mit einem nassen Handtuch ab, verstaut das Tuch und steckt die Hände wieder in die Achselhöhlen. Sie friert und ist nass, die Haut wird langsam weiß und schrumpelig, die Gelenke sind steif. Sie zittert ein bisschen und denkt gelegentlich an Haider und seine Suche nach einem Arzt für seine Schwester.

Die Zeit vergeht. Sergeant McGinnis klopft ans Dach des Humvee.

«Wigheard. Deck das .50er zu und komm rein.»

Seit einer halben Stunde weht der Regen schräg durch die Dachluke in den Geländewagen und durchnässt McGinnis. Private Crump, der das Glück hat, auf der Leeseite zu sitzen, ist etwas besser dran. Crump schläft schon wieder, er schnarcht in einem merkwürdigen Rhythmus, kurze, hörbare Atemzüge, das Gesicht ans beschlagene Seitenfenster auf der Fahrerseite gequetscht.

Eben hätte sie noch beinahe gefragt, ob sie ein paar Minuten abgelöst werden kann, um sich im Wagen aufzuwärmen. Aber jetzt, wo die Ablösung Befehlsform angenommen hat, sträubt sie sich ein bisschen, nur so.

«Negativ», ruft sie übertrieben munter. «Scheiße, Sarn´t. Schick erst mal Crump rauf, den Penner. Dann komm ich runter.»

«Wigheard. Mach die Luke zu und komm rein.»

Sie muss über seine brummige Fürsorglichkeit grinsen und taucht in die Kabine ab, mit dem Knie auf dem Mitteltunnel, auf dem sie an der Waffe gestanden hat. Sie bückt sich tief, schließt die Luke über sich und verriegelt sie. Regen prasselt auf das Dach, und im gleichmäßigen Getrommel, das sich anhört wie eine Million Geisterfinger, die an den Geländewagen klopfen, hört man kaum das heisere Grummeln des Dieselmotors. McGinnis und Crump haben die Heizung voll aufgedreht. Schon jetzt trocknen die schwarzen Fleecesachen, die sie unter ihrem Parka und der Schutzweste trägt, werden auch ihre Haut und die Augen trocken; die Heizung ist offenbar das Einzige, was an diesem Schrottwagen einwandfrei funktioniert.

Sie lässt sich von der Plattform auf einen der hinteren Sitze fallen. Das Innere des Humvee ist eine sandfarbene Studie in Scharfkantigkeit, Enge und kostenbewusster Effizienz. Die einzige persönliche Note stammt von McGinnis. Vom Rückspiegel baumeln Plüschwürfel, und auf das Armaturenbrett aus gestanztem Aluminium hat er eine Scherzartikel-Baseballkarte geklebt, die seinen Sohn in Little-League-Uniform zeigt, den Schläger über der Schulter, verschwitzter Haarschopf unter einem roten Basecap.

Das Foto macht sie nervös. Schon von Anfang an, seit damals in Kuwait, als er es drangeklebt hat. Ihr kommt das nicht wie eine gute Idee vor, das Bild auf dem Armaturenbrett, wo er der Erinnerung an seinen Sohn - dessen Namen sie sich kaum merken kann - nicht entkommt, immer im väterlichen Blickfeld, eine ständige Mahnung, was auf dem Spiel steht, was ihn ein Fehler kosten wird. Fast könnte man meinen, McGinnis quält sich absichtlich.

Ihre Augen sind entzündet vom Schlafmangel und von der umgewälzten Heizungsluft, die unablässig durch das Fahrzeug bläst. Sie blinzelt, um sie wieder zu befeuchten, alles wird unscharf vor Schläfrigkeit, das Kinderbild verschwimmt zu einem unklaren Fleck. Die Dunkelheit macht sie müde, die rauschende Heizung, der Regen, der sich auf der Dachluke sammelt und durch eine lecke Gummidichtung ins Innere tropft. Wie chinesische Wasserfolter. Als ob man in einem undichten U-Boot festsitzen würde. Jetzt, wo die Luke geschlossen ist, wird es feucht und heiß und glitschig wie in einer Umkleide, in der es aus allen Duschen dampft. Kondenswassertropfen fließen zusammen und bilden verästelte Bachläufe an den Fenstern, eigentlich sind es nur flexible PVC-Scheiben. Ihr Team hat nicht das Glück gehabt, einen gepanzerten Wagen zu erwischen. Lieutenant Choi und seine Leute haben den einzigen, der dem Platoon zugeteilt wurde. Ihr eigener ist kaum mehr als ein rollender Sarg. Nein, noch nicht mal das. Eiche rustikal würde immerhin ein bisschen Schrapnell abhalten, aber diese Plastiktüren bieten nicht mal Schutz vor einem Luftgewehr.

Heizung, Regen, Schlafmangel bescheren ihr tränende Augen und eine vage elektronische Benommenheit. Die verschrumpelten Hände zucken unwillkürlich und wecken sie wieder. Sie zwingt sich, die Augen zu öffnen, und sieht McGinnis und Crump auf den Vordersitzen schlafen. Kabel von Funkgerät und GPS winden sich wie schwarze Nabelschnüre um sie, der Motor brummt, und halb gefangen in einem Traum, in dem rauschhaften Bewusstsein einer endlosen Gegenwart, vor der die Vergangenheit verschwindet, vergisst sie für einen Augenblick sich selbst, fast bereit zu glauben, dass sie alle Tage ihres Lebens so verbracht hat, hier drin im Humvee, dem einzigen Fixpunkt im Universum.

 

Alle drei schrecken gleichzeitig aus dem Schlaf. Etwas hämmert auf die Motorhaube ihres Geländewagens, bonk, bonk, bonk.

McGinnis sitzt einfach nur regungslos da und guckt unter den ganzen Gerätschaften hervor. So hat sie ihn noch nie gesehen. Während der ganzen Übungen vor dem Einsatz, beim Giftgastraining in Kuwait, in den ersten Kriegswochen hat er immer so kompetent gewirkt, auf alles gefasst, nie um eine Antwort verlegen, und jetzt kommt sie nicht damit klar, dass er so unvorbereitet wirkt.

Crump wartet nicht lange darauf, dass jemand ihm sagt, was zu tun ist. Er wirft sich nach vorn und wischt mit dem Ärmel die Feuchtigkeit ab, die die Sicht durch die Windschutzscheibe trübt. Währenddessen haut Cassandra sich das Knie an, als sie hastig vom Rücksitz zur Dachluke krabbelt, die Luke aufklappt, ihren Posten besetzt, das .50er in Anschlag bringt; sie hat den Griff schon von unten in der Hand, aber bevor sie durchladen kann, sieht sie, dass es nur Haider ist, der da an der Kühlerhaube des Geländewagens steht. So vom Regen durchweicht sieht der Junge noch dünner aus, das grüne Fußballtrikot klebt ihm nass auf der Haut.

McGinnis sieht ihn auch und schimpft vor Erleichterung und Ärger. Der Junge ist durch seinen zweiten Auftritt am Kreisverkehr zur offiziellen Landplage befördert worden. «Genau das mein ich nämlich», ruft McGinnis durch die Luke hoch, «genau deswegen füttern wir die nicht. Wir sind eine Armee. Wir sind nicht das Kinderhilfswerk, verdammt.» Er greift nach hinten, entriegelt die Beifahrertür, macht sie auf, und Haider klettert aus dem Regen in den Wagen.

Cassandra lässt sich wieder ins Innere fallen.

«Special-ist, mein Freund.» Der Junge zeigt auf die Straße in Richtung Triangletown. «Da, ganz böse Ali Baba. Mudschaheddin.»

Der Holzfäller aus Tausendundeiner Nacht, eine der raren Schnittmengen zwischen ihrer eigenen Kultur und der hier vor Ort, ist schnell ein Kürzel geworden für die Räuberhöhle, in die er hineinstolpert, eine Art literarisches Mitgefangen-mitgehangen, jetzt bedeutet Ali Baba einfach Feind.

«Ach Blödsinn», sagt Crump, «der will doch bloß noch mehr Schokolade. Pass auf, gleich fängt er an zu betteln.»

«Ganz schön weiter Weg im Regen nur wegen so was», sagt sie.

McGinnis schaut Haider direkt ins Gesicht. «Wo hast du die gesehen? Die Mudschaheddin.»

«Die gehen ... kayfa lah yaquuluu ... Die gehen zu Vater von mein Vater.»

«Zu deinem Großvater?»

«Ja. Großvater ist er Scheich. Er sagt zu Mudschaheddin, ischta ischta. Mudschaheddin sagt ...» Pantomimisch stellt er einen Autounfall nach. Frustriert schlägt er auf das imaginäre Lenkrad. «Will gute Auto. Großvater Toyota. Die nimmt.»

«Wann - heute? Heute Abend?»

«Heute, ja.» Haider nickt eifrig und reckt den Hals, als halte er am Horizont nach etwas Ausschau. Dann dreht er sich wieder zu McGinnis und guckt jetzt viel zu ernst für sein Alter. «Mudschaheddin und du, ihr so», bringt er seinen Gedanken zu Ende, indem er den Zeigefinger seiner gesunden Hand wie eine...
mehr

Autor

Brian Van Reet ist in Houston geboren. Nach dem 11. September brach er sein Studium ab und wurde Panzergrenadier in der US-Armee mit Einsatz im Irak. Im Anschluss studierte er an den Universitäten von Missouri und Texas. Sein literarisches Schaffen wurde mit Fellowships und Preisen bedacht, Texte erschienen unter anderem in der New York Times und der Washington Post. "Beute" ist sein erster Roman.Kathrin Passig, geboren 1970, ist eine Vordenkerin des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin sowie des Blogs «Techniktagebuch». 2006 gewann sie in Klagenfurt sowohl den Bachmann-Preis als auch den Publikumspreis. Die «Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin» (Passig über Passig) veröffentlichte u. a. 2007 das «Lexikon des Unwissens» (mit Aleks Scholz) und 2012 «Internet - Segen oder Fluch» (mit Sascha Lobo). 2016 wurde Kathrin Passig mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay ausgezeichnet.