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Kanzel und Katheder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am25.11.20161. Auflage
In einer Zeit, da der endgültige Holocaust zum politischen Kalkül und das Wort Pazifismus fast schon wieder ein Schmähruf geworden ist, erfüllen die hier gesammelten Reden eine doppelte Aufgabe: Mit untrüglicher Scharfsicht analysieren sie jene Momente unserer Geschichte, in denen Vernunft und Humanität einem militanten Nationalismus geopfert wurden; doch zugleich bewahren sie das Vermächtnis der aufklärerischen Geister, die sich der Intoleranz entgegenstellten, indem sie aus der Perspektive der Opfer unseren Blick auf die Heilsbedürftigkeit der Welt lenken. In seinen Predigten entwirft Walter Jens das Bild eines Jesus von Nazareth jenseits aller Dogmen und Doktrinen: eines Bruders der Mühseligen und Beladenen, den die Mächtigen der Welt zwar ans Kreuz schlagen konnten, dessen Leben und Opfer aber über die Zeiten hinweg ein unauslöschliches Zeichen der Hoffnung für alle Leidenden und Verfolgten geblieben ist.

Walter Jens, geboren 1923 in Hamburg, Studium der Klassischen Philologie und Germanistik in Hamburg und Freiburg/Br. Promotion 1944 mit einer Arbeit zur Sophokleischen Tragödie; 1949 Habilitation, von 1962 bis 1989 Inhaber eines Lehrstuhls für Klassische Philologie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen. Von 1989 bis 1997 Präsident der Akademie der Künste zu Berlin. Verfasser von zahlreichen belletristischen, wissenschaftlichen und essayistischen Büchern (darunter zuerst 'Nein. Die Welt der Angeklagten' 1950, 'Der Mann, der nicht alt werden wollte', 1955), Hör- und Fernsehspielen sowie Essays und Fernsehkritiken unter dem Pseudonym Momos; außerdem Übersetzer der Evangelien und des Römerbriefes. Walter Jens war seit 1951 verheiratet mit Inge Jens, geb. Puttfarcken. Als 'Grenzgängern zwischen Macht und Geist' wurde beiden 1988 der Theodor-Heuss-Preis mit der Begründung verliehen: 'Gemeinsam geben Inge und Walter Jens sowohl durch ihr schriftstellerisches Werk wie durch ihr persönliches Engagement immer wieder ermutigende Beispiele für Zivilcourage und persönliche Verantwortungsbereitschaft.'Walter Jens starb am 9. Juni 2013 in Tübingen.
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Produkt

KlappentextIn einer Zeit, da der endgültige Holocaust zum politischen Kalkül und das Wort Pazifismus fast schon wieder ein Schmähruf geworden ist, erfüllen die hier gesammelten Reden eine doppelte Aufgabe: Mit untrüglicher Scharfsicht analysieren sie jene Momente unserer Geschichte, in denen Vernunft und Humanität einem militanten Nationalismus geopfert wurden; doch zugleich bewahren sie das Vermächtnis der aufklärerischen Geister, die sich der Intoleranz entgegenstellten, indem sie aus der Perspektive der Opfer unseren Blick auf die Heilsbedürftigkeit der Welt lenken. In seinen Predigten entwirft Walter Jens das Bild eines Jesus von Nazareth jenseits aller Dogmen und Doktrinen: eines Bruders der Mühseligen und Beladenen, den die Mächtigen der Welt zwar ans Kreuz schlagen konnten, dessen Leben und Opfer aber über die Zeiten hinweg ein unauslöschliches Zeichen der Hoffnung für alle Leidenden und Verfolgten geblieben ist.

Walter Jens, geboren 1923 in Hamburg, Studium der Klassischen Philologie und Germanistik in Hamburg und Freiburg/Br. Promotion 1944 mit einer Arbeit zur Sophokleischen Tragödie; 1949 Habilitation, von 1962 bis 1989 Inhaber eines Lehrstuhls für Klassische Philologie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen. Von 1989 bis 1997 Präsident der Akademie der Künste zu Berlin. Verfasser von zahlreichen belletristischen, wissenschaftlichen und essayistischen Büchern (darunter zuerst 'Nein. Die Welt der Angeklagten' 1950, 'Der Mann, der nicht alt werden wollte', 1955), Hör- und Fernsehspielen sowie Essays und Fernsehkritiken unter dem Pseudonym Momos; außerdem Übersetzer der Evangelien und des Römerbriefes. Walter Jens war seit 1951 verheiratet mit Inge Jens, geb. Puttfarcken. Als 'Grenzgängern zwischen Macht und Geist' wurde beiden 1988 der Theodor-Heuss-Preis mit der Begründung verliehen: 'Gemeinsam geben Inge und Walter Jens sowohl durch ihr schriftstellerisches Werk wie durch ihr persönliches Engagement immer wieder ermutigende Beispiele für Zivilcourage und persönliche Verantwortungsbereitschaft.'Walter Jens starb am 9. Juni 2013 in Tübingen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688100705
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum25.11.2016
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse657 Kbytes
Artikel-Nr.2144596
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Nathan der Weise aus der Sicht von Auschwitz

Juden und Christen in Deutschland

»Inmitten deutschen Lebens ein abgesondert fremdartiger Menschenstamm ... Auf märkischem Sand eine asiatische Horde ... so leben sie (die Juden) in einem halb freiwilligen unsichtbaren Ghetto, kein lebendiges Glied des Volkes, sondern ein fremdartiger Organismus in seinem Leibe«: Mit diesen Worten hat, anno 1897 in Maximilian Hardens Zeitschrift »Die Zukunft«, kein rabiater Antisemit, kein Schüler Treitschkes und Stoeckers, kein Ideologe in der Nachfolge Richard Wagners gesprochen - nein, ein Berliner Jude ist es gewesen, der seine Stimme gegen das schwärzliche Volk der Krämer und Makler erhob, gegen die von Jahwe, dem auf dem Horeb thronenden Gott, verlassenen Händler aus der Rosenthaler Straße, gegen die Häßlichen mit ihren ungelenken Füßen und der weichen Rundlichkeit ihrer Formen, gegen die bald tolpatschig-dreist, bald devot auftretenden Parvenus, die sich nicht wundern dürften, daß die Autochthonen aus der Mark Brandenburg ihre Namen mit ironisierender Betonung aussprächen: »Im Erdgeschoß wohnt Herr Wilhelm Schulze und im ersten Stock ein Herr Simon.«

Nein, ein Antisemit war er gewiß nicht, der »Zukunft«-Beiträger, der sich, ein Vierteljahrhundert vor Tucholsky, über das »Wendriner«-Deutsch seiner - getauften und ungetauften - Mitjuden belustigte und, angeekelt von der Ghetto-Schwüle im Kreis der scheinbar Assimilierten, die »bewußte Selbsterziehung einer Rasse zur Anpassung an fremde Anforderungen« proklamierte.

Eine deutsch erzogene Judenheit, geprägt von Patriziern der Kultur, die mosaische Glaubensliberalität mit der Bildung jener Nation verbänden, der allein sie sich verpflichtet fühlten, der deutschen: eine israelitische Gemeinschaft, die sich aus assimilierten Lessingschen Nathans rekrutierte - das war die Idealgemeinde jenes W. Hartenau mit seinem Kaufmannstraum von der verbesserten Bilanz der moralischen Werte durch rigorose Anpassung des jüdischen Volks an das deutsche ... der Traum eines Mannes, der wenige Jahre darauf sein Pseudonym lüftete.

Walther Rathenau hieß der Verfasser des »Zukunft«-Pamphlets: ein Jude, der in keinem Augenblick, 1897 so wenig wie zu Beginn der Weimarer Republik, von der These abwich, daß es für einen Mann seines Schlages nur ein Land geben könne - Deutschland und nicht Israel: das Land des Hier und Jetzt und nicht das Reich der Väter. (»Die Juden«, so Rathenau während des Ersten Weltkriegs an einen Freund, »sind für mich ein deutscher Stamm wie Sachsen oder Bayern. Für mich entscheidet über die Zugehörigkeit zu Volk und Nation nichts anderes als Herz, Geist, Gesinnung, Seele. In diesem Empfinden stelle ich die Juden etwa zwischen die Sachsen und die Schwaben.«)

Worte eines Israeliten aus Berlin und deutschen Patrioten, von dem es, einhundertvierzig Jahre nach Lessings »Nathan«, heißen wird: »Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau.«

Was für ein Schicksal, dieses Leben und Sterben eines Berliner Industriellen jüdischer Herkunft - und ein typisches dazu! Von den Anfängen der Emanzipation, die durch die drei Namen Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Kriegsrat Christian Wilhelm von Dohm, den Verfasser der Schrift »Über die bürgerliche Verbesserung der Juden«, geprägt ist ... vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hat die deutsche Judenheit mit einer durch keine Demütigung und Provokation zu beirrenden Entschlossenheit, inständig und konsequent, um ihr Bürgerrecht in Deutschland gerungen, um Eingemeindung in die Nation Schillers und Lessings, und dafür, in einer oft bis zur Selbstaufgabe gehenden Demut, sich selbst - und gerade! - zu jenen Deutschen bekannt, die sich als rabiate Antisemiten ausgaben: Der gleiche Richard Wagner, der im Pamphlet »Das Judentum in der Musik« den Israeliten jegliches Schöpfertum absprach - Kopisten seien sie, Aneigner, äffische Imitatoren von Beckmessers oder des Bach-Imitators Mendelssohns Rang ... der gleiche Wagner, der den Juden nur eine einzige Möglichkeit der Erlösung zubilligte: ihren Untergang, der gleiche Wagner, dessen ureigenes Ziel es war, den »Nathan« zu widerrufen (Notiz Cosimas, im Tagebuch: »Richard erzählt von einer neulichen Aufführung des Nathan, wo bei der Stelle Christus war auch ein Jude ein Israelit im Parterre bravo gerufen habe. Er wirft Lessing diese Fadheit sehr vor, und wie ich ihm erwidere, daß mir schiene, ein eigener deutscher Zug der Humanität in dem Stücke zu liegen, sagt er: Aber gar keine Tiefe , und dann im heftigsten Scherze, es sollten alle Juden bei einer Aufführung des Nathan verbrennen «) ... dieser gleiche Wagner, der sich mit dem Gedanken trug, Bismarck zu bitten, Paris, dieses Zentrum der Geld- und Wucherwelt, niederzuschießen: dieser Richard Wagner hatte, Abgott der Judenheit, der er war, die Ehre, ausgerechnet den Palästinaträumen der auf die heilige deutsche Kunst eingeschworenen Israeliten die höheren Weihen zu geben: Der zweite Weltkongreß des Zionismus, am Ende des letzten Jahrhunderts, wurde eingeleitet mit der Tannhäuser-Ouvertüre des Meisters.

Ein Schauspiel, paradox und erbarmenswürdig zugleich: Da kämpft, seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine verschwindende Minorität darum, die Ghettomauern zu sprengen, das jüdische Mittelalter zu beenden und Partizipant der Aufklärung zu werden: da will man eine Welt verlassen, den Kerker, in den das gepriesene Licht der Neuzeit nur mühsam eindringt ... eine Welt, von der es bei Börne heißt: »Scheu und behutsam wird hier der Fuß aufgesetzt, damit er keine Kinder zertrete. Sie schwimmen in der Gosse herum, sie kreuzen im Kote umher, unzählig wie ein Gewürm von der Sonne Kraft dem Mist ausgebrütet ... Fürchtet ihr, die turmhohen Mauern möchten einstürzen über uns? O fürchtet nichts. Sie sind wohl befestigt, die Käfige der beschnittenen Vögel, gestützt auf den Grund der ewigen Bosheit, gut gemauert von den emsigen Händen der Habsucht, geleimt mit dem Schweiß der gefolterten Sklaven.«

Hinaus aus dem Ghetto hieß die Devise: aus dem Elend, aber auch aus der Geborgenheit des Für-sich-Seins, aus dem Bannkreis der Rabbinatsherrschaft, mitsamt den Kommentierungen der Talmudtraktate, die ihrerseits die Tora auslegen - einem Bannkreis, den zu verlassen ebenso unabdingbar wie risikoreich war: unabdingbar wegen des Gebots der Zeit, das keine Absonderungen: kein partielles Mittelalter mehr zuließ, risikoreich im Hinblick auf die Aufgabe jüdischer Totalität, die, als erster Aufklärer und letzter Ganz-und-gar-Jude Moses Mendelssohn noch einmal zu praktizieren verstand, indem er auf die Identität von natürlicher und jener jüdischen Religion verwies, die nicht auf Glaubenswahrheiten, sondern auf vernunftbestimmten Gesetzesvorschriften beruhe.

Jüdische Totalität: Das hat es, das konnte es, wie die Dinge standen, nach Mendelssohn in Deutschland nicht mehr geben. Die Enkel des Mannes, der mit seiner Bibelübersetzung den Juden ihre heilige Schrift, verfremdet und zu neuer Eingemeindung fähig, zurückgeben wollte, konvertierten zum Christentum; vierzehn Jahre nach Mendelssohns Tod fragte sein Freund und Schüler, David Friedländer, namens einer Gruppe einflußreicher Berliner Juden an, unter welchen Bedingungen ein allgemeiner Übertritt zum Protestantismus, in Würde und ohne Schielen nach bürgerlicher Reputation, zu erreichen sei und welches Taufbekenntnis denjenigen abverlangt werde, die Vernunftwahrheiten für das gemeinsame Zentrum aller Religion hielten, das Zeremonialgesetz und den Messiasglauben folglich für obsolet erachteten, ohne sich deshalb positiv zu christlichen Dogmen, vor allem der Gottesherrschaft Christi, stellen zu können: »Wir sind von jüdischen Eltern geboren und in der jüdischen Religion erzogen worden ... Die Ceremonialgesetze wurden in dem väterlichen Hause mit der ängstlichsten Pünktlichkeit beobachtet. Diese verfremdeten uns (das heißt: machten uns zu Fremden) in dem Zirkel des gewöhnlichen Lebens; sie brachten, als leere Gebräuche, keine andere Wirkung hervor, als daß deren Beobachtung in Gegenwart fremder Religionsverwandtschaften, selbst der Dienstboten, uns scheu, verlegen und oft unruhig machten.« So beginnt eine Schrift (sie ist heute nahezu verschollen), in der deutsche Juden zum ersten Mal öffentlich eingestehen, daß die Mendelssohnsche These, Gesetzesgehorsam und Vernunftverpflichtung wären identisch, nicht zu verwirklichen sei - und damit beginnt jene »Euthanasie des Judentums« in Deutschland (ein Ausdruck von Kant), an der sich in gleicher Weise, auf christlicher Seite, Liberale, die einem Reformjudentum, geprägt von Bildungsbürgern jüdischen Glaubens, das Wort redeten, und die aufgeklärten Juden beteiligten, die an die Vereinbarkeit von israelitischem Glauben und deutscher Vollbürgerschaft glaubten und diese Vereinbarkeit als neues, eine sinnerfüllte Existenz verbürgendes Prinzip in emphatischer Rede beschworen.

»Einen Vater in den Höhen, eine Mutter haben wir. Gott, ihn, aller Wesen Vater. Deutschland unsere Mutter hier«: Dieser Satz des Sprechers der deutschen Judenheit, des Vizepräsidenten des Frankfurter Paulskirchen-Parlaments und ersten Richters mosaischen Glaubens in unserem Land, Gabriel Riesser, hat exemplarischen Charakter.

Nahezu eineinhalb Jahrhunderte lang, zwischen Nathan und Auschwitz, war es das oberste Ziel der deutschen Judenheit, sich dem...

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Autor

Walter Jens, geboren 1923 in Hamburg, Studium der Klassischen Philologie und Germanistik in Hamburg und Freiburg/Br. Promotion 1944 mit einer Arbeit zur Sophokleischen Tragödie; 1949 Habilitation, von 1962 bis 1989 Inhaber eines Lehrstuhls für Klassische Philologie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen. Von 1989 bis 1997 Präsident der Akademie der Künste zu Berlin.Verfasser von zahlreichen belletristischen, wissenschaftlichen und essayistischen Büchern (darunter zuerst "Nein. Die Welt der Angeklagten" 1950, "Der Mann, der nicht alt werden wollte", 1955), Hör- und Fernsehspielen sowie Essays und Fernsehkritiken unter dem Pseudonym Momos; außerdem Übersetzer der Evangelien und des Römerbriefes. Walter Jens war seit 1951 verheiratet mit Inge Jens, geb. Puttfarcken. Als "Grenzgängern zwischen Macht und Geist" wurde beiden 1988 der Theodor-Heuss-Preis mit der Begründung verliehen: "Gemeinsam geben Inge und Walter Jens sowohl durch ihr schriftstellerisches Werk wie durch ihr persönliches Engagement immer wieder ermutigende Beispiele für Zivilcourage und persönliche Verantwortungsbereitschaft."Walter Jens starb am 9. Juni 2013 in Tübingen.