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Die Jugend von heute

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am09.03.20171. Auflage
»Lottmanns Meisterstück und scharfsinnige Vision« Welt am Sonntag Schon Sokrates klagte über die Jugend in Athen, sie sei auch nicht mehr das, was sie früher einmal gewesen war. Derlei rentnerhaftes Genörgel ist Onkel Jolos Sache nicht. Joachim Lottmanns Ich-Erzähler feiert das Neue: Gestern ist doof, heute ist klasse, morgen ist Ecstasy. Das gilt auch für die jungen Leute um seinen Neffen Elias, eben die Jugend von heute. Der Ex-Jugendliche nimmt die Herausforderung an und lebt als erster Erwachsener unter ihnen, und damit im Herzen unserer Kultur, die eine Jugendkultur ist. Als unfreiwilliger Feldforscher lernt er die bislang unbekannte Ethnie »Jugend des dritten Jahrtausends« kennen. Onkel Jolo erforscht ihre Rituale, vergleicht diese neueste deutsche Jugend mit ihren Vorgängern, hört ihre Musik, besucht ihre Partys, nimmt ihre Drogen, schwärmt für ihre Frauen und versucht unter Einsatz seines Lebens, diese Herrscher von morgen zu verstehen. Die Jugend von heute ist der Roman des beginnenden 21. Jahrhunderts: ein Dokument der Zeit nach dem Börsen-Boom, der Medienblase, der Spaßgesellschaft und so, dazu eine rasend komische Achterbahnfahrt der Gefühle und das Protokoll eines hemmungslosen Höllentrips. »Wenn es ein Pendant zu Houellebecq in Deutschland gibt, ohne dessen gesamten Weltekel gleich mitzuschultern, dann ist es Lottmann. [...] Ein wundervolles Buch über das Nichts.« Der Spiegel

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

Klappentext»Lottmanns Meisterstück und scharfsinnige Vision« Welt am Sonntag Schon Sokrates klagte über die Jugend in Athen, sie sei auch nicht mehr das, was sie früher einmal gewesen war. Derlei rentnerhaftes Genörgel ist Onkel Jolos Sache nicht. Joachim Lottmanns Ich-Erzähler feiert das Neue: Gestern ist doof, heute ist klasse, morgen ist Ecstasy. Das gilt auch für die jungen Leute um seinen Neffen Elias, eben die Jugend von heute. Der Ex-Jugendliche nimmt die Herausforderung an und lebt als erster Erwachsener unter ihnen, und damit im Herzen unserer Kultur, die eine Jugendkultur ist. Als unfreiwilliger Feldforscher lernt er die bislang unbekannte Ethnie »Jugend des dritten Jahrtausends« kennen. Onkel Jolo erforscht ihre Rituale, vergleicht diese neueste deutsche Jugend mit ihren Vorgängern, hört ihre Musik, besucht ihre Partys, nimmt ihre Drogen, schwärmt für ihre Frauen und versucht unter Einsatz seines Lebens, diese Herrscher von morgen zu verstehen. Die Jugend von heute ist der Roman des beginnenden 21. Jahrhunderts: ein Dokument der Zeit nach dem Börsen-Boom, der Medienblase, der Spaßgesellschaft und so, dazu eine rasend komische Achterbahnfahrt der Gefühle und das Protokoll eines hemmungslosen Höllentrips. »Wenn es ein Pendant zu Houellebecq in Deutschland gibt, ohne dessen gesamten Weltekel gleich mitzuschultern, dann ist es Lottmann. [...] Ein wundervolles Buch über das Nichts.« Der Spiegel

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462317190
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum09.03.2017
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1993 Kbytes
Artikel-Nr.2152052
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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Ich wollte nie mehr schreiben und nur noch eines: weg! Weg von Berlin. Alles andere war egal.

Ich erzählte das natürlich ein bißchen herum, und so kamen ein paar Getreue, die mir das ausreden wollten. Sie verstanden nicht, daß es mir nicht um die Stadt, sondern um die Jugend ging. Die Jugend mochte mich nicht. Die Jugend war Berlin. Noch nie war ich so permanent so gnadenlos nicht geliebt worden wie da, dreieinhalb Jahre lang. Dreieinhalb Jahre lang keine Geliebte! Was für eine Folter.

Mein Neffe Elias wollte mich trotzdem zum Bleiben bewegen. Er fuhr im Nachtzug von München nach Berlin, um mir ins Gewissen zu reden. Es kostete 49 Euro, ich mußte ihm das Geld wiedergeben.

Er hatte in meinem ersten Berliner Jahr bei mir gewohnt und währenddessen Abitur gemacht, später zog er zu seinem Jugendfreund Lukas, und seine Cousine Hase übernahm sein Zimmer in der Kleinen Präsidentenstraße am Hackeschen Markt. Dann zog auch noch Hase weg, und ich war der Kälte Berlins allein ausgesetzt. Das war objektiv nicht überlebbar.

Ich fuhr zu Lukas, um meinen Neffen zu begrüßen. Er sah aus wie immer, wie ewige 18. Unter einem schwarzen Anzug trug er mehrere offene verschiedenfarbige Hemden.

»Jolo, du darfst hier nicht weggehen«, begann er nach einer Umarmung. Wie alle Berliner Jugendlichen hatte er die Hiphop-Gesten der schwarzen US-Amerikaner adaptiert. Leicht angeekelt erwiderte ich die diversen Bewegungen mit Hand, Faust und Kopf. Ich konnte das ganz gut, weil Elias es mir beigebracht hatte. Auch Hases Freunde waren alle Hiphopper, so daß ich nie aus der Übung kam. Nur hatte Hase vor allem weibliche Freunde, und die benahmen sich weniger affig.

»Eli, die Stadt ist pleite, und zwar schon lange und jetzt wirklich. Im Winter werden hier nicht mehr die U-Bahnen fahren! Rette sich, wer kann!«

Lukas wohnte in einer 30 Quadratmeter kleinen, äußerst gemütlich wirkenden Zweiraumwohnung im Bötzowviertel am Friedrichshain. Das Wort »gemütlich« war mir schon lange nicht mehr in den Sinn gekommen. Tausend winzige Gegenstände ließen eher an eine Mädchenwohnung denken, oder an einen Weihnachtsbasar, wegen der vielen kleinen Lampen. Natürlich lag schwerer Dopegeruch über all dem Zeug.

Vermutlich konnte Lukas den beginnenden Winter noch überleben, zumal er angeblich eine echte Freundin hatte, blond und normal, wie es hieß. Aber das stimmte schon nicht mehr. Elias deutete an, es gäbe da eine Art Freundschaftsverfall. Die Fotos der keineswegs schönen, aber sehr blonden Freundin vergilbten bereits an den Wänden wie alte Honeckerportraits. Sie selbst ward nicht mehr gesehen und rief auch nicht an. Die Mutter rief jetzt immer an. Elias nahm ab und verleugnete seinen Freund.

Lukas machte einen traurigen Eindruck. Er war einst aus München gekommen. Vielleicht war Elias auch angereist, um ihm zu helfen und nicht mir, oder beiden. Lukas war offenbar dem Dope verfallen. Elias hatte im Internet eine neue Droge entdeckt, die unser aller Leben, vor allem Lukas´, aber noch mehr meines, revolutionieren sollte. Denn auch ich hatte ein vergleichbares Problem: Obwohl ansonsten gesund, nahm ich fast täglich große Mengen Schmerztabletten.

Ich war in Berlin Migräniker geworden. Und schlafsüchtig. Vor lauter Lebensangst schlief ich jeden Tag 16 Stunden. Es war einfach anders nicht auszuhalten, dieses Leben ohne Liebe.

Nun erklärte Elias, die perfekte Droge für uns zu haben, die alles schlagartig ändern würde: Samsunit. Chemisch ausgedrückt Deltahydroxybutamol. Zum Beweis ging er mit uns ins Netz, und wir lasen ein paar Stunden lang - im Netz vergeht die Zeit schnell - alles, was es darüber gab. Es war zwar alles auf Englisch (ich kann kein Englisch), aber Elias ließ es per Mausklick ins Deutsche transformieren. Ich wußte damals noch gar nicht, daß das geht. Zwischendurch schlief Lukas ein, da er eine Überdosis Gras inhaliert hatte.

Elias sagte, mit der neuen Droge Samsunit könne ich in Berlin bleiben und die Fahne der Literatur hochhalten. Ich entgegnete mit tiefer Stimme, ich schriebe als nächstes ein sehr ernstes Buch über meine Eltern. Mein Motto sei »Nie wieder 44, nie wieder Pop-Autor«. Jenseits der 40 mache es keinen Spaß mehr, in Clubs abzuhängen.

Elias widersprach. Er glaubte einfach nicht an das Alter. Dafür glaubte er an das Geschlecht, was ich wiederum nicht tat. Geschlechtertrennung war für mich genauso ein Konstrukt wie Rassentrennung. Elis Glaube an den biologischen und gottgegebenen Unterschied zwischen Mann und Frau manifestierte sich in pausenlosen Subtheorien und Diskursen darüber, mit denen er auch früher meine Nerven zersägte. Er las sogar all die reaktionären Frauenzeitschriften von Elle bis Petra und BRAVO GIRL, weil da dieser Bullshit täglich ausgewalzt wurde.

In Deutschland war dieses »Die Frau an sich will ja ...«-Geplapper besonders beliebt, da man viel Übung in der Zerteilung der Menschheit in biologisch solche und biologisch andere hatte.

Was wir über Samsunit lasen, war so verblüffend, daß es mich am Ende überzeugte, obwohl ich mein Leben lang geglaubt hatte, jede Droge koste ihren Preis. Künstlicher Hochgenuß und künstliche Leistung ergäben stets mit ihrem Gegenteil (den Erscheinungen des Entzugs) eine Summe von plus/minus null.

Doch nun las ich etwas ganz anderes. Es handele sich bei Samsunit um eine körpereigene Substanz ohne Suchtpotential, die antidepressiv und angstlösend wirke sowie euphorisierend und sozialisierend. Bei höherer Dosierung sei eine verstärkte, sexuell anregende Sensibilität zu verzeichnen. Es hilft zuverlässig gegen Schlafstörungen und gegen Suchtabhängigkeiten. Es wird innerhalb von zwei Stunden in der Leber metabolisiert, das heißt in vom Körper besser ausscheidbare Substanzen umgewandelt, und als Kohlenstoffdioxyd abgeatmet. Es ist dann im Körper nicht mehr nachweisbar. Mit einem Wort: Es mußte sich um einen wahren Zaubertrank handeln!

Wir lasen dann noch die Selbsterfahrungsberichte aus aller Welt dazu im Netz. Irre. Leider konnte man nur die Zutaten, aber nicht die komplett gemixte Substanz per Kreditkarte bestellen. Selber mixen wollten wir nicht. Also beschlossen wir, uns das fertige Medikament von einem Arzt unseres Vertrauens verschreiben zu lassen. Meinem Hausarzt Dr. Hartmann. Gelang dies, war auf der Stelle alles besser. Damit würde ich nicht als gebrochener Mann, sondern als Glücksritter die verhaßte Stadt verlassen. Ich konnte mich in Hochstimmung von allen sogenannten Freunden verabschieden:

»Seht her, ihr depressiven Flaschen, ich wechsle die Seiten, ich bin klüger als ihr, ich bin gut drauf, ich lache!«

Und dann würde ich das ernste Buch über die eigenen Eltern schreiben und damit als Autor gefeiert werden. Ich wußte: Ohne die Heiterkeitsdroge konnte ich keine fünf Seiten über meine langweiligen Eltern schreiben. Na ja, langweilig waren sie nicht, oder wenn doch, konnte ich das nur im Schreiben herauskriegen.

 

Dennoch bekam ich ein Gefühl von Schläfrigkeit, wenn ich an das Buch dachte. Ich war im Sommer erstmals seit 30 Jahren wieder an den Ort der Kindheit gefahren, nach Grottamare, mit meiner Kölner Freundin April.

Sie ist wunderbar, die April, sehr schlank, sehr aufrecht. Eine gewisse klare Schönheit. Der dunkle Typ, von der Haarfarbe her, mit schönen Konturen im Gesicht, markant. Ich fand schon, als wir uns kurz vor Grottamare wieder ineinander verliebten, daß sie ein äußerst ansprechendes Äußeres hatte. Wenn sie mich ansah, tat sie es intensiv, ohne aufdringlich zu sein. Sie war da, interessierte sich für die Sache, blieb aber auf eine vornehme Weise zurückhaltend. Und sie war wieder meine Freundin! Nach 15 Jahren! Es war kaum zu fassen. Auch andere verstanden es nicht, schon gar nicht, wer mich einmal mit meiner Nichte Hase gesehen hatte, oder eben mit Elias, mit all den quatschenden Teenies, mit denen ich mich auf erschreckende Weise gut verstand und sie so gar nicht.

Diese Kölner Freundin war wirklich eine ganz besonders alte Kölner Freundin, denn wir waren schon in den 80er Jahren, schon vor dem Mauerfall, der Zeitenwende und so weiter, ein Paar gewesen, sozusagen als blutjunge damalige Westdeutsche. Inzwischen waren wir ganz anders, keineswegs weiter, im Gegenteil.

Die Kölner Freundin hatte im Laufe ihres Lebens vieles verloren. Nie hätte ich sie wieder lieben können, wüßte ich nicht, wie sie als Mädchen gewesen war. Nämlich naiv, liebevoll und natürlich. In den Jahren, in denen sie in New York gelebt hatte, war sie zur typischen arroganten Manhattan-Lady verkommen, fast schon wie eine Singlefrau.

Gewiß, ich war auch nur noch eine Fratze meiner selbst, ein Gegenteil des schwerelosen Spaßvogels von einst. Aus Jean-Pierre Léod war Gerhart Polt geworden, und um so erstaunlicher war es, daß sie, die gnadenlos erfolgreiche Fotokünstlerin mit eigener Agentur, eigenem Pferd und eigener Eigentumswohnung, mich immer noch mochte, mich, der ich Destiny´s Child hörte und im »Sexy Stretch« Autogramme gab, um es milde auszudrücken.

Sie mußte in mir etwas sehen, das ich selbst nicht kannte und das dennoch dasein mußte. Pathetisch gesagt: meine wahre Größe. Sie war die einzige, die sie sah. Und was immer man gegen sie vorbringen konnte - sie war immer an meiner Seite, wenn ich sie brauchte. Sie las mir jeden Wunsch von den Augen ab, und natürlich fragte ich mich manchmal: Was soll ich denn mit einer Frau, die perfekt ist?! Und fuhr dann wieder ab, nach ein paar Tagen. Oder fuhr gar nicht erst nach Köln und blieb in der Hauptstadt.

Zu Geschäftsleuten konnte sie schneidend und hart sein, aber das störte mich nicht. Mich schien sie wirklich zu...
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Autor

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt 'Mai, Juni, Juli', das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman 'Deutsche Einheit' erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten 'Die Jugend von heute' (2004), 'Der Geldkomplex' (2009) und 'Endlich Kokain' (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.