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Der einarmige Engel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
319 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am01.02.20171. Auflage
Ein altes Schloss in Brandenburg und die Leidenschaft zweier Brüder einfühlsam und lebensnah erzählt Leonie Ossowski von einem entscheidenden Abschnitt deutsch-deutscher Geschichte: Nach dem Fall der Mauer ist für Conrad und Ludwig klar, dass sie das brandenburgische Schloss Großscherkow wieder in den Besitz der Familie bringen werden. Aber so einfach ist das nicht, denn vieles hat sich verändert und nicht nur die Eigentumsverhältnisse erweisen sich als vertrackt. »Leonie Ossowski verdeutlicht auf sensible Weise Einzelschicksale und führt vor Augen, wie dumm manches vorschnell entstandene Vorurteil doch ist.« Westfälischer Anzeiger

Leonie Ossowski, geboren 1925 in Niederschlesien, war Autorin zahlreicher Erfolgsromane und Drehbücher.  In all ihren Romanen machte sie auf soziale und gesellschaftliche Themen in Vergangenheit und Gegenwart aufmerksam. Ausgezeichnet unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Silber, dem Schillerpreis der Stadt Mannheim und mit der Hermann-Kesten-Medaille des PEN-Zentrums, hat sie sich in ihren Romanen als »Dichterin der Menschlichkeit« einen Namen gemacht. Seit 1980 lebte Leonie Ossowski in Berlin, wo sie am 4. Februar 2019 verstarb.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin altes Schloss in Brandenburg und die Leidenschaft zweier Brüder einfühlsam und lebensnah erzählt Leonie Ossowski von einem entscheidenden Abschnitt deutsch-deutscher Geschichte: Nach dem Fall der Mauer ist für Conrad und Ludwig klar, dass sie das brandenburgische Schloss Großscherkow wieder in den Besitz der Familie bringen werden. Aber so einfach ist das nicht, denn vieles hat sich verändert und nicht nur die Eigentumsverhältnisse erweisen sich als vertrackt. »Leonie Ossowski verdeutlicht auf sensible Weise Einzelschicksale und führt vor Augen, wie dumm manches vorschnell entstandene Vorurteil doch ist.« Westfälischer Anzeiger

Leonie Ossowski, geboren 1925 in Niederschlesien, war Autorin zahlreicher Erfolgsromane und Drehbücher.  In all ihren Romanen machte sie auf soziale und gesellschaftliche Themen in Vergangenheit und Gegenwart aufmerksam. Ausgezeichnet unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Silber, dem Schillerpreis der Stadt Mannheim und mit der Hermann-Kesten-Medaille des PEN-Zentrums, hat sie sich in ihren Romanen als »Dichterin der Menschlichkeit« einen Namen gemacht. Seit 1980 lebte Leonie Ossowski in Berlin, wo sie am 4. Februar 2019 verstarb.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492972673
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum01.02.2017
Auflage1. Auflage
Seiten319 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1156 Kbytes
Artikel-Nr.2212247
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Im Juli des Jahres 1990 wurde in der DDR die D-Mark eingeführt. Das bedeutete Umstellung, Umrechnung und oft tiefe Verwirrung, vor allem auf dem Land. Man glaubte, das Geld reiche hinten und vorne nicht, selbst wenn man seine Ostmark eingetauscht hatte.

Noch immer war Conrad zutiefst von der Rückgabe seines väterlichen Besitzes überzeugt, auch wenn er damit einverstanden war, das Land der Umsiedler nicht mehr zu bekommen. Dafür sorgten mit Vehemenz die Politiker der DDR, die noch immer den Einigungsvertrag aushandelten.

Conrad hatte das eingesehen und sorgte dafür, daß man im Dorf wußte, daß er an Pachtverträgen interessiert sei und es sich lohne, darüber nachzudenken.

Auch Ludwig gab die Hoffnung noch nicht auf, Stockhagen sein eigen nennen zu dürfen, und hatte längst alle notwendigen Papiere zusammen, die den Anspruch auf sein Erbe bestätigten. Alles war eine Frage der Zeit und des Einigungsvertrags zwischen der Bundesrepublik und der DDR.

Gleich nach der Währungsumstellung hatte Ludwig beim inzwischen neugewählten Bürgermeister von Stockhagen vorgesprochen, um zu fragen, ob er ein oder zwei Zimmer im Schloß gegen eine entsprechende Miete beziehen könne. Er begründete seinen Aufenthalt mit der geplanten Renovierung der Kapelle. Auch um den Park würde er sich gern kümmern. Er schlug noch vieles vor, was der Bürgermeister ablehnte, denn, so sagte er, noch wisse man ja nicht, wie sich die Besitzverhältnisse in Stockhagen entwickelten. Aber ein Zimmer könne er gegen Miete im Schloß bewohnen. Es war das Tantenzimmer, das Ludwig im Ostflügel im ersten Stock zugewiesen wurde, einer der wenigen Räume, der nicht durch Trennwände verbaut worden und irgendwie in der Wohnungsaufteilung übriggeblieben war. Es hatte noch wie früher ein Waschbecken mit Wasseranschluß. Nur die Toilette mußte sich Ludwig mit den Bewohnern des Stockwerks teilen.

Conrad bekam keine Möglichkeit, im Schloß von Großscherkow zu wohnen. Er hatte sein Elternhaus zwar einmal besichtigen dürfen, aber dabei war es geblieben. Auch hier sagte der Bürgermeister, die Besitzverhältnisse müßten erst geklärt werden. So wohnte er, wenn er in Großscherkow übernachtete, nach wie vor bei Molli in der Kammer ihres winzigen Häuschens. Irgendwie hatte man sich an seine Anwesenheit im Ort gewöhnt. Er hielt mit den Alten, die ihn noch von früher kannten, gern ein Schwätzchen und ließ sich aus ihrem Leben erzählen. Auch mit den ehemaligen Flüchtlingen nahm er Kontakt auf und beteuerte jedem, der es wissen wollte, daß er bei einer Rückgabe seines Eigentums keinerlei Anspruch auf das Land der Siedler erheben wolle. Nie versäumte Conrad, Harry Blaske einen Besuch abzustatten.

Auf seltsame Weise hatten sich die beiden angefreundet, saßen in Blaskes Büro, wo die Plakate von den Wänden verschwunden waren, und fachsimpelten oft bis in den späten Abend. Manchmal lief Conrad aber auch allein über Land. Die Leute aus dem Dorf sahen ihn, wie er am Rand der ehemals väterlichen Felder entlangstapfte, die Ähren zwischen den Händen rieb oder auch mal eine Kartoffelstaude ausriß, um die Knollen zu begutachten. Sie lachten und nickten ihm zu und hatten nichts gegen den Mann, der niemandem schaden wollte und nur vom Staat zurückverlangte, was sein Eigentum war. Manchmal legte Conrad eine Pause ein und setzte sich unter einen der wenigen wilden Birnbäume, deren Früchte schon zu seiner Kindheit ungenießbar waren, klein, hart und unreif zu Boden fielen. Dann schloß Conrad die Augen, hörte das Zwitschern der Lerchen über dem Baumwipfel, weiter weg das Geräusch von Traktoren, und ließ langsam die Erde zwischen den Fingern hindurchrieseln. Bald würde der Boden, auf dem er hier ausruhte, ihm gehören. Er würde seine eigenen Felder bestellen und da wohnen, wo sein Vater, sein Großvater und die Vorfahren gewohnt hatten. Alles war eine Frage der Zeit.

Conrad dachte an seinen Bruder und den gemeinsamen Geburtstag, den sie, wann immer es möglich war, zusammen gefeiert hatten. Diesmal würde es anders sein. Ludwig wollte zum Brunch im Park von Stockhagen einladen, und Conrad sollte mit Carl und Lissi zu den Gästen gehören. Aber was Ludwig konnte, konnte Conrad schon lange. Auch er plante eine Feier im Park von Großscherkow, auch wenn die nicht so üppig ausfallen konnte, eher eine Nachmittagseinladung zu Kaffee und Kuchen sein würde. Sie hatten sich gestritten, Ludwig hatte Conrad einen Spielverderber genannt, der wiederum unterstellte dem Bruder Angeberei. Katrin stiftete schließlich Frieden, und so hatte man sich darauf geeinigt, wenigstens den Abend gemeinsam zu verbringen. Im »Deutschen Kaiser« in Perleberg, dem ersten Haus am Platze, dessen Name zwar seit den zwanziger Jahren geändert war, in der Familie Scherkow aber immer noch Bestand hatte, sollte es ein Essen im engsten Kreis der Familie geben.

Von mir aus, hatten beide wie aus einem Munde gesagt, letztlich zufrieden, daß jeder seinen eigenen Kopf zumindest tagsüber durchsetzen konnte. Entsprechend den geplanten Ereignissen waren die Vorbereitungen äußerst unterschiedlich. Das einzige, was ihnen beiden, ohne daß sie es bedacht hätten, zugute kam, war die Währungsumstellung. Im Juli des Jahres 1990 gab es genug Menschen, sie sich liebend gern zusätzlich ein paar D-Mark verdienen wollten, auch in Stockhagen und Großscherkow.

Wie immer war es Georg, der die Sache in die Hand nahm und als erstes mit dem Bürgermeister redete. Ludwig hatte ihm finanziell freie Hand gegeben, und so bot Georg der Gemeinde für die einmalige Nutzung des hinteren Parks eine Spende von fünfhundert D-Mark an. Der Bürgermeister schluckte, als er diese horrende Summe für einen Nachmittag hörte, sagte aber, er müsse es mit seinem Rat besprechen, denn er hätte mittlerweile kein alleiniges Verfügungsrecht. Aber der Rat, der genau wußte, daß die Gemeinde kaum über Geld verfügte, stimmte schmunzelnd zu. Das Fest konnte also stattfinden. Alles Weitere lag jetzt in Katrins Hand. Sie telefonierte als erstes mit dem Catering-Service in Hamburg, mit dem sie schon mehrere Partys ausgerichtet hatte. Der wußte glücklicherweise einen verläßlichen Kollegen in Quickborn, der zu Katrins Zufriedenheit den Brunch in Stockhagen ausrichten würde, denn ein näherer Ort zur DDR-Grenze war nicht auszumachen.

Katrin gab den Speiseplan durch: Tafelspitz mit grüner Soße, Geflügel und viele Salate, Brot, Käse und vor allem eine große Schüssel kalte italienische Tomatensuppe. Als Dessert rote Grütze mit Vanillesoße. Dazu am Anfang Champagner, später leichten Weißwein, Bier, Orangensaft und jede Menge stilles Wasser. Als Personal orderte sie drei Kellner, was Katrins Meinung nach reichen mußte. Zudem bestand sie, falls es regnen sollte, auf einer weißen Überdachung. Sollte die Sonne scheinen, würden die hohen Buchen und Erlen zwischen den Teichen, wo auch die Stehtische aufgestellt werden sollten, Schatten spenden. Katrins Angaben waren präzise, und aus jedem ihrer Worte war zu hören, daß sie nicht ihre erste Party ausrichtete. Fragen gab es nicht. Die Einladungen gingen über Ludwigs Büro an die Gäste, gedruckt in englischer Schreibschrift, während die Namen der Geladenen mit der Hand eingetragen wurden.

Am Geburtstagsmorgen schien die Sonne, ein Julitag, wie er im Buche steht. Der Quickborner Catering-Service begann seine Arbeit in den frühen Morgenstunden und verwandelte den hinteren Teil des Parks innerhalb von Stunden in eine Kulisse, die jedem Theater Ehre gemacht hätte. Obwohl das Geschehen an die hundert Meter vom Schloß entfernt vor sich ging, erweckte es bei den Bewohnern reges Interesse. Immer mehr Köpfe tauchten in den Fenstern auf. Die Älteren legten sich Kissen unter die Arme, und keiner fand aus dem Staunen heraus. So etwas hatten sie noch nicht gesehen.

Nachdem die weißen Stehtische aufgebaut und auch das weiße Zeltdach zwischen den Bäumen schwebte, begannen Kellner in weißen, bis zu den Knöcheln reichenden Schürzen und schwarzen Hemden Unmengen von Geschirr und Gläsern aufzubauen. Dazwischen nicht zu zählende Sonnenblumen und geflochtene Blattranken, die um die Füße der Tische geschlungen wurden. Und während später die Platten gebracht wurden, gingen alle Ferngläser, die es im Schloß gab, von Hand zu Hand, und keines der zweiunddreißig Fenster blieb unbesetzt.

Gegen elf Uhr erschienen die ersten Gäste. Die Damen in eleganter Sommergarderobe, die Männer meist in Blazer und heller Hose.

Neben den Geschenken wurden Blumen mitgebracht, Sträuße und einzelne Rosen, die Ludwig mit Umarmungen, Küssen und allen guten Wünschen zum Geburtstag überreicht wurden. Die Geschenke, kunstvoll verpackt, nahm einer der Kellner entgegen und legte sie auf einen eigens dafür aufgestellten Tisch, besser gesagt, er stapelte sie, ohne daß das Geburtstagskind die Zeit gefunden hätte, sie auszupacken und anzusehen.

Jetzt wurde Champagner angeboten, und es wurden ein paar Reden gehalten. Zu verstehen waren die Worte an den Fenstern des Schlosses nicht, und das war wohl gut so.

Ludwig wurde zu seinem Anwesen beglückwünscht, auch wenn es ihm jetzt noch nicht gehöre. Wer unter den Hamburger Gästen konnte schon so ein Schloß als sein rechtmäßiges Erbe betrachten. Allein der Anblick war überwältigend, auch wenn die Leute, die aus den Fenstern guckten, die Gäste daran erinnerten, daß der Einigungsvertrag bisher keineswegs unterzeichnet war. Sicher, man wußte, es würde Schwierigkeiten geben, aber schließlich lebte man in einer Demokratie, in der Unrecht dem Recht gegenüber keine Chance hatte.

Auch Georg war mit seiner Frau unter den Gästen, stand mit dem Bürgermeister und dessen Gattin und dem Pfarrer ein wenig abseits an einem...
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Leonie Ossowski, geboren 1925 in Niederschlesien, war Autorin zahlreicher Erfolgsromane und Drehbücher.  In all ihren Romanen machte sie auf soziale und gesellschaftliche Themen in Vergangenheit und Gegenwart aufmerksam. Ausgezeichnet unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Silber, dem Schillerpreis der Stadt Mannheim und mit der Hermann-Kesten-Medaille des PEN-Zentrums, hat sie sich in ihren Romanen als »Dichterin der Menschlichkeit« einen Namen gemacht. Seit 1980 lebte Leonie Ossowski in Berlin, wo sie am 4. Februar 2019 verstarb.