Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Plastik des 20. Jahrhunderts

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
234 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am31.03.20171. Auflage
Werner Hofmann versteht es hervorragend, die Zeichen der Zeit in den Äußerungen der Künstler aufzuweisen und zu deuten. Schon der Band »Zeichen und Gestalt«, der sich der Malerei des 20. Jahrhunderts widmet, legt dafür Zeugnis ab. Hofmanns Ausführungen über die Plastik des 20. Jahrhunderts ergänzt auf eine eigenständige Weise die in dem Werk über die moderne Malerei niedergelegten Erkenntnisse und verschafft darüber hinaus einen umfassenden Überblick über das bildhauerische Schaffen bis Mitte des 20. Jahrhunderts. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Werner Hofmann wurde 1928 in Wien geboren. Er war Kunsthistoriker, Kulturjournalist, Schriftsteller und Museumsdirektor. Hofmann starb 2013 in Hamburg.
mehr

Produkt

KlappentextWerner Hofmann versteht es hervorragend, die Zeichen der Zeit in den Äußerungen der Künstler aufzuweisen und zu deuten. Schon der Band »Zeichen und Gestalt«, der sich der Malerei des 20. Jahrhunderts widmet, legt dafür Zeugnis ab. Hofmanns Ausführungen über die Plastik des 20. Jahrhunderts ergänzt auf eine eigenständige Weise die in dem Werk über die moderne Malerei niedergelegten Erkenntnisse und verschafft darüber hinaus einen umfassenden Überblick über das bildhauerische Schaffen bis Mitte des 20. Jahrhunderts. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Werner Hofmann wurde 1928 in Wien geboren. Er war Kunsthistoriker, Kulturjournalist, Schriftsteller und Museumsdirektor. Hofmann starb 2013 in Hamburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105616734
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum31.03.2017
Auflage1. Auflage
Seiten234 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5810 Kbytes
Artikel-Nr.2351701
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Das 19. Jahrhundert

Versuch einer Charakteristik

Das 19. Jahrhundert, dessen sichtbarste geschlossene Entwicklungslinie malerische Wirklichkeitsaneignung heißt, war der Plastik nicht günstig. Weder die bürgerlich-heroischen noch die bürgerlich-intimen Inhalte gelangen in ihr zu überzeugender Lebensfülle. Die Plastik ist keine bürgerliche Kunstgattung. Wohl versucht sie, der Eigeninitiative beraubt, die Stilbewegungen der Malerei mit ähnlich gemeinten Gesten nachzuvollziehen, doch fehlt ihren Bemühungen das sichere, konsequente Auftreten. Die romantischen Maler und Kunstkritiker haben früh eingesehen, daß die Plastik ihrem Streben nach brennender Aktualität und grenzenloser Vermischung aller Weltzustände nur mühsam zu folgen vermochte; die Realisten konnten nicht übersehen, daß beschreibende Ausführlichkeit, aus der Leinwand in die dritte Dimension versetzt, der Plastik zum Verhängnis werden muß. Und auch die programmatische Nachahmung der Antike hatte es in der Malerei leichter als in der Plastik: um ein abgezogenes, geglättetes Formenideal bemüht, standen die Maler der antiken Form bedeutend unbefangener gegenüber als die gleichgesinnten Bildhauer, da die einen das Vorbild der Statuen in Bilder übertrugen, während die anderen im gleichen Medium blieben und zu Sklaven ihres Ideals wurden.

Von Delacroix führt eine Linie zu Cézanne, von Ingres ein direkter Weg zu Seurat, in der Plastik jedoch sucht man vergeblich nach einer Entwicklung von ähnlich eindeutiger Logik. Was ihr vor allem fehlt und was sie mit ihrer Randexistenz in allen Geschichtsdarstellungen bezahlen muß, ist das kontinuierliche Ineinandergreifen der einzelnen Kettenglieder zur übergeordneten Aufgabe. Das konzentrierte, systematische Ausbeuten der Wirklichkeit liegt in den Händen der Maler, die Plastik widersetzt sich, sofern sie nicht kapituliert, allen zerlösenden, aber auch allen beschreibenden Tendenzen, ihr widerstrebt die realistische Redlichkeit Courbets ebenso wie die atmosphärische Weltfreudigkeit der Impressionisten. Selbst gelegentliche Versuche, den Rhythmus des Modellierens der weichen, schweifenden Tätigkeit des Malerpinsels anzupassen, vermögen nicht, die flüchtige Zärtlichkeit der impressionistischen Welt in die Plastik zu übersetzen. Medardo Rosso (1858 bis 1928), der die Gestalten atmosphärisch aufweichen wollte, bringt Gespenster hervor, die nicht dem Impressionismus angehören, wohl aber einer Symbolwelt, deren Deutung sich der norwegische Maler Edvard Munch (1863-1944) etwa zur gleichen Zeit vorgenommen hatte.

Das »Milieu« eines stillebenhaften Innenraumes zu schildern oder die Welt in farbige Verklärung einzuhüllen, war nur dem Pinsel und seiner Beweglichkeit möglich. Was die Malerei an subtilen chromatischen Nuancen voraus hat, sucht die Plastik, seit der Romantik gesprächig und aktualitätssüchtig geworden, durch Erzählfreudigkeit wettzumachen: sie will es nicht wahrhaben, daß das genrehafte Schildern ihr nicht zubestimmt und anekdotische Ausführlichkeit ihren Gestaltungsaufgaben eher hinderlich ist. Ein Titel wie der folgende läßt die Monstrositäten ahnen, die dem Künstler unterliefen, wenn er sich an der Beschreibung szenischer Vorgänge versuchte: »Eine Mutter, über den Rand eines Bootes geneigt, betrachtet ihre beiden Kinder, von denen eines wieder ins Boot klettern will, indes das andere im Begriffe ist, ins Wasser zu springen. Der Vater steht in der Mitte der Barke und setzt sie in Bewegung, indem er sich gegen ein Ruder stemmt.« (Diese Bronzegruppe wurde 1835 der Jury des Pariser »Salon« eingereicht.)[20] Verirrungen dieser Art füllen die Seiten der alten Ausstellungskataloge. Sie befriedigen nicht mehr das Kunstbedürfnis, sondern das »Bildbedürfnis« der breiten Massen: sie sättigen den Trieb, dessen sich später die illustrierten Zeitschriften und der Film annehmen werden, die Gier nach dem Unerwarteten, Pikanten und Sensationellen, nach der »story«, die fesselt und überrascht.

Allein auf dem Gebiete des Porträts, dort also, wo es die Bestimmung der Plastik ist, das Wirkliche und Einmalige einer Erscheinung aufzubewahren, kann die Bildnisbüste mit würdigen Schöpfungen erfolgreich neben die Malerei treten. Freilich droht auch hier schwächeren Talenten manches Mißverständnis, wenn sie es der Natur gleichtun und mit billigem Augentrug blenden wollen. Das Kunstwerk, zum Kunststück degradiert und auf die Stufe wächserner Panoptikumsfiguren gesunken, wird zur platten Wiederholung der Wirklichkeit, zu ihrer starren, leblosen Verdoppelung. So wie die primitive »Roheit der Sinne« den gemalten Panoramen applaudierte, weil sie aus ihnen eine »perverse Sensation« der Wirklichkeit empfing (wie der Bildhauer Hildebrand schrieb), so genossen auch die gespenstischen Versuche der Plastik den bedenklichen Ruhm, der Wirklichkeit »täuschend ähnlich« zu sehen. Hildebrand hat mit scharfen Worten den künstlerischen Unwert dieser Täuschungsverfahren nachgewiesen und der Maler Degas hat deren Problematik grell beleuchtet, indem er die Bronzestatuette einer kleinen Ballettänzerin mit einem Tüllröckchen bekleidete (1880): nicht nur verblüffen wollte er mit dieser scherzhaften »Hexerei«, sie ist für ihn ein vielleicht ironisch gemeinter Verzicht auf die sklavische Nachahmung der materiellen Wirklichkeit (wie er etwa 30 Jahre später im Gefolge des Kubismus wieder vollzogen werden sollte, vgl. S. 95), denn indem Degas den Körper, der für ihn das ausschließliche Problem darstellte, mit echtem Stoff bekleidete, führte er die Versuche der Plastiker ad absurdum, das »Stoffliche« täuschend nachzuahmen - vielmehr schied er es aus dem Bereich der vom Künstler zu gestaltenden Form aus.

Immer, auch in Zeiten ihres einverständigen Zusammenwirkens, besitzt die Plastik einen größeren Öffentlichkeitsradius als die Malerei. Folgende Unterscheidung ist damit gemeint: Gleichgültig, ob es als Fresko direkt auf die Mauer gemalt wird oder als Tafelbild (auf Holz oder Leinwand) völlig beweglich und leicht versetzbar ist, immer schmückt das Flächenbild vornehmlich den Innenraum, die Wand, die Decke und die Kuppel. Es bedarf des schützenden Raumes, um der Zeit zu widerstehen. Die Plastik hingegen entfaltet sich sowohl im Innern einer Architektur als an deren Außenwänden: sie tritt ins Offene, sie wird öffentlich, indem sie sich ständig den Augen der Vorbeigehenden aussetzt. Von der Architektur abgelöst, gelangt sie auf den Straßen und Plätzen, in den Gärten und Parks der Städte zu freier Selbstbestimmung.

Je mehr sich nun die Malerei auf die Entwicklung des Tafelbildes konzentriert und der Leinwand immer neue, farbige Wirkungen abzuringen weiß, um so intimer wird diese gemalte Welt, um so privater ihr Ausdrucksgehalt und um so umstrittener ihre Aufnahme in der »Öffentlichkeit«. Die Folge ist, daß sich die Malerei aus der Öffentlichkeit zurückzieht. Das 19. Jahrhundert bezeichnet den Höhepunkt dieser Entwicklung, die vom Zerfall des Gesamtkunstwerkes im 18. Jahrhundert beschleunigt wurde. Die Künste sind nun sich selbst überlassen. Damit ist bereits angedeutet, daß auch die Plastik im 19. Jahrhundert ihren architekturbezogenen Ort einbüßt, daß sie zur bloßen Dekoration neoantiker, neogotischer oder neobarocker Bauwerke absinkt. Ein neuer Künstlertyp tritt auf, der mit einem Stab von Angestellten arbeitet und Bauplastiken in alle großen Städte versendet. Nicht von Künstlern und Aufträgen, sondern von Unternehmern und Bestellungen sollte hier gesprochen werden. Auch Rodin hat sich lange in einem solchen Geschäftsbetrieb sein Brot verdient, und später, zu Ruhm und Ansehen gelangt, selber eine große Anzahl ausführender Gehilfen beschäftigt. Das dirigierende Genie gehört zu den Lieblingsvorstellungen, die sich das merkantile 19. Jahrhundert vom erfolgreichen Künstler entwarf.

Kommerzialisierung und Verfall gehen Hand in Hand. Mit naiver Fortschrittsfreudigkeit griff man nach den Möglichkeiten technischer Vervielfältigung und ließ es zu, daß der Gestaltungsprozeß immer mehr zu einem mechanischen Vorgang wurde. Die Genugtuung über ein gelöstes, kompliziertes Herstellungsproblem verdeckte schließlich die Bewältigung rein künstlerischer Fragen. Vom gesunden und notwendigen künstlerischen Experimentieren weiß dieser Produzentenstolz nichts, denn er will ja nicht neue Probleme entdecken, sondern nur das Nachahmungsverfahren verbessern, also z.B. den Bronzeguß möglichst virtuos handhaben lernen. Das künstlerische Versagen ist ein Ergebnis falsch verstandener Demokratisierung: der Eisenguß belieferte die bürgerliche Kaminwand mit billigen, verkleinerten Wiedergaben populärer Genrebronzen. Die Erfindung von Apparaten zur mechanischen Vergrößerung oder Verkleinerung der jeweiligen Formate nahm dem Künstler ein mühsames Problem ab. Mittels der Galvanoplastik konnte die industrielle, serienmäßige Herstellung von Figuren dem Fabrikanten überlassen werden, der seine Lagerbestände in Musterkatalogen versandte.

Aus dem organischen Zusammenhang mit der Architektur entfernt, entschließt sich die Entwicklung der Plastik zu einer Doppelbewegung: sie versucht, sich der Bezirke des Intimen und Kolossalen, also eines Gegensatzpaares zu bemächtigen. Besonders in den Jahrzehnten der Romantik, also nach 1830, versucht die Plastik in Frankreich den Rückzug auf das Salonstück, die Statuette, die spielerisch intime Form, den neckischen oder sentimentalen Diminutiv. Man würde nicht zögern, schreibt Baudelaire 1846 in seiner Abhandlung »Warum...

mehr