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von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am24.07.2017
Bei Tim Winton ist die Natur Australiens allgegenwärtig, und hier erzählt er, wie diese enge Beziehung entstanden ist, wie sehr sie seine Gedanken, sein Schreiben und sein Leben prägt. Sein beeindruckendes, poetisches und intensives Buch ist auch ein Plädoyer für Achtsamkeit, für einen neuen Dialog mit der Natur. Er ist auf Berge geklettert, hat in der Wüste gecampt, am Ningaloo Reef getaucht, ist auf den Wellen rund um seine Insel gesurft, und er hat dabei den Rhythmus, die Gefahren, das eigenständige Wesen der Natur erfahren. Denn trotz aller Konflikte zwischen Wildnis und menschlicher Zivilisation, trotz Umweltzerstörung und Klimawandel: Die Natur ist auch ohne den Menschen da. Tim Winton erzählt davon, wie gut es tun kann, sich bewusst zu machen, dass es immer etwas geben wird, das älter, größer, reicher und komplexer ist als wir, die Menschen; und er berichtet von der Gedankenwelt und dem Erfahrungsschatz der Aborigines, ihrem ganz eigenen Verhältnis zur natürlichen Welt.



Tim Winton wurde 1960 in der Nähe von Perth, Westaustralien, geboren. Er hat zahlreiche Romane, Sach- und Kinderbücher sowie ein Theaterstück veröffentlicht und ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Australiens. Zweimal kam er auf die Shortlist des Man Booker Prize, und viermal erhielt er den Miles Franklin Award, den wichtigsten Literaturpreis Australiens. Seine Werke sind in zwölf Sprachen übersetzt, fast alles wurde für Bühne, Radio oder Film adaptiert. Tim Winton lebt mit seiner Familie in Westaustralien.
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Produkt

KlappentextBei Tim Winton ist die Natur Australiens allgegenwärtig, und hier erzählt er, wie diese enge Beziehung entstanden ist, wie sehr sie seine Gedanken, sein Schreiben und sein Leben prägt. Sein beeindruckendes, poetisches und intensives Buch ist auch ein Plädoyer für Achtsamkeit, für einen neuen Dialog mit der Natur. Er ist auf Berge geklettert, hat in der Wüste gecampt, am Ningaloo Reef getaucht, ist auf den Wellen rund um seine Insel gesurft, und er hat dabei den Rhythmus, die Gefahren, das eigenständige Wesen der Natur erfahren. Denn trotz aller Konflikte zwischen Wildnis und menschlicher Zivilisation, trotz Umweltzerstörung und Klimawandel: Die Natur ist auch ohne den Menschen da. Tim Winton erzählt davon, wie gut es tun kann, sich bewusst zu machen, dass es immer etwas geben wird, das älter, größer, reicher und komplexer ist als wir, die Menschen; und er berichtet von der Gedankenwelt und dem Erfahrungsschatz der Aborigines, ihrem ganz eigenen Verhältnis zur natürlichen Welt.



Tim Winton wurde 1960 in der Nähe von Perth, Westaustralien, geboren. Er hat zahlreiche Romane, Sach- und Kinderbücher sowie ein Theaterstück veröffentlicht und ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Australiens. Zweimal kam er auf die Shortlist des Man Booker Prize, und viermal erhielt er den Miles Franklin Award, den wichtigsten Literaturpreis Australiens. Seine Werke sind in zwölf Sprachen übersetzt, fast alles wurde für Bühne, Radio oder Film adaptiert. Tim Winton lebt mit seiner Familie in Westaustralien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641207380
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum24.07.2017
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2725 Kbytes
Illustrationen10 schwarz-weiße Abbildungen
Artikel-Nr.2363886
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Die Insel gesehen und gefühlt

Ich wuchs auf der größten Insel der Welt auf. Diese nackte Tatsache schwindet einem so leicht aus dem Bewusstsein, dass ich gezwungen bin, mich hin und wieder daran zu erinnern. Doch in einer Zeit, in der sich Kulturen vorwiegend durch Politik und Ideologie definieren, sollte es nicht sehr überraschend sein, dass ich etwas so Grundlegendes vergesse. Unsere Gedanken sind oft woanders. Die materiellen Tatsachen des Lebens, die organischen und konkreten Kräfte, die uns formen, werden oft übersehen, als wären sie unwichtig oder sogar leicht peinlich. Unsere kreatürliche Existenz wird in zunehmend abstrakten Begriffen registriert, vermessen, diskutiert und dargestellt. Vielleicht lässt sich dadurch erklären, warum jemand wie ich, der es eigentlich besser wissen sollte, vergessen kann, dass er Insulaner ist. Der Ort Australien wird dauernd überschattet von der Idee Australien, der wirtschaftlichen Unternehmung Australien. Die Macht dieser Konzepte lässt sich nicht leugnen. Ich wurde von ihnen geformt. Aber das sind nicht die einzigen Kräfte, die auf mich einwirken. Mir wird immer stärker bewusst, in welchem Maß Geographie, Entfernung und Wetter mein Sensorium, meine Phantasie und meine Erwartungen geprägt haben. Der Inselkontinent war nicht nur bloßer Hintergrund. Die Landschaft hat eine Kraft auf mich ausgeübt, die ebenso geologisch ist wie Familie. Wie viele Australier spüre ich dieses tektonische Mahlen - nennen wir es einen familialen Schmerz - am stärksten, wenn ich im Ausland bin.

Als ich in den 1980ern in Europa lebte, machte ich den Fehler, anzunehmen, dass das, was mich von den Bürgern der Alten Welt trennte, lediglich Sprache und Geschichte waren, als wäre ich im Grunde nur ein nicht ganz konformer europäischer Ableger meiner formalen Ausbildung. Aber ich hatte meine eigene Geographie nicht genügend berücksichtigt. Und natürlich auch diejenigen nicht, die mich unterrichteten. Es ging nicht einfach nur darum, was ich gelesen hatte und was nicht - meine körperliche Reaktion auf neue Orte beunruhigte mich. Es war, als rebellierte mein Körper. Außerhalb der großen Städte und charmanten Dörfer der Alten Welt fühlte ich mich, als wäre meine ganze Verdrahtung durcheinandergeraten. Wo ich erwartet hätte, die Denkmale zu bestaunen und die natürliche Umgebung zu genießen, passierte in Wirklichkeit das genaue Gegenteil. Die ungeheure Schönheit vieler Gebäude und Straßenzüge hatte eine unmittelbare und tiefgehende Wirkung, doch in der Natur, in der ich mich im Allgemeinen am wohlsten fühle, war ich zögerlich. Ich war zwar wirklich beeindruckt von dem, was ich sah, fand aber keinen körperlichen und emotionalen Zugang dazu. Da ich aus einem flachen, trockenen Kontinent komme, freute ich mich auf hoch aufragende Berge und tosende Flüsse, saftige Täler und fruchtbare Ebenen, und als ich sie dann tatsächlich vor mir hatte, war ich verwirrt, weil ich so gedämpft darauf reagierte. Meine großenteils eurozentrische Ausbildung hatte mich ein Gefühl des Wiedererkennens erwarten lassen, das ich aber so nicht empfand, und das war verstörend. Die Gemälde und Gedichte über all diese Orte berührten mich noch immer, deshalb konnte ich die seltsame Ungeduld nicht verstehen, die mich überkam, wenn ich sie real in Zeit und Raum sah. Waren diese Landschaften und Panoramen nicht wunderschön? Na ja, natürlich waren sie das, doch mir schien schon ein kleiner Ausschnitt davon für lange Zeit zu reichen. Für jemanden aus einer kargen Landschaft wirkten sie oft zu putzig; sie waren hübsch, sogar süßlich. Mich beschlich das nagende Gefühl, dass ich das alles »nicht kapierte«.

Zuerst einmal hatte ich Probleme mit den Größenverhältnissen. In Europa wirkten die Dimensionen des Raums komprimiert. Die drohend aufragende, vertikale Präsenz der Berge schnitt mich vom Horizont ab. Diese Art räumlicher Beschränkung hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Sogar eine Stadt aus Wolkenkratzern ist durchlässiger als eine schneebedeckte Bergkette. Gebirge bilden eine feste Barriere, ein Hindernis, in erster Linie visuell und physisch, aber auch konzeptuell. Alpine Felsflanken und Steilhänge ragen nicht nur in die Höhe, sie hängen über, lassen ihre Masse vorspringen, und ihre Solidität gibt nicht nach. Auf einen Westaustralier wie mich, dessen Standardeinstellung diametral entgegengesetzt ist und der leeren Raum als prägende Kraft erfahren hat, wirkt das klaustrophobisch. Ich glaube, ich war beständig und instinktiv auf der Suche nach Entfernungen, die nicht zur Verfügung standen, ich maß den Raum, und es war immer zu wenig.

Das Zweite und Bedeutendere, was mich beunruhigte, war die Tatsache, dass jede Landschaft die unausweichlichen Spuren von Kultur und Technik zeigte. Natürlich gibt es auch in den entlegensten Gegenden Australiens Hinweise auf menschliche Aktivität - uralte Buschfeuer haben Lebensräume geformt, und an Orten, die auf den ersten Blick für immer und ewig unbewohnt erscheinen, gibt es Malereien und Petroglyphen -, aber viele Anpassungen, Verbesserungen und Verschönerungen durch Aborigines sind so diskret, dass sie als Menschenwerk kaum wahrgenommen werden; für das ungeübte Auge sind sie tatsächlich unsichtbar. In Europa jedoch sind die dramatischsten und scheinbar einsamsten Landschaften unverkennbar modifiziert. An jedem Gebirgspass und nach jeder Kurve scheint es einen Tunnel, eine Seilbahn, einen mondänen Urlaubsort oder einen Schilderwald zu geben.

Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass sich mein steigendes Unbehagen schlicht dem Mangel an Ruhe vor meinesgleichen verdankte. Ich hatte noch nie Orte gesehen, die so erbarmungslos denaturiert waren. Über der Schneegrenze gab es immer einen kreisenden Hubschrauber und noch höher das Maßwerk aus Kondensstreifen von Jets, die auf die Tausende verwiesen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit durch den Himmel reisten. Unten in den Tälern und entlang der unglaublich fruchtbaren Ebenen war die Natur nur sichtbar durch die schmückende Hand der Menschen, die sie sich gefügig gemacht hatten. Ob ich in Frankreich war, in Irland, Holland oder dem raueren Griechenland, ich hatte immer den Eindruck, dass jedes Feld, jede Hecke und jede Quelle benannt, zugeteilt und registriert war. Es war ein Bild fast lückenloser Beschränkung und Zähmung. Diese wenigen, nicht komplett bewohnten oder ausgebeuteten Flächen waren unmissverständlich verändert. Wo früher riesige Waldflächen gewesen waren, gab es jetzt nur noch Wäldchen. Naturschutzgebiete waren eher durchgestaltete Parks als ursprüngliche, sich selbst erhaltende Ökosysteme. Sogar der nördliche Himmel wirkte kolonisiert, seine geronnene Atmosphäre eine beständige und deprimierende Mahnung an die menschliche Vorherrschaft. Als Junge war der Himmel für mich eine klare und wachende Linse gewesen, doch in meinen dunkelsten, heimwehkranken Momenten in Europa sah dieses Auge krank und verschleiert aus.

An klaren Tagen war das Licht schieferblau, hübsch auf malerische Art und herzerfrischend nach so langen Perioden der Düsternis, aber ihm fehlte die weißglühende Ladung, nach der mein Körper und mein Geist sich sehnten. Ich war anders geeicht als ein Europäer.

Als ich in einem schäbigen Kino an der rue du Temple mit meinem Sohn Disneys Peter Pan anschaute, wurde mir klar, dass ich, obwohl wir alle in der flackernden Dunkelheit dieselbe Leinwand anstarrten, einen anderen Film sah als der Rest des Publikums. Was auf Pariser Kinder phantastisch und exotisch wirkte, war für mich wie zu Hause. Ich kannte geheime Buchten und Verstecke wie die der Verlorenen Jungs. Ich war in einer Welt von Booten, felsigen Inseln und verhüllendem Buschwerk aufgewachsen. Der einzige Schauplatz, der mir fremd - ja sogar skurril - vorkam, war das kalte, einsame Kinderzimmer auf dem Dachboden der Familie Darling. Das wilde, freie Leben von Nimmerland ohne die Überwachung durch Erwachsene war mir tief und wärmstens vertraut. Während ich den Film zum x-ten Mal und doch neu sah, die Handlung ignorierte und mich gierig auf die Kulisse konzentrierte, begriff ich, was für ein vollkommen Fremder ich in dieser Hemisphäre war. Aber das Eingeständnis meiner Fremdheit half mir, diese Jahre im Ausland leichter zu verdauen und zu genießen.

Als ich 1960 geboren wurde, gab es auf dem Inselkontinent ungefähr einen Quadratkilometer für jede Person. Fünfundfünfzig Jahre später hat die Bevölkerung sich verdoppelt, aber die Dichte ist noch immer außergewöhnlich niedrig. Trotz einer Siedlungsgeschichte von sechzigtausend Jahren bleibt Australien ein Ort mit mehr Land als Leuten, mehr Geographie als Architektur. Aber Australien ist nicht leer und ist es auch nie gewesen. Seit die Menschen zum ersten Mal Afrika verließen und sich auf den Weg machten hinunter zu dieser alten Landmasse Gondwana, die damals noch nicht so weit weg war von Asien und dem Rest der Welt, wurde es erkundet und bevölkert, verändert und mythologisiert, bewandert und besungen. Die Menschen sangen und tanzten und malten hier schon Aberzehntausende von Jahren, bevor Toga und Sandale die Bühne betraten. Das ist wahres Altertum. Nur wenige Landschaften sind so innig bekannt. Und noch weniger so dünn besiedelt.

Die Menschen lernten hier, anders zu leben, weil die Umstände einzigartig waren. Anstelle von vier Jahreszeiten gab es fünf, manchmal sechs. Wasser war rar. Das Erdreich war dünn und unfruchtbar, und die Pflanzen und Tiere waren wie nirgends sonst auf dieser Welt. Hier zu leben war etwas ganz Spezielles. Australien ist überzogen mit uralten Geschichten und menschlichen Erfahrungen, und doch gab es immer viel Platz zwischen diesen Gespinstfäden der Kultur. Sie sind stark und...

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Tim Winton wurde 1960 in der Nähe von Perth, Westaustralien, geboren. Er hat zahlreiche Romane, Sach- und Kinderbücher sowie ein Theaterstück veröffentlicht und ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Australiens. Zweimal kam er auf die Shortlist des Man Booker Prize, und viermal erhielt er den Miles Franklin Award, den wichtigsten Literaturpreis Australiens. Seine Werke sind in zwölf Sprachen übersetzt, fast alles wurde für Bühne, Radio oder Film adaptiert. Tim Winton lebt mit seiner Familie in Westaustralien.