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Das Glück des Zauberers

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am01.09.20171. Auflage2
»Allem Zauber wohnt ein Anfang inne«: So formulierte es sein Berliner Lehrmeister Schlosseck gern - und die Anfänge des Zauberers Pahroc reichen zurück in die Jahre vor dem ersten Weltkrieg. Schon bald kann Pahroc durch die Lüfte spazieren, später lernt er durch Wände zu gehen und für Sekunden aus Stahl zu sein, was ihm dabei hilft, auch den nächsten Krieg zu überleben. Als es ihm gelingt, Geld herbeizuzaubern, kann er endlich auch seine wachsende Familie ernähren. Pahroc gehört bald zu den Großen seines heimlichen Fachs, getarnt hinter Berufen wie Radiotechniker, Erfinder und Psychotherapeut. Im Alter von über 106 Jahren gilt seine größte Sorge der Weitergabe seiner Kunst an seine Enkelin Mathilda - und so schreibt er sein Leben für sie auf. Es ist die lebenskluge, unerhörte Geschichte eines Mannes und seiner sehr eigenen Art des Widerstands gegen die Entzauberung der Welt.

Sten Nadolny, geboren 1942 in Zehdenick an der Havel, lebt in Berlin. Für sein Werk wurde er unter anderen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 1980, dem Hans-Fallada-Preis 1985, dem Premio Vallombrosa 1986, dem Ernst-Hoferichter-Preis 1995 und dem Weilheimer Literaturpreis 2010 ausgezeichnet. Nach seinem literarischen Debüt »Netzkarte« erschien 1983 der Roman »Die Entdeckung der Langsamkeit«, der in alle Weltsprachen übersetzt wurde, und inzwischen zum modernen Klassiker der deutschsprachigen Literatur geworden ist. Danach veröffentlichte Sten Nadolny zahlreiche Romane, unter anderem »Ein Gott der Frechheit«, »Er oder ich« und »Das Glück des Zauberers«. Für seinen Familienroman »Weitlings Sommerfrische« bekam er 2012 den Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentext»Allem Zauber wohnt ein Anfang inne«: So formulierte es sein Berliner Lehrmeister Schlosseck gern - und die Anfänge des Zauberers Pahroc reichen zurück in die Jahre vor dem ersten Weltkrieg. Schon bald kann Pahroc durch die Lüfte spazieren, später lernt er durch Wände zu gehen und für Sekunden aus Stahl zu sein, was ihm dabei hilft, auch den nächsten Krieg zu überleben. Als es ihm gelingt, Geld herbeizuzaubern, kann er endlich auch seine wachsende Familie ernähren. Pahroc gehört bald zu den Großen seines heimlichen Fachs, getarnt hinter Berufen wie Radiotechniker, Erfinder und Psychotherapeut. Im Alter von über 106 Jahren gilt seine größte Sorge der Weitergabe seiner Kunst an seine Enkelin Mathilda - und so schreibt er sein Leben für sie auf. Es ist die lebenskluge, unerhörte Geschichte eines Mannes und seiner sehr eigenen Art des Widerstands gegen die Entzauberung der Welt.

Sten Nadolny, geboren 1942 in Zehdenick an der Havel, lebt in Berlin. Für sein Werk wurde er unter anderen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 1980, dem Hans-Fallada-Preis 1985, dem Premio Vallombrosa 1986, dem Ernst-Hoferichter-Preis 1995 und dem Weilheimer Literaturpreis 2010 ausgezeichnet. Nach seinem literarischen Debüt »Netzkarte« erschien 1983 der Roman »Die Entdeckung der Langsamkeit«, der in alle Weltsprachen übersetzt wurde, und inzwischen zum modernen Klassiker der deutschsprachigen Literatur geworden ist. Danach veröffentlichte Sten Nadolny zahlreiche Romane, unter anderem »Ein Gott der Frechheit«, »Er oder ich« und »Das Glück des Zauberers«. Für seinen Familienroman »Weitlings Sommerfrische« bekam er 2012 den Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492977739
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum01.09.2017
Auflage1. Auflage2
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1193 Kbytes
Artikel-Nr.2366735
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Rejlanders Begleitbrief

 

Stockholm, 28. Juli 2017

Liebe Iris, lieber Stephan,

Pahroc hat mich zur Nachlassverwalterin bestimmt. Ich schicke Euch hier vertraulich die zwölf langen Briefe, die er mit Unterbrechungen zwischen 2012 und 2017 an seine Enkelin Mathilda geschrieben hat - an die spätere, erwachsene Mathilda wohlverstanden! Denn während er den ersten Brief schrieb, war sie drei Monate, und beim letzten, den er einen Tag vor seinem Tod unvollendet liegen lassen musste, fünfeinhalb Jahre alt.

Mathilda wird die Briefe also erst im Jahre 2030 oder später, sozusagen als Buch, überreicht bekommen, so hat Pahroc das verfügt. Ihr seid die Einzigen außer Waldemar III. und Waldemar IV., Pahrocs letzten Dienern, denen ich Kopien dieser Briefe schon jetzt zu lesen gebe. Der Grund, warum ich Euch teilhaben lasse: Ihr gehört zu denen, die meine Geschichte mit Pahroc verstanden haben und ich möchte über ihn und seine Briefe mit Euch sprechen können.

Wie es mit dem Schreiben dieser Briefe angefangen hat, hat er mir selbst erzählt, und wenn ich je einen Film über ihn machen sollte, würde er mit jenem Tag beginnen - und mit Mathilda:

Da schläft ein Baby. Es wird von einem alten Mann beobachtet, der sich dazu eigens einen Stuhl an das Bettchen herangerückt hat. Er schaut nicht rechts und nicht links und scheint darauf zu warten, dass das Kind erwacht. Es ist still in der Wohnung, zu hören ist das Ticken der Pendeluhr an der Wand, und ab und zu brummelt der alte Herr etwas, es klingt freundlich und wie eine Frage, aber was für eine Antwort könnte ihm der Säugling geben? Mathilda ist an diesem Tag Ende März gut drei Monate alt, geboren in der Heiligen Nacht. Was übrigens nur begrenzt Glück bedeutet, denn die Zahl der Geschenke pro Jahr verringert sich bei solchen Kindern durch das Zusammentreffen von Geburts- und Weihnachtstag etwa auf die Hälfte.

Der Alte hat schlohweißes, etwas zerzaustes Haar und viele Falten im Gesicht. Es sind freundliche Falten, keine griesgrämigen, er hat das Lachen offenbar nicht verlernt. Dünn und leicht ist sein Körper, die Haltung aufrecht, der Rücken gerade. Er beobachtet, murmelt und lächelt, wirkt neugierig, aber nicht ungeduldig.

Die Wohnung ist groß, hier lebt eine Familie mit mehreren Kindern, und es ist eine teure Wohnung, weitläufig, hell, hoch über der Stadt gelegen. Durch die Fenster sind Dachgiebel zu sehen und in der Ferne der Turm eines Senders. Vom Straßenlärm merkt man hier nichts, hin und wieder dröhnt ein Flugzeug. Die Pendeluhr schnarrt jetzt und lässt zwölf Glockenschläge hören. Das Kind regt sich, wird es aufwachen? Es öffnet ein Auge, und die rechte Hand schlüpft aus der Decke, zuckt kurz hoch, aber dann bleibt sie liegen, die Kleine schläft weiter.

Dem alten Herrn ist die Brille von der Nase und zu Boden gefallen, er bückt sich ächzend nach ihr und sieht: Ein Glas ist raus. Er scheint sich nicht darüber zu ärgern, im Gegenteil, er lacht vergnügt in sich hinein. Nun steht er auf und versucht, das Brillenglas auf dem Boden zu sehen, aber erst als er ein Knacken hört, weiß er, wo es ist oder besser gesagt, war. Der Alte droht dem Säugling lachend mit dem Finger und sagt: »Jetzt habe ich dich! Du bist erkannt, du liegst vor mir wie ein offenes Buch!« Er geht näher an das Bett heran, streicht dem Baby übers Köpfchen und flüstert: »Du kleiner Teufel! Du hast meinen Segen - und den von Emma.«

Der Alte holt ein Schäufelchen und einen Handbesen aus der Küche und beseitigt die Glassplitter auf dem Teppich. Danach geht er durch einen langen Flur, an dessen Wänden Preisurkunden und Porträtfotos hängen. Sie zeigen aber nicht ihn, sondern offenbar einen Schauspieler in verschiedenen Bühnen- oder Filmrollen, einen virilen Typ mit viel Kinn, kühlem Blick und der Nase eines Indianerhäuptlings. »John Parrock« steht auf einer der Urkunden, wir sind also in der Wohnung einer Familie Parrock. Der Alte betritt ein kleines Zimmer, das sein eigenes zu sein scheint: Auch in diesem hängen viele Fotos, auf denen vor allem eine lächelnde Frau zu sehen ist, meist zusammen mit ihm, dem Alten, in jüngeren Jahren. Er setzt sich an einen Biedermeiersekretär, dessen Schreibfläche durch einen verschließbaren Rollladen vor ungebetenen Blicken geschützt ist. Den zieht er hoch und drückt mit beiden Daumen zwei Stellen nahe der Rückwand, wodurch ein Geheimfach aufklappt. Da schimmert eine kleine Flasche Whisky, die er aber nur herausnimmt, um an das zu kommen, was darunter liegt, ein großes Kuvert, aus dem er einen mehrseitigen Brief zieht. Er liest die erste Seite, die mit der Anrede »Johann, mein lieber Sohn!« beginnt, schraubt das Tintenfass auf und greift zu einer der Federn im Becher - ja, er schreibt mit Feder und Tinte, wie man es vor hundert Jahren in den Volksschulen gelernt hat. Sein erster Strich ist die Streichung der bisherigen Anrede, dann schreibt er darüber: »Meine liebe Enkelin Mathilda«. Und an den Rand: »Wenn Du das liest, bin ich tot. Vielleicht schon so lange, dass Du Dich an Großvater Pahroc nicht mehr erinnerst.« Er korrigiert an dieser Formulierung noch ein wenig herum, malt einen Pfeil, der den Randtext unter der neuen Anrede einfügt, und liest dann das bereits Vorhandene weiter, um zu sehen, ob weitere Streichungen oder Einfügungen nötig sind.

Jetzt fällt ihm etwas Wichtiges ein. Er zieht die hölzerne Jalousie wieder über die Schreibfläche, steht auf, geht zurück in den Flur und zieht sich einen dicken Mantel an, denn dieser März ist der kälteste seit Jahrzehnten. Der Mantel ist ein geräumiges, schützendes Fellhaus mit Kapuze, ein Dufflecoat. Der alte Herr betrachtet sich im Spiegel an der Tür und ist zufrieden. Dufflecoat und Baskenmütze - schon ihretwegen liebt er den Winter. »Trevor Howard«, murmelt er vergnügt. Ja, sein Gedächtnis ist noch ganz gut. Er wäre vor sechzig Jahren nie auf die Idee gekommen, sich diesen Mantel zu kaufen, hätte nicht auch der britische Ermittler im »Dritten Mann« einen solchen getragen. Ohne den Film hätte der Siegeszug des Dufflecoats nicht stattgefunden. »Major Calloway«, sagt er, setzt die Baskenmütze schräger, verlässt die Wohnung, fährt abwärts und geht aus dem Haus. Dass ihm ein Glas in der Brille fehlt, behindert ihn kaum. Unterwegs kauft er eine Zeitung.

In der Trambahn muss er stehen. Heutzutage hebt niemand mehr für einen Hundertjährigen den Hintern vom Sitz, aber das bekümmert ihn nicht. Sollen sie doch sitzen bleiben, diese maroden Sechzehnjährigen, er kann unmöglich wollen, dass sie aufstehen, um dann vor seinen Augen aus Überanstrengung zusammenzubrechen. Er selbst kann stundenlang stehen und gehen. Der Weg von der Haltestelle bis zum Friedhof ist für ihn ein Leichtes, auch über den festgetretenen Schnee, der sich vielerorts in Eisplatten verwandelt hat - zwei Wochen vor Ostern schneit es immer noch. Als er am Grab angekommen ist, schiebt er den Schnee vom Bänkchen, breitet seine Zeitung über die Sitzfläche - nein, nur den Anzeigenteil, aber der ist dick genug -, setzt sich und schaut den Grabstein an. Unter dem Foto im ovalen Rähmchen steht: »Emma Pahroc, geb. von Schroffenstein, auf ewig geliebte Zauberin, 1912 - 1955«.

So dürfte sich das, an einem Märztag des Jahres 2012, also vor fünfeinhalb Jahren, tatsächlich zugetragen haben. Und so könnte der Film anfangen - mit einem Rätsel. Danach käme die große Rückblende, in der klar werden würde, warum der alte Mann einen Brief, den er 1955 seinem Sohn zugedacht hat, gut sechzig Jahre später um- und fortschreibt, an seine noch winzige Enkelin richtet und ihm weitere Briefe hinzufügt.

Ob es eine Buchveröffentlichung geben wird, ist zweifelhaft. Pahroc hat das alles ja nur für Mathilda geschrieben, und sie wird, wenn sie volljährig ist und es gelesen hat, über diese Frage entscheiden. Dass ich es Euch beiden zu lesen gebe, bleibt bitte erst mal unter uns. Ich weihe Euch auch aus folgendem Grund ein: Falls mir (und dem Originalmanuskript) irgendetwas zustoßen sollte, kümmert Euch bitte um Mathilda und gebt ihr Euer Exemplar zur vorgesehenen Zeit. Außerdem hattet Ihr am lebenden Pahroc Eure Freude, und ich bin sicher, dass es Euch mit diesen Briefen genauso gehen wird - ich jedenfalls liebe darin das Wahre ebenso wie das Erfundene.

Einige Briefe waren auf dem Computer, andere mit der Hand geschrieben. Es war nicht leicht für mich, Letztere vollständig zu entziffern und abzuschreiben. Pahroc brauchte keine Geheimschrift - sein Sütterlin können nur die lesen, die sich das, so wie ich, mühsam beigebracht haben. Jetzt dürften aber alle Briefe richtig wiedergegeben sein. Ich habe selbstverständlich nichts hinzugefügt, auch keine Erklärungen bis auf eine einzige. Wo Pahroc es zum Beispiel abgelehnt hat, historische Personen beim Namen zu nennen, habe ich diese Entscheidung respektiert.

Seinen Vornamen führte er nicht, wie Ihr wisst, daher ist der im Manuskript nicht zu finden, und ich denke, er fehlt auch nicht.

Obwohl Ihr ihn ja kennengelernt habt, wisst Ihr vielleicht nichts über Pahrocs Herkunft: Er wurde 1905 als Sohn von John Pahroc geboren, einem 1899 in Deutschland eingebürgerten Paiute-Indianer vom Stamm der Pahranagat aus Nevada, und einer Berlinerin namens Marianne. Dieser John war 1890 als Reiter und Tänzer mit der Wildwestshow von Buffalo Bill nach Berlin gekommen und hatte sich in die junge Frau verliebt, die der Legende nach von ihm den Kriegstanz lernen wollte und ihm dafür Walzer beibrachte. Er scheint schnell gelernt zu haben. Offenbar ist der Geistertanz der Paiute eine gute Ausgangsbasis...
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Autor

Sten Nadolny, geboren 1942 in Zehdenick an der Havel, lebt in Berlin und am Chiemsee. Für sein Werk wurde er unter anderen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 1980, dem Hans-Fallada-Preis 1985, dem Premio Vallombrosa 1986, dem Ernst-Hoferichter-Preis 1995 und dem Weilheimer Literaturpreis 2010 ausgezeichnet. Für seinen Familienroman "Weitlings Sommerfrische" bekam er 2012 den Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag.