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Der Boxer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am24.01.20181. Auflage
Ein Buch wie ein Faustschlag - Szczepan Twardochs spektakulärer Roman über die Warschauer Unterwelt der dreißiger Jahre Jakub Shapiro ist ein hoffnungsvoller junger Boxer und überhaupt sehr talentiert. Das erkennt auch der mächtige Warschauer Unterweltpate Kaplica, der Shapiro zu seinem Vertrauten macht. Doch rechte Putschpläne gegen die polnische Regierung bringen das Imperium Kaplicas in Bedrängnis; er kommt in Haft, als ihm ein politischer Mord angehängt wird. Im Schatten dieser Ereignisse bricht ein regelrechter Krieg der Unterwelt los. Jakub Shapiro muss die Dinge in die Hand nehmen: Er geht gegen Feinde wie Verräter vor, beginnt - aus Leidenschaft und Kalkül - eine fatale Affäre mit der Tochter des Staatsanwalts, muss zugleich seine Frau und seine Kinder vor dem anschwellenden Hass schützen - und nimmt immer mehr die Rolle des Paten ein. Der Aufstieg eines Verbrecherhelden zwischen Gewalt, Eleganz und Laster, seine Verletzlichkeit als Jude im Vorkriegs-Warschau: «Der Boxer» ist grandios angelegt und fast filmisch erzählt, ein Panorama mit Sportlern und Schurken, einem Mann mit zwei Gesichtern, glamourösen Huren und charismatischen Gangstern. Ein überragender, thrillerhafter Roman, der eine eruptive Epoche geradezu körperlich erlebbar macht.

Szczepan Twardoch, geboren 1979, ist einer der herausragenden Autoren der Gegenwartsliteratur. Mit «Morphin» (2012) gelang ihm der Durchbruch, das Buch wurde mit dem Polityka-Passport-Preis ausgezeichnet, Kritik und Leser waren begeistert. Für den Roman «Drach» wurden Twardoch und sein Übersetzer Olaf Kühl 2016 mit dem Brücke Berlin Preis geehrt, 2019 erhielt Twardoch den Samuel-Bogumil-Linde-Preis. Zuletzt erschienen der hochgelobte Roman «Der Boxer», das Tagebuch «Wale und Nachtfalter» und der Roman «Demut», den die NZZ als «Höhepunkt seines Schreibens» bezeichnete. Im Frühjahr 2024 erscheint der Roman «Kälte». Szczepan Twardoch lebt mit seiner Familie in Pilchowice/Schlesien.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin Buch wie ein Faustschlag - Szczepan Twardochs spektakulärer Roman über die Warschauer Unterwelt der dreißiger Jahre Jakub Shapiro ist ein hoffnungsvoller junger Boxer und überhaupt sehr talentiert. Das erkennt auch der mächtige Warschauer Unterweltpate Kaplica, der Shapiro zu seinem Vertrauten macht. Doch rechte Putschpläne gegen die polnische Regierung bringen das Imperium Kaplicas in Bedrängnis; er kommt in Haft, als ihm ein politischer Mord angehängt wird. Im Schatten dieser Ereignisse bricht ein regelrechter Krieg der Unterwelt los. Jakub Shapiro muss die Dinge in die Hand nehmen: Er geht gegen Feinde wie Verräter vor, beginnt - aus Leidenschaft und Kalkül - eine fatale Affäre mit der Tochter des Staatsanwalts, muss zugleich seine Frau und seine Kinder vor dem anschwellenden Hass schützen - und nimmt immer mehr die Rolle des Paten ein. Der Aufstieg eines Verbrecherhelden zwischen Gewalt, Eleganz und Laster, seine Verletzlichkeit als Jude im Vorkriegs-Warschau: «Der Boxer» ist grandios angelegt und fast filmisch erzählt, ein Panorama mit Sportlern und Schurken, einem Mann mit zwei Gesichtern, glamourösen Huren und charismatischen Gangstern. Ein überragender, thrillerhafter Roman, der eine eruptive Epoche geradezu körperlich erlebbar macht.

Szczepan Twardoch, geboren 1979, ist einer der herausragenden Autoren der Gegenwartsliteratur. Mit «Morphin» (2012) gelang ihm der Durchbruch, das Buch wurde mit dem Polityka-Passport-Preis ausgezeichnet, Kritik und Leser waren begeistert. Für den Roman «Drach» wurden Twardoch und sein Übersetzer Olaf Kühl 2016 mit dem Brücke Berlin Preis geehrt, 2019 erhielt Twardoch den Samuel-Bogumil-Linde-Preis. Zuletzt erschienen der hochgelobte Roman «Der Boxer», das Tagebuch «Wale und Nachtfalter» und der Roman «Demut», den die NZZ als «Höhepunkt seines Schreibens» bezeichnete. Im Frühjahr 2024 erscheint der Roman «Kälte». Szczepan Twardoch lebt mit seiner Familie in Pilchowice/Schlesien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644100275
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum24.01.2018
Auflage1. Auflage
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse7743 Kbytes
Artikel-Nr.2375771
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

× Bet

Shapiro, Pantaleon und Munja hatten meinen Vater am Freitag, dem 9. Juli 1937, getötet.

Freitagabend begann der Sabbat, und am Samstag geschah bei uns zu Hause nichts, was am Samstag eigentlich passieren sollte. Mutter saß die ganze Nacht nur am Küchentisch. Sie trug am Freitagabend nicht den Tschulent in die Bäckerei. Wir hatten Hunger. Schließlich ging mein Bruder zu den Nachbarn, barmherzigen Menschen, und bekam von ihnen einen Tschulent, der nicht gelungen, nicht aufgegangen war; sie hatten zwei, uns gaben sie den schlechteren, was man ihnen schwerlich vorwerfen kann. Mutter aß nichts, wir aßen.

Jakub Shapiro sagte oft, ihm seien die vor dreitausend Jahre in der Wüste erdachten Sitten scheißegal. Den Sabbat ehrte er nicht, aß treife Speisen und pflegte zu sagen, er lese gern Marx, lieber aber las er nur Zeitungen, am liebsten rote, und Prosa auf Jiddisch.

Am Sabbat, dem 10. Juli, frühstückte er mit seinen Söhnen, danach rief er die Redaktion des «Warschauer Kuriers» an, der bedeutendsten polnischen Zeitung, um mit durch ein Taschentuch verstellter Stimme mitzuteilen, dass in einer Lehmgrube bei Latchorzew eine Leiche liege, Genaueres später.

Der Redaktionspraktikant vom Dienst lief mit dieser Meldung los, und die Sache kam ins Rollen. Zwei Stunden später standen Kommissar Czerwinski von der IV. Abteilung der staatlichen Polizeihauptkommandantur und Redakteur Witold Sokolinski vom «Warschauer Kurier» am Ufer der Latchorzewer Lehmgrube und erörterten rauchend die Frage, wie es für die vier Schutzmeister wohl sei, auf der Suche nach einer Leiche bis zur Hüfte durchs Wasser zu waten. Einerseits bei dieser Hitze angenehm, denn das Wasser war kühl. Andererseits, mit der Leiche im Wasser, recht ekelhaft.

Redakteur Witold Sokolinski war mittelgroß und hatte einen spitzen, kahlen Schädel, dazu mäßiges, aber unschönes Übergewicht, weil es sich weich und gleichmäßig verteilte wie bei einem Eunuchen. Er war auf geradezu bizarre Art ungesellig, kam weder mit Frauen noch mit Männern zurecht, verschreckte alle durch ein nervöses Kobold-Lächeln, hinter dem er seine ständige Verlegenheit verbarg. Mit seinen journalistischen Verpflichtungen war er deshalb nicht gerade glücklich, ihn passionierte ausschließlich das Geld, das zugleich ewig fehlte, und nichts beschäftigte ihn mehr als die Frage, wie viel ein Kollege aus der eigenen Redaktion oder von der Konkurrenz verdiente. Er lebte im dauerhaften Argwohn, dass dieser oder jener mehr verdienten als er, was er als persönliche Beleidigung empfand. Da er bei der Chefredaktion der Zeitung unbeliebt war, lag er mit seinem Verdacht oft richtig.

Außerdem hatte er panische Angst vor Mikroben. In der Tasche trug er ein Fläschchen Spiritus, mit dem er sich die Hände desinfizierte, sobald er irgendetwas anzufassen gezwungen war. Mikroben finden sich bekanntlich überall. Zwei Tücher trug er in den Taschen seiner altmodischen Anzüge mit sich: eins zum Abwischen der schweißnassen Glatze und des Gesichts, das andere, mit Spiritus getränkt, zur Desinfizierung der Hände, wenn er jemandem die Hand hatte geben müssen. Seinem Ruf war all das nicht förderlich. Klinken drückte er mit dem Ellbogen hinunter. Er hatte eine hässliche Frau und drei missratene Söhne, und nicht einmal die hatten Respekt vor ihm.

Die Polizisten bewiesen Sokolinski unverhohlene Geringschätzung.

«Hau ab, du Stinker ...», zischelte Wachtmeister Barlicki, als er den Journalisten erblickte. Es war Barlicki gewesen, der den kopf- und gliederlosen Rumpf gefunden hatte.

«Abrechnung», seufzte Kommissar Czerwinski bei dem makabren Anblick, ein gut genährter Warschauer Bürger, der eher nach Buchhalter als nach einem Kriminaler aussah. Doch Gangster, die sich von seinem Aussehen in falscher Sicherheit wiegen ließen, bezahlten das teuer.

«Jude», sagte Wachtmeister Barlicki und zeigte auf den beschnittenen Penis meines Vaters, den Pantaleon und Munja ihm gelassen hatten.

«Hat bestimmt nicht gezahlt», fügte Redakteur Sokolinski hinzu.

«Kaplica zahlt man besser, wie man sieht», resümierte Czerwinski.

«Denken Sie, das war er ...?», zögerte Sokolinski.

«Klar. Sein Modus Operandi.»

Sokolinski zog Notizblock und Bleistift, notierte etwas.

«Darf ich zitieren?»

«Natürlich nicht», schauderte Czerwinski. «Ist Ihnen Ihr Leben gar nichts wert?»

Sokolinski erschrak fürchterlich. Vor körperlicher Gewalt hatte er große Angst.

«Wenn er das war, also Kaplica, dann geht es ihm doch nur um eins ... meinen Sie nicht?» Er machte eine hilflose Pause. «Also, darum, im Kurier zu stehen. Damit alle Angst kriegen», stellte er nach kurzem Nachdenken fest.

Czerwinski sah ihn aufmerksam an, antwortete aber nicht.

«Wissen Sie, das alles hat wissenschaftliche Grundlagen. Rationale Gründe. Die Wissenschaft ist die Basis, richtig? Nur auf wissenschaftlichem Weg gelangt man zur Wahrheit. Ich bin nämlich von der Ausbildung her Chemiker, verstehen Sie? Und eugenisch gesehen, sind die Juden eine minderwertige Rasse, verstehen Sie? Das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Wissenschaftlich.»

Czerwinski schüttelte den Kopf und ging an seine Dienstnotiz. Redakteur Sokolinski schüttelte ebenfalls den Kopf und gab nach. Czerwinskis beschränkter Geist schien nicht viel auf die Macht des Verstandes zu geben.

«Bestimmt glauben Sie auch noch, dass irgendein Götze den Menschen aus Lehm geknetet hat und die Erde flach ist», brummte er dem Polizisten hinterher.

Czerwinski hörte das und stürzte auf den Journalisten zu, als wollte er ihn schlagen. Sokolinski wollte vor Schreck zur Seite springen, stolperte aber über seine eigenen Beine und klatschte mit dem Hintern in den Sumpf.

«Dumme Witze ...», schimpfte er.

Die Wachtmeister hievten den Leichnam meines Vaters auf die Ladefläche des Polizeitransporters. Redakteur Sokolinski stieg aufs Rad und strampelte ohne Hut und mit verschlammtem Hosenboden in Richtung Warschau. Für einen Rennfahrer war er ganz schön dick.

Czerwinski sah ihm grübelnd nach.

«Sehen Sie, Wachtmeister», sagte er nachdenklich zu Barlicki. «Wenn man diesem Glatzkopf ein Loch in den Scheitel bohren würde, dann würde der aussehen wie ...»

«Wie ein Arsch, Herr Kommissar. Arsch mit Ohren.»

 

Ich saß zu dieser Zeit zu Hause. Ein abgerissener, barfüßiger Junge mit viel zu großem Hemd klopfte an unsere Wohnungstür. Er händigte mir einen Umschlag aus. Ich gab ihm zehn Groschen, er lief davon. Der Umschlag enthielt eine Eintrittskarte für den Boxkampf im Stadtkino. Ich hätte sie verbrennen sollen, aber ich habe es nicht getan. Stattdessen bin ich zu dem Kampf gegangen.

Ich frage mich heute selbst - warum bin ich hin? Ich habe mich auch gestern und vor zehn Jahren gefragt und vor dreißig, und ich weiß es nicht.

Nachdem der Bengel weg war, kam Magda. Magda Aszer. Sie klopfte nicht, sie kam einfach rein.

Sie war älter als ich, wenn auch nur ein Jahr. Stammte aus einer ganz anderen Familie als der meinen, bei ihr zu Hause wurde Polnisch gesprochen, Jiddisch sprachen die Eltern nur, wenn sie wollten, dass die Kinder sie nicht verstanden, ins Gotteshaus ging man selten bis nie, an der Tür war keine Mesusa, die Küche war nicht koscher, und man las die «Rundschau», nicht den «Hajnt». Jiddisch lernten die Kinder auch so, hier zu leben und nicht Jiddisch sprechen war unmöglich, aber Magda zog Polnisch vor. Außerdem sah sie nicht aus wie eine Jüdin. Sie hatte helles, krauses Haar, das sie mit großem Eifer glättete, dunkelblaue Augen und ein breites, slawisches Gesicht mit vorstehenden Wangenknochen. Hübsch war sie nicht, hässlich auch nicht, sie war nicht sehr groß, muskulös, mit kräftigen Schultern und beinahe männlichem Bizeps. Das kam vom Schwimmen.

Ich habe später oft gedacht, dass Magda irgendwie Emilia Shapiro ähnelt, Jakubs Frau. Sie hatten etwas gemeinsam, und zwar nicht nur die breiten, athletischen Schultern. Magda schwamm, schwamm leidenschaftlich, drei Mal in der Woche war sie im Schwimmbad von Makkabi, an der Anlegestelle in Saska KÄpa, einige Male hat sie mich eingeladen, ich bin hingegangen und habe zugesehen, wie sie schwamm, mit weißem Badeanzug und der unterm Kinn geknöpften Badekappe, obwohl mein Vater mir gern Geschichten von den Zaddiks erzählte, die sich beim Anblick einer Frau die Augen zuhielten und es nicht wagten, sich in der Nähe einer Frau aufzuhalten, wenn kein anderer Mann dabei war, der sie vor der Sünde bewahren konnte. Heute weiß ich, dass nicht die beiden einander ähnelten, sondern ihre ganze Generation, all diese jüdischen Mädchen und Frauen - die ersten, die schwammen, liefen, Hochsprung trainierten, in Grochów den Landbau erlernten und anschließend noch Schießen und all dies in Warschau ebenso ausübten wie in Palästina.

Und ich, der magere jüdische Junge mit Jarmulke, Pejes hinterm Ohr und in einem Rock bis über die Knie, ich sah zu, wie Magda schwamm und aus dem Wasser stieg, wie sie die Kappe aufknöpfte und vom Kopf zog, die Haare trocknete, und unter dem weißen Badeanzug standen die Warzen ihrer kleinen Brüste.

Ich wusste, dass es Sünde war, so zu schauen. Es war mir egal.

Wäre mein Vater in Warschau geboren, es wäre auch ihm egal gewesen, aber der fromme Naum Bernstein war in Åomża geboren und am Rand einer Lehmgrube in Latchorzew gestorben, nach Warschau gekommen war er nach dem Ersten Krieg schon als Erwachsener, Ehemann seiner Frau, ein armer, aber frommer Jude aus geachteter Sippe, und,...
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Autor

Szczepan Twardoch, geboren 1979, ist einer der herausragenden Autoren der Gegenwartsliteratur. Mit «Morphin» (2012) gelang ihm der Durchbruch, das Buch wurde mit dem Polityka-Passport-Preis ausgezeichnet, Kritik und Leser waren begeistert. Für den Roman «Drach» wurden Twardoch und sein Übersetzer Olaf Kühl 2016 mit dem Brücke Berlin Preis geehrt, 2019 erhielt Twardoch den Samuel-Bogumil-Linde-Preis. Zuletzt erschienen der hochgelobte Roman «Der Boxer», das Tagebuch «Wale und Nachtfalter» und der Roman «Demut», den die NZZ als «Höhepunkt seines Schreibens» bezeichnete. Im Frühjahr 2024 erscheint der Roman «Kälte». Szczepan Twardoch lebt mit seiner Familie in Pilchowice/Schlesien.Olaf Kühl, 1955 geboren, studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte und arbeitete lange Jahre als Osteuropareferent für die Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er ist Autor und einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen, u.a. wurde er mit dem Karl-Dedecius-Preis und dem Brücke Berlin-Preis ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, «Der wahre Sohn», war 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert.
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Twardoch, Szczepan