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Und Marx stand still in Darwins Garten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am11.08.2017Auflage
England, 1881. Zwei bedeutende Männer leben nur wenige Meilen voneinander entfernt: Charles Darwin in einem Pfarrhaus in Kent und Karl Marx mitten in London. Beide haben mit ihren Werken, der eine zur Evolution, der andere zur Revolution, die Welt für immer verändert. Beide wissen es und sind stolz darauf. Und doch sind sie schlaflos und melancholisch. Darwin hat den Schöpfer abgeschafft, fühlt sich missverstanden und forscht inzwischen still am Regenwurm. Marx grollt der Welt, wartet ungeduldig auf ein mutiges Proletariat, das den Kapitalismus hinwegfegt, verzettelt sich beim Schreiben und kommt über Band 1 des 'Kapitals' nicht hinaus. Eines Abends begegnen sich die beiden bei einem Dinner zum ersten Mal. Schnell kreist ihre Diskussion um Gott und Gerechtigkeit - doch unausweichlich kommt es zum Streit, und der Abend endet in einem Eklat. Dennoch haben der großbürgerliche Naturforscher und der ewig klamme Revolutionär mehr gemeinsam, als sie sich eingestehen wollen.   In ihrem wunderbaren Roman verbindet Ilona Jerger Fabulierlust mit wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnissen, die den Weltenlauf maßgeblich beeinflusst haben. Ein warmherziges und humorvolles Porträt zweier großer Männer, deren Disput zeitgemäßer nicht sein könnte.  

Ilona Jerger ist am Bodensee aufgewachsen und studierte Germanistik und Politologie in Freiburg. Von 2001 bis 2011 war sie Chefredakteurin der Zeitschrift 'natur' in München. Seither arbeitet sie als freie Journalistin. Als Sachbuchautorin hat sie bei C.H. Beck und Rowohlt veröffentlicht. Und Marx stand still in Darwins Garten ist ihr erster Roman.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextEngland, 1881. Zwei bedeutende Männer leben nur wenige Meilen voneinander entfernt: Charles Darwin in einem Pfarrhaus in Kent und Karl Marx mitten in London. Beide haben mit ihren Werken, der eine zur Evolution, der andere zur Revolution, die Welt für immer verändert. Beide wissen es und sind stolz darauf. Und doch sind sie schlaflos und melancholisch. Darwin hat den Schöpfer abgeschafft, fühlt sich missverstanden und forscht inzwischen still am Regenwurm. Marx grollt der Welt, wartet ungeduldig auf ein mutiges Proletariat, das den Kapitalismus hinwegfegt, verzettelt sich beim Schreiben und kommt über Band 1 des 'Kapitals' nicht hinaus. Eines Abends begegnen sich die beiden bei einem Dinner zum ersten Mal. Schnell kreist ihre Diskussion um Gott und Gerechtigkeit - doch unausweichlich kommt es zum Streit, und der Abend endet in einem Eklat. Dennoch haben der großbürgerliche Naturforscher und der ewig klamme Revolutionär mehr gemeinsam, als sie sich eingestehen wollen.   In ihrem wunderbaren Roman verbindet Ilona Jerger Fabulierlust mit wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnissen, die den Weltenlauf maßgeblich beeinflusst haben. Ein warmherziges und humorvolles Porträt zweier großer Männer, deren Disput zeitgemäßer nicht sein könnte.  

Ilona Jerger ist am Bodensee aufgewachsen und studierte Germanistik und Politologie in Freiburg. Von 2001 bis 2011 war sie Chefredakteurin der Zeitschrift 'natur' in München. Seither arbeitet sie als freie Journalistin. Als Sachbuchautorin hat sie bei C.H. Beck und Rowohlt veröffentlicht. Und Marx stand still in Darwins Garten ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843715829
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum11.08.2017
AuflageAuflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse721 Kbytes
Artikel-Nr.2379733
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Der Regenwurm

Frierend saß er im Bett, den Kopf in beiden Händen, und stöhnte. Nur die Regenwürmer würden seinen Schmerz jetzt lindern können. Charles tastete nach den Streichhölzchen, zündete die Kerze auf dem Nachttisch an, schaute auf seine Taschenuhr und war wieder einmal untröstlich, dass er damals die goldene Uhr seines verehrten Herrn Papa für einen Billardtisch verhökert hatte. Sofort versuchte er derlei Gedanken über Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit lagen und die man naturgemäß nicht mehr ändern konnte, an ihrer Ausbreitung zu hindern. Denn hatten sie einmal die Gelegenheit bekommen, ihre deprimierende Wirkung in allen Gliedern zu entfalten, war es schwer, zu einer schöneren Sichtweise des Lebens zurückzufinden.

Charles wunderte sich, warum er in diesen durch Alpträume und Schlaflosigkeit zerstörten Nächten, in denen er doch ohnehin schon gestraft genug war, auch noch dazu neigte, sich mit Vorwürfen zu traktieren; er es nicht lassen konnte, der nächtlichen Verzweiflung über das Herumwälzen weitere drückende Gedanken hinzuzufügen. Und dies alles in der bangen Erwartung des Zerschlagenseins am folgenden Tag. Es war schrecklich. Das Erforschen des Schlafs oder eben des Nichtschlafs mit den dazugehörenden Abläufen im menschlichen Körper erschien Charles wie eine riesige wissenschaftliche Brachfläche. Dieses Feld jedoch müssten andere umgraben, auf ihn warteten im unteren Stockwerk die Regenwürmer mit ihrer stillen Tätigkeit: der Bildung von Ackererde.

Er sah, dass es drei Uhr war, stand auf, suchte, vom Kopfschmerz gereizt, im Halbdunkel nach seinem Wollschal und schlich so leise wie möglich die Treppe hinunter. Während die rechte Hand am Treppengeländer Halt suchte, überlegte er, wie lange er eigentlich noch auf den nächsten Besuch von Doktor Beckett warten musste. Dieses Mal war der Abstand etwas länger, da Doktor Beckett auf ein neues Mittel gegen Kopfschmerzen wartete, das, so hatte er angekündigt, Anlass zur Hoffnung auch bei der Behandlung chronischer Migräne gebe, besonders jener mit ausgeprägter Übelkeit. Schon dieses Hoffen verschaffte Charles eine kleine Erleichterung. Außerdem waren Doktor Becketts Hausbesuche stets willkommen und stimmten ihn, bereits Tage zuvor, in Maßen zuversichtlich. Er mochte die Gespräche mit seinem Arzt, weil dieser dem wissenschaftlichen Fortschritt zugeneigt war, und auch, weil er recht couragiert neue Heilmethoden erprobte.

Charles tastete sich vorsichtig durch sein Arbeitszimmer, um ja nicht den Boden zu erschüttern. Und um bloß nicht über einen der Töpfe zu stolpern. Dann wären die Würmer für das Experiment verloren. Jedenfalls für diese Nacht. Vielleicht hätte er bei der Bestellung des Geschirrs präzisere Angaben machen sollen. Denn weiße Schüsseln wären in dieser Dunkelheit sicherlich besser zu erkennen gewesen. Vor einigen Wochen hatte er bei der Keramikfabrik in Etruria um eine Fuhre Steingut gebeten, immerhin war seine Frau Emma eine geborene Wedgwood. In einem Brief an die Geschäftsleitung hatte er geschrieben, man solle doch bitte Ausschuss schicken, er brauche Töpfe aller Art für neue Versuche. Dass es sich dieses Mal nicht um Clematis und Primula handelte, hatte er verschwiegen. Doch vermutlich hätten die Wedgwoods ihre »Queen´s Ware« und die missratenen Kopien etruskischer Vasen auch für Würmer hergegeben, denn Charles Darwin war in jenen Tagen des Vorfrühlings 1881 schon seit Jahrzehnten ein berühmter Mann. Seine Bücher wurden in allen Erdteilen gelesen, was sich auf den Postsack auswirkte, der ihm täglich zugestellt wurde: Auf Südseeinseln rupften Botaniker Wurzeln aus der Erde, in Brasilien klebte ein Naturfreund Schmetterlingsflügel aufs Briefpapier, in Lappland vermaßen Einwohner Elchgeweihe. Aus allen Himmelsrichtungen kamen Fundstücke und Fragen. Manches war kostbar, vieles lästig. Beobachtungen zum Fußknöchelchen einer Taube oder die minutiöse Beschreibung einer Affenmähne in Kalkutta, alles landete in Down House. Und natürlich ging es in vielen Briefen, die ihn erreichten, um die Frage nach Gott: Brauchte es in der Welt, die von den Gesetzen der Evolution vorangetrieben wurde, noch einen Schöpfer?

Die Hälfte aller Narren aus der ganzen Welt schreibe ihm, um die dümmsten Fragen zu stellen, hatte Charles noch am Tag zuvor beim Dinner gemurrt. War sein Kopfschmerz besonders bohrend, kam es vor, dass er einen Briefschreiber harsch abfertigte: »Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ich nicht an die Bibel als göttliche Offenbarung glaube und daher auch nicht an Jesus Christus als den Sohn Gottes.«

Jedenfalls war, wenige Tage nach Darwins Gesuch, eine Kutsche aus der Wedgwood-Töpferei mit drei großen scheppernden Kisten in Down House eingetroffen. Und nun, in diesen schlaflosen Stunden, würde Charles seine Würmer mit einer Paraffinlampe anleuchten. Auf das Kerzenlicht in der Nacht davor hatten die Tiere nicht eindeutig reagiert. Einige hatten sich in die Erde zurückgezogen, andere nicht.

Charles nahm seine Wurmlisten aus dem Schreibtisch und legte Stoppuhr und Stift bereit. Er wollte endlich herausfinden, ob und wie diese Wenigborster, die des Nachts umherwanderten - und sei es auch nur im beengten Umkreis der Wedgwood-Schüsseln -, auf Helligkeitsreize reagierten. Dass sie taub waren, hatte er bereits bewiesen. Die Würmer hatten nicht einmal auf die Trillerpfeife seines Enkels Bernard reagiert, der ganz wild war auf diese Versuche und mit roten Backen das jeweilige Kommando des Großvaters erwartete. Aufgeregt hatte er die Luft angehalten, um im entscheidenden Moment mit aller Kraft seine Lungen in den Dienst der Forschung zu stellen. Und jedes Mal war er bitter enttäuscht, dass die Würmer nicht reagierten, so stark er auch geblasen hatte.

Emma nahm deren offenkundige Taubheit gelassener hin. Charles hatte ihr zwei Töpfe auf einen Tisch neben das Klavier gestellt, mit einer feinen Glasplatte bedeckt, damit kein Luftzug das Experiment verfälschte. Egal, ob sie Schubert oder Händel spielte, sie hörten einfach nichts. Warum auch hätte der Herrgott einem Wesen, das untertage immerzu Erde fraß, Ohren mitgeben sollen?

Charles antwortete ihr auf derlei Fragen schon lange nicht mehr, er lächelte und schwieg. Als er ihr jedoch mit verschmitztem Gesicht und begleitet von einem kleinen Wangenkuss die Töpfe direkt aufs Klavier gestellt hatte, geschah das Erhoffte. Emma schlug ein tiefes C an, woraufhin die Würmer sich sofort in ihre Löcher verkrochen. Kaum lugten sie wieder hervor, gab Charles mit zitternder Hand erneut den Einsatz, diesmal für ein G im Diskant, und wieder fuhren die Würmer rapid in ihre Höhle zurück. Charles las die Stoppuhr, jubelte, was Emma etwas übertrieben fand, und kritzelte die Ergebnisse in seine Liste, sekundengenau. Sooft die beiden den Versuch wiederholten, es war immer das gleiche Spiel: Der Regenwurm spürte offenbar Schwingungen und Erschütterungen, die durch den Resonanzboden des Klaviers via Topf und feuchte Erde zur Wurmhaut drangen, er war aber tauber als Beethoven, wie Emma hochzufrieden feststellte. Denn hörende Würmer wären ihr in Gottes wohlgestaltetem Reich widersinnig erschienen.

Im fahlen Licht des Mondes, der hälftig und schief am Himmel über der Grafschaft hing und seinem Arbeitszimmer mit all den Werkzeugen des tüchtigen Naturforschers und den in Spiritus eingelegten Zeugnissen seltener Anatomien etwas Unheimliches verlieh, nahm Charles vorsichtig Schirm und Zylinder von der Paraffinlampe ab. Er zündete den Docht an und wartete, bis die Flamme aufhörte zu flackern und sich in eine wohlgeformte ovale Gestalt verwandelte. Er mochte diesen Übergang und nahm das friedliche Licht in sich auf. Das Aufgewühlte, das ihn seit Jahrzehnten aus dem Bett trieb, diese bittere Melange aus Schlaflosigkeit, Fehlverdauung und nervösem Kopfweh, begann sich in diesem Augenblick zu mäßigen.

Charles näherte sich dem ersten umherwandernden Wurm, der blitzartig in der Erde verschwand, sobald das Licht ihn erhellte. Der nächste Wurm reagierte nicht. Der übernächste auch nicht. Dann schoss wieder einer zurück. Das Ergebnis war unbefriedigend.

Charles betrachtete in Ruhe die Darmausgüsse seiner Schützlinge und dachte nach. Vielfach wiederholte er sein Experiment, er brauchte genügend Zahlenmaterial. Doch auch wenn die Tiere sich nicht sofort zurückzogen, nach einer Weile taten sie es immer. Diese Bummler aber machten etwas, was er mit besonderer Hingabe beobachtete: Sie hoben in aller Langsamkeit, als wollten sie kein Aufhebens machen, das vordere, sich verdünnende Ende ihres Körpers vom Boden hoch und verrieten in dieser Haltung, dass ihre Aufmerksamkeit erregt war und sie eine Art von Überraschung spürten. Charles gefiel diese Vorstellung des feinfühligen, einen Grund für die Aufregung suchenden Wurms und betrachtete die Nachtwanderer anerkennend.

Manchmal bewegten die augenlosen Tiere dabei ihren Körper von einer Seite zur anderen, als ob sie nach einem Gegenstand tasteten. Er vergaß den schmerzenden Kopf und kritzelte in sein Notizbuch: »Der Regenwurm ist ein furchtsames Wesen. Da diese Tiere keine Augen haben, müssen wir annehmen, dass das Licht durch die Haut durchtritt und in irgendeiner Weise ihre Nerven reizt. So sind sie in den Stand gesetzt, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Ausnahmslos ziehen sich beleuchtete Würmer innerhalb von fünf bis fünfzehn Minuten in ihre Höhlen zurück.«

Die ganze Nacht fuhren die Tiere fort, sich so zu benehmen. In den frühen Morgenstunden wurde Charles Zeuge einer Regenwurmliebe. Er verscheuchte aufkeimende Skrupel und begann, das Pärchen unter Lichtbeschuss zu setzen. Vergnügt stellte er fest, dass die geschlechtliche Leidenschaft stark genug war, ihre...
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Autor

Ilona Jerger ist am Bodensee aufgewachsen und studierte Germanistik und Politologie in Freiburg. Von 2001 bis 2011 war sie Chefredakteurin der Zeitschrift "natur" in München. Seither arbeitet sie als freie Journalistin. Als Sachbuchautorin hat sie bei C.H. Beck und Rowohlt veröffentlicht. Und Marx stand still in Darwins Garten ist ihr erster Roman.
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