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Ein praktischer Mann

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
284 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am26.05.20171. Auflage
Bengt rühmt sich, ein normaler Mann zu sein, einer, der nie emotional reagiert. Aber da passiert etwas, das sein Leben radikal verändert: Seine Frau verschwindet spurlos. Ein wunderbar doppelbödiger Roman, hintergründig und spannend. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Anna Bergmark, geboren 1963, studierte Literaturwissenschaft und lebt heute in Nordschweden. Ihr erster Roman «Ein praktischer Mann» wurde in der schwedischen Presse sehr gefeiert.
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Produkt

KlappentextBengt rühmt sich, ein normaler Mann zu sein, einer, der nie emotional reagiert. Aber da passiert etwas, das sein Leben radikal verändert: Seine Frau verschwindet spurlos. Ein wunderbar doppelbödiger Roman, hintergründig und spannend. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Anna Bergmark, geboren 1963, studierte Literaturwissenschaft und lebt heute in Nordschweden. Ihr erster Roman «Ein praktischer Mann» wurde in der schwedischen Presse sehr gefeiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105618073
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum26.05.2017
Auflage1. Auflage
Seiten284 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2382054
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


I Das verräterische Herz


Tag 1 Montag

An diesem Morgen stand ich auf als ein amputierter Mann.

Ein Schatten unseres früheren Wir.

So war es - und dennoch schien die Ordnung der Dinge endlich so viel günstiger.

Ja, plötzlich wandte Der Herr das Wetter.

Der Sturm zog vorüber.

Die Wolken zerstreuten sich.

Die Sonne schien wieder durch die Sprossenfenster, malte schiefe, goldgelbe Rechtecke auf die Kiefernböden, füllte das Zimmer mit Horden tanzender Staubkornderwische.

Idylle breitete sich aus.

Als ich die Rollos an den Schlafzimmerfenstern hochzog, sah ich über die Äcker und Wiesen, sah ich, wie der mächtige, bleiche Hintern der Stille sich über die Gegend legte, es sich bequem machte. Demütig. Genügsam. Schwer.

Und so war es wohl vorbei, dachte ich. Trotz allem.

Es war der erste Tag.

Ein neuer Anfang.

Dies war der erste Tag ohne Polizisten, Wehrpflichtige und Freiwillige, ohne Hunde, die kläffend an allzu kurzen Koppeln zerrten, winselten und einander schamlos am Hinterteil beschnüffelten. Ja, der Hof war endlich leer. Alles war still und ruhig, und insofern war es wirklich vorbei. Die Normalität kehrte langsam, heiß ersehnt, aus dem Exil zurück. Das Gras leuchtete grüner. Gute astrologische Zeichen füllten den Morgenhimmel - und was passierte?

Fühlte ich mich leichter?

Ging es mir besser?

Nein.

Die Antwort war nein. Es ging mir schlechter (wenn möglich ging es mir noch schlechter), und auch dies war eine Auswirkung der Ordnung der Dinge. Ist eine Schwierigkeit überwunden, wartet eine andere, so ist es, so wird es immer sein. Glaubt mir. Ich weiß es. Wenn es etwas gibt, das ich weiß, etwas, das ich gelernt habe aus dieser Geschichte, dann genau das:

Wenn ein Elend endet, fängt ein anderes an - und dieses andere war zurzeit das Vermissen.

Es war natürlich unvermeidlich. So im Nachhinein ist das leicht zu erkennen. Ich hatte ganz einfach keine Chance, nicht die geringste. Unsere Leben waren zu sehr ineinander verwoben. Es ist einfach festzuhalten:

An diesem Morgen stand ich auf als ein amputierter Mann. Ja, schon die Tatsache, dass ich aus einem nur zur Hälfte zerknitterten Doppelbett aufstand, verursachte Phantomschmerzen, und so ging es weiter.

Als ich in die Diele hinunterkam, war das Erste, was ich sah, ihre roten, abgelaufenen Gummistiefel.

Als ich in die Küche ging, musste ich mich an einen einsamen, öden Frühstückstisch setzen.

Als ich weiterging, ins Badezimmer, fand ich zwei Zahnbürsten im Badezimmerschrank, eine weiße und eine blaue, in einem abgestoßenen, kalkfleckigen Wasserglas. Ja, was ich auch tat, wie ich mich auch drehte und wendete, etwas erinnerte an Eva, oder genauer gesagt, etwas erinnerte daran, dass sie nicht mehr da war. Und wie gesagt ... Das war natürlich zu erwarten, irgendwie unvermeidlich, unter den Umständen völlig natürlich - und merkwürdig.

Klar.

In dem Punkt habt ihr Recht. Wenn ihr es so sagt ... Klar.

Es war vielleicht der erste Tag ohne schnuppernde Hunde und herumschnüffelnde Polizisten, aber es war ja nicht der erste ohne Ehefrau. Nein, an diesem Montagmorgen war sie seit einer Woche fort, tatsächlich auf den Tag eine Woche, und erst da anfangen, sie zu vermissen? Ja, rein gefühlsmäßig, meine ich. Erst da das Haus leer finden?

Doch ... Es kann schon etwas seltsam wirken, ich gebe es zu.

Ich hatte ja mehrere Tage allein gefrühstückt (und zu Abend gegessen auch, wenn nicht die Schwiegereltern hier waren), hatte wieder und wieder die Gummistiefel und die blaue Zahnbürste gesehen, also klar, klar kann dieses Vermissen sowohl wie ein etwas zu später Plan als auch wie ein plötzlicher Einfall wirken, aber ihr versteht ...

Es war nie ruhig genug gewesen.

Stellt es euch selbst vor.

Stellt euch das Durcheinander vor, in dem ich gelebt habe.

Mit den Fremden und den Fragen. Dem Regen und der Kälte. Den endlosen Waldpfaden und Mooren und Kahlschlägen und dem fernen Hundegebell, ebenso unheilschwanger wie Nebelhörner im ewigen Dunst.

Es war wie einen Thriller im Fernsehen zu erleben. Gespenstisch. Vollkommen unwirklich. Irgendwie jenseits. Und dann waren da natürlich die Unruhe und die Hoffnung. Blütenblatt um Blütenblatt vom Stiel gezupft:

Finden sie sie?

Finden sie sie nicht?

Finden sie sie?

Finden sie sie nicht?

Nein, stellt es euch selbst vor. Betrachtet man es aus diesem Winkel, entdeckt man, dass es vermutlich überhaupt nicht seltsam ist, dass es sich etwas hinzog.

Während der ersten, chaotischen Woche, als alle noch immer suchten, existierte ich wie im Traum. Das wirkliche Leben schob ich auf. Ja, während dieser Zeit war ich unempfänglich für alles, für alles außer dem eigenen Selbsterhaltungstrieb, und erst danach holten die Gefühle die sich überschlagende Entwicklung ein, erst als der Zirkus und all die Leute weitergezogen waren, wurde die Realität wieder zugänglich für mich:

Eva war nicht mehr da.

Wieder und wieder wurde ich daran erinnert.

Nicht.

Mehr.

Da.

Immer wieder war ich gezwungen, an den Worten zu schmecken, zu saugen, sie auszuspucken - und sie schmeckten, kurz gesagt, abscheulich. Ja, ohne Übertreibung kann ich sagen, dass sie mir Übelkeit verursachten, physische Übelkeit, und trotzdem ...

Als ich dort auf der Toilette saß und düster die vier Handtücher am Waschbecken anglotzte, von denen zwei von mir und zwei von ihr waren, und es mir den Magen umdrehte und das Vermissen ebenso konkret schien wie ein heftiger, schmerzhafter Durchfall, ja, da war es nicht das Vermissen. Es war nur der Vorname.

Wie soll ich es erklären?

Obwohl ich nicht daran denken wollte, war ich unfähig, es zu lassen, und obwohl ich immer wieder darauf zurückkam, war ich ebenso unfähig, es zu greifen.

Vermutlich wollte ich es nicht. (Klage mich an, wer will.) Ja, vermutlich war es so. Es war zu schrecklich, und also wehrte ich mich. Obwohl ich glaubte, ich suhlte mich darin, wehrte ich mich, und übrig von dem Ganzen blieb eine knieweiche, apathische Übelkeit. Energie hatte ich keine und auch keinen Willen. Die Hände tief in den Hosentaschen lief ich herum, im Haus herum, maß ich Schritt für Schritt die Räume aus, während meine Gedanken wie scheue, angsterfüllte Mäuse die Fußleisten entlangraschelten.

Kam ich an einem Fenster vorbei, glotzte ich desinteressiert hinaus, starrte eine Weile den klaren blauen Himmel und das überwältigende Grün an, bevor ich die Achseln zuckte und wieder weitermarschierte. Es hätte ebenso gut regnen können. Ich sah, und ich sah doch nicht. Ich wusste, sie war fort, und weigerte mich doch, es einzusehen, aber die Einsicht war nicht nur schwer verdaulich, sie war auch hartnäckig.

Während dieses ganzen ersten, ruhigen Tages setzte sie mir zu. Drückte sie, nagte, biss, zerrte sie. Ja, während dieses ganzen gelähmten, apathischen Tages, und schließlich, nach dem Abendessen (gebratene Fleischwurst und Schnellkochnudeln, weil ich etwas essen musste), ja, da sank sie schließlich in mich ein, die Einsicht, da traf sie mich mit voller Kraft. Unmittelbar.

Vielleicht lag es daran, dass ich mit nur einem Teller dastand, einem Löffel, einer Kaffeetasse. Ich weiß nicht. Oder vielleicht war einfach etwas in mir, das herangereift war und jetzt aufplatzte wie ein eitriges Geschwür, denn wie durch einen Zauberschlag stand alles klar vor mir.

Sie war fort.

Jetzt begriff ich es.

Begriff ich.

Übers Spülbecken gebeugt, das fließende Wasser in den Ohren rauschend, erkannte ich die Konsequenzen dessen, was geschehen war, erkannte ich das Ausmaß meiner Einsamkeit.

Zuerst weinte ich nur ein bisschen vor mich hin, beinah schön, glaube ich, den Kopf schwer gegen die Küchenschranktür gelehnt, aber als ich einmal angefangen hatte, konnte ich nicht aufhören, und zu meinem Entsetzen spürte ich, wie das Weinen immer stärker und stärker wurde. Wie eine Krebsgeschwulst drohte es mich zu zerreißen, ging es in ein hemmungsloses Schluchzen über, in einen unkontrollierten Überfluss von Sentimentalität. Ein und aus atmete ich, schnell, schnell, schnaubend wie ein Pferd, hyperventilierend, mit heißen, brennenden Tränen, die mir über die Wangen strömten, und zähflüssigem Rotz, der aus den Nasenlöchern über die Oberlippe in den weit offenen, nach Luft schnappenden Mund kroch.

Ob ich in diesem Augenblick trauerte oder nur mir selbst Leid tat, ist schwer zu entscheiden. Vielleicht ist das immer ein und dasselbe. Wie dem auch sei, ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Benommen von einer Überdosis Sauerstoff sank ich auf alle Viere, schluchzend, schnüffelnd, brüllend wie ein verlassenes Elchkalb. Wie ein Faden aufgekochter Zuckerlösung näherte sich der Rotz jetzt dem Küchenbodenbelag, langsam, gewissermaßen zögernd, vor mir schwingend wie ein Pendel, im Takt mit den ruckartigen Bewegungen des Kopfes.

Mein ganzer Körper bebte, Beine und Hinterbacken zitterten, die Ellbogen drohten wieder und wieder nachzugeben, aber im Einklang mit der zunehmenden Erschöpfung ließ allmählich auch das Weinen nach, wurde es zu einem Rinnsal, zu den letzten herausgeschüttelten Tropfen, und dann lag ich da auf dem noppigen Plastikbodenbelag, stumm und still, zusammengekrümmt in Fötushaltung, noch immer die rote Spülbürste krampfhaft umklammert, als wäre sie das einzig Bleibende in einer unzuverlässigen und unbeständigen Welt.

Ja, mein Gott, wie das gehen kann. Und wie ich mich schämte....

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Autor

Anna Bergmark, geboren 1963, studierte Literaturwissenschaft und lebt heute in Nordschweden. Ihr erster Roman «Ein praktischer Mann» wurde in der schwedischen Presse sehr gefeiert.