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Tod eines Skinheads

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
118 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20161. Auflage
Skinheads terrorisieren die Einwohner im nordfranzösischen Industrierevier. Christoph, ein 20jähriger Wohnsitzloser, hat sich von der Gruppe losgesagt. Als seine Leiche am Fuß eines Rohbaus gefunden wird, deutet alles auf einen Unfall hin, und die Polizei stellt die Ermittlungen ein. Zwei Personen, die dem Toten nahestanden, und ein Inspektor recherchieren auf eigene Faust ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Roger Martin, Lehrer, Schriftsteller und Publizist, wurde 1950 in Nordfrankreich geboren. Er veröffentlichte u. a. Untersuchungen zum amerikanischen Kriminalroman und zum internationalen Rechtsradikalismus.
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Produkt

KlappentextSkinheads terrorisieren die Einwohner im nordfranzösischen Industrierevier. Christoph, ein 20jähriger Wohnsitzloser, hat sich von der Gruppe losgesagt. Als seine Leiche am Fuß eines Rohbaus gefunden wird, deutet alles auf einen Unfall hin, und die Polizei stellt die Ermittlungen ein. Zwei Personen, die dem Toten nahestanden, und ein Inspektor recherchieren auf eigene Faust ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Roger Martin, Lehrer, Schriftsteller und Publizist, wurde 1950 in Nordfrankreich geboren. Er veröffentlichte u. a. Untersuchungen zum amerikanischen Kriminalroman und zum internationalen Rechtsradikalismus.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105613375
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.09.2016
Auflage1. Auflage
Seiten118 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2383728
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Prolog

Den ganzen Tag hatte es geregnet. Den jungen Mann fröstelte, und er schlug den Kragen seiner alten Lederjacke zum x-ten Mal hoch.

Nur wenige Passanten liefen eilig an den Häusermauern entlang, um nicht völlig durchnäßt zu werden.

Selten hatte man die Rue Serpenoise so verlassen gesehen. Als er den Metallzaun einer Baustelle erreichte, blickte er verstohlen um sich.

Niemand.

Er schob eine Zaunlatte zur Seite und schlüpfte auf die Baustelle. Im Vorbeigehen bemerkte er, daß der Doktor nicht da war. Der Clochard, eine bekannte Figur in Metz, logierte zur Zeit ebenfalls in diesem Rohbau. Er soll einmal Chirurg gewesen sein, und sein Tick, sich unablässig die Hände zu waschen, schien dieses Gerücht zu bestätigen.

Der junge Mann kannte sich aus hier, er bahnte sich seinen Weg über Schutt, Sandhaufen und Eisenteile und gelangte zu der Betontreppe, die bis zum dritten von zehn geplanten Stockwerken fertig war.

Dort schlief er seit gut einer Woche.

Zwar wohnte er hier mietfrei, doch die immer strenger werdende Kälte würde ihn bald zwingen, sich ein neues Dach über dem Kopf zu suchen.

Noch ein, zwei Stufen ...

 

Kaum hatte er den rauhen, splittrigen Boden seines Stockwerks betreten, als sie ihn packten. Er wurde festgehalten und bekam einen Faustschlag mitten ins Gesicht.

Er spürte etwas Warmes auf den Lippen.

Blut lief ihm aus der Nase.

Benommen sah er sich die Treppe hinunterstürzen, seine Füße berührten kaum den Boden.

Er hatte die Typen, die ihn da abgepaßt hatten, sofort wiedererkannt.

Fusil und Rasé[*], oder vielmehr Zifu und Zéra, wie ihre Kriegsnamen in Verlan[**] hießen; seine ehemaligen Skinheadkumpane aus der Zeit, als er noch zur Bande gehörte.

»Mein Gott, jetzt bin ich dran«, dachte er.

Er hatte sich abgesetzt nach einem Überfall auf einen marokkanischen Arbeiter, dem sie mit Messerstichen die Arme durchlöchert hatten. Damals hatte er ihre Drohungen durchaus ernst genommen, aber es waren Wochen vergangen, ohne daß sie sich gerührt hatten, und schließlich hatte seine Wachsamkeit nachgelassen.

Sie erreichten die Straße. Nacht war es jetzt. Keine Menschenseele mehr da.

Sie bogen nach rechts in die einsame Rue Fournirue und verschwanden in der Einfahrt zur Tiefgarage Saint-Jacques.

Fünf Minuten später tauchte ein grüner verbeulter Chrysler aus dem Souterrain auf.

Zéra saß am Steuer. Auf dem Rücksitz hielt Zifu seinen Gefangenen in der Zange. Der konnte nicht die geringste Bewegung machen. Doch den Weg erkannte er wieder. Es ging in Richtung Maizières, bestimmt zu Zifu nach Hause. Seine Eltern waren oft am Wochenende nicht da und überließen dem einzigen Sohn ihre Villa.

Er war früher schon dagewesen, zu Treffen der Gruppe 57, zu Videovorführungen, bei denen man ein Bier nach dem anderen kippte und sich dazu Originalaufnahmen vom Führer ansah.

Tatsächlich, dorthin fuhren sie.

Das Nußbaumportal erkannte er wieder und auch das große weiße Haus, das größer und imposanter war als die umliegenden Häuser des Viertels.

Zéra betätigte den automatischen Türöffner. Das Portal öffnete sich und schloß sich hinter ihnen.

Rücksichtslos zerrte Zifu den jungen Mann wie ein Paket schmutzige Wäsche aus dem Auto.

Der junge Mann stöhnte.

»Vorwärts, du Weib, hast wohl nichts mehr in der Hose, seit du von uns weg bist?«

Er gab keine Antwort. Er kannte sie und wußte, daß sie ihn rannehmen, »es ihm geil besorgen« würden, wie sie es nannten. Je mehr er sagte, desto mehr würde er draufkriegen.

Also sich fügen und zusehen, daß die Schläge möglichst wenig wehtaten.

Quietschend ging ein Garagentor auf, rohe Akkorde einer E-Gitarre drangen nach draußen.

Sie stießen ihn brutal in den Rücken. Er versuchte, das Gleichgewicht zu halten, doch es gelang ihm nicht. Er fiel nach vorne, geblendet von einem gelben grellen Licht, und fühlte sich gegen etwas Hartes stoßen.

Dann wurde er ohnmächtig.

Als er einige Minuten später zu sich kam, saß er auf einem Resopalhocker direkt unter einer 100-Watt-Birne, die ihn blendete. Sobald er sich an das Licht gewöhnt hatte, erkannte er die Gesichter um sich herum.

Sie waren zu zwölft; die komplette Bande, Mädchen inbegriffen.

Die Führergruppe 57, wie sie sich nannten, mit ihrem Anführer Aryan Warrior, der mit wirklichem Namen Luc Courcelles hieß.

Zwölf, verteilt um drei große Tische voller Bierdosen und Zeitschriften.

Ohne die einzelnen Titel erkennen zu können, wußte er, was drin stand. Er hatte selbst an solchen Versammlungen teilgenommen. Es gab belgische, deutsche, englische Zeitschriften und Magazine. Sogar rumänische, von denen sie kein Wort verstanden, die ihnen jedoch die Gewißheit gaben, daß ihre Bewegung mächtig war.

Dann die Fanzines, die zwar handwerklich gut gemacht waren, aber an Brutalität und Rassismus nichts ausließen.

An den weiß gekalkten Wänden immer noch dieselben Plakate, Poster von Hitler und Göring, ein riesiges Foto von Rudolf Heß mit einer deutschen Aufschrift und andere Fotos von Männern in Uniform, mit vorgestrecktem Arm und in die Zukunft gerecktem Kinn.

Pinochet, Blas Pinar, Almirante und Le Pen, die sich mit schrecklichem Grinsen von Wand zu Wand gegenseitig zu bedrohen schienen.

 

Etwas war anders als sonst.

Als er den Hammer in Aryan Warriors Hand sah, begriff er:

Ein Prozeß. Sie wollten über ihn richten!

Im Hintergrund lief noch immer die Musik.

Den Sänger kannte er nicht.

Screwdriver war es nicht - ihre Lieblingsband, seit sie erfahren hatten, daß deren Sänger Ian Stuart bei der englischen National Front war; Legion 88 war es auch nicht, die Rockgruppe der Skins, die sich bei Vorfällen von Saint-Germain hervorgetan hatte.

Vielleicht ein Newcomer, wie John Bon Jovi, der Anti-Michael Jackson und Liebling der amerikanischen Racialistes.

Auf ein Handzeichen von Aryan Warrior stand Zifu auf und verschwand aus dem Lichtkegel. Die Musik verstummte.

Es herrschte völlige Stille.

Aryan Warrior zog ein Blatt zu sich hin und begann zu lesen, ohne auch nur einen Blick auf den jungen Mann zu werfen, auf den alle anderen Augen gerichtet waren.

»Heute, Freitag, den 25. September 1987, erschien vor dem national-sozialistischen Volkstribunal der Skinheads der Verräter Tépo.

Nach fast sechsmonatiger Zugehörigkeit zur Skinheadbewegung und zur Führergruppe 57 hat er die Sache der weißen Rasse verraten und sich von seinen Verpflichtungen losgesagt. Da er durch Eid gebunden ist, wird er die für Verräter und Eidbrecher vorgesehene Strafe erhalten: den Tod.«

Mit tonloser Stimme hatte Aryan Warrior das Urteil vorgetragen, ohne jegliche Gefühlsregung.

Tépo zwang sich zu einem Lächeln.

Sie spielten sich ziemlich auf.

Er erinnerte sich an den Eid, den er in demselben Raum geschworen hatte, und an das Blut, das von Zifus Messer getropft war.

Ernst hatte er das nie genommen, und es gelang ihm auch jetzt nicht. Nicht ernster als diesen Spitznamen, Tépo, die Umkehrform von Poète, den sie ihm gegeben hatten, weil er ihnen naiv seine Schwäche, seinen Sinn für Poesie, gestanden hatte.

Er fand die Kraft zu sprechen.

»Gut, ihr habt jetzt euern Spaß gehabt.

Zifu und Zéra haben mich halbtot geschlagen, reicht euch das nicht? Laßt mich in Ruhe, laßt mich gehen, ich bin fertig.«

Keiner antwortete; die Kälte, die er in den Augen dieses Marionettengerichts sah, ließ ihm das Blut erstarren.

Er machte Anstalten aufzustehen, aber er fühlte sich zu schwach und mußte sich wieder setzen.

Einige Sekunden vergingen; sie kamen ihm vor wie die Ewigkeit.

Noch einmal stand er auf, kehrte ihnen den Rücken zu und bewegte sich auf die Metalltür zu.

Er fand sich schneller auf dem Hocker wieder, als er aufgestanden war.

Zifu und Zéra hielten ihn mit Gewalt fest.

Aryan Warrior ergriff erneut das Wort:

»Bevor wir das Urteil vollstrecken, werden wir noch eine Läuterung vornehmen.«

Plötzlich von Panik gepackt, schlug er um sich und fing an zu schreien.

Auf ein weiteres Zeichen des Anführers machte eines der drei Mädchen die Musik wieder an.

»Dieser Scheißkerl hat uns verraten, er verdient es nicht mehr, unser Ehrenzeichen zu tragen. Zifu und Zéra, degradiert ihn!«

Die beiden Skins ließen sich nicht lange bitten.

Sie waren sich eigentümlich ähnlich: die Schädel fast völlig glattrasiert, auf den schwarz-weißen T-Shirts »Adolf Hitler European Tour 1939-1945« und die wichtigsten Daten der von den Nazis besetzten Länder, Hosenträger und Levi´s 501, bis zu den Waden hochgerollt. An den Füßen Rangers, scheinbar unauffällig. Doch es waren echte Doc Martens, Sicherheitsschuhe mit einer Stahlkappe, die bis zu drei Tonnen aushielten. Und die Arme voller Tätowierungen.

Die beiden ließen ihre vom Intensivtraining prallen Muskeln spielen und rissen dem jungen Mann Jacke, Pullover und T-Shirt vom Leib; die Hose ließen sie ihm.

Auf seinem linken Arm wurde ein keltisches Kreuz sichtbar. Die Farben waren noch genauso frisch wie am ersten Tag. Sie hatten ihn tätowiert, als er in die Bande aufgenommen worden war. Sie hatten sich Bande genannt, bevor sie den pompösen Namen Führergruppe 57 annahmen.

Degradierung?

Damit konnte nur die Tätowierung gemeint sein.

Eine Hitzewallung...
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Autor

Roger Martin, Lehrer, Schriftsteller und Publizist, wurde 1950 in Nordfrankreich geboren. Er veröffentlichte u. a. Untersuchungen zum amerikanischen Kriminalroman und zum internationalen Rechtsradikalismus.