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Bock auf Wild

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am25.10.2010
Ende der Schonzeit
»Hier haben Sauen gebrochen!« Das heißt auf gut Deutsch: Hier haben Wildschweine gewühlt. Wir lernen also: Jäger haben eine eigene Sprache. Aber was haben Jäger und Kriminalautoren gemeinsam? Beide brauchen Publikum für ihre spannenden Lügenmärchen. Und hier haben 15 Autoren ihren kriminellen Jagdfantasien freien Lauf gelassen - zum Vergnügen ihrer Leser.
Von Wildschweinpastete bis Rehkeule: mit Rezepten für köstliche Wildgerichte.
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Produkt

KlappentextEnde der Schonzeit
»Hier haben Sauen gebrochen!« Das heißt auf gut Deutsch: Hier haben Wildschweine gewühlt. Wir lernen also: Jäger haben eine eigene Sprache. Aber was haben Jäger und Kriminalautoren gemeinsam? Beide brauchen Publikum für ihre spannenden Lügenmärchen. Und hier haben 15 Autoren ihren kriminellen Jagdfantasien freien Lauf gelassen - zum Vergnügen ihrer Leser.
Von Wildschweinpastete bis Rehkeule: mit Rezepten für köstliche Wildgerichte.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641051679
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum25.10.2010
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1588 Kbytes
Artikel-Nr.2432697
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

JACQUES BERNDORF

SAUMORD

Der alte Scharren war tot, auf eine ganz unbegreifliche Weise auf einem seiner Ansitze erschossen, irgendwann vorgestern, irgendwann an diesem nebligen, nasskalten Novembermorgen, wahrscheinlich gegen sechs Uhr, oder sechs Uhr dreißig, also vor mehr als achtundvierzig Stunden.

Dass Hinkejosef ihn fand und nicht sofort durchdrehte, war eigentlich ein Wunder. Hinkejosef dachte sich nichts dabei, als er strikt auf den Hochsitz zuging und sich darauf freute, einen Flachmann mit Wacholder und drei frisch gebratene Frikadellen vor sich zu haben. Hinkejosef war ein Typ, der sich auf so etwas ganz still und intensiv freuen konnte. Hinkejosef hieß so, weil er seit seiner Geburt ein um zwölf Zentimeter zu kurzes rechtes Bein hatte. Aber er kam seit sechzig Jahren damit gut zurecht.

Also: Hinkejosef kommt am Hochsitz an und sieht die Leiter hoch direkt in Scharrens Gesicht. Aber das Gesicht ist nicht mehr heil, das Gesicht sieht irgendwie zerfranst aus, besonders oben, wo die letzten weißen Haare waren. Aber: Scharren hat die Augen weit offen und starrt Hinkejosef an. Der schreit erst mal krächzend, dann sieht er woandershin, weil es so ungeheuer schaurig wirkt, so schaurig, dass seine Seele in heilloses Zittern gerät. Dann macht er die Augen wieder auf und sieht noch einmal hin. Es bleibt so: Der alte Scharren starrt auf ihn hinunter, rührt sich nicht und sieht sehr tot aus. Sein Mund ist weit offen und irgendwie sehr schief. Und überall ist das Gesicht schwarz von dem geronnenen Blut. Das Gesicht sieht so aus, als habe es alle Schrecken dieser Welt gesehen. Dann begreift Hinkejosef, dass der alte Scharren auf dem Fußboden des Hochsitzes liegt und seinen Kopf herausstreckt, als wolle er um Hilfe rufen, oder aber kopfüber die lange Leiter runterkommen. Das alles bei Nebel und Totenstille.

Jetzt war die Mordkommission da, jetzt nahm alles einen amtlichen und sehr leicht zu begreifenden Gang, nichts mehr von Nebel und Totenstille.

»Also, Sie sind etwa zwei, drei Stufen auf der Leiter hoch, dann wieder runter, dann durch den Wald runter ins Dorf. Dann haben Sie den Notarzt gerufen und die Ambulanz. Ist das so richtig?«

»Ja«, nickte Hinkejosef.

»Und dann sind Sie zum Hause Scharren. Mit wem haben Sie dort gesprochen?«

»Ja, mit Mathilde. Also, Mathilde ist die Haushälterin. Und die sagte: Ach, da hat er gesteckt.«

»Also, die Familie hat gar nicht gewusst, wo der alte Mann war?«

»Ja, das haben die nicht gewusst.«

»Ist das nicht komisch?«

»Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht«, sagte Hinkejosef. »Aber dann bin ich zu Kläuschen. Und Kläuschen war zu Hause und ...«

»Moment mal, das ist der Sohn vom alten Scharren, also dem Toten?«

»Richtig. Und der sagte, er käme sofort hierher, hat sich in den Land Rover gesetzt und ist hier hochgebrettert.«

»Sagen Sie mal, was sind das hier für blaue Plastikkanister? Und angekettet sind die auch noch.«

»Ja, also da kommt Mais rein. Dann kommen die Wildschweine, wollen an den Mais und stoßen die Kanister hin und her. Dabei fällt Mais raus. Der Jäger sitzt oben drüber, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er sucht sich das Tier aus, das er haben will, und schießt es ab.«

»Aus zehn bis zwanzig Meter Entfernung?«

»Ja, genau.«

»Was hatten Sie eigentlich hier zu suchen?«

»Nichts eigentlich«, antwortete Hinkejosef. »Manchmal komme ich hier hoch. Ich habe ja keine Arbeit.«

»Sie können jetzt gehen«, sagte Kischkewitz. »Haben Sie vielen Dank.« Dann starrte er eine Weile auf den Toten, der noch immer da auf dem Hochsitz lag und entschied: »Wir nehmen ihn runter. Wir können hier nichts mehr tun.«

Die Ausbeute war schmal. Scharren war sechsundsiebzig Jahre alt geworden, Apotheker von Beruf, Jäger aus Leidenschaft, mehr im Wald zu Hause, als in seinem etwas protzigen Haus. Erschossen aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Neun-Millimeter-Waffe, wahrscheinlich ein altertümliches Stück. »Sieht aus wie von einem alten amerikanischen Armeecolt«, hatte der Arzt gesagt. »Ein Schuss nur. Es hat ihm den Schädel weggeblasen, Näheres später.« Gejagt hatte er nichts. Der Tote war mit seinem alten Mercedes Geländewagen auf den Berg gefahren, war auf den Hochsitz gestiegen, dann war es irgendwann geschehen. Das Auto stand immer noch da, Spuren hatten sie darin nicht gefunden. Persönliche Feinde waren bisher nicht bekannt. Warum, um Gottes willen, war er zu Hause nicht vermisst worden?

Das genau war die Frage, die er zuerst der Ehefrau stellte, Marga Scharren, 73 Jahre alt, seit 50 Jahren mit dem Apotheker verheiratet.

»Er ist vor zwei Tagen in aller Herrgottsfrüh auf den Berg gefahren«, sagte sie ein wenig monoton. »Das passierte oft.«

»Das war also kein Grund, ihn als vermisst zu melden?«

»Nicht der geringste Grund. Ich würde sagen, er lebte im Wald.« Ihr Gesicht schien unbewegt, sie wirkte sehr ruhig und gelassen.

»Und er hatte keine Feinde?«

»Nein, hatte er nicht. Er hatte die vier Apotheken, die laufen gut. Und er hatte die Jagd. Und anderes interessierte ihn nicht.«

»Aber Sie! Sie müssen ihn doch interessiert haben!«

Sie sah ihn an, und in ihren Augen war sehr viel Spott. Sie antwortete nicht.

»Hat es denn häufig den Fall gegeben, dass er in den Wald ging und für Tage verschwand?«

»Das war immer so«, sagte sie. »Irgendwann wundert man sich nicht mehr.«

»Können Sie sich einen Menschen denken, der so etwas tut?«

»Kann ich nicht. Ich glaube nicht, dass er Feinde hatte.«

»Und Freunde? Hatte er Freunde?«

»Immer weniger. Nein, eigentlich hatte er keinen Freund. Na ja, den Jörg mochte er sehr gern. Jörg ist der älteste Sohn meines Sohnes. Er ist zwölf. Die beiden mochten sich.«

»Er hatte eine Flinte bei sich. Wie viele Waffen sind denn hier im Haus?«

»Das weiß ich wirklich nicht. Er hat sie gesammelt, sein Leben lang gesammelt. Er hat Schränke voll damit. In seinem Zimmer.«

»Würden Sie sagen, dass er sehr isoliert war?«

»Ich würde sagen, er war sehr einsam. Immer schon.«

»Ich danke Ihnen. Wir müssen später ein Protokoll machen. Wo wohnt denn Ihr Sohn?«

»Die Straße rauf, das letzte Haus auf der linken Seite.«

Kischkewitz murmelte: »Es tut mir aufrichtig leid.« Sekunden später fragte er sich, warum er diese Bemerkung machte, obwohl sie vollkommen sinnlos schien. Dann fragte er: »Kann ich sein Zimmer sehen?«

»Aber natürlich«, antwortete sie und ging vor ihm her.

Scharrens Zimmer war groß und düster, mit alten, schweren Möbeln ausgestattet und einem gigantisch großen Kamin.

»Machte er sich oft Feuer an?«

»Ja, manchmal ganze Tage lang.«

»Und die Waffen?«

»In den Schränken da.«

»Nicht abgeschlossen?«

»Nie.«

Kischkewitz starrte einigermaßen fassungslos auf vierundzwanzig Faustfeuerwaffen, achtzehn Flinten und Gewehre und zwei moderne Maschinenpistolen eines deutschen Herstellers.

»Was, um Gottes willen, wollte er denn damit?«

»Das weiß ich nicht.«

»Sind die etwa angemeldet?«

»Ich vermute, das war ihm egal.«

»Wer könnte etwas darüber wissen?«

»Mein Sohn Klaus könnte etwas wissen. Der war dagegen, der wollte ihm das immer ausreden, der hat immer gesagt: Vater, du bist verrückt.«

»Trauern Sie eigentlich? Wird er Ihnen fehlen?«

»Das weiß ich nicht. Ich fühle nichts. Irgendwann vor vielen Jahren hat er mich verlassen.«

»Ich wollte nicht aufdringlich sein«, bemerkte Kischkewitz etwas verlegen.

»Schon gut.«

»Haben Sie miteinander geredet?«

»Nein, nicht mehr.«

Also, der Sohn, den sie im Dorf Kläuschen nennen, was mit Sicherheit dafür spricht, dass die Leute ihn mögen. Die Straße rauf, das letzte Haus links.

Es war ein modernes Haus, klar gegliedert, groß angelegt. Im Vorgarten stand in einem kleinen Stahlgerüst ein Messingschild mit der Schrift: SCHARREN-BAU.

»Ich komme von Ihrer Mutter«, sagte Kischkewitz. »Ein etwas überraschendes Ambiente, wenn ich das so formulieren darf.«

»Ja«, nickte der Sohn, vielleicht 45 Jahre alt, ein sehr freundliches Gesicht unter strubbeligem dunklem Haar. »Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Sie hätten sich auch scheiden lassen können. Sie schlafen seit fast dreißig Jahren getrennt.«

»Aber keine lautstarken Auseinandersetzungen?«, fragte Kischkewitz.

»Keine«, nickte der Sohn. »Jeder für sich gewissermaßen.«

»Mich irritiert diese Waffensammlung.«

»Mich auch«, nickte Kläuschen. »Er hat nur zwei Waffen angemeldet. Eine spanische Beretta und eine Schrotflinte. Ich konnte ihm nicht klarmachen, dass das gegen das Gesetz verstößt, es war ihm scheißegal.«

»Wie viele Waffen sind es denn eigentlich?«

»Das weiß ich nicht genau«, antwortete Kläuschen. »Mich persönlich hat das nie interessiert. Ich wollte ja auch die Apotheken nicht. Ich war wahrscheinlich eine einzige große Enttäuschung für ihn.«

»Wie war denn Ihr Verhältnis zu ihm?«

»Sehr distanziert. Manchmal hat es mich gewundert, dass ich ihn duzen durfte.«

»Das ist aber erstaunlich. Und warum die Freundschaft zu Ihrem Sohn Jörg?«

»Das kann man nicht...
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