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Rembrandt van Rijn

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
462 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am25.08.20171. Auflage
In Rembrandts Leben lagen Pracht und Schatten, Triumph und Niederlage eng beieinander. Sarah Emily Miano lässt in einem spannenden biographischen Roman den geheimnisvollen Maler Rembrandt und die verzauberte Welt Amsterdams vor unseren Augen auferstehen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Sarah Emily Miano, geboren 1974 in Buffalo/USA, studierte bei W.G. Sebald an der University of East Anglia in Norwich/England. 2004 erschien ihr erster Roman ?Enzyklopädie vom Schnee? bei S. Fischer.
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Produkt

KlappentextIn Rembrandts Leben lagen Pracht und Schatten, Triumph und Niederlage eng beieinander. Sarah Emily Miano lässt in einem spannenden biographischen Roman den geheimnisvollen Maler Rembrandt und die verzauberte Welt Amsterdams vor unseren Augen auferstehen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Sarah Emily Miano, geboren 1974 in Buffalo/USA, studierte bei W.G. Sebald an der University of East Anglia in Norwich/England. 2004 erschien ihr erster Roman ?Enzyklopädie vom Schnee? bei S. Fischer.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105618776
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum25.08.2017
Auflage1. Auflage
Seiten462 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2436360
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

»Il pittore famoso«

Ferronis Faust, groß wie ein Kontinent, stieß in den Nebel. Mit eins, zwei, drei nachdrücklichen Schlägen ließ er die Türplanken und den rostigen Riegel klappern. Ein Echo dröhnte dumpf über die zugefrorene Gracht, zu dieser frühen Stunde ohne Schlittschuhläufer, weckte die armseligen Hütten in den schmutzigen Gassen und kehrte zur Schwelle zurück, vor der wir drei warteten und die Zehen in den Stiefeln krümmten. Ich tauchte unter meinen Umhang und nahm verstohlen einen Schluck Gin aus meiner Taschenflasche. Das Haus war aschgrau und schemenhaft, es hatte klapprige Fensterläden und ein schräges Dach. Als der Stundenschlag ertönte und die Minuten vergingen, schien die Tür uns auszulachen, während die Fenster heimlich durch Eisblumen schauten und zögerten, ihre Geheimnisse preiszugeben. Nachdem ich die nächste Scheibe mit meinem Handschuh frei gewischt hatte, drückte ich meine Nase an das eiskalte Glas und sah mein eigenes Gesicht, das den erstaunt-neugierigen Ausdruck eines Kindes hatte. Dann tauchten ein Holzschemel, eine eichene Druckpresse und mehrere altersschwache Stühle auf. War Rembrandt van Rijn heute Morgen zu Hause? Da war keine brennende Lampe, keine Silhouette im Türrahmen, nicht einmal das verstohlene Knarren eines Schrittes, nur Grabesstarre, die mir das Gefühl gab, das Zimmer könnte zu Staub zerfallen, wenn ich es je betreten würde. Vielleicht würde er wie ein Toter aus einer Gruft steigen, dachte ich.

Der andere Mann an meiner Seite war eine angenehme Ablenkung, wie ein Pfau einherstolzierend, in Federn und Pelzen. Seine Erscheinung und seine Bewegungen waren so hoheitsvoll und einnehmend, dass sich jeder Nasenflügel in der neugierigen Menge blähte - sogar die Straßenköter wagten es, seine duftenden Weichteile zu beschnuppern. Es war kein anderer als Seine Hoheit Prinz Cosimo de´ Medici, der, wie ich vermutete, nie zuvor einen Fuß in eine schmutzige Gasse gesetzt oder sich in solch zweifelhafte Gesellschaft begeben hatte, denn seine goldene Equipage war zum Rückzug bereit, sollte irgendeiner, abgesehen von den Hunden, eine unschickliche Geste machen. Durch eine Laune des Schicksals fand ich mich in der Rolle seines Begleiters wieder, doch ich ahnte damals kaum, dass die nächsten Minuten mein Leben verändern würden, und ganz gewiss hatte ich es vergangene Woche nicht geahnt, als er und seine Entourage in unserer Stadt eintrafen und alle Bürger zu ihrer Begrüßung zusammenströmten.

Zuerst ertönte eine Serie triumphaler Trompetenstöße, und die Arkebusiere marschierten mit flatternden blau-weißen Fahnen über den Dam-Platz, dann trat der Statthalter vor, um den Enkel von Herzog Ferdinand anzukündigen, der auf seiner großen Reise über die Alpen gerumpelt war. Mit dem Klick-Klack der Pferdehufe kroch eine Schlange von Kutschen in den Hof, vorbei an den Warenkisten vor der Waage, und rollte in den Kolonnadenhof. Als das Gefolge vor den sieben Torbögen haltmachte, die in zitronengelbes Licht getaucht waren, richteten sich alle Augen auf eine Equipage, in der der Prinz saß. Die Zuschauer liefen nicht mehr durcheinander und schoben sich näher heran, um besser sehen zu können - Bürger drängten nach vorn, Fischhändler, Betrunkene, Bettler, Wahrsager, Frauen, Kinder, Dichter, Geistliche, auch Hunde und Katzen, und ich, der dünne Buchhändler, der sich in der Menschenmenge zwischen Umhängen und Röcken hindurch in die erste Reihe vorkämpfte, während Glocken ihr Geläut über die Stadt sandten.

Prinz Cosimo stieg in Federn und Pelzen aus der Equipage, umringt von seinen Cavalieri: drei Sekretäre, ein Schatzmeister, ein Beichtvater, ein Arzt und ein Florentiner Kaufmann, Francesco Ferroni. Bürger klatschten, pfiffen und kreischten: »Platz da! Platz da!«, während ich von einem Fuß auf den anderen sprang und einen Blick durch die dichtgedrängten Köpfe zu erhaschen suchte. Schließlich öffnete sich ein Guckloch zwischen zwei hohen Hüten, und was ich sah, hatte ich überhaupt nicht erwartet: Der Prinz war noch ein Knabe, zart und dünn, und sein Gesicht und Körper konnten kaum mit seinem überdimensionierten, schrillen Kostüm mithalten. Seine Haltung war übertrieben vornehm, die Nase hatte er hoch erhoben, um an den Ringen des Saturn zu schnuppern, und während die eine Hand einen theatralischen Willkommensgruß bot, streichelte und tätschelte er mit der anderen seinen Pelzkragen, als wäre er ein Schoßtier. Dicht hinter ihm gingen drei Männer, die die Zipfel seines Mantels hochhoben, damit er nicht über den Boden schleifte, obwohl ein roter Teppich für ihn einen Weg zum Rathaus bildete. Sobald er bei den Ratsmitgliedern ankam, die ordentlich aufgereiht auf der Treppe standen und zu denen auch mein Vater gehörte, stießen sie wie die Geier auf ihn herab und entzogen ihn unseren Blicken.

Mein Vater, Joan Blaeu, war der Mann, der verantwortlich war für das nervöse Frösteln, das mir den Rücken hochkroch, denn er hatte mich ohne meine Zustimmung als Führer zu Amsterdams Malern für Prinz Cosimo angeboten. Eigentlich war ich kein Kunstkenner, doch ich wusste genug über Gemälde, um eine zufriedenstellende Tour zu machen - und mein Vater sah darin eine Chance für mich (vielleicht meine letzte Chance), um die Ehre der Familie zu retten, und das noch heute. Da war er: groß, schlank und untadelig, mit langen Schritten hin und her schreitend, den Rock bis zum Kinn zugeknöpft, die Ärmel gebauscht. Sein stählerner Blick suchte in der Menge nach mir, während er mit teuflischer Stimme »Pieter?« rief.

Ich duckte mich hinter eine Frau, die einen klettengrünen Hut mit Papageienfedern trug.

»Pieter!«

Als ich wieder einen verstohlenen Blick wagte, hatte sich ein anderer Mann, von monströser Gestalt wie ein Behemoth, der väterlichen Suche angeschlossen: Ferroni. Trotz der Entfernung sah ich sein Gesicht deutlich - dunkle Haut, ordinäre Falten, hässliche Lippen und struppige Augenbrauen - und spürte seine Präsenz, unsinnig groß, wie damals, als ich ihm vor einem Jahr bei seinem Besuch in unserer Druckerei auf der Bloemgracht zum ersten Mal begegnete. Ferroni war der andere Grund dafür, dass ich mich in dieser unangenehmen Lage befand: Damals hatte er zwei von unseren zwölfbändigen großen Atlanten der französischen Edition mit 600 Landkarten zu je 450 Gulden gekauft. Als er etliche Monate später um einen Führer für Prinz Cosimo ersuchte, wagte mein Vater nicht, ihn zurückzuweisen, und bot seinen ältesten Sohn an. Ich hätte mich leicht weigern können, ich hätte meinem Vater vors Schienbein treten und weglaufen können; stattdessen schnürte es mir die Kehle zu, als er die Hand erhob und sich anschickte, die blitzende Klinge herabsausen zu lassen.

Zu meiner Bestürzung kam ein Windstoß vom Hafen her und blies der Frau den Hut vom Kopf, sodass ich zu sehen war, wie ich dort hinter ihr wie ein kackender Hund kauerte. Ferroni entdeckte mich zuerst und teilte mit erhobenen Armen die Menge. Er kam auf mich zu - ein Schiff, das winzige Inselchen umrundete, im Schlepptau hüpfte ein kleines Boot, mein Vater.

»Der Forschungsreisende hat uns mit seiner Gegenwart beehrt, wie ich sehe.« Wenn Ferroni lächelte, öffnete sich sein Mund weit genug, dass man hätte hineinkriechen können. Ich wusste, er hätte mich ohne Zögern zermalmt und ausgespien.

»Ich bin kein Forschungsreisender«, sagte ich mit Festigkeit, dann fühlte ich mich schuldig und verbeugte mich höflich.

Ferroni packte mich bei der Schulter und warf mich beinahe um. »Aber Ihr werdet unser Führer sein?«

»Ja, mein Herr, die Route ist abgesteckt.«

Er wischte sich die tropfende Nase ab. »Euer Vater hat Euch mir als zuverlässig beschrieben.«

Ich sah den bohrenden Blick meines Vaters. »Seine Hoheit wird den berühmten Maler von Seestücken, Willem van de Velde, treffen und auch ...«

»Il pittore famoso?«

»Nun, wenn Ihr Rembrandt van Rijn damit meint, dann ja. Ich habe seinen Agenten informiert, seinen Sohn Titus.«

Ferroni grinste anzüglich. »Der Prinz glaubt, er sei der größte aller europäischen Meister. Wie kleistert er dieser Tage die Farbe auf?«

»Oh, sein Impasto ist einen halben Finger dick«, sagte ich, mich an ein in der Schenke gehörtes Gerücht erinnernd. Ich musste mir verlegen eingestehen, dass das meiste, was ich über den Maler wusste, von Klatschmäulern stammte, und noch dazu meist bösartigen.

Er lachte. »Van Hoogstraten sagt, man kann eins seiner Porträts an der Nase hochheben.«

Ich riss die Augen auf. »Van Hoogstraten hat das gesagt? Der muss es ja wissen.«

»Was malt er denn jetzt so?«

»Van Hoogstraten?«

»Nein, nein, nein.« Er spielte mit seinem Umhang. »Rembrandt.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich und hoffte, dass Rembrandt überhaupt nicht mehr malte. Es kursierten Geschichten über seine unberechenbaren Launen: Er stand im Ruf, den mächtigsten Monarchen nicht vorzulassen, wenn er bei der Arbeit war. Und außerdem, selbst wenn es uns gelang, sein Haus zu betreten, fürchtete ich, der Prinz könnte über seine jüngsten Gemälde außerordentlich enttäuscht sein. Die Reputation des Künstlers war nicht mehr dieselbe; sein Stil war längst aus der Mode, sein Ruhm größer als sein Verdienst.

»Dann findet es heraus. Wir müssen in seine Werkstatt. UNBEDINGT!« Als Ferroni sich umdrehte, stand sein Haar, das kurzgeschnitten war, hoch wie eine Bürste. Langsam und schwerfällig bahnte er sich seinen Weg durch die Menge zum Prinzen.

Mein Vater reckte mir das Gesicht entgegen und zischte durch die Zähne: »Du bist unverbesserlich, Pieter. Enttäusche mich nicht!«...
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