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Juridismus

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am11.09.2017Originalausgabe
Eine sozialphilosophische Kritik des Rechts befragt nicht dessen Abweichen von moralischen oder naturrechtlichen Gesetzen, sondern problematisiert seine Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben. Daniel Loick zeigt in seinem grundlegenden und weit ausgreifenden Buch, dass und wie die problematische Dominanz des Rechts in bürgerlichen Gesellschaft ethisch deformierte, verzerrte oder defizitäre Formen der Subjektivität und Intersubjektivität erzeugt. Dieser Juridismus lässt sich aber nicht durch eine Überwindung oder Abschaffung des Rechts, sondern nur durch dessen radikale Transformation kurieren - hin zu einem wahrhaft menschlichen, das heißt sozialen Recht.


Daniel Loick ist Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Universität Amsterdam.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextEine sozialphilosophische Kritik des Rechts befragt nicht dessen Abweichen von moralischen oder naturrechtlichen Gesetzen, sondern problematisiert seine Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben. Daniel Loick zeigt in seinem grundlegenden und weit ausgreifenden Buch, dass und wie die problematische Dominanz des Rechts in bürgerlichen Gesellschaft ethisch deformierte, verzerrte oder defizitäre Formen der Subjektivität und Intersubjektivität erzeugt. Dieser Juridismus lässt sich aber nicht durch eine Überwindung oder Abschaffung des Rechts, sondern nur durch dessen radikale Transformation kurieren - hin zu einem wahrhaft menschlichen, das heißt sozialen Recht.


Daniel Loick ist Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Universität Amsterdam.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518751527
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum11.09.2017
AuflageOriginalausgabe
Reihen-Nr.2212
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2444344
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
271. »Äußerlichkeit des Einsseins«.
Juridismus als Trennung

Der Begriff des Juridismus geht von einer problematischen Dominanz des Rechts in den sozialen Beziehungen innerhalb der europäisch geprägten Kulturtraditionen aus. Aber was genau ist problematisch am Recht bzw. an der Rolle, die es im Leben der Menschen spielt? Eine sozialphilosophische Analyse und Kritik des Rechts grenzt sich von zwei möglichen alternativen Kritikstrategien ab: Das Recht soll weder (nur) rechtlich noch (nur) moralisch kritisiert werden. Die rechtliche Kritikstrategie, die etwa das positive Recht mit dem Naturrecht konfrontiert, stellt sich bereits auf den ersten Blick als nicht radikal genug heraus: Weil sie ein bestimmtes Recht nur im Namen eines anderen Rechts kritisiert, kann sie nicht die potentiellen Defizite in den Blick bekommen, die schon in der Rechtlichkeit als solcher liegen. Die moralische Kritikstrategie, die die juridischen Gesetze mit moralischen Anforderungen konfrontiert, ist nicht sozial genug: Sie neigt dazu, die praktische Vernunft in den Verantwortungsbereich einzelner Individuen zu stellen, und ist daher blind für die Beschädigungen, die das Recht dem Gewebe sozialer Praktiken einer Gesellschaft zufügt.

Um die Konturen einer sozialphilosophischen Kritik des Rechts herauszuarbeiten, empfiehlt es sich, zunächst denjenigen Philosophen zu befragen, der wie kein anderer die Programmatik der modernen Sozialphilosophie geprägt hat, nämlich Hegel. Nicht nur finden sich bei ihm die bis heute anspruchsvollsten Reflexionen auf die spezifischen methodologischen und normativen Prämissen eines sozialphilosophischen Vorgehens, hier zeigen sich auch schon die Negativeffekte des europäischen Rechts auf besonders prägnante Weise. Obwohl es überraschend scheinen mag, den preußischen Staatsphilosophen als einen Kritiker des Rechts zu lesen, lassen sich also gerade in Hegels Werk bereits die zentralen Motive einer sozialphilosophischen Juridismuskritik herausarbeiten, die auch für spätere Autor*innen noch paradigmatisch bleiben werden.

Die Besonderheit von Hegels Ansatz besteht darin, die Defizität des Juridismus als eine Form von Trennung zu erläutern. Eine übermäßige Versteifung auf das (eigene) Recht, wie man sie etwa 28bei Kohlhaas beobachten kann, ist für Hegel deshalb problematisch, weil ein Mensch sich so von anderen Menschen absondert, entzweit oder entfremdet. Wenn der Nachweis gelingt, dass das Recht solche Versteifungen regelmäßig und strukturell produziert, dann bedeutet das, dass es nicht oder zumindest nicht nur als Medium der gesellschaftlichen Koordination und Kooperation dient, sondern immer auch gegenläufige Tendenzen mitfabriziert. Hegel hat dieser These von dem strukturell dissoziativen Charakter des Rechts im Laufe seines Lebens unterschiedliche Fassungen gegeben, die jeweils drei Elemente beinhalten: Erstens eine Annahme über die originär soziale Natur des Menschen (ein Argument, warum es überhaupt problematisch ist, wenn Menschen voneinander getrennt sind), zweitens eine Analyse des Dissoziationseffekts rechtlicher Subjektivierung (ein Argument, wie das Recht die Trennung des Menschen vom Menschen zustande bringt) und drittens eine Therapieempfehlung für den Juridismus (ein Vorschlag, wie die Trennung neutralisiert werden kann).
1.1 Die Sozialität menschlicher Subjektivität

Begriffe wie Absonderung, Entzweiung oder Entfremdung machen nur Sinn, wenn sie sich auf Positionen beziehen, die miteinander »eigentlich« in einer (ursprünglichen oder sinnvollen) Beziehung der Nichtgetrenntheit stehen.[1] Zeigt jemand ein komplettes Desinteresse am Schicksal eines Liebhabers, einer Freundin oder einer Verwandten, so kann man diese Haltung nur deshalb kritisieren, weil man hier »eigentlich« ein intrinsisches Interesse am Wohl des anderen erwartet. In Bezug auf die gesamte Gesellschaft, zumindest in der Moderne, steht jedoch in Frage, inwiefern solch anspruchsvolle Verknüpfungen des eigenen Wohls mit dem Wohl der anderen überhaupt zugrunde gelegt werden können. Die mächtigsten politischen Theorien seit Beginn der Neuzeit gehen gerade von entgegengesetzten Prämissen aus: dass die Einzelnen und ihre individuellen Rechte Grundlage und Grenze legitimer politischer Macht sind und dass die Gesellschaft somit einen nur abgeleiteten und 29darum instrumentellen Wert hat. Zu solchen »primacy-of-right«-Theorien[2] zählen nicht nur die kontraktualistischen Lehren in der Tradition von Hobbes und Locke sowie der Utilitarismus, auch die Vernunftrechtslehren von Fichte und Kant nehmen ihren Ausgang von individualistischen Prämissen.

Häufig wird der Streit über die Richtigkeit atomistischer oder sozialer politischer Theorien als ein Disput über das »Menschenbild« angesehen und zudem in eine Frage des Gemüts der Streitenden umdefiniert: Vertreter*innen eines »optimistischen« Menschenbildes gingen demnach von sozialen, die eines »pessimistischen« Menschenbildes von individualistischen Vorannahmen aus. Hegel ist aber der Meinung, dass die Unhintergehbarkeit der Sozialität menschlicher Subjektivität durchaus argumentativ entschieden werden kann. Diese Annahme hat für ihn Konsequenzen insbesondere für den Freiheitsbegriff: Wenn menschliches Leben außerhalb einer Gesellschaft nicht möglich ist, so macht es auch keinen Sinn, Freiheit als Freiheit von Sozialität zu verstehen. Aus der konstitutiven Bedeutung der Sozialität für die menschliche Subjektivität glaubt er also Rückschlüsse auf die normative Richtigkeit sozialer Handlungsorientierungen schließen zu können. Er bedient sich mehrerer geistesgeschichtlicher Quellen, um diese konstitutive Sozialität zu erweisen.

1. Die theologische Inspirationsquelle für den jungen Hegel ist eine pantheistische Naturvorstellung, wie sie von Spinoza vertreten wurde und die auch in die Vereinigungsphilosophie von Hegels Freund Hölderlin Eingang gefunden hat. Spinoza schließt aus der Unendlichkeit und Unbedingtheit Gottes, dass er identisch mit der Natur selbst sein müsse. Seine Formel »deus sive natura«[3] drückt die Überzeugung aus, dass Gott nicht eine der Welt externe Instanz oder Person ist, sondern die gesamte Natur gleichermaßen göttlich beseelt ist. Diese pantheistische Auffassung wendet Hegel organizistisch und holistisch: Die einzelnen Momente der Natur verhalten sich zueinander wie die Organe eines Organismus. Die Welt bildet ein substanzielles Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Hegel verwendet die Analogie zu einem menschlichen Organismus häufig, um die 30Konsequenzen dieser holistischen Sichtweise zu veranschaulichen: Wenn sich ein Teil der Welt zum anderen so verhält wie ein Organ zum anderen, so ergibt sich daraus ein »Interesse« des einen Teils am Wohlfunktionieren des Ganzen und somit auch des anderen Teils. Der Schaden, der einer anderen zugefügt wird, affiziert immer auch mich selbst, da wir beide Teil desselben größeren Ganzen sind.

Zwar vermag die pantheistische Fundierung des Hegel´schen Systems heute nicht mehr zu überzeugen, schon weil sie im Kern theologisch gestützt bleibt und somit einen Gottesbezug enthält, der im säkularen Zeitalter nicht auf Zustimmung hoffen kann. Auch der Appell an eine organische Verbundenheit der einzelnen Partikel innerhalb eines übergreifenden Zusammenhangs wirkt angesichts der real erfahrbaren Zerrissenheit der modernen Lebenswelt - und auch schon der Natur selbst - abstrakt und schal. Allerdings weist der Pantheismus durchaus eine Nähe zu einem zeitgemäßen ökologischen Bewusstsein auf. So reformuliert, bedeutet die Erkenntnis der Allverbundenheit der Natur einfach einen Einspruch gegen die Anmaßung menschlicher Suisuffizienz und eine entfesselte Naturbeherrschung: Menschen entspringen der Natur und sind von ihr abhängig, deshalb schadet der Mensch, indem er der Natur schadet, auch sich selbst. Hegel hat allerdings schnell bemerkt, dass eine rein theologisch verfahrende Begründungsstrategie in der Moderne nicht mehr ausreicht, um die konstitutive Sozialität der menschlichen Subjektivität zu erweisen. Er hat sie darum schon in Jugendjahren durch andere Bezüge ergänzt, wovon die wichtigsten aus dem Fundus des Aristotelismus stammen.

2. Ein erstes intersubjektivitätstheoretisches Argument vermag Hegel durch eine Weiterentwicklung und Zuspitzung des aristotelischen Freundschaftsideals zu gewinnen. Aristoteles war durch eine Darstellung der normativen Struktur von Freundschaften zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen wie der Pantheismus: Weil meine eigenen Ziele und die Ziele meiner Freundin miteinander verknüpft sind, kann man meiner Freundin nicht schaden, ohne auch mir zu schaden. Zunächst geht Aristoteles davon aus, dass es evident ist, dass Freundschaft zu den Bedingungen für Glückseligkeit zählt: »Niemand würde wählen, ohne Freunde zu leben, auch wenn er alle übrigen Güter hätte.«[4] Damit schon ist die radi31kale Egozentrik der menschlichen Handlungsorientierungen, wie sie etwa in den neuzeitlichen Vertragstheorien vorausgesetzt wird, dementiert; denn das Wesen der Freundschaft widerspricht immer schon einer rein individualistischen Interpretation des guten Lebens. Für Aristoteles ist aber die Freundschaft keine »private« Angelegenheit, die von der Politik zu trennen ist. Er geht im Gegenteil davon aus, dass auch die staatliche Gemeinschaft dem Muster der Freundschaft folgt; auch die Polis dient der Verwirklichung der intrinsisch miteinander verbundenen Lebensziele der Bürger.

Hegel spitzt Aristoteles´ Argument anerkennungstheoretisch zu. Für ihn ist die...
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