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Die grüne Jungfer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
282 Seiten
Deutsch
Haymon Verlagerschienen am24.10.20141. Auflage
Der böhmischer Ort Hlavanice, einst nahe der Sperrzone des Eisernen Vorhangs gelegen, rückt durch die Ereignisse des Herbstes '89 wieder in die Mitte Europas. Über 40 Jahre vergessen von der Geschichte wird er plötzlich wieder zum Schauplatz turbulenten Geschehens. Ein einziger, schwül-heißer Juni-Sommertag wird erzählt, doch an ihm passiert viel: Ein Spitzel der 'Geheimen', über Nacht arbeits- und orientierungslos geworden, versucht sich an seinem Opfer, einem alternden Dissidentenschriftsteller, zu rächen. Ein Baulöwe aus Bayern taucht auf, um ausgerechnet auf dem Gelände eines verfallenen Schlosses illegal eine Hühnerfabrik zu errichten. Dazu braucht er einen Strohmann, den er im seltsamen Onkel Venda seines Hilfsarbeiters Jirí auch findet. Der schlägt sich noch immer mit den geisterhaften Luftmenschen der Vergangenheit herum. Überhaupt wird an diesem auf ein allzu ausgelassenes Dorffest zusteuernden Tag noch einmal die Historie Hlavanices lebendig: die Blütezeit des Schlosses, die Okkupationsjahre unter den Nazis, die Deportation der Juden, die Vertreibung der Sudetendeutschen. Spannend, aber auch amüsant erzählt Bernhard Setzwein in diesem facettenreichen Panorama einer Grenzlandschaft eine typisch mitteleuropäische Geschichte, in der die Akteure von immer neuen Schicksalsschlägen gehörig gebeutelt werden.

Bernhard Setzwein, geboren 1960 in München, lebt in Waldmünchen an der bayerisch-böhmischen Grenze. Verschiedene Auszeichnungen, u.a. Bayerischer Staatsförderungspreis für Literatur (1998), Poetik-Professur der Universität Bamberg (2004) und Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2010). Verfasser zahlreicher Bücher, darunter Lyrikbände, Romane (zuletzt die im bayerisch-böhmisch-österreichischen Grenzland spielende Trilogie 'Die grüne Jungfer', Haymon 2003, 'Ein seltsames Land', 2007, und 'Der neue Ton', 2012) sowie sechs Theaterstücke, zuletzt '3165 - Monolog eines Henkers' (2007). 2010 erschien das Diarium 'Das blaue Tagwerk'. Außerdem seit 25 Jahren regelmäßig Hörfunk-Features für den Bayerischen Rundfunk. Bei Haymon: 'Das Buch der sieben Gerechten'. Roman (1999), 'Nicht kalt genug'. Roman (2000); 'Die Grüne Jungfer'. Roman (2003). bernhardsetzwein.de
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Verfügbare Formate
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99
Book on DemandKartoniert, Paperback
EUR23,90

Produkt

KlappentextDer böhmischer Ort Hlavanice, einst nahe der Sperrzone des Eisernen Vorhangs gelegen, rückt durch die Ereignisse des Herbstes '89 wieder in die Mitte Europas. Über 40 Jahre vergessen von der Geschichte wird er plötzlich wieder zum Schauplatz turbulenten Geschehens. Ein einziger, schwül-heißer Juni-Sommertag wird erzählt, doch an ihm passiert viel: Ein Spitzel der 'Geheimen', über Nacht arbeits- und orientierungslos geworden, versucht sich an seinem Opfer, einem alternden Dissidentenschriftsteller, zu rächen. Ein Baulöwe aus Bayern taucht auf, um ausgerechnet auf dem Gelände eines verfallenen Schlosses illegal eine Hühnerfabrik zu errichten. Dazu braucht er einen Strohmann, den er im seltsamen Onkel Venda seines Hilfsarbeiters Jirí auch findet. Der schlägt sich noch immer mit den geisterhaften Luftmenschen der Vergangenheit herum. Überhaupt wird an diesem auf ein allzu ausgelassenes Dorffest zusteuernden Tag noch einmal die Historie Hlavanices lebendig: die Blütezeit des Schlosses, die Okkupationsjahre unter den Nazis, die Deportation der Juden, die Vertreibung der Sudetendeutschen. Spannend, aber auch amüsant erzählt Bernhard Setzwein in diesem facettenreichen Panorama einer Grenzlandschaft eine typisch mitteleuropäische Geschichte, in der die Akteure von immer neuen Schicksalsschlägen gehörig gebeutelt werden.

Bernhard Setzwein, geboren 1960 in München, lebt in Waldmünchen an der bayerisch-böhmischen Grenze. Verschiedene Auszeichnungen, u.a. Bayerischer Staatsförderungspreis für Literatur (1998), Poetik-Professur der Universität Bamberg (2004) und Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2010). Verfasser zahlreicher Bücher, darunter Lyrikbände, Romane (zuletzt die im bayerisch-böhmisch-österreichischen Grenzland spielende Trilogie 'Die grüne Jungfer', Haymon 2003, 'Ein seltsames Land', 2007, und 'Der neue Ton', 2012) sowie sechs Theaterstücke, zuletzt '3165 - Monolog eines Henkers' (2007). 2010 erschien das Diarium 'Das blaue Tagwerk'. Außerdem seit 25 Jahren regelmäßig Hörfunk-Features für den Bayerischen Rundfunk. Bei Haymon: 'Das Buch der sieben Gerechten'. Roman (1999), 'Nicht kalt genug'. Roman (2000); 'Die Grüne Jungfer'. Roman (2003). bernhardsetzwein.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783709977132
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum24.10.2014
Auflage1. Auflage
Seiten282 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1303 Kbytes
Artikel-Nr.2445579
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Hlavanicer Lebensgespräche

»Der Ort, an dem wir uns befinden, ist gar nicht nur der Ort, an dem wir uns befinden. Er ist auch der Ort, der schon war ohne uns, verstehen Sie, Gnädigste? Und der sein wird, wenn wir schon lange nicht mehr sind. Wenn man genau hinhorcht und genau hinschaut, dann öffnet er sein Fenster, so ein Ort. Und ein Anhauchen trifft uns ...«

Es war elf Uhr zweiunddreißig mitteleuropäischer Zeit. Ladislav VanÄura saß bereits vor seinem zweiten Seidel Bier im Gasthaus Zur grünen Jungfer in Hlavanice, was ziemlich genau in der Mitte des Kontinents liegt, als er nach einer längeren Pause des Schweigens Bohumila, die Wirtin, mit dieser auch über ihn jäh hereingebrochenen Erkenntnis überraschte. Das Fenster zum Marktplatz stand offen, was von draußen hereindrang, war allerdings kein Anhauchen, sondern das langgezogene Freuden-Gehupe eines Pkws, das erst nur ganz leise zu hören war, dann aber unzweifelhaft immer näher kam. Jetzt mußte es schon in der rückwärtig gelegenen Küche zu hören sein, denn Kadlec, der Wirt der Jungfer, der seine Vorbereitungen für das Auskochen des Mittagstisches traf, kam durch die Schwingtür in die Gaststube und fragte: »Was ist denn hier für ein Radau?«

Bohumila sann noch immer dem Satz des Doktorchens nach, von wegen diesem Dingsda, diesem Anhauen, ehrlich gesagt, hatte sie das Gehupe gar nicht bemerkt. Sie zuckte mit den Schultern.

»Ich schau mal, was da los ist«, sagte Kadlec, knüllte das Geschirrtuch, das er in der Hand hielt, zusammen, warf es auf die Schanktheke und ging nach draußen auf den Marktplatz. Die Grüne Jungfer lag nämlich, wie könnte es auch anders sein, mitten im Zentrum von Hlavanice, direkt gegenüber der Pestsäule.

VanÄura und Bohumila waren jetzt allein in der Gaststube. Er in seinem Eck hinterm Bier, sie an der Theke hinterm Zapfhahn. Mit dieser Grundaufstellung begann seit zwanzig Jahren in der Grünen Jungfer beinahe jeder Tag. Erst nach und nach würden die ersten Gäste kommen, die Arbeiter und Handwerker, die Rentner und durchreisenden Handelsvertreter: Bohumilas Kundschaft. Und dann würde es langsam anheben, das Palaver in der Gaststube, das über kurz oder lang in philosophischen Betrachtungen endete.

Zur Jungfer muß man wissen: Man saß dort an einem der abgelaugten Tische im behaglich strengen Küchengeruch, den Kadlec mit Hilfe von fünf Tage altem Friteusefett und den Rezepten aus dem Kochkünsteschatz seiner Großmutter, die auch schon am Herd in der Jungfer gestanden war, fabrizierte, und stellte sich unwillkürlich die großen Fragen: Wo komme ich her? Wozu bin ich hier? Und wenn ich das da auf meinem Teller esse, werde ich dann immer noch da sein? Der Gasthof Zur grünen Jungfer wird oft von gastritisch Veranlagten und auch von Vielfraßen aufgesucht, Leuten, die ihren Bäuchen, wer weiß aus welchen Gründen, Übles wollen und die sie deshalb mit schärfsten Kalibern bombardieren, ein solches Kaliber war zum Beispiel der Lungenbraten nach Hlavanicer Art, eine unbedingt abzuratende Spezialität des Hausherrn, die sich als Zeitbombe herausstellte, auf terroristische Art und Weise in die Mägen der Gäste eingeschmuggelt, wo sie erst etwa eine Stunde nach Verlassen des Lokals detonierte, sonst hätte man ja auch wegen der Leichenberge hier keinen der Resopaltische mehr erreichen können.

Das Regiment in der Küche führte unstrittig Kadlec ... oder sagen wir besser: von Zeit zu Zeit doch auch strittig. Denn im Grunde war es Bohumila vorbehalten, mit ihrem traumwandlerischen Wesen den Speisen die entscheidende Nuance hinzuzufügen, vorausgesetzt ihr Mann ließ sie einmal an die Kochtöpfe, was selten genug vorkam. Bohumila ließ dann, wie zufällig, unabsichtlich, im Vorbeigehen, eine Prise von Irgendwas in die offenen Kochtöpfe fallen, und selbst ihr mürrischer Ehemann, der, mit einem Kaffeelöffelchen hinter der Bohumila herwieselnd, Gustoproben aus den Töpfen entnahm, mußte zugeben, verdammt noch mal, jetzt erst hatten sie den richtigen letzten Dreh bekommen: die Suppen, die Soßen, der schon seit Stunden köchelnde Eintopf. Nehmen wir zum Beispiel die berüchtigte Kohlsuppe ... Kohlsuppe nach indischer Art, wie die Gäste gerne des unleugbaren süß-sauer pikanten Geschmacks wegen frotzelten. Bohumila würzte die Kohlsuppe, in der die Strünke im ganzen und Kartoffeln mitgekocht waren, mit ein wenig Knoblauch und süßte sie mit dem feinsten Weinessig (mit Estragon), da auch für die Kohlsuppe der Spruch gilt, einen Hundebiß heile man durch das Auflegen eines Hundehaares. Wenn der Kohl sauer ist (und das ist ja seine Beschäftigung), muß man ihm mit noch Saurerem zu Leibe rücken, damit er Vernunft annimmt. Jedenfalls war das die feste Überzeugung Bohumilas. Unwirsch komplimentierte ihr Gatte sie jedesmal zur Küche hinaus, wenn sie ihm mit solchen Ratschlägen und Bauernweisheiten kam (er wußte nur zu gut, sie hatte ja recht). Sie solle sich lieber um die Gäste kümmern. Das sei schließlich ihre Aufgabe.

Gast gab es um diese Tageszeit, bevor die Mittagstischesser kamen, allerdings meist nur einen einzigen: und das war eben VanÄura. Der saß an seinem Tisch (immer derselbe, im Eck am Fenster). Man hätte ihn für einen Rentner halten können, was vom Alter her ja auch zutraf. Daß er keiner war, dem hätte jeder in Hlavanice beigepflichtet, aber was war er dann? Gewissen der Nation? (so was geht nicht in Rente), Lebenskünstler bis zum Tod hin?, vielbeschäftigter Champion im Nichtstun?, Abwarter?, Stillhalter?, der große Schweiger?

Bohumila war noch um einiges jünger als ihr treuer Stammgast, zweiundfünfzig, was man ihr aber nicht im geringsten ansah. Die Wirtin der Grünen Jungfer machte den Eindruck, als hätte nicht sie die zweiundfünfzig Jahre gelebt, sondern die zweiundfünfzig Jahre hatten sich die Bohumila vorgenommen, und zwar so, daß man auch was davon sieht: Von den Falten im Gesicht wollen wir jetzt gar nicht reden, auch nicht von den eulenhaften Augenringen, eher schon von der Schulter-Hals-Partie, das heißt, Hals hatte sie eben fast keinen mehr, der war im Laufe der Zeit ganz verschwunden, unter den hochgezogenen Schultern, die Wirtin machte den Eindruck, als gehe sie ständig in Deckung, man fragte sich: vor welchen Schlägen des Lebens eigentlich?

Und nun also, nachdem jeder seinen ihm zugewiesenen Platz eingenommen hatte, VanÄura im Eck, Bohumila hinter der Theke, in der kopfeinziehenden Haltung, konnten sie beginnen, die Hlavanicer Lebensgespräche, die über die Theke und die unbesetzten Tische hinweg geführt wurden. Ganze Vormittage lang geführt wurden. Seit zwanzig Jahren geführt wurden.

»Was hast du nur immer zu reden mit dem? Mit mir redest du auch nix!«

Eine Vorhaltung des Wirts an seine Frau, die diese stets mit dem Satz konterte: »Es gibt zuwenig Worte auf der Welt, um zweiunddreißig Jahre lang zu reden.« So lange nämlich waren sie verheiratet.

Den Satz hatte sie sich natürlich nur geborgt. Bei VanÄura. Es war fast einer seiner Schlüsselsätze, der schon mehrfach im Laufe ihrer Hlavanicer Lebensgespräche gefallen war. Diese Gespräche aber waren es ja genau, die die Richtigkeit des Satzes von den zu wenigen Wörtern widerlegten. Das bekam sie auch prompt vom Wirt als Retourkutsche hingerieben:

»Ah ja, interessant! Aber bei dem gehen sie natürlich nie aus, die Worte. Seit zwanzig Jahren bla-bla-bla!!«

Und weg war er unter heftigem Türenschlagen. Verschwunden in seiner Küche oder im Keller. Das Feld war wieder geräumt für Bohumila und VanÄura. Es konnte also wieder anheben, das Hlavanicer Lebensgespräch. Meist hob es völlig unvermittelt und nach langer Schweigepause an. In vollkommener Beiläufigkeit und größtmöglicher Unaufgeregtheit. Ungefähr so wie eben: Der Ort, an dem wir uns befinden, ist gar nicht nur der Ort, an dem wir uns befinden. VanÄura hätte auch sagen können: Das Bier heute schmeckt nicht so, wie das Bier gestern geschmeckt hat. Bohumila verzog - egal was für eine Erkenntnis da auch ans matte Licht der Wirtsstube kam - nie die geringste Miene. Und auch VanÄura zeigte keine Regung bei dieser plötzlichen Erleuchtung, die ihn unvorbereitet und jäh getroffen hatte, so wie eine Ladung Taubenscheiße, die einem auf den Hemdkragen fällt, heruntergesandt aus einem heiter-bösartigen Himmel. Er ist auch der Ort, der schon war ohne uns. So mußten sie sein, die Hlavanicer Lebenserkenntnisse: unfreiwillig, unbeabsichtigt, aber fundamental. Er hielt sich an seinem Bierglas fest, sie rauchte ihre Zigarette. Dabei hielt sie den Arm abgewinkelt vor die Brust gepreßt, so daß der qualmende Stengel stets nur wenige Zentimeter vom Gesicht entfernt war. Es mußte qualmen um ihren Kopf herum, der Qualm mußte sie umhüllen, die vollkommene Blöße, die sie war, bedecken, nur so fühlte sie sich wohl. Nur unter ihrem Nikotinzelt bekam sie ausreichend Luft. Ab und zu polierte sie mit einem Lappen über die kupfernen Zapfhähne. Ein Bild von ewiger Dauer und stiller...
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Bernhard Setzwein, geboren 1960 in München, lebt in Waldmünchen an der bayerisch-böhmischen Grenze. Verschiedene Auszeichnungen, u.a. Bayerischer Staatsförderungspreis für Literatur (1998), Poetik-Professur der Universität Bamberg (2004) und Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2010). Verfasser zahlreicher Bücher, darunter Lyrikbände, Romane (zuletzt die im bayerisch-böhmisch-österreichischen Grenzland spielende Trilogie "Die grüne Jungfer", Haymon 2003, "Ein seltsames Land", 2007, und "Der neue Ton", 2012) sowie sechs Theaterstücke, zuletzt "3165 - Monolog eines Henkers" (2007). 2010 erschien das Diarium "Das blaue Tagwerk". Außerdem seit 25 Jahren regelmäßig Hörfunk-Features für den Bayerischen Rundfunk.
Bei Haymon: "Das Buch der sieben Gerechten". Roman (1999), "Nicht kalt genug". Roman (2000); "Die Grüne Jungfer". Roman (2003).
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