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Südtiroler Zeitreisen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
280 Seiten
Deutsch
Haymon Verlagerschienen am27.04.20121. Auflage
Wo liegt Südtirol? Geographisch gesehen lässt sich diese Frage leicht beantworten. Vom Weltall aus ein kleiner Punkt, verlaufen die Grenzen im Norden entlang des Alpenhauptkamms, im Süden grenzt es an das Trentino. Aber wo sind die wahren Grenzen zu ziehen? Vielleicht gar im Inneren, entlang der Sprachgruppen? In einer geistreichen Auseinandersetzung mit der Geschichte, Gegenwart und Zukunft Südtirols geht der ZEIT-Journalist Ulrich Ladurner diesen Fragen nach. Aus acht unterhaltsamen Episoden fügt er ein vielschichtiges, aufschlussreiches und oft auch provokantes Bild des Lebens in Südtirol zusammen.

Ulrich Ladurner, geboren 1962 in Meran, lebt heute in Hamburg. Er studierte Geschichte und Politik in Innsbruck. Die Zeitschriften Profil und Facts (Zürich) waren erste Stationen als Journalist. Seit 1999 arbeitet er als Auslandsredakteur der ZEIT. Veröffentlichte als Schriftsteller acht Bücher.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextWo liegt Südtirol? Geographisch gesehen lässt sich diese Frage leicht beantworten. Vom Weltall aus ein kleiner Punkt, verlaufen die Grenzen im Norden entlang des Alpenhauptkamms, im Süden grenzt es an das Trentino. Aber wo sind die wahren Grenzen zu ziehen? Vielleicht gar im Inneren, entlang der Sprachgruppen? In einer geistreichen Auseinandersetzung mit der Geschichte, Gegenwart und Zukunft Südtirols geht der ZEIT-Journalist Ulrich Ladurner diesen Fragen nach. Aus acht unterhaltsamen Episoden fügt er ein vielschichtiges, aufschlussreiches und oft auch provokantes Bild des Lebens in Südtirol zusammen.

Ulrich Ladurner, geboren 1962 in Meran, lebt heute in Hamburg. Er studierte Geschichte und Politik in Innsbruck. Die Zeitschriften Profil und Facts (Zürich) waren erste Stationen als Journalist. Seit 1999 arbeitet er als Auslandsredakteur der ZEIT. Veröffentlichte als Schriftsteller acht Bücher.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783852189130
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum27.04.2012
Auflage1. Auflage
Seiten280 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2217 Kbytes
Artikel-Nr.2445895
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Toblach, 1905

Franz Hanuschek hätte nie geglaubt, dass es ihn, der 1860 im fernen galizischen Lemberg geboren wurde, eines Tages nach Toblach ins Tiroler Pustertal verschlagen würde. Dabei hatte es doch eine gewisse Logik, dass es so kam. Hanuschek war nämlich Eisenbahner aus Leidenschaft und Überzeugung. Eisenbahner, so glaubte er, sind die Pioniere des Fortschritts. Wenn es darum ging, auf bisher unerschlossenes Gelände vorzudringen, war Hanuschek immer dabei. Gelegenheiten dazu hatte er reichlich, denn gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts entstanden viele neue Bahnlinien. Die kaiserliche Regierung war damit beschäftigt, das bröckelnde Riesenreich zusammenzuhalten, und die Eisenbahnlinien waren die Nähte, die ein Auseinander­brechen verhindern sollten. Eröffnete die k. u. k. Bahn in einem fernen Winkel des Reiches einen neuen Bahnhof, bewarb Hanuschek sich sofort. Er konnte es gar nicht erwarten, in der Einöde seinen Dienst zu tun. Er wollte, wie er seiner Frau sagte, mit der Fackel der Aufklärung die Dunkelheit ausleuchten. Sie konnte darüber nur bitter lächeln, denn die Arbeit mit dem Umzug blieb meist an ihr hängen, während er vorausfuhr, um die Lage zu erkunden. Das Kriterium bestand dabei nicht darin, ob die neue Destination für die Familie ein geeigneter Ort zum Leben war, sondern ob sie einer war, an dem sich sozialdemokratisches Gedankengut verbreiten ließe. Die Bahndirektion gab Hanuscheks Ansuchen ohne Umschweife statt. Sie schickte ihn sogar mit Freude in gottverlassene Gegenden, denn sie wusste um seine politischen Überzeugungen. Hanuschek war Sozialdemokrat. Das hinderte ihn freilich nicht, an den Geburtstagen des Kaisers seine beste Uniform anzuziehen. Aus Respekt, wie er zu Genossen sagte, die sich über dieses Ritual mokierten. Mochte Hanuschek auch von einer anderen, einer gerechteren Gesellschaft träumen, so war er im Innersten seines Herzens kaisertreu. Zugegeben hätte er das freilich nie.

Die kaiserliche Polizei hatte keinen Sinn für solche Feinheiten und ließ Hanuschek observieren. Wann immer er eine neue Stelle antrat, informierte man auch die lokalen Behörden, dass an dem betreffenden Bahnhof ein Sozialdemokrat mit umstürzlerischen Neigungen seinen Dienst antrat. Man bat, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Von dieser Nachricht aufgeschreckt stellten die Behörden meist einen Polizisten ab, um Hanuschek zu überwachen.

In Toblach fiel diese Aufgabe dem verdienten Wachtmeister Franz Kastlhuber zu. Kastlhuber war ein jovialer Mensch, der es mit dem Gesetz nicht sehr genau nahm und daher bei den Bewohnern von Toblach sehr beliebt war. Denn im Dorf widmeten sich viele ab und zu der einen oder anderen Tätigkeit, die man mit strengen Augen durchaus als gesetzesbrecherisch hätte bezeichnen können, mal war es der Schmuggel, mal die Wilderei, mal der Ehebruch. Doch Kastlhuber sah die Welt nicht mit Strenge, sondern mit einer ihm angeborenen Nachsicht. Man müsse, sagte er immer, dankbar dafür sein, auf dieser wunderbaren Welt leben zu können. Wenn Gott streng wäre, fuhr er fort, hätte er den meisten von uns das Geschenk des Lebens erst gar nicht gemacht. Wir wären nicht geboren worden. Warum sollte Kastlhuber strenger sein als Gott? Das war ihm nicht beizubringen. Seinen Beruf hat er trotzdem ernst genommen. Er sah sich als Hüter des Gesetzes, wobei seine Vorstellung von Recht und Ordnung weniger von den Paragraphen als von den unerwarteten Wechselfällen des Lebens geprägt war, die jeden treffen konnten, auch den Unschuldigsten.

Als Kastlhuber im Winter 1905 den Auftrag bekam, einen Sozialdemokraten namens Franz Hanuschek zu überwachen, der seinen Dienst als Bahnhofsvorsteher von Toblach angetreten hatte, ließ er sich von seiner Frau die Paradeuniform bringen. Er prüfte jeden Knopf und jede Naht, dann trimmte er seinen Schnurrbart auf Hochglanz, schlüpfte in die blank gewichsten Stiefel und ging schnurstracks zu dem rund 500 Meter vom Dorfkern entfernten Bahnhof in Neutoblach. Diese kleine Kolonie aus Villen und Hotels war in den späten neunziger Jahren rund um das Grand Hotel Toblach entstanden. Risikofreudige Unternehmer hatten lauter große Hotels mit hunderten von Betten errichtet und Toblach zu einem der größten Fremdenverkehrsorte im Alpenraum ausgebaut. Kastlhuber selbst fand das weder gut noch schlecht, doch gab es Toblacher, die sich angesichts der in die Höhe schießenden Hotels Sorgen um das Schicksal ihrer Heimat machten. Er war dabei, als sich die Mitglieder des Heimatschutzvereins vor fünf Jahren im Gasthaus zum Schwarzen Adler trafen, um darüber zu beraten, was man gegen Neu­toblach unternehmen könne. Kastlhuber war zu dieser Versammlung abkommandiert worden. Ein Aufruhr war nicht zu befürchten gewesen. Trotzdem ging es hoch her. Es fielen Worte über die Behörden, die einen weniger toleranten Wachtmeister zum Einschreiten gebracht hätten. Doch Kastlhuber kannte seine Leute. Sie erhitzten sich leicht, waren im Grunde ihres Herzens aber äußerst vorsichtige Charaktere. Tatsächlich einigten sich die Heimatschützer bei dieser Versammlung darauf, einen Brief zu schreiben. Er wurde noch an Ort und Stelle verfasst, laut vorgelesen und danach per Akklamation gut geheißen. In seiner Eigenschaft als Wachtmeister bekam Kastlhuber eine Kopie des Briefes ausgehändigt. Auch darin war nichts Aufrührerisches zu lesen. Unter anderem hatten die Heimatbewegten geschrieben: Eine Gruppe öder, langweiliger Hotelkästen liegt vor uns. Wohin kommen wir, wenn unsere Landschaft in dieser Weise verunstaltet wird? Gibt es ein besseres Beispiel für die Notwendigkeit einer Heimatschutzbewegung? Kastlhuber steckte den Brief in seine Brusttasche und übergab ihn am Tag darauf dem Behördenvertreter, damit er den Brief nach Wien schickte. Die Regierung wollte über jede Versammlung, die im Reich abgehalten wurde, genauestens informiert werden. Die Regierenden fühlten sich unsicher und wollten nicht überrascht werden. Kastlhuber fand so viel Vorsicht übertrieben, er hätte es wahrscheinlich anders gemacht. Oder doch nicht?

Auch ich, dachte er, gehe ja grad zu diesem neuen Bahnhofsvorsteher, um mögliche Unruhe schon im Keim zu ersticken. Es war ein klirrend kalter Tag, auf der Straße lag viel Schnee. Kastlhuber stieß dicke Atemwolken aus, und von ferne hätte man die massige Gestalt des Wachtmeisters für ein Bierpferd halten können, das sich mühsam durch den Schnee kämpfte. Er brauchte fast zwanzig Minuten, bis er endlich am Bahnhof war. Kastlhuber war dankbar, als er in das gut geheizte Büro des Bahnhofsvorstehers eintreten konnte. Hanuschek saß an seinem Schreibtisch und studierte die Fahrpläne. Er blickte überrascht auf, als sich die Tür öffnete. Vor ihm stand ein riesenhafter, dampfender Mensch.

Wachtmeister Kastlhuber! , bellte der Riese.

Bevor Hanuschek antworten konnte, sagte Kastl­huber: Ich höre, Sie sind Sozialist.

Ahm, ich ... Hanuschek blieben die Worte im Hals stecken. Er stand auf und ging um den Schreibtisch herum.

Kastlhuber trat näher. Er überragte Hanuschek um Haupteslänge.

Ihre politischen Überzeugungen sind Ihre Sache. Da mische ich mich nicht ein. Aber eines dürfen Sie nicht machen: Wiegeln Sie mir die Leute nicht auf! Wenn Sie das tun, werde ich Sie verhaften! Seine Stimme klang wie ein Donnerhall. Er hob drohend den Zeigefinger und riss die Augen, so weit er konnte, auf. Sein Schnurrbart wippte gefährlich.

Wollen Sie sich nicht setzen? , sagte Hanuschek, der seine Fassung wieder gefunden hatte.

Ich sage meiner Frau, sie soll uns Tee zubereiten.

Kastlhuber musterte Hanuschek. Er konnte an diesem Mann nichts Kriminelles erkennen. Und er, davon war er überzeugt, hatte einen sechsten Sinn für Übeltäter.

Tee? , brummte er, gerne.

Hanuschek zog dreimal an einer Klingel, dreimal stand für Tee. Dann bot er dem Wachtmeister den bequemsten Stuhl an, den er hatte. Als Hanuscheks Frau nach rund zwanzig Minuten den Tee brachte, waren die beiden Männer so sehr ins Gespräch vertieft, dass sie die Frau nicht einmal bemerkten. Sie unterhielten sich wie alte Bekannte, und nicht wie zwei, die sich erst seit einer halben Stunde kannten. Doch das täuschte, auch wenn sie sich persönlich auf Anhieb recht gut leiden konnten, blieben sie sich spinnefeind.

Die Bahnlinie ist die Grenze , sagte Kastlhuber mit strenger Miene, wenn Sie diese Linie überschreiten und zu uns nach Toblach kommen, müssen Sie Ihre politischen Überzeugungen hinter sich lassen.

Was meinen Sie damit? , fragte Hanuschek mit fester Stimme, die dem Wachtmeister signalisieren sollte, dass sich der Bahnhofsvorsteher nicht so leicht einschüchtern ließ.

Ich meine, dass Sie willkommen sind, doch dürfen Sie keine politischen Reden schwingen, gar Flugblätter verteilen oder Ähnliches tun!

Das habe ich auch nicht vor, Herr Wachtmeister.

Naja, man kann nie wissen. Und nun muss ich zurück ins Dorf . Kastlhuber erhob sich und streckte den Rücken durch.

Und was ist mit Neutoblach? Gilt dafür dieselbe Regel?

Der Wachtmeister setzte sich die Mütze auf, klopfte die Uniformjacke beiläufig ab und antwortete: Wenn Sie in Neutoblach politisch aktiv werden wollen, dann sind Sie frei, das zu tun. Allerdings, seien Sie dabei diskret, sonst wecken Sie damit nur schlafende Hunde.

Er salutierte und verließ das Büro Hanuscheks.

Warum nur darf ich in Neutoblach, was ich in Toblach nicht darf? , fragte Hanuschek sich, während er durch das Fenster sah, wie sich der Wachtmeister festen Schrittes den Weg durch den Schnee bahnte.
...
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