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Schildkrötensoldat

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
173 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am09.10.20171. Auflage
Zoltán Kertész, blauäugiger Sohn eines »Halbzigeuners« und einer Tagelöhnerin, ist der Außenseiter in einem kleinen Ort in Serbien. Als Kind ist er dem Vater vom Motorrad gefallen, und der Bäcker, dem er die Mehlsäcke nicht schnell genug schleppte, hat ihm den Kopf blutig geschlagen. Seither hat er das »Schläfenflattern«, sitzt am liebsten in seiner Scheune und löst Kreuzworträtsel. Als 1991 der jugoslawische Bürgerkrieg ausbricht, soll der »Taugenichts« in der Volksarmee zuerst zum Mann und dann zum Helden werden. Aber Zoltán passt auch dort nicht ins System. Als sein einziger Freund bei einem Trainingsmarsch in der Folge sinnloser Schleiferei tot zusammenbricht, verweigert sich Zoltán endgültig einer Ordnung, die alle Macht dem Stärkeren zugesteht.

Vom sanften Widerstand der Phantasie erzählt Melinda Nadj Abonji in einer schwingenden, musikalischen Sprache und in eindringlichen, die Kraft des vogelwilden Denkens beschwörenden Bildern.



Melinda Nadj Abonji wurde 1968 in Becsej, Serbien, geboren. Anfang der siebziger Jahre übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Schweiz. Sie lebt als Schriftstellerin und Musikerin in Zürich. Für ihren Roman Tauben fliegen auf erhielt sie 2010 sowohl den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextZoltán Kertész, blauäugiger Sohn eines »Halbzigeuners« und einer Tagelöhnerin, ist der Außenseiter in einem kleinen Ort in Serbien. Als Kind ist er dem Vater vom Motorrad gefallen, und der Bäcker, dem er die Mehlsäcke nicht schnell genug schleppte, hat ihm den Kopf blutig geschlagen. Seither hat er das »Schläfenflattern«, sitzt am liebsten in seiner Scheune und löst Kreuzworträtsel. Als 1991 der jugoslawische Bürgerkrieg ausbricht, soll der »Taugenichts« in der Volksarmee zuerst zum Mann und dann zum Helden werden. Aber Zoltán passt auch dort nicht ins System. Als sein einziger Freund bei einem Trainingsmarsch in der Folge sinnloser Schleiferei tot zusammenbricht, verweigert sich Zoltán endgültig einer Ordnung, die alle Macht dem Stärkeren zugesteht.

Vom sanften Widerstand der Phantasie erzählt Melinda Nadj Abonji in einer schwingenden, musikalischen Sprache und in eindringlichen, die Kraft des vogelwilden Denkens beschwörenden Bildern.



Melinda Nadj Abonji wurde 1968 in Becsej, Serbien, geboren. Anfang der siebziger Jahre übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Schweiz. Sie lebt als Schriftstellerin und Musikerin in Zürich. Für ihren Roman Tauben fliegen auf erhielt sie 2010 sowohl den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518735923
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum09.10.2017
Auflage1. Auflage
Seiten173 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2698 Kbytes
Artikel-Nr.2491748
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


S-T-A-U-B-S-T-U-N-D-E-N


Ich habe Mehlsäcke geschleppt, stundenlang, habe mich mit den Säcken unterhalten, ihnen Namen gegeben, mit dem Pfarrer habe ich gescherzt, über den guten Hirten, dass er doch den schlechten Hirten braucht, damit er ein guter sein kann, du heiliger Pfarrsack voller Gnade, habe ich gewitzelt, ihn freundschaftlich in die Seite gestoßen, und meinem Oberstufen-Lehrer habe ich gesagt, dass sein Kopf ein Fass sei, sein Hirn aber eine Nuss, und ich habe sogar ein Lied gedichtet, aus Fass und Nuss, und der Herr Lehrer hat geschmunzelt, wie begabt, wie begabt, der Kertész Zoltán, und ich bin um den Gelehrtensack getanzt, habe dabei auf seine Nickelbrille gehaucht, du riechst nicht nach Seife, ist ja kein Wunder, nicht wahr, Zoltán? Aussatz, so hat mich der Herr Lehrer genannt, wenn er gut gelaunt war - oh, ein Wort mit zwei Türen, habe ich zum Gelehrtensack gesagt

-A-U-S-S-A-T-Z-

Kertész Zoltán bei der Nachtschicht, ich, allein mit meinen Säcken

geschwitzt habe ich immer, wussten Sie, dass man nachts nächtlich schwitzt? jaja, die Nacht, der Mond hält den Schweiß weniger auf, Schweiß hinter meinen Ohren, zwischen den Fingern, Jacke, Hose, alles feucht, während ich 50-Kilo-Säcke schleppe, schleife, und der Metzgermeister war auch da, im Halbdunkel, ihm habe ich beim Schlachten geholfen, dieses Töten, dieses Schweinesterben, dieses Quieken bis in die höchsten Wolken hinauf, die Schweineohren in flattrigem Fieber, das Schwein und ich

Schweine-Zoli

Schweine-Töter

und die Würste, die ich nach Hause bringe, schmecken gut

der Bäckermeister, er hat mich überrascht, als ich mit meinen Säcken geredet habe, hat mir eins auf den Hinterkopf gegeben, ich sei zu kurz im Mutterbauch gelegen, hat mich angetrieben, mit seiner schlechten Laune hat er mich zum langen Tisch gejagt, Mehl, Hefe, Salz, los! und ich rühre das Wasser ins Mehl, schneller, und der Bäckermeister klatscht Mehl von seinen Händen, die Hefe, ich zerbröckle sie, löse sie in lauwarmem Wasser auf, das Halbdunkel, weil das Elektrische Geld frisst, schönes Geld, das man für die warmen Brote bekommt, und ich knete die klebrige Masse, der Pfarrer sagt »Geheimnis des Glaubens«, und ich sage beim Kneten »Geheimnis des Brotes«

aber in dieser Nacht will die kostbare Luft nicht in den Teig, der Meister brüllt in meinen Nacken, die Brote! die Brote! und der Kuchen für die Taufe!

die Brotlöcher sind nicht ausgeschlüpft, und die Hefe, sie riecht nicht

ja, ich habe es gewagt zu sagen, dass die Hefe nicht riecht, dass sie womöglich, es könnte ja sein, vielleicht nicht frisch ist

die Meistermütze, sie fliegt mir um die Ohren, meine klebrigen Hände, die der Meister an den Gelenken packt, mich schüttelt, als wäre ich ein Obstbaum

Zigeunerbastard! elender Lumpensammler! Hundesohn eines Analphabeten! deine blauen Klunker täuschen mich nicht!

aber damit Sie es nicht vergessen: ich bin der König der Kreuzworträtsel

damit Sie es wissen: in meinem Garten wächst alles, was ich will

und ob Sie es glauben oder nicht: ich habe -V-I-S-I-O-N-E-N-

der Meister schäumt in dieser Nacht, er schmeißt mit mir um sich, und ich sage ihm, dass es den Broten nicht guttut, wenn er so wütend ist, dass die Hefe davon auch nicht frisch wird, und er erzählt es mir nicht, aber ich weiß, dass seine Nachbarin, Frau Szalai, die Brote umsonst kriegt, die Brote umsonst und ein frisch gebackenes Lächeln dazu

verfluchter Kertész!

der Ellbogen des Meisters, der mich wieder an der Schläfe trifft, ich taumle, halte mich am Tisch fest, die Teigschüssel fällt zu Boden, der Knall, bevor ich auch falle, zur Schüssel hin, und ich rieche sie plötzlich, die Hefe, sie ist frisch, so, wie sie sein soll, Hefe im Mund, Blut im Mund, mein Meister im Ohr, steh auf! hör auf zu simulieren, Kertész! los, Kertész, auf die Beine! die Meisterhand im Nacken, die warmen, rauen Hände des Meisters, Tatzen oder Pranken oder fürs Grobe gemacht, seine Kraft, die nicht ausreicht, ich, schwerer als ein Mehlsack, der Meisterfluch im Ohr, verdammt, auf die Beine! ich mach dir Beine! piss dir auf den Schädel, Zigeunerschwuchtel!

armer Meister, ich kann ihm nicht sagen, dass ich nicht aufstehen kann - kann nicht - Blut und Mehlstaub, daneben: Meisterfüße, du sollst aufstehen, deine Schuld, wenn wir nicht fertig werden -

ein Stiefeltritt und eine Backstube, die sich dreht, und warum ist das Blut so dunkel, so rot, vielleicht, weil das Blut auf den Teig tropft, Hefe! rufe ich, die Hefe! und kippe weg -W-E-G-

als mein Vater mich abgeholt hat, bin ich wieder auf den Beinen gestanden, ja, und der Meister und ich haben geschwiegen, und dann sagte der Meister lachend, Morgenstund hat Gold im Mund, und er packte mir ein Brot ein, die Meisteraugen, die sagen, dass wir uns doch verstehen, ja, wir verstehen uns! und ich habe mich hinter Papas Rücken gesetzt, wir sind davongefahren, wie jeden Morgen, und auf dem Motorrad, im Geknatter, im Fahrtwind, hatte ich zum ersten Mal dieses Schläfenflattern, jemand, der an dieser bestimmten Stelle anklopft, mir etwas einflüstern will

vielleicht war das der Anfang vom Ende

nein, ich habe nicht verstanden, was mir dieser Jemand sagen wollte, ich habe versucht, genau hinzuhören, und bin vom Motorrad gefallen, in den Staub

nein, das war nicht der Anfang vom Ende, wie Papa immer wieder behauptet, aber der Meister hat in seinen roten Hals geschnauft, was soll ich mit einem, der an der Teig-Maschine rumzittert? verstehst du, Zoltán, du taugst nicht mehr zum Bäcker, und in seinen Augen hat ein einziger Triumph geleuchtet, aber ich bin kein Unmensch, du kannst bleiben, im Lager, bei den Säcken, hast du kapiert? -

ja, der Meister hat mich zum Hilfsarbeiter gemacht, obwohl ich ganz bestimmt nicht an der Teig-Maschine gezittert habe, das habe ich Mutter erzählt, als sie irgendwann vor mir stand, nachts, in der Küche, mit verrutschtem Kleid und Augen, die so blickten, als wäre ich eine Beute, ihre Beute, Mutter, ich bin immer noch gut und geschickt und gescheit an der Maschine, es ist nicht deswegen, habe ich gesagt, Mutter, die sich eine Zigarette ansteckt, schnauft, schnauft und raucht, das leise Pfeifen, das aus ihrem Hals schlüpft

ich vertraue dir etwas an, mein Sohn, komm schon, komm näher, und im aufwirbelnden Rauch zieht Mutter mich zu sich, sie legt mir ihren Arm mit aufgeregtem Schmuck-Geklimper um den Hals, sie stützt sich auf mir ab, langt nach ihrem Schuh und nach dem zweiten, knallt sie ins Eck, so! ohne meine Hoheitsschuhe können wir uns doch besser in die Augen sehen, nicht wahr? und Mutter lacht, schnauft direkt in mein Ohr, du hast ja keine Ahnung, wie sehr sich dein Großvater einen Jungen in den Kopf gepflanzt hatte, schon Tage vor meiner Geburt hat er sich volllaufen lassen, und weißt du, wie ich hätte heißen sollen? Józsi, Józsika, und später dann József, ja, Zoli, du sollst wissen, dass aus mir auch ein Junge hätte werden sollen, und du kannst dir bestimmt Großvaters Begeisterung vorstellen, als ihm die Hebamme die frohe Botschaft überbracht hat, ein Mädchen! und Mutter, die mich in die Wange kneift, zieht lange an ihrer Zigarette, so lange, bis die Asche ganz langsam vom Filter kippt, hin zu Mutters nackten Füßen, der rot-grau-blaue Flickenteppich, oh Mutter, die Asche, die Asche! der Teppich!

Zoli, hör doch auf mit deinem Getue, und Mutter reibt mit der rechten Ferse über die glimmende Asche, aber ja doch, wie es sich für einen echten Kerl gehört! und Mutters trockenes Lachen, als sie ihren Arm von meinem Hals löst, nach der Flasche langt, aus mir ist zwar kein Junge geworden, aber aus dir, Zoli, ein schöner, blauäugiger Junge, und Mutters Stimme klebt an ihrem Gaumen, weißt du eigentlich, was du für eine Verpflichtung hast? und sie setzt die Flasche an, sie trinkt aber nicht, oh nein, sie bohrt ihren Blick in meinen Zoli-Schädel, in meine blauen Kulleraugen, du kriegst die Kurve doch noch, Zoli, oder? und Zoli, schreib deinem Lieblingscousinchen, sie soll uns wieder mal Geld schicken, schreib ihr die Wahrheit, dass du - momentan - ein Kuli geworden bist, hörst du?

ich bin nicht einmal mehr ein Kuli, nein, es gibt nichts mehr zu sagen, ich bin ein -I-D-I-O-T- ein...

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