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Abschied für länger

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
122 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am20.10.20171. Auflage
Eine junge Frau nimmt mit 33 Jahren von ihrem Elternhaus «Abschied für länger». Doch es haftet ihr weiter an - mit Erinnerungen, die nicht zu verbannen sind. Da ist der in seiner ängstlich verdeckten Sorge rührende Vater, der Bruder mit seiner Schlagermusik und seinen Kampffischen, die gar nicht kämpfen - ein Symbol für das Verhalten der Personen des Romans -, die beängstigende tatkräftige Mutter, die beiden sich ewig streitenden Tanten. Auch Ruthie, die vor zwanzig Jahren tödlich verunglückte Schwester, an die sich die Erzählerin in Gedanken wendet und an deren Tod sie sich mitschuldig fühlt, erinnert sie an die Vergangenheit. Ihr Geliebter Strass ist Fachmann für Betriebsorganisation und ständig auf Geschäftsreisen, auf denen die Erzählerin ihn begleitet. Das Leben der beiden wird vom Terminkalender und vom Leerlauf des modernen Berufslebens bestimmt. In den Gesprächen mit Strass ist von allem die Rede, nur nicht von der Zukunft, denn er ist verheiratet und hat einen Sohn. Außerdem hat er ein unheilbares Leiden. In dieser ausweglosen Situation kommt die Erzählerin auf den Gedanken, Strass die Qualen eines langsamen Sterbens zu ersparen. Doch ihr Versuch, befreiend einzugreifen, scheitert, und sie reist zurück zu ihren Eltern. Dieser Roman ist eine Komposition aus Gesprächen und Erinnerungen, aus Erdachtem, Erträumtem und Erhofftem. Er bietet das genaue Bild einer Gesellschaft, in der die menschlichen Beziehungen zermürbenden Belastungen unterworfen sind.

Gabriele Wohmann, geboren am 21. Mai 1932 in Darmstadt als Tochter eines Pfarrers, studierte Philologie und arbeitete als Lehrerin in einem Internat. Sie veröffentlichte zunächst unter ihrem Mädchennamen Gabriele Guyot den Erzählungsband «Mit einem Messer» (1958). Es folgten Gedichtbände, zahlreiche Romane und Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele. Gabriele Wohmann erhielt mehrere Preise und Stipendien. Sie starb am 22. Juni 2015 in Darmstadt.
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Produkt

KlappentextEine junge Frau nimmt mit 33 Jahren von ihrem Elternhaus «Abschied für länger». Doch es haftet ihr weiter an - mit Erinnerungen, die nicht zu verbannen sind. Da ist der in seiner ängstlich verdeckten Sorge rührende Vater, der Bruder mit seiner Schlagermusik und seinen Kampffischen, die gar nicht kämpfen - ein Symbol für das Verhalten der Personen des Romans -, die beängstigende tatkräftige Mutter, die beiden sich ewig streitenden Tanten. Auch Ruthie, die vor zwanzig Jahren tödlich verunglückte Schwester, an die sich die Erzählerin in Gedanken wendet und an deren Tod sie sich mitschuldig fühlt, erinnert sie an die Vergangenheit. Ihr Geliebter Strass ist Fachmann für Betriebsorganisation und ständig auf Geschäftsreisen, auf denen die Erzählerin ihn begleitet. Das Leben der beiden wird vom Terminkalender und vom Leerlauf des modernen Berufslebens bestimmt. In den Gesprächen mit Strass ist von allem die Rede, nur nicht von der Zukunft, denn er ist verheiratet und hat einen Sohn. Außerdem hat er ein unheilbares Leiden. In dieser ausweglosen Situation kommt die Erzählerin auf den Gedanken, Strass die Qualen eines langsamen Sterbens zu ersparen. Doch ihr Versuch, befreiend einzugreifen, scheitert, und sie reist zurück zu ihren Eltern. Dieser Roman ist eine Komposition aus Gesprächen und Erinnerungen, aus Erdachtem, Erträumtem und Erhofftem. Er bietet das genaue Bild einer Gesellschaft, in der die menschlichen Beziehungen zermürbenden Belastungen unterworfen sind.

Gabriele Wohmann, geboren am 21. Mai 1932 in Darmstadt als Tochter eines Pfarrers, studierte Philologie und arbeitete als Lehrerin in einem Internat. Sie veröffentlichte zunächst unter ihrem Mädchennamen Gabriele Guyot den Erzählungsband «Mit einem Messer» (1958). Es folgten Gedichtbände, zahlreiche Romane und Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele. Gabriele Wohmann erhielt mehrere Preise und Stipendien. Sie starb am 22. Juni 2015 in Darmstadt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688106547
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum20.10.2017
Auflage1. Auflage
Seiten122 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse639 Kbytes
Artikel-Nr.2503226
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I

Mein Bruder stand da, er bewegte seine kalten Füße nicht. Mein Vater trug einen Pullover unter dem Rock. Diesmal war ich es, die wegfuhr, Ruthie, die Bahnhofsstimmung der beiden da unten galt diesmal nicht dir.

Am Gleis gegenüber zog ein Mann mit Overall und Schildmütze Schrauben an. Sein Gehilfe stand bloß so da, das Arbeitsgerät in der Hand. Er schaute herüber. Willst du denn rückwärts fahren, fragte mein Vater.

Meine Mutter hatte mich beim Packen mit einem Sommerkleid ertappt. So lang bleibst du weg, fragte sie. Wieder betrachtete sie mich, als habe ein rätselhafter Zufall sie in diese Familie verschlagen. Dann haben wir nur noch den Manfred, sagte Tante Leonie. Du hast dir einen leichteren Abgang verschafft, Ruthie-Schwester. Tante Gusta hat meine Hand nicht loslassen wollen, wie sechs Monate später beim Abschied in der Anstalt. Ich wußte noch nichts von der Anstalt, ihrem Garten, ihren Besuchszeiten, vom besonders heißen Sommer dieses Jahres, vom Fehlen der Bäume und ihrer Schatten auf den geometrisch streng verlaufenden Kieswegen der Anstalt, und riß meine Hand aus ihrer.

Der beschäftigte Gleisarbeiter richtete sich auf und sagte etwas zu dem andern Arbeiter; jetzt sahen sie beide zu uns herüber. In diesem Augenblick grüßte mein leicht gekrümmt stehender Bruder Manfred eine Gruppe von kleinen Burschen, die seit der letzten gescheiterten Versetzung seine Klassenkameraden waren. Manfreds Hals, wieder ohne Schal, war etwas eingezogen, als rechne er mit einem Steinwurf. Was suchen denn die auf dem Bahnhof, fragte ich ihn. Er machte den Mund auf, aber er mußte anscheinend nicht gähnen. Meine Mutter war mit den Betten fertig, erst jetzt zeigte der Ischiasanfall seine wahre Stärke. Tante Gusta wollte Tante Leonie den Mop entreißen.

Viele Grüße an die Kampffische, sagte ich und wußte noch nichts von Zimmer neun im Hotel Wachtturm und von den Sätzen zwischen Strass und mir über die Kampffische meines Bruders. Darauf freute ich mich, auf etwas in dieser Art. Manfred hatte bei geringem Fieber ausgedehnte Dämmerstunden im Bett vor sich, wie er sie schätzt, wie die Eltern sie schätzen wegen der dadurch ruhigeren Vormittage, die sie aber auch fürchten, denn sie ziehen schlechte Leistungen in der Schule nach sich. Neue Bittschriften gegen neue Repetitionen; durch Sensibilität und Anfälligkeit meines Sohnes Manfred leider.

Ich merkte erst jetzt, daß die Arbeiter das Gleis verlassen hatten. Meinem Vater weiter einzureden, ich bliebe nur kurz fort, mochte ich jetzt nicht mehr. Die Mitschüler Manfreds, zusammengerottet und auffällig schweigsam, schlenderten an uns vorüber, machten kehrt, und diesmal suchten sie ihren Weg zwischen dem Waggon und den beiden Wartenden.

Also wie ist´s, willst du nicht wieder aussteigen? Mein Vater rief das noch, als der Zug schon wegglitt. Ich spielte verschrecktes Theater, so als wolle ich wirklich aussteigen, ich winkte. Mein Vater ließ ein riesiges weißes Taschentuch vom unbewegten hochgestreckten Arm herabwehen. Manfred rührte keine Hand, wie bei jedem Abschied. Mein bald rudernder, bald segelnder Arm, den ich ihnen immer noch zeigte, ein Köder, der für sie unerreichbar war, mein Lächeln, mein Abschied von der Familie galten zuletzt, hinter Ablaufberg, Entschlackungsgrube und Kohlenbansen, nur noch den beiden Arbeitern und ihren groben freundlichen Zurufen; im selben Augenblick waren Vater und Manfred nicht mehr zu sehen.

Ich setzte mich auf meinen Fensterplatz und merkte, daß ich im Abteil nicht mehr allein war. Eine große alte Frau betrachtete mich mit ruhiger Neugier.

Die Mitschüler gaben es schon dem Omnibusbahnhof gegenüber auf, dieses komische Paar zu verfolgen, meinen kleinen Vater mit den kleinen Schritten neben dem nur widerspenstig sich vorwärtsbewegenden, um zwei Köpfe höheren Manfred. Sie gingen zu Fuß nach Haus. Sie fühlten sich etwas verloren, aber auch ruhiger, nun, da die Trennung vollzogen war. Es ändert wenig, ob ich weg bin oder bei ihnen. Manfred habe ich nie zur Rebellion überreden können. Meiner Mutter vermochte ich die Freude an Durchzug, Süßigkeiten, Naturhaarbesen, fettem Fleisch und Wettspielen nicht auszureden. Ich half Tante Gusta nicht mit Anweisungen zum Lesen, Stopfen, Sticken, Bügeln über das erste Stadium ihres Wahnsinns weg. Nichts lieferte ich als Beitrag zu Tante Leonies Monologen. Bei Wochenendbesuchen meines Bruders Reinhard und seiner Familie war ich meist außer Haus. Vor dir versteckte ich Süßigkeiten und Lieblingsbücher, Ruthie, bevor du vom Baum fielst und die Blutlache um deinen Kopf das Laub färbte.

War unser Abteilfenster schmutziger als die andern? Nun, mir lag nicht viel an der Aussicht. Ich sah nur diese zwei, meinen Vater und Manfred. Sie machen einen Umweg, so gut gefällt ihnen der Spaziergang. Manfred hat angefangen zu reden. Er erklärt wieder einmal den Vorgang der Farbentfaltung seiner beiden Kampffische, die nicht kämpfen, obwohl es sich um die teuren malaiischen handelt, mein Vater sah freundlich aus, hörte nicht zu und begann, sich bei seinen eigenen Gedanken wohl zu fühlen. Sie gehen noch um einen anderen Block, um ein Stückchen Kiefernwald zu erreichen. Manfred friert nicht mehr besonders, aber er schützt Halsschmerzen vor. Er wird bald im Bett bleiben.

Auch Strass mag es nicht, Schwarzfärberei. Ich fuhr ab, gut. Ich brachte die Stadt hinter mich, in der ich nach dreiunddreißig Jahren nicht mehr leben wollte. Es ging auch immerhin um Strass und mich. Die Frau gegenüber schmatzte, ohne zu essen. Das novafilm-Angebot habe ich blindlings angenommen, wie man eine vorübergehende Beschäftigung annimmt. Und selbst wenn ich insgeheim plante, danach mein Leben mit der Familie nicht wiederaufzunehmen - schön. Eine Sache wie die zwischen Strass und mir läßt sich nicht über ungefähr sechshundert Kilometer weg abwickeln.

Die Greisin beobachtete mich, allerdings mit dem Ausdruck der Gleichgültigkeit. Manfred redet über die Gleichgültigkeit der Kampffische und des Zebrafinkenpaars, nur daß diese beiden im Streit oder durch Sympathie keine besonderen Farben entwickeln könnten, daß es also egal sei - er redet und redet. Mein Vater kennt alles, er lacht dann ruckartig, ruft tztz und macht hmhm an den richtigen Stellen, ohne zuzuhören. Sie fühlen sich zur Zeit außerordentlich wohl, es ist ihr eigenbrötlerisches Behagen, jetzt ungestört.

Die Familie aufgeben! Das stammt von mir. Euer Wortschatz ist viel argloser. Höchstens meine Mutter, in den Augenblicken, in denen sie uns rätselhaft schockiert ansieht, plötzlich als Fremde zwischen uns, und auch, mit dem Fortschreiten ihrer Verkalkung, Tante Gusta, höchstens diese beiden übertreiben manchmal. Mir haben alle zugeredet, aufzubrechen und wegzufahren, um woanders etwas anzufangen, Strass auch. Strass und ich, wir waren bis dahin zu häufig getrennt voneinander in unseren verschiedenen Städten.

Ich fuhr zu Strass. Ich sah den hirschbraunen, etwas fleckigen Regenmantel und ihn, Strass, sehr gerade stehen an irgendeiner Haltestelle, mit hochgerecktem Hals, so wie beim Tanzen, er sieht komisch aus beim Tanzen, als mache er sich darüber lustig, er macht sich aber nicht lustig darüber, er schätzt Tanzen. Er notiert Für und Wider bei den Aufträgen mit geringem Auftragswert. Während er sich damit beschäftigt, hat sein Gesicht einen neugierigen und zustimmenden Ausdruck. Zu ihm fuhr ich, zu Strass, nicht weg von der Familie, diese Auslegung trifft es nicht - aber warum werde ich schon wieder laut. Das Unbeherrschte an dir, ich weiß ich weiß, der Name Rudolf muß nicht erst erwähnt werden, auch sonst keiner. Wenn du es bist, die aus dem Takt kommt, brauchst du uns nicht anzuschreien, schrie Rudolf mich an, als wir noch verlobt waren. Meine Mutter klopfte munter auf die Tasten, sie sah aber sehr ängstlich aus und wagte sich mit den Augen nicht einmal, um den Einsatz zu geben, in Rudolfs Richtung. Rechthaberisch dirigierte er uns zwei Takte vor und schonte seine sämige Baritonstimme, die gefühlvoller war, als man erwartete.

Mein jähzorniges Schätzchen, gib doch Ruhe! Sobald ich will, höre ich die Stimme meines Vaters, und ich will nicht. Die Stimme unseres Vaters, Ruthie, seine sanfte Stimme: Mein jähzorniges Schätzchen oder so, sanfte Worte. Wer wird denn sein Schwesterchen so garstig petzen. Das Geschaukel auf seinem Knie. Das frisch auseinandergefaltete Taschentuch, später Zügen schlaff nachwehend, damals mit dem Geruch seines Schranks in meinem Gesicht.

Ein Bastler bestellt bei der EFH drei Spezialschrauben, Umsatz 0,50DM. Abwicklung des Auftrags 5DM. Erlös 0,05DM. Strass wird vielleicht von seinem kleinen Sohn abgelenkt, er fragt nach Zahlen über hundert. Welche Packeinheiten sind optimal? Strass im weinroten Pullover und mit Schuhen, die an Zehen und Fersen offen sind und in denen er seine empfindlichen Füße schont.

Die Alte mir gegenüber fuhr röchelnd aus einem anscheinend bösen Traum. Es war nicht mehr sonnig. Vater und Manfred verließen das Wäldchen. Die Tanten stritten in der Küche um Mengen und Zutaten, meine Mutter versuchte, sich eine starkfärbende, nach Fichtennadeln duftende Flüssigkeit ins Kreuz zu reiben. Sie hat das von mir, den Zorn, sagte meine Mutter und betrachtete mich neugierig unverwandt. Du Zorngickel, zorniges Schätzchen, es paßt nicht zu kleinen Mädchen, es kommt wahrscheinlich von der Schilddrüse wie bei deiner Mutter; und dann ihre freundlichen Finger mit zartem Druck auf meinem Hals, über meinem Kehlkopf; ich weiß nicht, Ruthie, ob ich lediglich diesen Untersuchungen meine Abneigung gegen enge Kragen verdanke.

Meine Mutter hatte auch jetzt mit dem Haushalt keine zusätzliche Arbeit. Manfred verschlechterte seine Leistungen in der Schule...
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Autor

Gabriele Wohmann, geboren am 21. Mai 1932 in Darmstadt als Tochter eines Pfarrers, studierte Philologie und arbeitete als Lehrerin in einem Internat. Sie veröffentlichte zunächst unter ihrem Mädchennamen Gabriele Guyot den Erzählungsband «Mit einem Messer» (1958). Es folgten Gedichtbände, zahlreiche Romane und Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele. Gabriele Wohmann erhielt mehrere Preise und Stipendien. Sie starb am 22. Juni 2015 in Darmstadt.